Das schwarze Schaf ist auf dem Weg zur nuraghischen Siedlung S’Arcu e Is Forros bei Villagrande Strisaili. Die Schnellstraße SS 389 mit ihrem hübschen, offiziellen Namen „Strada statale 389 di Buddusò e del Correboi“ bringt es in Nullkommanichts hin. Und sie gibt schon den ersten, namentlichen Hinweis auf die Bedeutsamkeit des Ortes.
Denn der Pass Arcu Correboi ist eine Landmarke, die bereits von den frühzeitlichen Einwohnern Sardiniens frequentiert wurde. Der Correboi liegt auf 1.246 Metern und, wie es sich für einen ordentlichen Pass gehört, zwischen Bergen.
Der Pass (sardisch Arcu) hat tatsächlich sehr viel mit der Siedlung zu tun, denn er war quasi der Weg, um hinzukommen. Wegen seiner unmittelbaren Präsenz wurde der Arcu Correboi auch zum Mit-Namensgeber der nuraghischen Siedlung S’Arcu e Is Forros.
Ganz grob grenzen hier die beiden höchsten Gebirge der Insel, Gennargentu und Supramonte, fast aneinander.
Die Anfahrt über ebenjenen Bergpass ist wirklich empfehlenswert – nicht nur wegen der grandiosen Ausblicke. Du erreichst ihn über den früheren Verlauf der SS 389. Die Strecke ist sehr relaxt – weil quasi mit Staugarantie: Obwohl die schmale Straße kaum mehr befahren und in schlechtem Zustand ist, frequentieren frei laufende Kühe sie immer. Sie haben überhaupt keine Eile aus dem Weg zu gehen. Hupen bringt überhaupt nichts. Entschleunigung schon – entdecke die Lammsamkeit!
Die Kühe sind auch heute ein Indiz dafür, dass sich viele Dinge auf Sardinien nicht ändern: Wir fahren entlang der von Flüssen gespeisten Täler, die über Jahrtausende und bis heute den (halbnomadischen) Hirten als Weideland dien(t)en.
Und nicht nur von ihnen – wie die Stätte S’Arcu e Is Forros uns erzählt.
Wasser war auf Sardinien schon immer wertvoll. Und in der frühen Geschichte, als es noch keine industriellen Wasserversorger gab, war das umso wichtiger.
In der Inselmitte gab es noch dichte Wälder, die den Boden hielten und Schatten spendeten – und fruchtbares, wasserreiches Land. Heute in manchem Sommer kaum vorstellbar.
Der lokale Name des Ortes zu dem wir fahren Inte Abbas, was soviel wie „zwischen den Wassern“ heißt.
Mit „den Wassern“ sind Neben- und Zuflüsse zum Beispiel des Rio Flumendosa gemeint, die damals noch starke Flussläufe waren und die Region zuverlässig mit Wasser versorgten. Der Flumendosa fließt auch heute noch in der Nähe – auch wenn er vielleicht nicht so präsent ist, wie wir das vom zweitlängsten Fluss der Insel erwarten würden.
Die kleineren Wasserläufe sind heute noch gut in der Nebensaison wahrnehmbar und sind manchmal, nach starken Regenfällen durchaus veritable Flüsse.
Wer bei der Anfahrt aufpasst, nimmt auch entlang der Schnellstraße noch Teile der Flussläufe und -windungen wahr. Auch diese liegen die meiste Zeit des Jahres trocken und die steinigen Flussbetten sind sichtbar.
Speziell im Frühling werden sie gespeist von Quellen und Schmelzwasser des Gennargentu, dem zentralen, höchsten Gebirge der Insel.
Wasser war den Sarden der nuraghischen Zeit sehr heilig – denn Wasser war Leben. Ein Zeichen dafür sind die inselweiten Brunnenheiligtümer. Die verschiedenen Bauweisen kannst du in Su Tempiesu bei Orune und Santa Cristina bei Paulilatino vergleichen. Erwähnenswert im Zusammenhang mit Is Forros sind das Wasserheiligtum und nuraghische Aquädukt Gremanu im Tal auf der anderen Seite des Passes sowie die Gigantengräber Madau an der Straße nach Fonni. Zu Is Forros gehört auch noch ein Gigantengrab am gegenüberliegenden Berghang, Sa Carcaredda.
Ich nehme die Landschaft trotz der Präsenz von Wasser heute eher als karg wahr.
Das liegt nicht am Sommer (es ist Mitte September, als ich Is Forros besuche), sondern ist auch im Winterhalbjahr evident. Die Gründe liegen in der Ausbeutung und Entwaldung Sardiniens zur Kohlegewinnung sowie der intensiven Nutzung der wenigen landwirtschaftlichen Flächen. Der Klimawandel und seine Folgen (strenge Hitze, Buschbrände, Wassermangel) geben Sardiniens Landschaft heute den Rest.
Das Schaf hat es heute ausnahmsweise eilig und düst die SS389 entlang. Denn es ist zu einer ganz speziellen Führung durch S’Arcu e Is Forros verabredet.
S’Arcu e Is Forros liegt direkt an der SS 389. Das Navi lotst dich direkt vor die Einfahrt – was etwas irritieren kann, denn diese zweigt haarsträubend direkt an der Schnellstraße aus einer Nothaltebucht ab.
Von Nuoro kommend ist es okay, aber dennoch unvermittelt und wenn du zu schnell bist, besteht die Chance, dass du vorbei fährst.
Von Villagrande Strisaili kommend, in dessen Gemeindegebiet die Stätte liegt, ist das sogar auf der anderen Straßenseite. Und einfach abbiegen ist auf einer Schnellstraße nie gut.
Und speziell hier auch gar nicht erlaubt – bitte macht KEINEN Harakiri-U-Turn! Fahrt einfach ein kurzes Stück weiter: Gleich hinter der der nächsten Kurve ist eine echte Ausfahrt. Dort könnt ihr ganz in Ruhe ab- und in die Gegenrichtung wieder auf die Straße fahren.
Früher, so vor gut 3.000 Jahren, gab es keine Schnellstraßen.
Und trotzdem war dieser Ort – so komisch das heute klingt – quasi einer der „Hotspots“ im Mittelmeer.
Wir befinden uns in der späten Bronzezeit, die auf Sardinien ca. zwischen 1500 und 900 v.u.Z. anzusiedeln ist, und während der auch die Nuraghen gebaut wurden. Auf Sardinien ist diese Zeit allein wegen dieser einzigartiger Bauten und der vom Kontinent relativ isolierten Entwicklung quasi ein eigener Zeitabschnitt, eine nuraghische Epoche.
Die Inselbevölkerung lebte vornehmlich in der Inselmitte (daran hat sich bis heute wenig geändert), da die Küsten zu gefährlich waren, erfuhr aber auch kulturelle Einflüsse von außen.
Sardinien war aufgrund der besonderen, zentralen Lage im Zentrum des westlichen Mittelmeers besonders beliebt: Verschiedene mediterrane Kulturen trafen sich auf der Insel und tauschten sich aus. Damals noch mit friedlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Absichten (was sich später leider änderte).
Die Navigation über die Meere bestimmten in der späten Bronzezeit das Geschehen. Für die nuraghische Kultur bot das neue Entwicklungsmöglichkeiten. Der Wandel vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit ist eines der grundlegenden Themen in der nuraghischen Zeit und die Entwicklung zur Hochkultur fand jetzt statt.
Hatte man noch wenige Jahrhunderte vorher das Leben stets nach den besten Weidegründen ausgerichtet, schlug man hier und da nun Wurzeln und war offen für Neues.
Sardinien war zu der Zeit, als Is Forros ein belebter Ort wurde, also keine isolierte Insel, auf der ein paar wandernde Hirten lebten, die müde geworden waren.
Sie war ein Treffpunkt von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur. S’Arcu e Is Forros war für diesen multikulturellen Wandel prädestiniert.
Die heutige Führung greift speziell das kulturelle Element auf und ist in ein literarisches Event eingearbeitet. Es geht um nachhaltigen Tourismus und – um Homers Odyssee! Der Zeitgeist dürfte ein ähnlicher gewesen sein und tatsächlich begegnen uns bei genauem Hinsehen auf Sardinien einige spannende Zusammenhänge, speziell mit der griechischen Kultur.
Da ich Homer aber in meinem bisherigen Leben leider nur angelesen habe und die Führung in italienischer Sprache war, ich also vermutlich nicht alle Details adäquat wiedergeben könnte, beschränke ich mich weitgehend auf die archäologischen Details – das ist schon mehr als genug.
Kleine Randbemerkung: Die Stätte auf eigene Faust zu verstehen, ist kaum möglich. Eine Führung lohnt sich, selbst wenn es Sprachhürden gibt. Mehr ganz am Ende dieses Artikels.
Die europäischen Kulturen waren also in Bewegung.
Auch die sardische. Man ging viele Jahre auf Reisen – um Vorteile für das eigene Volk, den Stamm, die Dorfgemeinschaft, für den engsten Kreis, die Familie und die nächsten Generationen zu erlangen. Für die bronzezeitlichen Menschen war Reisen eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
Der Gedanke an das größere Ganze, in dem alles zusammenhängt, war sehr präsent.
Diese generelle „Reisefreudigkeit“ im Mittelmeer sorgte dafür, dass auf Sardinien an den (damals) neuralgischen Punkten integrierte Siedlungen, Handelsorte und Kult(ur)stätten entstanden, die andere Völker anzogen.
Und während sie reisten, hielten die Menschen an ihren religiösen Kulten fest. Einiges war sich bereits ähnlich, anderes vermischte sich.
Die meisten der größeren, erhaltenen nuraghischen Stätten aus jener Zeit hatten einen vordergründig religiösen Zweck. Besonders anschaulich wird dies auch in Romanzesu bei Bitti erklärt – einer im westlichen Mittelmeerraum bekannten Pilgerstätte, die mit großer Sicherheit einem religiösen Wasserkult zuzuordnen ist.
Die in S’Arcu e Is Forros sesshaften bronzezeitlichen Sarden (Siedlungsstrukturen sind erkennbar an den Resten eines Nuraghen, nuraghischer Rundhütten sowie der Lage an fruchtbaren Hügeln) gingen mit großer Wahrscheinlichkeit hier ihren eigenen Kulten rund um Naturgottheiten nach.
In der Bronzezeit gossen sie (inselweit) für ihre religiösen Kulte kleine Votiv-Statuetten aus Bronze, bronzetti genannt. Sie wurden auch in den Tempeln, die wir uns gleich ansehen, gefunden.
Die Besonderheit und das Einzigartige im Vergleich zu anderen Kultstätten auf Sardinien: Man hat die bronzetti direkt vor Ort gebrannt – in metallurgischen Schmelzöfen.
Und daher rührt der zweite Namensteil dieser Stätte: Is Forros – die Öfen. Sie heißt also “Der Pass und die Öfen”.
Diese Öfen schauen wir uns gleich noch genauer an, aber man kann schon vorwegnehmen, dass die Metallurgie ein wichtiger Produktionszweig in der sardischen Bronzezeit war. Man hat auf Sardinien nicht nur Bronzefiguren gebrannt, sondern z. B. auch (das ebenfalls in Homers Odyssee erwähnte) „Ochsenjoch“: ein aus Bronze gegossener schwerer Metallblock, der damals Tauschmittel, Währung und Handelseinheit war.
Man kann also davon ausgehen, dass die Sarden der Bronzezeit und diejenigen, die diese und andere heilige Stätten frequentiert haben, durchaus wohlhabend waren.
Insgesamt muss man kein Archäologe oder Anthroposoph sein, um zu erahnen, dass dieser Ort unterhalb des Passes, zwischen den Wassern, mit Tempeln und Schmelzöfen in der damaligen Zeit von besonderer Wichtigkeit war.
Is Forros war also einer dieser Orte, an dem sich Reisende, Händler und Gläubige aus weiten Teilen des Mittelmeers trafen. Oder, um im Bild zu bleiben: ein Schmelztiegel der Kulturen.
Meine Führung beginnt.
Ich lausche den ersten Versen Homers, die rezitiert werden und schleiche nebenher durch das Innere des Megarontempel A (oder 1 in den archäologischen Beschreibungen).
Er ist fast 17 Meter lang, rechteckig, mit dicken Mauern, in vier einzelne Kammern aufgeteilt. Er besteht aus Granit- und Schieferblöcken unterschiedlicher Größe.
Aus der Struktur der Wände schlossen die Archäologen – und das hat auch Sinn – dass der Bau von einem Satteldach aus Holzpfählen und Ästen bedeckt war.
Davor befindet sich eine rundliche Freifläche, von der ein runder Raum mit kleiner Vorkammer abgeht. Eine Bank, auf der die Gläubigen Platz nahmen. Die Reste einer nuraghischen Rundhütte scheint etwas merkwürdig integriert – das liegt daran, dass sie aus einer früheren Bauzeit stammte und nicht direkt zum Tempel gehört.
Meine eingebaute Fantasie setzt sich in Bewegung und versucht sich vorzustellen, wie das hier alles mal ablief. Die verschiedenen Abschnitte innerhalb des Tempels deuten auf zusammenhängende, religiöse Handlungen hin.
Während die Stimmen außen von Odysseus‘ Heimreise nach Itacà erzählen, rauscht auch im Inneren der damalige Zeitgeist hindurch. Je weiter ich ins Innere gehe, desto dichter wird die Stimmung, die Mauern scheinen das wie aufgesaugt zu haben.
Im letzten Raum befinden sich auch zwei Steine mit Einbuchtungen, in denen die bronzetti abgestellt wurden und Priesterin / sacerdotessa die Kulthandlungen vornahm.
Das Ding übrigens mit den Megarontempeln: Sie heißen nur auf Sardinien so. Das Wort ist aus dem Griechischen abgeleitet – der kulturelle Austausch lässt grüßen – und bezeichnet in der griechisch-antiken Architektur ein Haus mit einem rechteckigen Grundriss. Das Wort Tempel wurde aufgrund der religiösen Nutzung ergänzt.
Und in direkter Nähe des Megarontempels 1 befindet sich das erste Highlight von Is Forros: die erwähnten beiden runden Öfen.
Sie unterstreichen die besondere Bedeutung dieser Stätte und Sardiniens während der Bronzezeit: zwei dickwandige, gemauerte Rundöfen, in denen Kupfer / rame, Blei / piombo, Zinn / stagno und Eisen(erz) / ferro verhüttet wurden.
Neben ihnen befindet sich eine Rundhütte, die vermutlich zur Aufbewahrung der Utensilien Werkzeuge diente. Die gegossenen, wertvollen Gegenstände wurden entweder genutzt oder verkauft. Vermutlich wurden einige auch in den Nuraghen der Stätte verbracht. Denn Nuraghen wurden im Laufe der Zeit auf verschiedene Weise genutzt – und einige eigeneten sich wegen ihrer gut geschützten Kammern auch als eine Art Tresor.
Dass die Kombination von Kupfer und Zinn eine wertige Metallbronze bildete, entdeckte man übrigens zuerst im Nahen Osten. Die Schmelztechnologie verbreitete sich durch Handel und Migration zunächst nach Ägypten, in Richtung Osten bis nach China und in Europa zunächst auf den Balkan. Dort wurden Kupfer und Zinn zu Bronzegegenständen verarbeitet, was auf dem europäischen Kontinent eben den Beginn der Bronzezeit markiert.
Das Mittelmeer war die Seeverbindung zwischen den damaligen wichtigen Handelszentren – und Sardinien in dessen Mitte bekam schnell eine strategische Bedeutung als Handelszentrum.
Aber zurück zu den Öfen.
Interessanter Botanik-Fact am Rande – denn für die Führung ist eigens ein bekannter italienischer Botaniker und Historiker angereist, der sowas weiß: Um die Temperatur in den Öfen schnell in die Höhe zu treiben, damit die Rohstoffe schmolzen, wurde Rosmarin verwendet, der auch überall auf dem Gelände wächst.
Dann gab man das Gestrüpp der Pfingstrose / Cisto hinzu sowie Wacholder / Ginepro als ölhaltiges, lang brennendes Holz, um die Temperatur auf dem hohen Niveau zu halten (Beides heute seltene, geschützte Pflanzen – bitte auf keinen Fall, nirgendwo auf Sardinien, pflücken oder mitnehmen).
In Is Forros wächst der Ginepro nano, der im Glauben der Landbevölkerung als Zuflucht für die Seelen der Toten galt. Sicher kein Zufall, dieses Holz in die Kulthandlungen zu integrieren.
Zu bestimmten Zeiten im Jahr wurde Is Forrus aller Wahrscheinlichkeit nach also für religiöse Kulte genutzt und Öfen für die Herstellung der rituellen Bronzefiguren direkt vor Ort – denn sie befinden sich in direkter Nähe des großen Megarontempels und etwa in der Mitte der Stätte.
Möglich also, dass sie Bronzefiguren für kultische Handlungen in Auftrag gaben. Möglicherweise wurden auch metallurgische Gegenstände getauscht und verkauft, um sie in den Tempeln einzusetzen – zum Beispiel um von einer Gottheit Schutz für die Weiterreise zu erbitten.
Die Wichtigkeit als Kultstätte unterstreicht die Präsenz eines zweiten Tempels, der noch ein weiteres Highlight birgt.
Der Megarontempel B (oder 2) ist dem ersten ähnlich und doch verschieden.
Er wurde aus lokalem Granit und Schiefer errichtet und hat einen rechteckigen Grundriss von 14,5 Metern Länge, der in drei Räume unterteilt ist, die ebenfalls mit einem Satteldach aus Holzpfählen und Ästen bedeckt waren.
Vor dem Eingang befindet sich zur linken Seite ein weiter, offener Halbkreis, der mit Bänken verstehen ist. Zur anderen Seite befindet sich ein eckiges Gebäude, das vermutlich der Unterstützung der Handlungen im Tempel diente.
In der ganz inneren, hinteren Kammer, die das Gebäude in einem Halbkreis abschließt (ähnlich der Apsis einer Kirche), fand man bei Ausgrabungen einen Votivaltar.
Dieser Altar steht auf einem Fundament aus Flusskieseln. Fünf Reihen Steinblöcke wurden übereinander gelegt – in verschiedenen Steinarten, die für einen Farbwechsel sorgen: lokales Ergussgestein, Basalt und Vulkanit wurden in ebenmäßige, quadratische und rechteckige Formen gehauen. Diese wurden aus anderen Inselteilen herangetragen, zum Beispiel aus Barisardo.
Eine ähnliche akkurate Bauweise finden wir übrigens im Brunnenheiligtum Santa Cristina – auch eine solche Sorgfalt ist ein Zeichen für die Wichtigkeit des Ortes.
Darüber, auf dem Mauerwerk in der Mitte des Altars, befindet sich eine rituelle Feuerstelle aus mehreren keilförmigen Basaltblöcken, die den oberen, abschließenden Teil eines Nuraghen darstellt (ein heute nicht mehr sichtbarer Teil der Nuraghen; bei Barumini sind noch einige dieser Querträger erhalten).
In der Mitte der Altarvorderseite treten zwei in Basalt gehauene Protome heraus, die Archäologen als Widder interpretieren, weil diese auch an anderen Stätten vorkommen und die Tiere einen wichtigen Stellenwert in Kulten haben.
Tipp: Widderköpfe und das Zusammentreffen von Handel, Religion und Kultur finden sich übrigens auch in der Stätte Sa Sedda e sos Carros im Valle Lanaitto bei Oliena – ebenfalls sehr sehenswert!
Der nuraghische Altar wurde sorgfältig abgetragen und für Untersuchungen in das Museum Museo archeologico nazionale di Nuoro gebracht. Vor Ort steht ein originalgetreuer Nachbau.
Beeindruckt der Megarontempel 1 aufgrund seiner Größe und war vielleicht ein religiöses Gebäude für alle, ist dieser zweite Tempel mit seinem Altar offensichtlich das Herzstück und von besonderer Bedeutung für S’Arcu e Is Forros. Vermutlich wurden hier ganz spezielle rituelle Handlungen vorgenommen.
Man geht davon aus, dass Tempel und der Altar ab der späten bis ausklingenden Bronzezeit bis in die frühe Eisenzeit, also von ca. 900 bis 300 vor unserer Zeit, genutzt wurden und Is Forros somit über Jahrhunderte eines der wichtigsten religiösen Zentren im Mittelmeer war.
Umso erstaunlicher, dass die Stätte heute nur wenigen bekannt ist.
Leicht unterhalb der Megarontempel und der Öfen – S’Arcu e Is Forros ist an einen Hang gebaut – befindet sich das dörfliche Zentrum.
Ich lausche ein paar weiteren Versen aus Homers Odyssee und den Erläuterungen des Botanikers zu Elicrisio als Pflanze der Verliebten, über Olivenzweige als Symbol für Sieg und Frieden, die auch das Wiedersehen von Odysseus und seiner Penelope begleiteten und die Nutzung verschiedener Kräuter für heilende, schamanistische, kulinarische und gar bewusstseinserweiternde Zwecke.
Das ist alles so mega interessant, dass ich mir unfassbar viele Notizen mache und mir vornehme, das irgendwann auch noch in einem Artikel über die Pflanzen Sardiniens zu verarbeiten. Der Stoff geht mir auf der Insel wahrlich nie aus. Jedes Mal, wenn ich unterwegs bin, gibt es irgendeine neue Erkenntnis.
Ich löse mich von meinem Notizbuch und erkunde den Rest der Stätte.
Wir sind im dem bewohnten Teil von Is Forros, der Siedlung. Ein Gebäude, Insula / Insel genannt, wurde in der Nähe eines dritten Megarontempels auf einem steilen Gelände errichtet.
Zwölf einzelne Räume, umgeben von einer Außenmauer und mit Öffnungen zu einem inneren, kreisförmigen Hof (der ursprünglich gepflastert war) dienten zuvorderst als Wohn- und Schlafräume. Im Laufe der Zeit wurden sie vermutlich auf verschiedene Weise genutzt und verändert.
Eine zweite Ansammlung von Rundhütten und Räumen muss archäologisch noch untersucht werden, und stammt vermutlich aus einer der früheren Bauphasen.
Und weil man es auf Sardinien nie eilig hat, verbleibe ich noch ein wenig. Zusammen mit anderen Teilnehmern der Führung sprechen wir über das, was wir sehen und versuchen Pflanzen wiederzuerkennen.
Ich setze mich öfter mal hin, um zu fühlen, wie lebendig die uralte Siedlung auch heute noch ist.
Wie zum Beweis läuft eine kleine Gottesanbeterin / mantide religiosa vorbei und schaut mich an. Es sind die kleinen Dinge, die einen Moment wichtig und besonders machen.
Ich laufe weiter, sehe Feuerstellen, zerbrochene Gefäße und Steine, Reste von Gebäuden und Interieur – die Führung ist längst vorbei und es gibt immer noch so viel zu entdecken! Ich versuche alles in meinem Kopf zusammenzubringen.
Nach einiger Zeit wird auf der Anhöhe, die immer noch in der alten Zeit zu weilen scheint, ein kleiner Apéro gereicht. Mit pane carasau und sehr feinem Pecorino sowie verschiedenen Tees / infusi aus den hier wachsenden Kräutern und Pflanzen; dazu ein Korb frischer Äpfel.
Alles aus hiesigem Anbau, natürlich und zu diesem Ort gehörend. Ich glaube, genau so geht nachhaltiges Reisen und nachhaltiger Tourismus.
Ein herrlich sensibler Abschluss eines informativen, kulturreichen und wunderschönen Tages mitten im Herzen Sardiniens.
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Ich würde in einem fremden Land immer eine Führung buchen, selbst wenn ich die Sprache nicht spreche. Selbst wenn ich nur ein paar Kleinigkeiten aufschnappe ist das mehr, als wenn ich allein versuchen würde, mir alles zu erklären.
Klar, ohne italienische Sprachkenntnisse steht man erstmal wie Ochs vorm Berg. Aber das tust du allein noch mehr und nicht immer erschließt sich der Sinn. Insofern sind schon die Brocken, die man versteht, angetan, die Stätte zugänglicher und lebendiger zu machen. Und das ist – finde ich – die Aufgabe der Kulturvereine: Die Leute, die S’Arcu e Is Forros betreuen zeigten mir nicht nur, was da ist und war, sondern machten vielmehr klar, dass dies mal ein lebendiger Ort war, der uns eine Menge zu erzählen hat. Das verstehen wir oft erst, wenn dem mit einer Führung eine gewisse Wichtigkeit und Rahmen gegeben wird.
Und diese spezielle Führung war wirklich klasse! Homers Odyssee wurde mit der Flora des Ortes, der Architektur und der Geschichte verbunden. Die Griechen haben ja europaweit die Kulturen beeinflusst und auch auf Sardinien finden wir viele Spuren, zum Beispiel im Rahmen des traditionellen Maskenkarnevals, die in einigen Fällen auf Kulte um den griechischen Gott Dionysos zurückgeht. Inspiriert durch das Event habe ich mir die Odyssee nun als Must-Read für eines der nächsten Jahre vorgenommen.
Ich kann allen, die Italienisch verstehen, nur empfehlen, die archäologischen Stätten Sardiniens zu besuchen und vor allem auf besondere Events, egal wie-was-wo, zu achten. Und eigentlich ist ja auch unsere Aufgabe als Reisende, neugierig zu sein – und die archäologischen Stätten eines Landes als Teil der Kultur zu begreifen und das Land, das nicht das unsere ist, besser zu verstehen.
Associazione archeonova, Villagrande Strisaili www.archeonova.it
https://de.wikipedia.org/wiki/S’Arcu_e_is_Forros
Homers Odyssee (in deutscher Sprach) auf Projekt Gutenberg
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Cordula Klein
17. März 2023 at 12:19Ganz herzlichen Dank für diesen sehr spannenden, informativen und inspirierenden Artikel! Und schon wieder ein „must go“ für die nächste Reise… 😉