Die Leute in Mamoiada haben mir empfohlen, Richtung Fonni zu fahren und an der Provinzstraße, die parallel zur Schnellstraße SS389 führt, nach einem unauffälligen Schild zu den Gigantengräbern / Tombe dei Giganti di Madau Ausschau zu halten. Das Schild ist echt zu übersehen, aber das was sich dahinter verbirgt, ist sensationell schön.

Ich bin von den Socken. Ernsthaft. Madau ist eine der spannendsten archäologischen Stätten, die ich je gesehen habe. Vielleicht besonders deshalb, weil sie so untouristisch, so unaufgeregt, so unordentlich ist.

Denn eingebettet in das Tal von Pratobello, kurz vor dem Pass / Passo di Correboi, stehen die vier Gräber völlig unkommentiert in der Landschaft. Dennoch zweifellos beeindruckend. Ich fahre mit meinem Panda noch die unwirtliche Schotterstraße entlang, aber das muss man gar nicht. Lass das Auto unten stehen und gehe zu Fuss. Nach ein paar hundert Metern ist rechter Hand bereits das erste der vier Gräber. Wenn auch ziemlich derangiert, erkennt man es.

Die beiden am besten erhaltenen Gräber befinden sich in der Mitte der Anlage (weiter oben ist das vierte Grab, das allerdings stark verwittert und bewachsen ist).

Alle Gigantengräber haben eine längliche Form: Das „Grabfach“ ist fast gotisch und ähnelt der Form eines Schiffskiels. Vielleicht ist „sensationell“ etwas übertrieben, aber für mich ist es eine der beeindruckendsten archäologischen Stätten auf Sardinien. Auch oder gerade weil in den Zeitläufen unangetastet belassen. Es darf so sein, wie es ist.

Madau unterscheidet sich in seiner Bauweise deutlich von denen, die das schwarze Schaf aus der Gallura (z. B. Coddu ‚Ecchju bei Arzachena) und der Barbagia (S’Ena e Thomes bei Dorgali) kennt: Statt mit hohen, länglichen Steinplatten arbeitete man in Madau mit großen Steinquadern, die Bauweise ähnelt der der Nuraghen.

Madau begeisterte auch den großen Archäologen Sardiniens, Giovanni Lilliu (der schon Su Nuraxi entdeckte). Zwischen 1982 und 1986 leitete er hier die Ausgrabungen. Zutage förderte das Archäologen-Team zwei wirklich gut erhaltene Gräber, die heute völlig frei zugänglich sind.

Sie nehmen den ganzen Raum ein. Mit ganz viel Achtung vor der Bedeutung des Platzes sezt sich das schwarze Schaf auf alle Steine, die einladend scheinen und verweilt. Eigentlich findet es Tod und Gräber nicht sonderlich spannend. Hier hingegen fühlt es sich durchaus gut an, und der Platz, mit Blick auf das Tal ist in der untergehenden Sonne schlicht umwerfend. Ein ganz besonderer Platz, der dich Alltag und Sorgen vergessen lässt. Ein großartiger Platz. Und die langen Schatten am Abend mögen in einer primitiveren Gesellschaft tatsächlich den Eindruck von „Giganten“ verstärkt haben.

Vor den Gräbern ist ein großer Platz mit symmetrisch angeordneten Steinen; er deutet auf eine Nutzung durch die lokale Gemeinschaft hin. Vor der gigantischen, halbkreisförmigen Exedra des Grabes wurden Bestattungszeremonien und Rituale in Verbindung mit den Toten vollführt.

Auch wurden in den Gigantengräbern inselweit Keramiken gefunden, die auf eine Art Festschmaus hindeuten – die Ähnlichkeit mit dem Toten-Kaffeekränzchen von heute ist sicher nicht nur zufällig: Die hinterbliebenen Menschen waren beieinander, um sich zu trösten und auf das Leben ohne den Toten vorzubereiten.

Die Gigantengräber / Tombe dei Giganti hießen übrigens so, weil die lokale Bevölkerung lang glaubte, im Inneren wären Helden aus nuraghischer Zeit, so groß wie Riesen, begraben. Heute weiß man, dass das überlieferte Wort zigante / Gigant auch Menschen von sehr großer Bedeutung bezeichnete – das konnten Krieger oder Athelten, aber auch normale Leute sein: „Tuo nonno era uno zigante! / Dein Großvater war ein ganz Großer“ sagt man noch heute in manchen Inselteilen.

Die „moderneren“ Insulaner begruben in den Gigantengräbern dann auch die ganz normal Verstorbenen ihrer Dorfgemeinschaft, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Status.

Wer Riesen auf Sardinien erwartet, wird eher enttäuscht. Eine spannende archäologische Stätte aber gibt es allemal!

Dieser halbkreisförmige, mit Bänken ausgestattete Raum war aber auch wichtig für das „Inkubationsritual“, das sogar Aristoteles bestätigte: Die nuragische Gesellschaft pflegte „an den Gräbern der Helden“ zu schlafen, um Ratschläge oder Eingebungen zu erhalten. Selbst in neuerer Zeit tun das manche in besonders schwierigen Zeiten.

Auch der Platz ist vielleicht nicht zufällig: Der Correboi-Pass / Arcu dell Correboi, erinnert mit seiner charakteristischen Form an die Hörner von Ochsen (‚orru e voe). Das ist nicht überraschend, denn die Exedren der Riesengräber erinnern – wenn man sie von oben anschaut – tatsächlich an die Form eines Stierkopfes. Verehrt wurden bei den Ritualen sowohl der Dio Toro / Stiergott, als auch die Dea Madre / Muttergöttin. Wen das entfernt an Yin und Yang erinnert, liegt gar nicht so falsch.

Und für mich ist es einer der schönsten und friedlichsten Plätze, an denen ich auf Sardinien je gewesen bin.

Gigantisch ruhig, sozusagen. Falls du also mal wirklich Abstand von irgendwas brauchst, empfehle ich dir, genau hierher zu kommen.

Das vierte Grab oberhalb ist weniger gut erkennbar, aber ein ganz wunderbarer Platz, um mit Blick auf den Arcu Correboi den Tag friedlich zu beenden.

Madau kostet nicht einen mageren Euro, nur den Aufwand, hinzufahren. Ich finde, um Sardinien kennenzulernen, ist das gar keine so üble Idee.

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