Nächste Abfahrt »Santa Cristina«. Immer, wenn das schwarze Schaf an dem nicht zu übersehenden Schild an der Schnellstraße bei Paulilatino vorbeifuhr, nagte das schlechte Gewissen an ihm: Eine der Top-Sehenswürdigkeiten der Insel und ausgerechnet das Wolltier, das so viel für die sardische Kultur übrig hat, war niemals dort.

Nun ist das Schaf wirklich kein ausgeprägter Steinebeschauer – wobei es Nuraghen sehr gern hat, keine Frage! Aber „Brunnenheiligtum“ klang irgendwie immer so mittel spannend … Einmal stand es sogar tatsächlich auf dem Parkplatz. Doch die sieben Reisebusse, die Leute ausspuckten und wieder einsammelten verhinderten, dass es blieb.

Zwischen alten Olivenbäumen gelegen: der pozzo Santa Cristina
Zwischen alten Olivenbäumen gelegen: der pozzo Santa Cristina

Aber – da beißt das Schaf keinen Grashalm ab – Santa Cristina steht zu Recht in jedem guten Sardinien-Reiseführer. Was an einem wunderschönen, sonnigen Tag zu beweisen war.

Ankommen und Warmwerden

Santa Cristina ist vermutlich das am einfachsten zu erreichende Ausflugsziel Sardiniens. Direkt an der Schnellstraße 131 (bei Kilometer 114) gelegen und mit einem eigenen riesigen Verkehrsschild gesegnet, ist es nicht zu übersehen. Der Ort ist aus Nord und Süd der Insel in maximal zwei Stunden erreichbar.

Das schwarze Schaf empfiehlt allen, die Italienisch verstehen, sich vor Ort einer Tour anzuschließen. Denn der gesamte Komplex ist nicht ganz selbsterklärend – aber die Führung leider nur in der Landessprache richtig wertvoll. Das Ticket gibt’s in der Bar mit Shop – und los geht’s!

Allen, die Santa Cristina auf eigene Faust entdecken wollen, sei geraten, ein bisschen Zeit für die Erkundung mitzubringen.

Sich hier und da hinzusetzen, Infos aus dem Zettel, der dir mit dem Ticket in die Hand gedrückt wird, oder auf den Hinweisschildern nachzulesen – oder einfach nur Details aufzuschnappen und Eidechsen zu beobachten, bereichert den Aufenthalt.

Eidechse (lucertola) an Brunnen (pozzo).
Eidechse (lucertola) an Brunnen (pozzo).

Das Schaf entschied sich im Frühling zu reisen und mit Santa Cristina langsam warm zu werden. Die Anlage ist ganzjährig geöffnet, groß und weitläufig.

Das Brunnenheiligtum / pozzo sacro ist das vermeintliche Highlight. Da die meisten Gruppen direkt zum Brunnen strömen – lief das schwarze Schaf erst in das angrenzende Dorf / Villaggio und zum Nuraghen.

Das Beste hebt es sich – wie bei einer guten Pizza – für den Schluss auf. Denn der Trick am Brunnen ist: Wenn wenig Leute um dich herum sind, dann siehst du auch was. Sprich: Einfach warten, bis die anderen weg sind.

Aber, weil der Brunnen das Highlight ist, ziehen wir ihn für diesen Artikel einfach vor 🙂

Santa Cristina – die Schönste

Der Dumont-Kunstreiseführer von 1978 – jaaa, damals reiste man noch der Kunst und Kultur wegen 😉 – nennt Santa Cristina den »schönsten der nuraghischen Brunnentempel«.

Santa Cristina - schönes, gut erhaltenes Brunnenheiligtum
Santa Cristina – schönes, gut erhaltenes Brunnenheiligtum

Das mag sogar stimmen, denn die Anlage wurde erst spät ausgegraben und ist trotz des Andrangs bis heute sehr gut erhalten.

Von oben sieht der Brunnen von Santa Cristina aus wie ein Schlüsselloch.

Die kleine runde Öffnung oberhalb des Wasserbeckens im Inneren
Die kleine runde Öffnung oberhalb des Wasserbeckens im Inneren

Das Licht tritt durch die große dreieckige Öffnung und durch eine kleine runde Öffnung darüber ein. Zu bestimmten, astronomischen Zeitpunkten im Jahr (siehe weiter unten zur Reisezeit) gibt es Lichtspiele im Wasser.

Ja – Wasser. Mal mehr, mal weniger, aber es ist ja ein Brunnen / pozzo und darum ist es auch nass. Heißt: Auf den Stufen hinab aufpassen, dass du nicht ausrutschst.

Symmetrie vom Feinsten
Symmetrie vom Feinsten

Der Brunnen ist präzise symmetrisch gebaut und das Licht fällt je nach Stand der Sonne (oder des Mondes) unterschiedlich ein und zeichnet Strukturen an die Wände.

Schwierig zu fotografieren auf jeden Fall, und es kann sein, dass du einfach auch nicht den besten Zeitpunkt erwischst. Ein ganz leicht bewölkter Tag könnte sogar besser sein, um Santa Cristina zu portraitieren, denn die harten Schatten der Sonne und das Gegenlicht sind an normalen Sommertagen eher störend.

Der präzise gebaute, dreieckige Niedergang im pozzo
Der präzise gebaute, dreieckige Niedergang im pozzo
Die runde Öffnung von innen gesehen.

Christlicher Wallfahrtsort

Santa Cristina hatte in verschiedenen Zeiten unterschiedliche Bedeutung, war aber immer eine heiliger Ort. Ob nun für den einen oder anderen Glauben.

Wenn du Richtung Villaggio gehst, kommst du zunächst an der schönen kleinen Kirche vorbei. Katholisch, selbstredend.

Im frühen Mittelalter wurde Santa Cristina ein Wallfahrtsort für Kamaldulenser-Mönche, einem Eremiten-Orden. Die schönen Steinhäuser rund um die Kirche sind ihre Wallfahrtshäuser / Cumbessias oder Muristenes genannt. Pilger aus ganz Italien und Europa nahmen den sehr beschwerlichen Weg über das Mittelmeer auf sich. Für sie wurde die Siedlung um die Kirche gebaut.

Villaggio bei Santa Cristina: die Wallfahrtshäuser / Muristenes
Villaggio bei Santa Cristina: die Wallfahrtshäuser / Muristenes

In nuraghischen Zeiten, also ein paar tausend Jahre her, haben an dieser Stelle ebenfalls Hütten gestanden. Dann bauten die Mönche etwas stabiler. In diesem Jahrhundert, bevor der Tourismus einsetzte, seien die Häuser dann Schweineställe gewesen, sagt der Guide, der gerade eine Besuchergruppe am Schaf vorbei lotst. Boh, warum auch nicht. Schweine wollen ja auch wohnen.

Der Ursprung des Ganzen liegt weit zurück. Denn wie so oft auf Sardinien wurde auch diese Kirche genau an einer uralten, heiligen Stätte der Urbevölkerung gebaut – um die Akzeptanz für den christlichen Glauben zu erhöhen.

Feiner Platz für ein Picknick
Feiner Platz für ein Picknick

Nuraghisches Heiligtum und Kultstätte

In Santa Cristina wurden seit rund 1.000 vor Christus Wasserkulte gepflegt und der Dea Madre / Gottmutter (in etwa gleichbedeutend mit der Mutter Erde, nur tiefer und religiöser gemeint) gehuldigt. Der Brunnen, der Nuraghe und manche Häuser – hatte für die sardische Bevölkerung tiefen sakralen Charakter.

Die Größe der gesamten Anlage lässt darauf schließen, dass es ein ziemlich wichtiger Ort war (und für viele noch ist – daher kann man hier schon gern mit einigem Respekt durch stiefeln).

Ein schönes Exemplar: der Nuraghe von Santa Cristina
Ein schönes Exemplar: der Nuraghe von Santa Cristina

Der Nuraghe war ebenfalls Teil der Kultstätte. Er ist gut erhalten und begehbar – und liegt im Schatten! An sonnigen, heißen Sommertagen ist sein kühles Inneres eine wahre Wohltat.

Meint auch eine Katze, die dem Schaf immer wieder schemenhaft über den Weg läuft … mal hier und mal dort auftaucht … eine verwunschene, fast mystische Atmosphäre umgibt den schönen Nuraghen.

Die Bewohnerin des Nuraghen
Die Bewohnerin des Nuraghen
Nuraghe Santa Cristina, verwunschen zwischen Bäumen
Nuraghe Santa Cristina, verwunschen zwischen Bäumen

Gefunden wurden auf dem Gelände von Santa Cristina mehrere Bronzen aus der Nuraghenzeit, wie zum Beispiel kleine flache Boote, die Rückschlüsse auf die ersten Besiedler zulassen; dann Statuetten, die Wasser- und Naturkulten dienten. Außerdem fand man phönizische Statuen – was noch auf eine weitere Nutzung hinweist, was aber nicht weit genug erforscht ist.

Die wichtigsten Fundstücke sind ausgestellt im archäologischen Museum in Cagliari.

Astronomische Lichtspiele: die besten Reisetermine für Santa Cristina

Grundsätzlich komme in der Nebensaison, am besten im Frühling. Ein Spaziergang durch die Blumenwiesen und Olivenbäume auf dem Gelände gleicht an einem sonnigen Tag einem tiefenentspannten Wabern und Schweben durch das Santuario / heilige Stätte.

So ungefähr ist das zur Tag-Nacht-Gleiche im Frühling und Herbst in Santa Christina

Die besten Termine für einen Besuch in Santa Cristina sind aber ohne jeden Zweifel diese astronomisch interessanten Zeitpunkte:

  • Die Äquinoktien / Tag-Nacht-Gleichen im März und September (am 19., 20. oder 21. März und am 22., 23. oder 24. September). Dann fällt ein Sonnenstrahl genau durch den Kreis im Steindach des Brunnens und der Schatten, den man dann wirft, steht auf dem Kopf („ombra capovolta“). Am besten du schließt dich einer Führung an – sonst siehst du nämlich nichts, weil ziemlich viele Leute auf die gleiche Idee kommen …
  • Etwa alle 18 Jahre und 6 Monate wird der Mond im Brunnen reflektiert – entweder zur Sommer- oder Wintersonnenwende. Für den genauen Zeitpunkt wende dich einfach an den Astronomen deines Vertrauens 😉
  • Generell sind Lichtspiele – wenn auch nicht in der Präzision der Tag-Nacht-Gleiche – auch zu Sommer- oder Wintersonnenwenden zu beobachten. Im Dezember intensiver als im Sommer.
  • Im Frühling ist Santa Cristina am schönsten, weil umgeben von Blumenwiesen und mit einer bemerkenswerten Kombination aus Leben und Ruhe gesegnet. Und du hast Platz, so dass du alles ganz genau ansehen kannst.
  • In der Nebensaison kannst du hier auch ein feines kleines Picknick veranstalten, ohne dass sich jemand daran stört.
  • Das angeschlossene Restaurant ist fast ganzjährig geöffnet und bietet für eine touristische Einrichtung erstaunlich gute Qualität. Im Sommer am besten reservieren – italienische Reisegruppen buchen es oft aus.

Weitere Informationen

Infos zu Santa Cristina in italienischer Sprache auf www.sardegnacultura.it

Das schwarze Schaf mag auch Santa Vittoria auf der Giara di Serri (quasi die Nachbarin der Giara di Gesturi mit den wilden Pferdchen, alle Giaras sind auch beschrieben im schwarzschafigen Reisebuch). Unbedingt eine Reise wert – besonders zum Sonnenuntergang hat Santa Vittoria einen traumhaften Ausblick von der Anhöhe auf das Hügelland der Marmilla.

2 Comments

  1. W.B.R.

    4. Oktober 2021 at 09:34

    Hallo pecora nera,
    ich bin vor kurzem im Rahmen einer Studiosusreise auch beim Brunnenheiligtum Santa Cristina gewesen – und ich war beeindruckt. Beeindruckt insbesondere von der Leistung der Erbauer dieses Brunnens. Der Bauzustand des Brunnens entsprach so gar nicht meiner Erwartung an ein 3000 Jahre altes Bauwerk. Die Exaktheit der Steinbearbeitung entspricht neuzeitlichen Maßstäben. Es ist mir völlig unklar, mit welchen Methoden/Handwerkszeugen die Menschen in der Bronzezeitie Steine so exakt bearbeiten konnten. Ich ging zuerst von einer neuzeitlichen Rekonstruktion des Brunnens aus, finde in den mir zugänglichen Quellen jedoch die Aussage, daß der Brunnen Original sei. Was mich insbesondere deswegen überrascht, da sonstige Nuraghenbauten nur aus grob behauenen Steinen bestehen (zumindes diejenigen, die ich gesehen habe). Dies entspricht dem „Baustil“ der Bewohner Sardiniens vor 3000 Jahren. Meine laienhafte Erklärung für die „aus dem Rahmen“ fallende Bauleistung des Brunnenheiligtums ist, daß Wissen aus der minoischen Kultur eingeflossen ist. Handelsbeziehungen zu Kreta scheinen durch Funde bestätigt zu sein. Hast Du weitere Erklärungen für diese außergewöhnliche Leistung der Erbauer des Brunnenheiligtums?

    Ich finde Deinen Blog über Sardinien sehr lesenswert und lehrreich. Schade, daß unser Aufenthalt auf der schönen Insel nur kurz war.

    Mit freundlichem Gruß
    Werner

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  2. pecora nera

    5. Oktober 2021 at 15:07

    Hallo Werner! Freue mich sehr über dein Interesse – und natürlich auch über die Blumen für den Blog 😉
    Also, der Brunnen stammt zumindest aus einer späteren Zeit als die meisten Nuraghen, der Kult um Wasser wurde gepflegt, als die nuraghische Kultur schon hoch entwickelt war. Der Nuraghe bei Santa Cristina datiert auf ca. 1500 v. Chr (Bronzezeit), das Brunnenheiligtum Santa Cristina soll 3.000 Jahre alt sein – da wären wir am Beginn der Eisenzeit, in der sich auch Bautechniken verbessert haben. Zum Ende der Bronzezeit gründeten die Phönizier auf Sardinien die ersten Handelsposten (z. B. Tharros) und die Kulturen verbanden sich. Die Nuraghier standen zu der Zeit schon längst in Verbindung zu anderen Kulturen. Möglicherweise gab es also diese Einflüsse. Anderswo hingegen nicht – es gibt nämlich auch „gröbere“ Bauten auf der Insel (z. B. Santa Vittoria auf der Giara di Serri, die genau im Stil der nuraghischen Bauten errichtet ist). Aber da lohnt wirklich mal ein genauerer Blick … beim nächsten Besuch guck ich mir das mal näher an! Herzliche Grüsse vom schwarzen Schaf

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