Eine „Giara“ bezeichnet in Sardinien eine etwa fünf- bis sechshundert Meter hohe Ebene aus Basaltgestein, die durch intensive vulkanische Aktivität in der Region Marmilla entstanden ist. Von den lateinischen Worten für Lava, glarea und ghiaia, rührt auch die Bezeichnung „Giara“ her.

Unheimlich friedlich: die schöne Marmilla
Unheimlich friedlich: die schöne Marmilla

Die Giara begann sich vor etwas 20 bis 25 Millionen Jahren zu entwickeln, als sich die Gegend langsam aus dem Meer erhob und sich Sedimente als Gestein ablagerten.

Auf diesen Gesteinsschichten bildeten sich vor etwa drei Millionen Jahren Spalten, durch die Lava strömte. Das Land erhob sich. So sind auf der Giara di Gesturi zwei Vulkankegel noch heute erkennbar: der Zepparedda (609 m) und Zeppara Manna (580 m), zwischen denen sich die 30 Meter hohe Verwerfung Sa Roja befindet.

Giara di Gesturi

Ein saisonaler See (Pauli) in der Giara
Ein saisonaler See (Pauli) in der Giara

Die Einheimischen nennen sie in ihrer sardischen Sprache „Sa Jara Gesturi“ oder auch „Sa Jara Manna“, was soviel wie große Ebene bedeutet.

Das macht spätestens dann Sinn, wenn man erfährt, dass es in der Marmilla noch zwei kleinere Hochebenen gibt – die Giara di Siddi und die Giara di Serri, aber zu denen kommen wir gleich noch, denn auch die sind einen Besuch wert.

Als Hochebene erhebt sich der Landstrich direkt über dem kleinen Künstlerort Gesturi etwa 500 Meter über die Landschaft und erstreckt sich dort auf 42 Quadratkilometern etwa in der Form eines Trapezes. Die größte Attraktion der Giara di Gesturi die wilden Pferde der Giara, „is cuaddeddus“.

Wildpferde
Wildpferde

Diese Kleinpferde (sie werden maximal 1,40 m groß) sind sehr robust, da sie mit der Umgebung, dem Wetter und dem mal mehr, mal weniger üppigem Futterangebot zurechtkommen mussten.

Ein paar Hundert dieser schönen Tiere mit voller Mähne und eindrucksvollen dunklen Mandelaugen soll es auf der Giara di Gesturi geben. Sie leben in kleinen, voneinander unabhängigen Herden ganz ungestört auf ihre pferdeeigene Weise.

Die Wildpferde hatten Glück. Zwar nahmen die Besatzer im Laufe der Jahrhunderte immer wieder einige Stuten aus der Herde und kreuzte sie mit Vollblütern. Aber immer überließen sie die Wildpferdpopulation weiterhin sich selbst und störte ihr Dasein nicht. Aus der Einkreuzung von Berberpferden und dem Englischen Vollblut entwickelte sich später der Anglo-Arabo-Sardo.

Pauli Maiori, ausgetrocknet in der Sommerhitze
Pauli Maiori, ausgetrocknet in der Sommerhitze

Die Natur auf der Giara ist geprägt von einem gemischten Steineichenwald und mehreren kleinen Seen (genannt „Paulis“), die nur saisonal Wasser führen. Im Sommer trocknen sie vollständig aus, im Frühling hingegen sieht man manchmal statt Wasser nur ein tolles weiß-gelbes Blütenmeer aus Ranunkeln. Sehr schön ist dann auch die weniger bekannte Hälfte der Giara, mit Zugang ab Gonnosno.

Zeugnisse dauerhafter menschlicher Besiedelung gibt es keine – die Hochebene blieb über die Jahrhunderte und Jahrtausende weitgehend unberührt. Doch schon immer lebten Hirten auf den Hochebenen der Marmilla – auch wegen der wunderbar vielfältigen Vegetation, die sich dort entwickelte.

Pinnetta
Pinnetta

Bis noch vor 20 Jahren nutzten die Hirten die „Pinnettas“ als Schutzhütten für sich und ihre Tiere. Diese Pinnettas sind sehr viel älter als man zunächst glauben mag: einige der Bauten datieren aus nuraghischer Zeit. Neuzeitlichere Zeugen des Hirtenlebens sind eine kleine Kirche und einige Stallungen, die heute von der Parkverwaltung genutzt werden.

Auch archäologisch ist das Hochplateau interessant: Die Giara di Gesturi hat einen der wenigen Protonuraghen der Insel vorzuweisen, den Bruncu Madugui. Er gilt als einer der ältesten Nuraghen Sardiniens und ist eine Vorform der bekannten und über die ganze Insel verstreuten, Jahrtausende überdauernden Bauwerken. Für den eingeschworenen Nuraghenfreund interessanter: Eine Vielzahl von Nuraghen befindet sich auf der Giara di Siddi.

Giara di Siddi

Sessellift zur Giara di Siddi
Sessellift zur Giara di Siddi

Die schrägste Variante, auf die Giara di Siddi zu gelangen, ist der Sessellift. Ob und wann der in Betrieb ist, vermögen wahrscheinlich nur die Betreiber zu sagen. In Lunamatrona wirst du vielleicht schlauer, denn dort, in der Nähe des höchst interessanten Museums Corona Arrubia beginnt er.

Ob so eine Liftanlage wirklich notwendig ist und nicht einfach bloß hässlich aussieht, sei der Einschätzung jedes einzelnen überlassen. Lustig ist es allemal, so ein Ding, das andere nur vom Skifahren kennen, mitten in schönster sommerlicher Natur zu sehen.

Um diesen sympathischen Flecken Welt per Auto zu finden, braucht man ein bisschen Orientierungssinn. Die Giara di Siddi ist nicht besonders gut ausgeschildert. Zwischen Ussaramanna und Siddi gibt es ein paar kleinere Hinweisschilder – die man vielleicht nicht unbedingt sofort sieht, wenn man aus der falschen Richtung anfährt.

Aber einmal oben angekommen und über die ein oder andere „strada bianca“ (= Feldweg) kann man die Giara prima zu Fuß, per Rad oder per Auto erkunden.

Nuraghenhugging, Nur. Focaia
Nuraghenhugging, Nur. Focaia

Die Giara di Siddi ist das Eldorado des Nuraghenhugging. Diese von unserem schwarzschafigen Co-Autor Emil Niedlich erfundene Form der Kontaktaufnahme, ist eine der wärmsten Arten, sich Sardinien und seiner Geschichte zu nähern.

Der Nuraghe Focaia auf der Giara di Siddi war der erste, an dem die Autorin sich versuchte. Nach nur wenigen Minuten an seiner sonnigen Südseite begriff sie, woher der Name kam, fühlte sie sich doch schnell wie eine gut gebackene Focaccia … Jedenfalls wurde sie zur überzeugten Nuraghenhuggerin und kann das nur jedem wärmstens empfehlen.

Eine Karte der Giara di Siddi mit der Position der vierzehn dort befindlichen Nuraghen findest du hier: http://www.fontesarda.it/imgsarde/giariasid.htm.

Giara di Serri

Nur etwa 4 Quadratkilometer groß ist die „Giara di Serri“ und liegt östlich von Gesturi, oberhalb des Ortes Gergei. Sie ist die kleinste der drei Ebenen und eher von archäologischer Bedeutung.

Die Außenmauer von Santa Vittoria.
Die Außenmauer von Santa Vittoria.

Auf ihr finden Reisende das prähistorische, heilige Dorf „Santa Vittoria“, eine komplexe nuraghische Anlage, die als Pantheon der Nuraghenzeit unterschiedlichen Göttern geweiht war und unter anderem ein gut erhaltenes Brunnenheiligtum beherbergt.

Ein augenscheinlicher Verwendungszweck scheint zu sein, dass sich das damalige Volk auf dem Festplatz und im Hauptgebäude zu spirituellen Handlungen versammelte.

Archäologen gehen heute aber auch davon aus, dass hier die wichtigsten Führer der nuraghischen Stämme Zentralsardiniens hierher kamen, um über Allianzen und Kriege zu verhandeln.

Unbekanntes Heiligtum aus der Nuraghen-Zeit
Unbekanntes Heiligtum aus der Nuraghen-Zeit

Eine Übersicht über die Anlage bekommst du auf www.tharros.info.

In der Stille liegt die Schönheit

Wer Zeit hat, dem sei ans Herz gelegt, sich in den drei Giaras nicht hetzen zu lassen und etwas von der Ruhe mitzunehmen. Wir erinnern uns an einen der schönsten Momente auf Sardinien, als wir auf einem großen Felsen in der Sonne lagen und rein GAR NICHTS hörten. Bis wir ein ganz neues, feines Geräusch wahrnahmen: das Getrappel von Eidechsenfüßchen…

Nie zuvor war es irgendwo so still und schön. Wenn Ihr aus der städtischen Hektik kommt, sind die Giaras der Marmilla ein beruhigendes Kontrastprogramm.

Weitere Informationen:

  • Exkursionen und geführte Touren auf der Giara di Gesturi vermittelt die Parkverwaltung, informiert Euch auf www.parcodellagiara.it (das ist auch eine der Informationsquellen für unseren Artikel).
  • Übernachten könnt Ihr zum Beispiel in Pauli Arbarei, in der Locanda La Rosa; hier geht es zur Empfehlung  auf pecora nera.

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