Oliena hat das »gewisse Etwas«. Der Ort, wie er da auf 339 Metern am Fuß des Monte Corrasi liegt, ist einfach bildschön. Der Berg erhebt sich steil dahinter gut einen Kilometer in die Höhe und erreicht beeindruckende 1.463 Meter (toller Trek hinauf, übrigens). Er beherrscht die Szenerie komplett und immer.
Schon bei der Anfahrt. Von Nuoro ist Oliena mit dem grauen Bergmassiv des Supramonte über ein weites, grünes Tal in Sichtweite. Wenn ich in der Stadt bin, zieht es mich sehnsüchtig dorthin. Auch, wenn ich aus der Umgebung komme und die Umgehungsstraße nehme: Ich lande gefühlt direkt im Paradies und nähere mich langsam über kleine Straßen, durch landwirtschaftliches Gebiet. Weinhänge, Mandelbäume, Olivenhaine.
Etwas weniger spektakulär, aber nicht minder schön die Provinzstraße von Dorgali über die Ponte Oloé. Sie war bei der Überschwemmung 2013 eingestürzt, wurde relativ schnell gebaut, aber erst knapp sieben Jahre später, nach ewigem bürokratischem Hin und Her, wieder geöffnet – auch das ist Sardinien. Der Corrasi schaut herab auf sein Oliena und scheint zu sagen: Jetzt ist ja alles wieder gut.
Ein bisschen wetterfühlig ist Oliena. Zwar ist es oft warm und scheint die Sonne, aber die Nähe zum Bergmassiv lässt auch den ein oder anderen thermischen Effekt zu, der sich wiederum in Gewittern und Regen äußert. Was aber die Schönheit für mich nicht trübt – im Gegenteil.
Oliena gehört zur Barbagia und das heißt: Du verlässt hier definitiv die Touristenregionen und erreichst das echte Sardinien. Absolutes Wollfühlgebiet. Alles was jetzt kommt, ist von einem tief verankerten Traditionsbewusstsein und Liebe zum eigenen Land geprägt. Die Menschen hier sind sich selbst genug und ungekünstelt.
Oliena ist gut für drei, vier, fünf Tage Aufenthalt – wenn nicht sogar für einen ganzen schwarzschafigen Urlaub. Denn die Lage (20 Minuten bis Nuoro, etwa 30 Minuten bis zur Schnellstraße SS 131) ist für ein Dorf im „echten Sardinen“ schon ziemlich zentral und perfekt für sternförmige Ausflüge und Rundreisen. Hier gibt es irre viel zu sehen und zu tun. Vor allem bist du kulinarisch gesehen in einer der besten Regionen der Insel. Und auch das Meer ist von hier nicht wirklich weit weg.
Wer sich also selbst den Gefallen tut, und mehr als nur durchfährt, also wirklich eintaucht und im Dorf wohnt, wird von den Leuten spätestens am zweiten Tag wieder erkannt. Da geht irgendwann ein Mirto aufs Haus und man erfährt, dass die italienische, oder vielmehr sardische Fußball-Legende Gianfranco Zola aus Oliena stammt. Zeigt man sich da interessiert, geht es los. Etwas Fußballgeschichte gefällig? Die Ikone begann als Profi bei Nuorese Calcio, brachte Cagliari in die Serie A und landete in Neapel, spielte dort mit Maradona, bis er schließlich bei Chelsea seine größten Erfolge feierte und für seine Verdienste im Englischen Fußball von der Queen gar mit dem OBE (Order of the British Empire) ausgezeichnet wurde und nun „Sir Gianfranco Zola“ genannt wird und so eine Art Cavaliere ist. Er spielte in der italienischen Nationalmannschaft, trainierte kurze Zeit Cagliari Calcio und ist jetzt Co-Trainer in Chelsea. Im Ort ist man mehrfach stolz, war er doch ein angenehmer, eleganter und demütiger Mann. Eben einer aus Oliena.
Das Gespräch wird unterbrochen, weil Hufgetrappel zu hören ist. Ein junger Kerl trabt ohne Sattel auf seinem Anglo Arabo Sardo, einem hochbeinigen, nervenstarken Pferd, durch den Ort. Starke Nerven muss es auch haben, denn es ist den ganzen Abend mit seinem Reiter im Dorf unterwegs: Wir treffen ihn nach dem Abendessen (Tipps siehe unten) neben zwei anderen Reitern mit Pferden vor einer anderen Bar wieder.
Am nächsten Morgen sehen wir einen von ihnen wieder. Mit Fury zum Einkaufen mal schnell in den Ort geritten … Das ist in Oliena nichts Ungewöhnliches.
Das schwarze Schaf hingegen verlässt sich auf seine eigenen Hufe und will sich heute wieder bewegen und die Kalorien vom guten Essen am Vorabend „ablaufen“. Genau deshalb ist Oliena einer der besten Orte, an denen ein aktives Schaf urlauben kann. Hunderte toller Trekkingmöglichkeiten und Erlebenswürdigkeiten in allernächster Nähe, dass man fast die Qual der Wahl hat. Wem in und um Oliena langweilig wird, der ist definitiv selbst schuld:
Im Ort selbst muss man sich schon ausgesprochen dumm anstellen, um nicht mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen.
Wenn du sie nicht ansprichst, dann garantiert anders herum. Wo man dich in anderen Orten der Barbagia aus dunklbraunen, fast schwarzen Augen einfach nur anstarrt, guckt man in Oliena zwar auch – aber oft aus hellen Augen, mit neugierigem Blick und oft wirft man dir irgendeinen sardischen Spruch hin. Auf den man am besten mit einem Lächeln antwortet und wenn man Italienisch spricht, sie mit den erstbesten Brocken überrascht.
Nach unserem Trekking streifen wir ein wenig durch den Ort und beobachten in einiger Entfernung eine Prozession (oh ja, die Leute sind hier sehr religiös). Wir fragen ganz unbedarft, was da los sei. Man erklärt uns, es gäbe einen neuen Priester in Oliena, der heute seinen Antrittsmesse abhält.
Und ob wir nicht ein Glas Wein mit ihnen trinken wollten? Leicht überrumpelt lehnen wir hundertmal dankend ab. Einladungen zu einem Getränk ausschlagen, geht eigentlich gar nicht, aber die vier Herren sind gnädig mit uns, als wir sagen, dass wir eine Verabredung mit Freunden in einem Agriturismo bei Siniscola haben, noch duschen müssen und schon ziemlich spät dran sind.
Beim nächsten Mal dann – auf einen Nepente! Oh ja!
»Oliena ist ein wunderschönes Dorf, am Fuße des schönsten Berges, den Gott je erschaffen hat, und produziert einen Wein, in den alle Essenzen unseres Landes eingedrungen sind: Myrthe, Erdbeerbaum, Zystrose und Mastix«.
So schreibt es der sardische Poet Salvatore Satta in seinem Buch „Il giorno del giudizio“ und was Dorf und Berg betrifft, sind wir schonmal seiner Meinung. Den Wein hat das schwarze Schaf ihn natürlich schon mehrfach getrunken, und war begeistert! Aber welche heimischen Pflanzen das Aroma beherrschen, darauf hat es ehrlich noch nie geachtet, wird es beim nächsten Nepente aber tun.
Nur Oliena hat ihn, den Nepente. Und so zieht es das schwarze Schaf am nächsten Tag wieder ins Tal, zu den Weinhängen. Auch Mandelbäume wachsen hier, Schafe, Ziegen und Schweine werden gehalten. Alles ganz natürlich, wie seit uralten Zeiten … Wie schön wäre das: eine eigene kleine Azienda Agricola bei Oliena. Wer weiß, ob das irgendwann wahr wird. Hier jedenfalls, zwischen der Sonne und dem anrückenden Gewitter, im Schatten des Supramonte der über diese schöne Region wacht, lässt es sich zu ein paar Tagträumereien hinreißen.
Zurück im Ort geht das Schaf schurstracks in die Enoteca del Nepente der Weinkellerei Cantina Sociale Oliena. Die Kooperative wurde 1950 von Weinbauern der Region gegründet, die bereits zusammenarbeiteten, um die Qualität ihres Weines zu sichern. Man wollte den vorhandenen Unternehmergeist fördern und den Cannonau aufwerten. Und schon damals dachte man nachhaltig, denn die sozialen und ökologischen Auswirkungen einer wachsenden Weinproduktion wurden beobachtet, und man legt bis heute Wert auf eine Geschäftsphilosophie, die primär auf Qualität und nicht auf Profit basiert.
Die Cantina Oliena verbindet alte, im Laufe der Zeit überlieferte Methoden mit den modernsten Produktionstechnologien und ist ein wichtiger Faktor für den Wohlstand vieler Menschen in Oliena und Umgebung.
Davon profitieren auch unabhängige Weinbauern, die ihr ganz eigenes Ding machen, wie die Azienda Agricola Fratelli Puddu, die außerdem noch Tiere halten und sich der traditionellen Landwirtschaft verschrieben haben. Und den schwarzschafigen Lieblings-Nepente zaubern: den Pro Vois.
Ein Glas davon gönnen wir uns beim heutigen Sonntags-Verwöhn-Abendessen im Restaurant des nahe gelegenen Experience Hotel Su Gologone (ein ganz zauberhafter, kunstvoller Ort – ideal z. B. für ein langes Wochenende im Inselinneren). In diesem Ambiente und zu einem richtig guten, landestypischen Essen gehört einfach ein Nepente di Oliena.
Wir kehren zurück nach Oliena, der Duft von Kaminrauch und eine wundervolle Ruhe liegt über dem Dorf. Das schwarze Schaf fühlt sich fast schon heimisch.
Wie es schon früher war, so ist das historische Zentrum von Oliena auch heute noch. Die Straßen sind aus den gleichen Pflastersteinen, auf denen schon der Großvater durchs Dorf ritt. Die Steine werden hier Impredau genannt und in einer alten Technik (die übrigens auch in Dorgali und anderen Dörfern bekannt ist), zusammen gefügt.
Oliena soll bei nur rund 7.500 Einwohnern ganze elf Kirchen haben, ich hab sie nicht nachgezählt oder angeschaut. Die ein oder andere fällt aber durchaus ins Auge.
Die Häuser aus verputztem Stein wirken teils verlassen und verfallen, und eines klebt am anderen. Aber wie im richtigen Leben ist auch hier wahr: nicht vom Äußeren aufs Innere schließen. Viele Häuser sind bewohnt und innen durchaus hübsch.
Und was man auf den ersten Blick gar nicht vermutet: Viele der historischen Häuser haben einen großzügigen Innenhof, Su Porciu genannt. Eine Steintreppe führt jeweils in das Obergeschoss, wo sich die Küche befand, die Zentrum für das Leben von drei und mehr Familien in dem großen Haus war. Heute sind die Häuser teils renoviert und restrukturiert und innen erstaunlich gut ausgestattet. Und auch immer mehr Fassaden werden getüncht.
Oliena ist auch so ein hübsches Dorf, dazu tragen die Wandmalereien bei, sowie einige großformatige Fotos an Hauswänden, die Geschichten erzählen. Das Schöne an Oliena: Fragst du nach, erzählt man dir alles, was du wissen möchtest. Außer das, was man einem Außenstehenden nicht verraten möchte versteht sich.
Aber so „außen“ ist man hier gar nicht. Spätestens in der nächsten Bar beim Bier oder Vino ist man Freund der Familie. Oder des Pferdes. Das geht hier schnell.
Dass in der Neben- und Nichtsaison an den touristischen Küstenorten nicht viel los ist – darüber lächelt Oliena nur müde. Hier kennt man kein Saisongeschäft – außer vielleicht, dass in der Trekkingsaison etwas mehr los ist. Weil die Einheimischen ein äußerst geselliges Völkchen sind und sich gern außerhalb der eigenen vier Wände bewegen, ist Oliena ein Garant dafür, dass du auch am dunkelsten Abend und im tiefsten Winter Leben vorfindest und ein Glas Wein und etwas Gutes zu essen bekommst.
Mein Favorit ist der ganz frühe Frühling. In dem Tal zu Füßen des Supramonte und des Monte Ortobene bei Nuoro wachsen neben Weinreben auch Mandelbäume – die schon im Winter und dann bis in den März blühen und das erste Zeichen für die beginnende Wärme sind. Wenn es jetzt irgendwo lieblich und schön ist, dann hier. Die Trekkinggebiete im. Supramonte sind wie leer gefegt (außer an Ostern oder Sonntagen) und an schönen Tagen schlicht ein Träumchen.
Zweiter Favorit: der Herbst. Denn dann ist Vendemmia, also die Weinernte. Und beste Zeit für Outdoor-Aktivitäten. Viele Aktivurlauber sind unterwegs, die Luft ist warm und wenn die Sonne rauskommt, ist es wie Sommer. Gut, bei Schlechtwetter hat auch Oliena seine graue und ungemütliche Seite – wenn das B&B nicht ordentlich zu heizen ist, kriecht die Nässe in die Wände und auf den kalten Fliesenböden friert man sich die Füße ab. Aber das ist auch schon das einzige, was es zu meckern gibt. Wärmt man sich halt von innen. Das geht hier ziemlich gut.
Oder du richtest deine Reise nach dem Festkalender, der sich natürlich um die Traditionen und Spezialitäten des Dorfes dreht. Hier ein Auszug der wichtigsten Feste:
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
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Erwin Leber
29. April 2023 at 11:37Wunderbare, sehr hilfreiche Beschreibung. Macht sehr neugierig. Danke