Der November ist ein Monat für die Sinne. Du kannst das Abenteuer, die Genüsse, die Natur riechen, hören, schmecken, sehen, anfassen. Sardinien im November zeigt sich pur und wild. Der Winter steht schon vor den Türen.

Die Sarden nennen den Monat »Sant’Andria«, in ihren Sprachvarianten Nuorese, Logudorese, Sassarese und Gallurese. Im Campidano kennt man außerdem noch Novembri, Tottusantus, Donniasantu. Die beiden letzteren verweisen genauso wie Li Santi in der Gallura auf die Heiligen – die Feiertage Allerheiligen und Allerseelen fallen in den November. Der Vollständigkeit halber Italienisch: da heißt es Novembre (neun = nove), weil es der neunte Monat des römischen Kalenders ist.

Üblich ist aber zumindest unter älteren Sarden Sant’Andria. Damit ist der Heilige Andreas gemeint – Bruder des Apostel Petrus und einer der zwölf Jünger Jesu. Auf einer (heutzutage) katholisch geprägten Insel wie Sardinien also ein ziemlich wichtige Persönlichkeit. Der zu dem ein oder anderen Fest verehrt wird – allen voran in Bono, dessen Stadtpatron er ist. Die Domus de Janas Sant’Andria Priu bei Bono wurden nachträglich christianisiert und diesem Heiligen gewidmet, haben aber einen weit vorchristlichen Ursprung. Ein Besuch im Nordwesten Sardiniens lohnt gerade jetzt, wenn kaum noch Touristen dort sind und eben die kulturell tief verankerten Feste gefeiert werden.

Mehr zu Festen und Ausflugszielen im November erfährst du am Ende dieses Artikels.

Der mürrische Monat: Sant’Andria est a murrunzu

Der November kann ein grauer, mürrischer Geselle sein ...
Der November kann ein grauer, mürrischer Geselle sein …

Der sardische Dichter Salvatore Cambosu beginnt eines seiner schönsten Gedichte über das sardische Jahr mit dem November; dies ist der Wortlaut:

Issos sun sos meses ed eo ti los pinto …

Sant’Andria est a murrunzu
ca hat brigadu cun Nadale,
chi non bi cheret andare
ca fachet dies minores.
Bennarzu cun sos pastores
brigat ogni temporada,
Frearzu juchet in cara
unu cavanile nou,
Martu nde ′ettat a prou
sos arbores de-e sa rocca,
Abrile bene si portat
chi nos bettat sos lentores,
e da′ Maju sos frores,
Lampadas e Triulas trigu,
Austu paret nimigu
pro su sole iscallentadu,
e Capidanni est torradu
cun s′arriu ′e figumurisca,
già Santuaini infriscat
e già proet s′Attunzu …
Sant’Andria est a murrunzu

Dies sind die Monate, ich male sie dir hin … 

Der November ist mürrisch,
er stritt sich mit dem Dezember,
und wollte nicht gehen,
weil der die Tage kürzer macht.
Januar und die Hirten 
schimpfen über jedes Unwetter. 
Februar trägt auf dem Gesicht
eine neue Maske,
März stellt die tapferen Bäume 
auf den Felsen heftig auf die Probe,
April benimmt sich gut,
lässt es regnen und gibt Tau,
und der Mai bringt Blumen,
Juni und Juli bringen das Korn,
der August ist wie ein Feind,
wegen seiner glühenden Sonne,
der September kehrt zurück 
mit einer Ladung Kaktusfeigen,
im Oktober ist es bereits frisch
und schon regnet′s im Herbst …
Der November ist mürrisch.

Salvatore Cambosu, sardischer Dichter geboren 1895 in Orotelli.
Quelle: Miele amaro (Bitterer Honig), Ilisso edizioni, Nuoro, 2004

Der mürrische Monat berechtigt denn auch zu der Frage, die immer zu allererst gestellt wird: »Wie ist das Wetter im November auf Sardinien? Kann man noch baden?«

Sardinien im November: Badeurlaub?

Die Antwort ist ein klares »Jein.« Das Mittelmeer speichert die Wärme zwar deutlich länger als Nord- und Ostsee es je könnten, soweit so gut. Die Temperaturen liegen sowohl im Wasser als auch an Land durchschnittlich um 20 Grad. Mal darüber, mal darunter. Davon können Kiel und der Wannsee nur träumen.

Mir persönlich ist das Wasser trotzdem zu kalt, ich brauch wenn überhaupt, dann Badewannenniveau. Wer hingegen sonst gern in finnischen Seen badet, ist vermutlich schwerst mehrfach begeistert. Alles eine Frage des eigenen Empfindens. Wer an der Stelle Sicherheit braucht, ist mit Fuerteventura oder Thailand besser bedient.

Was das Wetter im November ungemütlich machen kann, sind durchziehende Stürme (der Herbst beginnt im Oktober) – oft mit schweren Regenfällen. Eine der schwersten Überschwemmungen auf Sardinien, bei der auch Tote zu beklagen waren, war ein November-Ereignis.

Novemberhimmel über Palau / La Maddalena
Novemberhimmel über Palau / La Maddalena

Vor allem der Wind macht so manche Temperaturfreude zunichte. Denn der kommt jetzt vermehrt aus nördlichen Richtungen und bringt kühle Luft mit. Großwetterlagen vom Atlantik (auch nicht gerade bekannt für warmes Wetter) setzen sich durch.

Speziell, wenn die Sonne mal nicht da ist – also, wenn es bewölkt, oder schlicht Abend wird – wird es empfindlich kalt. Wer also gern draußen sitzt, dem sei empfohlen, eine warme Jacke ins Gepäck zu stopfen (hier geht es zu meiner ganzjährigen Packliste).

Segler, die nicht nur tagsüber vom Hafen zur nächsten Bucht gurken, brauchen jetzt Friesennerz und Ölzeug. SUP-en, Kiten und Surfen bitte mit dem langen Neopren. Und viel Zeug zum Wechseln – das Trocknen von Wäsche ist nicht so einfach wie bei 30 Grad und Sonne. Nützt ja nix.

Du spürst, dass Sardinien eine Insel mitten im Meer ist. Du erlebst Wetter. Der Himmel ist oft grau und weil die Tage kürzer werden, schlägt das einigen aufs Gemüt. Sant’Andria est a murrunzu … der mürrische November lässt grüßen.

Nein, so leid es mir tut: Der November ist kein Sommermonat.

Aber halt! Manchmal doch! Manchmal ist er wundervoll und fühlt sich fantastisch an.

Wenn du bei Sonne und strahlend blauem Himmel irgendwo in der freien Natur schlappe 24 Grad erlebst und in die Weite blickst (so mehr als einmal erlebt im Supramonte), ist das einfach ganz, ganz knapp vor Auslösen des Perfektionsalarms. 

Das schwarze Schaf beim herbstlichen Trekking im Supramonte - scheint die Sonne ist es traumhaft!
Das schwarze Schaf beim herbstlichen Trekking im Supramonte – scheint die Sonne ist es traumhaft!

Das schwarze Schaf ist jetzt gern und viel draußen. Geht auch gern wieder ans Meer (im Sommer hält es zum Strandwahn gebührend Abstand), sieht jetzt den Wellen beim Brechen zu und freut sich, dass sonst niemand da ist. Außer natürlich an den Surf- und Kite-Hotspots der Insel – da ist jetzt erst recht Saison!

Zweiter Frühling auf der Insel mit vielen Früchten und bitterem Honig

Auch jeder Regen ist dem Schaf willkommen, denn nach dem Sommer hat das ausgetrocknete Land ihn nötig. Und wird immer grüner! Die eben noch graubraun verdorrte Wiese erlebt ihren zweiten Frühling und viele Pflanzen treiben aus.

Granatäpfel, Orangen, Zitronen sind Winterfrüchte und darum jetzt am besten. Auf dem sardischen Wochenmarkt (fast jedes Dorf hat einen, frag lokal nach oder schau bei sardinien-auf-den-tisch.eu) bei lokalen Produzenten eingekauft beschert dir das mit Sicherheit geschmackliche Überraschungen. Da kann das Zeug aus dem Discounter aber sowas von einpacken.

Der Erdbeerbaum Corbezzolo blüht und hat gleichzeitig Früchte. Sobald sie leuchtend rot sind, kannst du sie direkt essen (ich finde sie etwas fad und als Marmelade oder Likör besser, außerdem sollen sie schnell Bauchweh machen).

Corbezzolo: Frucht und Blüten des Erdbeerbaums
Corbezzolo: Frucht und Blüten des Erdbeerbaums

Aus den Blüten wird der bittere Honig Amaro di Corbezzolo gewonnen, der auf die Seadas gehört (und nur der, kein Zucker!) und reich an Antioxidantien und gut für die Gesundheit ist. Ein ganzes Tal mit Erdbeerbäumen findest du am Monte Nieddu bei Padru, aber auch an vielen anderen Berghängen auf mittlerer Höhe. Auf einigen Trekkingpfaden liegen die Früchte wie ein schöner roter Teppich vor dir.

Seadas, nur echt mit dem bitteren Honig Amaro di Corbezzolo
Seadas, nur echt mit dem bitteren Honig Amaro di Corbezzolo

Außerdem ist im November traditionell Olivenernte. Besonders schöne Haine (und auch kleine, feine Produzenten) findest du bei Bosa, Sennori, Oliena, Dolianova oder gar in Gonnosfanadiga, der »Città d’Olio«.

Kommen Regen und Sonne zusammen, schießen auch die Pilze / funghi wie verrückt aus den Waldböden! Jetzt lohnt es sich, in die Bergregionen zu fahren, zum Beispiel in die Barbagia di Belvì oder auf den Monte Limbara. Achtung, Vorsicht beim Sammeln, denn es gibt auch giftige Pilze, die den essbaren zum Verwechseln ähnlich sehen. Und für einige Wälder brauchst du eine »Sammelerlaubnis« von der Gemeinde. 

Aber in Restaurants ist die Gefahr relativ gering – und du findest auf der Tageskarte oft richtig gute Pilzgerichte, die es im Sommer eben nicht gibt. Halte vor allem nach funghi porcini / Steinpilzen Ausschau oder frage gezielt danach.

Nichts liegt also näher, als stundenlang durch die sardische Bergwelt zu streifen und abends in einem Agriturismo oder Landgasthaus einzukehren – und im Optimalfall auch dort zu nächtigen. In den typischen Küstendörfern ist eh nichts mehr los.

Granatäpfel in gemütlichem, landestypischen Ambiente
Granatäpfel in gemütlichem, landestypischen Ambiente

Perfektes Trekking-Wetter, aber kurze Tage

An Land ist das Klima perfekt für intensives Trekking und ausgiebige Touren. Stehe am besten früh auf, denn die Sonne geht auch wieder früh unter. So hast du sehr viel mehr vom Tag und bist vor der alles umfangenden Dunkelheit wieder zurück in der Zivilisation.

Auf einsamen Pfaden wanderst du durch tiefe Täler und Schluchten und auf hohe Berge. Sei mutig und vorsichtig gleichzeitig. Achte gut auf jeden deiner Schritte. Die Wildnis ist erbarmungslos. Die Einsamkeit musst du erst einmal aushalten, deine Instinkte schärfen, das Gelände erst lesen und deine eigenen Grenzen kennen lernen.

Einsame Bucht vom Feinsten - Spiaggia Ziu Santoru. Wenn du dich nicht auskennst, bitte nur mit Guide ...
Einsame Bucht vom Feinsten im November: Spiaggia Ziu Santoru. Wenn du dich nicht auskennst, bitte nur mit Guide …

Rechne tatsächlich damit, öfter mal allein zu sein – und damit im Zweifel auch ohne Hilfe oder jemanden, den du fragen kannst. Touristen sind kaum noch da und verteilen sich gut. Die Sarden arbeiten unter der Woche und wandern tendenziell nur am Wochenende – dann aber mit wachsender Begeisterung!

Gehe darum dort, wo du dich nicht auskennst, mit einem Guide. Auch dafür ist ratsam, sich ein paar Tage in einem Ort einzunisten – dann hilft man dir gern, einen Guida escursionistica ambientale zu finden.

Auch das schwarze Schaf macht das trotz über 15 Jahren Trekkingerfahrung auf Sardinien immer noch. Im Winter geht es wirklich auch gern in Gesellschaft. Denn gerade wenn das Wetter umschlägt und du auf unmarkierten Pfaden unterwegs bist, ist jemand, der die Region kennt, weil es seine langjährige Heimat ist, Gold wert.

Apropos Wetter: Konsultiere Wetterprognosen und -Apps auch für einfache Wanderungen. Und im Zweifel ist auch keine Schande, umzukehren und sich in der nächstbesten Bar bei einem Tee aufzuwärmen. Doch, doch, doch, es wird in höheren Lagen kalt!

Im November gibt es nach der Wanderung eher einen Belohnungs-Tee statt eines Belohnungs-Biers …

Die Sarden tendieren im Winter dazu, sich in ihre Häuser zurückzuziehen – bei gleichzeitiger Geselligkeit: Familien und Freunde treffen sich zu Hause, zur Pizza, zum Fußball, in Trattorien, in Dorfbars.

Das schwarze Schaf sieht auf den Straßen wenige Menschen, weiß aber: Sie sind da. Und: Sie wohnen tendenziell NICHT in den bekannten Urlaubsdörfern an der Küste, sondern in kleinen, gewachsenen Orten. Vor allem im Inselinneren findest du jetzt deutlich mehr Leben als an der Costa Smeralda.

Bei akuter sozialer Unterversorgung hilft ein Ausflug in genau diese Dörfer, und zu den Herbst- und Dorffesten. Ach ja, natürlich sind auch die Städte im Winter eine gute Adresse – Olbia, Sassari, Cagliari, Nuoro, Alghero …

Ach, und hörst du es blöken? Jetzt werden die Novemberlämmer geboren! Jedenfalls: Wenn du jetzt auf Sardinien Urlaub machst, musst du ein schwarzes Schaf sein 🙂

Sei Willkommen!

Feste und Events auf Sardinien im November

Manch einer denkt vielleicht, nach der touristischen Saison sei nichts los auf der Insel – aber weit gefehlt. Die Einheimischen wollen sich ja auch nicht langweilen.

Für das Grundrauschen sorgen die Herbstfeste in der Barbagia und viele religiöse Feste zu Ehren irgendeines Heiligen oder Dorfpatrons. Nach den Prozessionen gibt es oft noch etwas zu Essen und zu Trinken. Tendenziell für die Einheimischen, aber Gäste sind immer willkommen – ehrlich interessierte und neugierige umso mehr.

Hier eine Übersicht, was üblicherweise so im November auf der Insel los ist:

(Anmerkung der Schwarzschaf-Redaktion: Die nachstehende Liste ist unvollständig
und gibt erste Anhaltspunkte. Pandemiebedingt können zudem einzelne Events
abgesagt oder Restriktionen unterworfen sein. Einige Feste fallen ganz aus, andere werden nach Voranmeldung und mit beschränkter Teilnehmerzahl angeboten. Gefordert ist generell ein GreenPass / CovPass (geimpft, genesen, getestet) – und das auch im Innenbereich von Restaurants.
Bitte informiert euch vor Ort noch einmal.)

  • Gleich zu Beginn des Monats die beiden religiösen Festtage, i Santi e i Morti: Am 1. November feiert man Allerheiligen / Ognissanti und ehrt alle Heiligen. Tags darauf Allerseelen / Giorno dei defunti dann die Toten.
  • Escalaplano feiert bereits in der Nacht zum 1. November Sa Passillada, eine Art sardisches Halloween. Kinder rufen »A Panixedda!« während sie von Tür zu Tür gehen und Gaben für die Seelen der Verstorbenen erbitten. 
  • Ähnlich in Seui das Ritual Su Prugadoriu. Hier treten urig maskierte Figuren mit Symbolen des antiken Sonnengottes und Wildschweinfellen auf …
  • Die Notte di Sant’Andria feiert man aber vor allem in Bono: Bei diesem religiösen Fest wird auch intensiv dem Gott des Weines, Bacchus, gehuldigt. Und wer Kürbisse nur mit Suppen und Charlie Brown in Verbindung bringt, den wird erstaunen, dass sie hier eine große Rolle spielen.
  • Bei den Herbstfesten des Autunno in Barbagia feiern im November z. B. Mamoiada, Nuoro, Tiana, Ollolai, Atzara, Olzai und Desulo.
  • In Sardara feiert man am 12. November Santa Anastasia, bei dem Wasser eine Rolle spielt. Die Quelle Funtana de is Dolus neben der Kirche Santa Anastasia diente dazu, Schuld oder Unschuld einer Person zu bestimmen.
  • Bei der Sagra di Pesce in Tortoli zu Ehren des Stadtpatrons Sant’Andrea bekommst du frisch gefangenen Fisch. 
  • Köche schätzen den hochwertigen Safran aus Tuili und San Gavino Monreale und besuchen deren Sagra dello zafferano. 
  • Frisches Brot und Olivenöl rufen Feinschmecker zur Sagra del pane e dell’Olio d’Oliva Ende November in Seneghe. Oder hilf gleich bei einer Olivenernte mit.  

PS. – Willst du wissen, was dich im ganzen Jahr erwartet? Dann lege ich dir mein zweites Reisebuch ans Herz: »Natürlich! Sardinien«

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