Als Sardinien-Jungverliebte(r) neigt man dazu, Alghero einfach nur schön und supertoll zu finden. Und das stimmt! Alghero gehört zweifellos zu den attraktivsten der sardischen Städte, und ist eine kulturreiche, architektonisch und historisch interessante Stadt.
Friedlich an das Meer geschmiegt, hat Alghero viel Lebensqualität und hohen Freizeitwert. Eine Stadt, in der es sich heute im ganzen Jahr gut leben lässt. Sowohl für Urlauber als auch für die rund 45.000 Einwohner., die Alghero „Barceloneta“, das kleine Barcelona nennen.
Nicht wegen einer eventuellen, optischen Ähnlichkeit – Alghero ist allein, weil es deutlich kleiner ist, anders. Die informelle Namensgebung hat historische Gründe und um die Stadt wirklich kennenzulernen (und damit auch Sardinien besser zu verstehen), ist kein Vorbeikommen an der Geschichte: die Eroberung und Besatzung durch die Katalanen.
Das schwarze Schaf stöbert ein bisschen in Vergangenheit und Gegenwart.
Fast wirkt es, als blicke Alghero (katalanisch: L’Alguer, sardisch: S’Alighera) sehnsüchtig genau dorthin: nach Westen, bis zum gegenüber liegenden Ufer am spanischen Festland. Doch aus der Richtung hat Alghero leider nicht nur Gutes erfahren. Denn hier begann die unrühmliche Geschichte der Besatzung Sardiniens. Ja, die Stadt ist heute so hübsch, gerade weil in ihren Adern katalanisches Blut fließt. Aber in der dunklen, mittelalterlichen Geschichte Algheros floss sehr viel sardisches Blut …
Die Region ist schon seit nuraghischen Zeiten besiedelt, davon zeugen der Nuraghe Palmavera und die Nekropole Anghelu Ruju. Alghero selbst wurde im 12. Jahrhundert von der Familie Doria aus Genua gegründet, die in der Nähe eine kleinen Siedlung und eine Burg errichtet hatten.
1297 gab Papst Bonifacio VIII dem Haus Aragon das neue Regnum Sardiniae et Corsicae »zu Lehen«. Die Katalanen erkannten die strategisch wichtige Lage Sardiniens, aber konnten die Insel erst 1323 erobern und durch einen Friedensschluss mit den Pisanern und Genuesern besetzen. Die neuen Feudalherrscher breiteten sich sodann schnell über ganz Sardinien aus, um ihren Besitz zu sichern.
In einem erweiterten Wortsinn bedeute »zu Lehen« zwar eigentlich »kümmern«, doch davon hatten die mittelalterlichen Katalanen offensichtlich ein anderes Verständnis als die Sarden es sich erhofften: Die Aragonesen nahmen sich das Land, enteigneten, stahlen, mordeten, vertrieben und nutzten alles zum eigenen Vorteil aus.
Gerade da scheint der Satz, der oft in Verbindung mit Sardinien zitiert wird, zu passen: »Furat chie benit dae su mare / Wer über das Meer kommt, stiehlt.« Der ist zwar erst fünf Jahrhunderte später entstanden, aber passt in der Retrospektive auch hier gut.
Doch die Sarden wehrten sich: Der Kampf um die Region dauerte mehr als 20 Jahre. Und da haben vor allem die Einheimischen bezahlt: mit ihrem Leben, mit dem Verlust ihrer Heimat und ihres Zuhauses, mit ihrem eigenen Land und letztlich mit ihrer Freiheit. Mitgereiste spanische Grafen und Herzöge enteigneten die Sarden, vertrieben die Familien und nahmen die Ländereien in Besitz.
Alghero wurde schliesslich 1353 von den Katalanen vollständig erobert: Pietro IV di Aragona il Cerimonioso (del Punyalet) bevölkerte und kolonialisierte die Stadt mit Katalanen.
1372 hatte Aragon endgültig die Oberhand, die letzten »Algheresi« zogen mit dem, was von ihren Familien und ihrem Hab und Gut noch übrig war, in die Bergregion. Östlich von Alghero gründeten sie Villanova Monteleone – bis heute ein kleines verschlafenes Bergdorf.
Das endlich eroberte Gebiet wurde dann verteidigt und geschützt – mit einer dicken Stadtmauer, die heute das Stadtbild prägt und an der wir heute in lauen Sommernächten spazieren gehen und entspannt zum Apéro oder Abendessen verweilen.
Befreiung von den Spaniern schaffte die Richterin Eleonora d’Arborea (durch Heirat mit Brancaleone Doria, einem Mitglied der erwähnten angesehenen Gründerfamilie). Das, was die Einwohner, die Algheresi von heute aus ihrer Geschichte machen, ist auch ihr zu verdanken und geradezu erstaunlich: Sie pflegen ihr kulturelles Erbe. Vermutlich weil viele von ihnen von den Katalanen abstammen.
Dafür, dass die Katalanen nur so kurz auf der Insel wirkten, ist ähnlich erstaunlich, wie tief die Spuren sind, die sie hinterlassen haben und dass sie bis heute sichtbar sind – nicht nur in Alghero.
Das Haus Aragon „vermachte“ Sardinien übrigens einen Teil seines Wappens: Vier Köpfe mit einem Stirnband, geteilt durch zwei rote Bänder, die ein Kreuz bilden (das Kreuz des Heiligen St. Georg).
In der sardischen Fahne sind zwei grundlegende Unterschiede: Die Fahne besteht aus vier rein schwarzen Köpfen („die vier Mohren“ oder „i quattro mori“) und das piratenähnliche Kopftuch wurde zu einer Stirn- oder Augenbinde (Das schwarze Schaf meint ja auch, es sei eine Beeehndiera, lies seinen etwas ironischen Beitrag hier …).
Aber schauen wir wieder auf Alghero.
Wer durch die Stadt spaziert, findet nicht nur katalanische Straßenschilder, sondern auch viele Attraktionen, die aus der Zeit der Besatzer herrühren: Trattorien tragen spanisch klingende Namen, an Sommerabenden tönen spanische Klänge durch den Ort und sogar der gänzlich un-katalanische (und auch un-sardische) Touristen-Zug, der durch die Stadt fährt, nennt sich Treno Catalunyo.
In Alghero sprechen gut 20% der Bevölkerung noch das »Catalano Algherese« als erste Sprache, als Zweitsprache weitere knapp 15%. Die katalanische Sprache war im 17. Jahrhundert die offizielle Sprache (später Spanisch, noch später Italienisch).
Es besteht eine enge sprachliche Verwandtschaft zu den beiden in der Region gesprochenen sardischen Dialekten, Lugudorese und Sassarese (wer zuerst da war, das ist so ein bisschen eine Henne-Ei-Geschichte und etwas für Sprachforscher).
Wenn einem also spanisch (was ja falsch wäre) vorkommende Worte an den Straßen in Alghero begegnen, hätte man einige Mühe herauszufinden, ob das nun Katalanisch oder Sardisch ist.
Mehr über den „Dialetto Algherese“ in der italienischen Wikipedia – die Wortliste gibt einen kleinen Einblick in die Sprache und hilft beim Entdecken des Katalanischen vor Ort.
Ein Beispiel für die sprachliche Verwurzelung ist der „Gesang der Sybille“ in der Cattedrale di Santa Maria di Alghero in der Weihnachtsnacht, ein mittelalterlicher Brauch. Der „Cant de la Sibil.la“ (der Punkt zwischen den beiden „l“ ist eine typografische Besonderheit der katalanischen Sprache), beschreibt die Wiederkunft Christi zum Jüngsten Gericht, zur Apokalypse.
Der Gesang der Sibylle ist nur noch auf Mallorca und Sardinien Tradition – und wurde 2010 in die Liste des immateriellen Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen.
Spätestens beim Essen scheint sich alles mit der Vergangenheit arrangiert zu haben.
Man findet Paella auf den Speisekarten (extrem gut und mit frischen lokalen Zutaten im Strandrestaurant La Conchiglia – muss aber am Vortag reserviert und bestellt werden).
Das kulinarische Katalonienerbe erkennt man unschwer auch bei Hummer oder Languste katalanischer Art – lauwarm mit Tomaten, Zwiebeln und Weißwein. Das „alla catalana“ lässt sich auch in anderen Gerichten entdecken – ob Gamberoni, Meeresfrüchte, oder Filetstückchen vom lokalen Fisch. Probiert das einfach direkt vor Ort, z. B. im Ristorante Al Tuguri.
Und apropos Weißwein:
Die Katalanen brachten die Traube nach Alghero. Sie stammt vermutlich aus dem Weinanbaugebiet Montsant – die älteste, weinbaubetreibende Kataloniens, etwa 30 km südlich von Barcelona und westlich von Tarragona. Sie gehörte schon im Mittelalter zu den bedeutendsten Weinbaugebieten Spaniens. An den Hängen des Montsant (ein gestrecktes Bergmassiv mit mehreren Gipfeln über 1.000 Metern) wächst – neben vielen anderen lokalen Trauben, eben auch der Torbato.
Der Torbato wird vor allem im berühmesten Weingut Algheros kultiviert: Sella e Mosca an der Ausfallstraße in Richtung Norden. Hübsch angelegt, in einem schicken alten Gutshof mit mehreren Gebäuden und einer Enoteca – so wie man sich ein italienisches Weingut vorstellt.
Ich nehme ein paar Flaschen Torbato (gibt es als Weißwein Terre Bianche, aber auch als Sekt / Spumante) mit. Dann noch ne schicke Holzkiste mit drei Weinen als Geschenk für Freunde.
Und ich sacke noch zwei Flaschen »Parallelo41« ein, wo Torbato und Sauvignon Blanc einen ganz tollen Tropfen ergeben. Und dessen Rückenetikett wiederum behauptet, Alghero und Barcelona lägen beide etwa auf dem auf dem 40./41. Breitengrad. Ach ja?
Ihre Stadt nennen die alten Einwohner Algheros manchmal liebevoll Barceloneta, das kleine Barcelona. Aber um gar keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen: Wen man auch fragt, der schonmal da war, sagt, da gibt es nicht so viele Gemeinsamkeiten. Schon auf den ersten Blick hat das quirlige, riesige Barcelona mit dem beschaulichen Alghero nicht so wahnsinnig viel gemein.
Immerhin, die Koordinaten liegen tatsächlich nah beieinander:
Es gibt wohl auch die ein oder andere Befestigungsanlage in Barcelona und auch ein paar enge Gässchen in dem Gewusel, wir sind halt am Mittelmeer. Ansonsten ist Barcelona aber einfach deutlich größer, ach was: riesig!, moderner, kreativer, architektonisch und kulturell deutlich vielseitiger.
Der Direktvergleich hakt also ein bisschen. Wir entfernen uns ein paar Kilometer Richtung All und gucken einfach mal von ganz oben auf die beiden. Und siehe da: Aus diesem Winkel kann man mit ganz viel gutem Willen und einigen Torbato intus denken, dass Alghero eine Miniaturausgabe der katalanischen Großstadt ist… Barceloneta.
Am Lungomare Barcellona (die parallel zur Via G. Garibaldi verläuft) hat der katalanische Architekt Joan Bousquet eine Flaniermeile gestaltet, ähnlich den Ramblas in Barcelona. Alghero ist ganz stolz drauf. Aber es ist definitiv ganz anders, so direkt am Yachthafen. Nightlife, Märkte und typische Geschäfte gibt es auch nicht so rasend viele. Zudem sind da in der Saison streckenweise jahrmarktähnliche Einrichtungen, die leider weder katalanisches noch sardisches Flair versprühen.
Immerhin: Hafen und Altstadtkulisse im Hintergrund, sowie einige Bars geben ordentliches „Lungomare“ für einen Apéro ab, und es verbindet die Altstadt mit der modernen Stadt und dem weiten Stadtstrand Lido.
Vor allem hat Barcelona mit Sardinien ein gemeinsames Meer. Die katalanische Hauptstadt blickt Richtung Osten hinüber, die sardische Richtung Westen. Sie sehen sich quasi an.
Wer nicht schwimmen will, überwindet die ca. 350 Seemeilen Wasserweg (ca. 525 Kilometer Luftlinie) am besten per Schiff – gemächlich per Segelboot oder mit der Fähre von Porto Torres. Man kann natürlich auch ganz profan fliegen – in der Hauptsaison mit Ryanair von Alghero nach Girona / Barcelona.
Urlaubsidee: Barcelona und Barceloneta
Flieg erst mit einem Flieger nach Spanien, dann setze mit der Fähre nach Porto Torres über und schau dir in Alghero an, was dir bekannt vorkommt. Oder umgekehrt 😉
Aber du kannst Deine Städtereise auch nur nach Alghero machen: Die Stadt ist lebendig im gesamten Jahr und hat alles, was man für einen schönen Urlaub braucht. Man kann hier spielend ein Wochenende verbringen – aber ohne Probleme auch einen ganzen Urlaub.
Vorab gleich ein Wort zur Vorsicht: Das gesamte Stadtzentrum ist zu bestimmten Zeiten für Autos gesperrt (was extrem toll ist und die Stadt super entspannt macht). Wenn du in die verkehrsberuhigte Zone ZTL / zona traffico limitato einfährst, wird es teuer, Kameras registrieren die Einfahrt, da ist auch wenig zu diskutieren. Also, Augen auf und besonders gut auf Schilder (auch Parkverbote) achten. Hier findest du die Karte und Zeiten.
Alghero ist schön und lebenswert – und gerade deswegen auch wirklich sehr beliebt. In der Hauptsaison wird sie immer touristischer. Algheros Einwohner lernst du vermutlich wirklich nur noch mit Glück oder in der Nebensaison kennen, viele nehmen im Sommer reißaus. Da ist es manchmal echt schwer, die Perlen zu finden.
Mein bester Tipp ist: Nimm nicht das Erstbeste. Streife durch die engen Gassen, abseits der Rennstrecken (auf denen landest du ganz automatisch). Folge nicht den Einladungen der „Touristenfänger“. Suche die kleinen, unscheinbaren Restaurants und Bars, die sich nicht aufdrängen. Und erwäge die Nebensaison, auch ganz weit außerhalb ist Alghero toll.
Beste Reisezeit ist: im ganzen Jahr. Hier ein paar gute Termine:
Und na klar noch ein paar schwarzschafige Ideen, was du in / um Alghero machen kannst.
Von den Stränden Algheros bin ich nur so mittel begeistert, bin aber auch kein ausgesprochener Strandurlauber. Die langen Strände direkt in und an der Stadt (Lido, Bombarde, Mugoni, Maria Pia) werden in der Hauptsaison für die Touristen ziemlich durchorganisiert. In der Nebensaison ist alles gut, da dürfen sie ganz natürlich sein und haben viel Platz.
Das „Natürliche“ stört allerdings viele, denn hier landet über das Jahr eine Menge Posidonia an (nützliches Seegras) und das müffelt irgendwann, wenn es verrottet. Zum Küstenschutz wird es in bestimmten Abschnitten liegen gelassen, was je nach Wind und Temperatur halt unangenehm riecht.
Aber in Sachen Strand hat ja eh jede/r seine/ihre Vorlieben. Ich mag diese Strände außerhalb der Stadt:
Leider ist in Alghero wegen seiner immensen Beliebtheit in der Hotelszene noch ein bisschen vorgestern. Warum renovieren, warum den Italo-80er-Jahre-Schick rauswerfen, wenn’s Meerblick hat und auch so geht und viele es anstandslos auch hohe Preise zahlen.
Aber, es tut sich so langsam was und das schwarze Schaf hat sich durchgewühlt und kann diese Adressen in und bei Alghero empfehlen:
Und hier noch ein paar Fundstücke über Alghero:
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