Ohne die Ogliastra ist ein Sardinienurlaub unvollständig und nicht dasselbe. Wir können nicht oft genug erzählen, wie schön und erstaunlich sie ist.
Eine unfassbare, oder wie der Italiener sagen würde, „unbesingbare“ (sehr frei übersetzt aus „incantevole“) Naturschönheit. Das schwarze Schaf mag trotzdem ein Lied auf sie singen!
Die Region ist schützenswert, befand auch die Region Sardinien und gründete den „Parco nazionale del Golfo di Orosei e del Gennargentu“ – der befindet sich nämlich zu einem guten Teil in der Provinz Ogliastra. Zwar gibt’s immer wieder den üblichen sardischen Streit über Zuständigkeiten und Pläne, aber insgesamt sind die Schutzmaßnahmen im Forst- und Küstenschutz durchaus wirksam.
Die Gegend ist eine der ursprünglichsten und unberührtesten der Insel.
Die Ogliastra beginnt im Supramonte bereits bei Baunei.
Im Osten wird sie vom Meer begrenzt, mit den Städten Tortoli, Arbatax, Barisardo und Marina di Gairo – besonders beliebt bei Zweiradfahrern aller Couleur.
Im Westen stößt die Provinz an den Gennargentu, die Orte Urzulei – Tarzana – Seui – Ulassai – Ussassai reihen sich an den Bergflanken aneinander.
Richtung Süden durchqueren wir Cardedu, die Region endet etwa bei Tertenia und Perdasdefogu.
In diesem Flecken Welt gibt es fast nichts, was nicht schön ist.
Vom Berg ans Meer – was die Ogliastra so toll macht, sind ihre Kontraste. Im Norden gibt es massive Gebirge direkt am Meer, da führen kleine, mehrstündige Wanderungen in von hohen Wänden umrahmte Buchten.
Aber auch das bewaldete und gebirgige Hinterland, Richtung Jerzu und Ulassai ist äußerst beeindruckend und kaum vom menschlichen (oder schafigen) Geist erfassbar.
Teile des Gebirgsmassivs „Monti del Gennargentu“ gehören zur Provinz Ogliastra, unter anderem sein höchster Punkt, „Punta La Marmora“ mit 1834 Metern Höhe auf dem Gemeidegebiet von Arzana.
Das Gebirges entstand, als sich die Alpen bildeten, und als sich der „sardisch-korsische Block“ (beide Inseln sind geologisch miteinander verbunden) vom italienischen Festland abtrennte, und sich schließlich das Tyrrhenische Meer oder Becken bildete.
Diese geologischen Ereignisse haben heute noch sichtbare Eindrücke hinterlassen. Große Verwerfungen, tiefe Täler und Schluchten. Hier ist alles etwas „krasser“, etwas beeindruckender, etwas intensiver, als sonst auf der eher durch weiche und weite Hügel gekennzeichneten Insel.
Die Ogliastra wird im Norden vom Supramonte begrenzt. Das hereinreichende, an den Gennargentu grenzende Gebirge Supramonte di Urzulei beherbergt die beeindruckende Gola di Goroppu, die vom Fluss Flumineddu gegraben wurde und zu einer der tiefsten Europas gehört (siehe Artikel auf pecora-nera).
Außerdem sind nach einigen intenstiven Wanderungen (am besten mit ortskundiger Führung) in den Bergen bei Talana Wildbäche und Grotten, Wasserfälle (z. B. der 70 m hohe Su Cunnu e s’Ebba) und Höhlen zu entdecken.
Im Supramonte di Baunei sind es zuvorderst die unbeschreiblichen Anblicke, wie sich die gegensätzlichen Elemente Wasser und Stein treffen.
Das azurblaue Wasser, das das satte Blau des Horizontes trifft und immer heller wird, bis es sich in einem satten, leuchtenden Türkis an den Felsen schmiegt und in den grauen Steinen der weißen Buchten hell schimmert.
Leicht zu erreichen ist der Fels Pedra Longa direkt am Meer, ab Santa Maria Navarrese führt eine schöne Küstenwanderung dorthin.
Für Touren in den wilderen Supramonte sucht euch einen guten Guide, der die weniger frequentierten Ecken kennt und euch sicher führt.
Wer mit dem Auto aus dem Supramonte in den Gennargentu möchte, muss ewige Umwege fahren – obwohl sie so nah beieinander und in einer Region liegen.
Ja, da sind ein paar Forstwege, über die es je nach Wetterlage und Wegbeschaffenheit und Wagemöglich sein kann. Sie sind aber eh nur den Förstern, Einheimischen und Hirten bekannt. Mountainbikern und Wanderer sind geduldet. Aber seid sicher, dass Ihr sie kaum in Karten nachvollziehen könnt und hier und da in einer Sackgasse (= Schlucht, Wald, Felsen, Fluss, Berg) landet.
Auch das ist etwas, was uns an dieser Region so gut gefällt: Sie zeigt dem Menschen seine Grenzen.
Tatsächlich ist es einfacher (aber nicht unbedingt schneller oder gar kürzer), ab Arbatax den Zug hinauf zu nehmen – siehe unseren Artikel Trenino Verde: von Null auf 800 auf der schönsten Zugstrecke der Insel.
Mit dem Auto führt eine wunderschöne Strecke über Talana – eine Straße gibt es bei Villagrande Strisaili. Oder die malerische Strada Provinciale 23 in unendlichen Serpentinen hinauf … hier und da abzweigen und schließlich irgendwann in Lanusei ankommen.
Und – ist man endlich da, stell man fest: Man ist an der Ostseite des Gennargentu – um auf den Gipfel zu gelangen muss man jetzt Arzana suchen – das machen auch die Hirten seit Ewigkeiten.
Den Gennargentu zu queren geht nicht. Um an die Westflanke zu kommen, liegen nochmal einige Stunden Serpentinen rund um das zentrale Bergmassiv voraus.
Zurück zum Ausgangspunkt auf der Hochebene im Supramonte von Baunei. Hier befindet sich der Karstschlund (ital. „voragine“) Su Sterru (auch genannt „Il Golgo“) – siehe dazu auch unseren Artikel „Baunei ~ Friedliches Bergdorf mit Eingang zur Hölle„.
Eines der beliebtesten Ziele – deshalb aber ausnahmsweise nicht weniger schön – ist die „Perda Longa“ bei Baunei. Wir reisen gern im Frühling in diese Ecke, aber auch früh am Tag, oder wenn andere Siesta machen. Dann kann man besser über Zäune klettern, ruhiger nach einem schönen Platz zum Relaxen Ausschau halten, trifft Schafe, Ziegen oder wilde Hausschweine.
Der Ort Santa Maria Navarrese ist von Norden kommend die erste Ortschaft direkt am Meer. Leider in der Hauptsaison stark überfüllt und wirkt – trotz seiner tausendjährigen Olivenbäume und dem schönen Turm direkt am Wasser – etwas künstlich. In der Nebensaison ist hier allerdings viel Leben, eine lässige und entspannte Atmosphärevor allem rund um den Hafen (porto turistico), der ganzjährig geöffnet hat.
Aber selbst im Sommer gilt: Ein Dorf an einem Platz wie diesem kann einfach nicht schlecht sein und ist immer für ein Glas Wein am Strand gut, und feiern oder mit Meerblick essen kann man hier auch.
Wer es noch echter mag, fährt einfach in das Nachbardorf Lotzorai, hier findet Ihr gewachsene Strukturen und echtes Dorfleben.
Bei Santa Maria Navarrese sei noch die Panoramastraße im Ortsteil „Surrele“ empfohlen – die findet und fährt fast niemand. Die Straße geht steil bergauf/bergab, je nachdem aus welcher Richtung man kommt. Man gewinnt einen Eindruck, wie stark der Höhenunterschied ist. Diverse Schotterwege laden zu Bike- und Wandertouren (z. B. hinauf nach Baunei) auf eigene Faust ein.
Wer etwas weiterfahren will oder gar vom Meer genug hat, dem sei die Umgebung bei Osini empfohlen, bemerkenswert hier ist die wunderbare „Scala di San Giorgio„, von deren Stufen im Stein man einen unbeschreiblichen Ausblick auf die Berge hat. Weite und Schönheit lassen sich wieder kaum erfassen.
Etwas skurriler der Anblick des Monoliths „Perda ‚e Liana“ bei Gairo, der groß und bizarr mitten in der Landschaft steht.
Grottenwanderer kommen hier voll auf ihre Kosten. Das schwarze Schaf zählt bis heute nicht zu dieser Spezies, zu feucht und dunkel ist es ihm da drinnen…
Es bekam aber große Lust, sie sich doch mal anzusehen, als ein Einheimischer in einer Bar in Baunei von der Grotta del Fico schwärmte, auf der ein Feigenbaum wächst und dessen Wurzeln in die Grotte reichen. Um sie zu sehen, sind aber schwierige Kletterstrecken zu überwinden – oder ihr nehmt ein Ausflugsboot ab Santa Maria Navarrese.
Ein weiteres „Pflichtziel“ auf der Liste ist Ulassai – auch wenn die Anfahrt über die Serpentinen einige Zeit in Anspruch nimmt. Die „Tacchi d’Ogliastra“, die typischen Felsabsätze der Region dies ein Paradies für Kletterfreunde.
Am Rande Ulassais befindet sich die Stazione d’arte, die der sardischen zeitgenössischen Künstlerin Maria Lai gewidmet ist. Ulassai ist außerdem gespickt mit Kunstwerken unter freiem Himmel, wie das „Haus der Unruhen“, Casa dell’Inquietudini.
Zu entdecken sind die Grotten Su Marmuri und Marzeu, und die imposanten Wasserfälle Lequarci und Lecorci. Weitere Wasserfälle (ital. „cascate“) sind außerdem in Seui und Arzana zu bestaunen – vorzugsweise im Frühjahr oder nach starken Regenfällen. Im Sommer sind viele trocken.
Erstaunliches gibt es auch von der Bevölkerung zu erzählen. In der Ogliastra liegt ein Ort, der einen leisen aber beeindruckenden Weltrekord aufstellte: den der „Langlebigkeit unter Männern“. In Villagrande Strisaili und Villanova leben nämlich – im Verhältnis zur Einwohnerzahl – die meisten alten Männer auf dieser Welt (den Weltrekord unter den Damen hält übrigens die japanische Stadt Hasegawa).
Villagrande Strisailis Rekord in Zahlen: 32 Männer sind über 100 Jahre alt und 1200 über achtzig bei einer Gesamteinwohnerzahl von 3420 Personen (Quelle: Untersuchung der Comune di Villagrande in Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten).
Man sagt, das liegt an dem guten Essen. Probiert es aus und lasst Euch in Villagrande das „Menü der Langlebigkeit“ („tipico pranzo della longevita“) servieren, z. B. mit Kartoffeln mit Zwiebeln und dem Brot „Pistoccu“. Wichtiger Bestandteil ist der Wein der Region, der Cannonau.
Hier ein kleines Video auf Youtube, das einige der sympathischen alten Herren vorstellt: http://www.youtube.com/watch?gl=IT&v=RlV6NJekXPM
Heißt aber eigentlich nur, dass sie für schwarzschafige Radfahrer und Fußgänger eine massentouristenfreie Region darstellt. Wer das nicht ausprobieren mag, fährt zurück Richtung Lanusei, frönt dort den lokalen Köstlichkeiten oder steigt in den trenino verde und tritt glücklich den Heimweg an.
In der Ogliastra kann man gut und gerne mehrere Tage oder gar Wochen verbringen. Da fällt uns noch die Weinregion um Jerzu ein, das Flachland bei Cardedu und seine schönen Küsten in Richtung Süden.
Die Wälder im Hinterland, z. B. der Bosco Seleni, sind wunderschön.
Und dann sind da noch die Seen, beginnend bei Girasole und Tortoli. Weiter Richtung Süden finden sich immer mehr dieser Feuchtgebiete, in denen Flamingos und andere Zugvögel brüten und die der Landschaft – als wäre sie nicht schon reich genug – noch das i-Tüpfelchen aufsetzen.
Er ist und bleibt einmalig, dieser Platz Welt. Auch wenn ihr schon jahrelang nach Sardinien kommt und immer in anderen Regionen geurlaubt habt: Wundert Euch einfach nicht, wenn Ihr Euch hier noch einmal in Sardinien verliebt.
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Sal
22. Mai 2012 at 10:22“incantevole” bedeutet sinnvoll übersetzt natürlich „bezaubernd“. Es mit ‚“unbesingbar“ übersetzen zu wollen, ist eine freilich sehr blumige, aber dann doch etwas zu populärwissenschaftliche und etymologisch falsche Übersetzung. Das Präfix in- hat hier keine verneinende, sondern eine intensivierende Funktion und führt auf lateinische Doppel(be)deutung von „carmen“ (-> italienisch canzone) als Gesang/Gedicht einerseits und Zauberspruch andererseits zurück. Es geht also tatsächlich auch wörtlich um etwas Bezauberndes.
vgl. http://www.etimo.it/?cmd=id&id=8741&md=c66023c08aea41e3f0781fc1bcf7158c
und http://www.albertmartin.de/latein/?q=carmen&con=0
Scusami la pendanteria – da bricht bei mir gleich der studierte Sprachwissenschaftler mit zahlreichen Etymologie-Seminaren aus.
admin
22. Mai 2012 at 11:22Vielen Dank für den Kommentar – der natürlich völlig richtig ist und es jetzt in den korrekten Kontext rückt.
Wir haben uns hier einen kleinen Scherz erlaubt – daher steht die Übersetzung auch in Anführungszeichen.
Kleine Anmerkung des Autorenschafs: Als mir das Wort zum ersten Mal begegnete, übersetzte ich es direkt und fand den Fehler aber so schön, dass ich mir jedes Mal ein kleines Loch in die Wolle freue 🙂 Das passiert mit „bezaubernd“, auch wenn es richtig ist, halt nicht… 😉
Aber – so war es für etwas gut: Wir haben dazu gelernt, denn die Bedeutung von Carmen und Zauberspruch haben wir nicht gewusst. Also, das Schaf bittet um Verzeihung für die Störung von Sprachgefühlen, lässt die Falschübersetzung aber einfach stehen. Immerhin haben wir der Deinen schönen Kommentar zu verdanken.
Eh, Beeeeeh!