Während auf facebook schon die ersten BIlder von weißen Stränden und türkisfarbenem Meer gepostet werden, begibt sich das schwarze Schaf ins Hinterland. Nämlich auf eine Trekkingtour in den Supramonte di Urzulei: Für alle, die auf wilde Landschaften stehen, ist der Trek nach »Sa Giuntura« (oder auch: Sa Juntura) wohl einer der reizvollsten der Insel. In der weiten Natur aktiv sein, und das ohne viel Mensch scheint mir angesichts fleuchender Viren aktuell auch keine ganz dumme Idee. Sardinien ist und bleibt eine Insel der Seligen und der Outdoorfreunde – zu jeder Jahreszeit und Weltlage.

Dass die meisten Treks im Supramonte etwas für anspruchsvolle Wanderer sind (oder wie der CAI – Club Alpino Italiano das kategorisiert: Escursionisti Esperti) hat sich ja vielleicht schon herumgesprochen. In der Nebensaison gilt das umso mehr. Anfang März erlebten wir den Supramonte di Urzulei in seiner ganzen Pracht – aber auch mit seinen Tücken. Und das ganze Jahr an einem Tag.

» Redaktionelle Anmerkung, bevor sich jemand wundert: Das schwarze Schaf war in den drei Wochen „zona bianca“ auf der Insel unterwegs, als es kaum covidbedingte Einschränkungen gab. Das Lebensglück wollte es, dass ich hier bin. Ich bewege mich in der auch 2021 immer noch sehr variablen Situation in Sachen Covid so spontan wie möglich in dem jeweils zulässigen Rahmen. Schwarzschafig heißt ja nicht, ignorant zu sein. Das mag als „Disclaimer“ reichen. Jetzt aber los! 🙂

Supramonte: vom Schaf zum Wetterfrosch

Schon schön, der Supramonte. Und wie wird das Wetter?
Schon schön, der Supramonte. Und wie wird das Wetter?

Der Blick in die Wetter-App empfiehlt sich bei Exkursionen in den sardischen Bergregionen schon ein paar Tage vorher. Ich nutze mehrere, z. B. die von 3B Meteo, ilmeteo.it, und Windy – daraus ergibt sich meistens ein ganz gutes Bild. Wir haben für unseren Tag die am nächsten gelegenen Orte angeschaut: Dorgali, Oliena und Urzulei, und jeweils ein ganz gutes Wetterfenster vorgefunden: ein Sonne-Wolken-Mix. Dann auch noch ein Blick auf den Wind: Auf der ganzen Insel weht der Nordwestwind Maestrale, im Hinterland mit rund 15 Knoten, an den Küsten mit bis zu 30 Knoten.

Das „Problem“ ist, dass so eine Vorhersage alles heißen kann. Und dass weder Oliena noch Urzulei etwas mit Sa Giuntura, unserem Ziel zu tun haben. Das eine liegt auf der Nordseite des gesamten Gebirges, das andere in einem tiefen Tal mitten im Gebirge. Beide mit ganz eigenen klimatischen Bedingungen. Dorgali passt so gesehen noch am ehesten, weil es in Berge eingebettet ist. Aber nach Norden hat es zum Beispiel auch freie Bahn und dazu die Nähe zum Meer als Einflussfaktor.

Zwischen diesen Orten liegt also Sa Giuntura, unser Ausflugsziel, in einer komplett anderen Landschaft aus Tälern und Bergen, deren Höhe man so auch gar nicht wahrnimmt. Der Startpunkt des Treks liegt in einem Tal, aber auf rund 800 Metern und die Flussläufe selbst nochmal gut 300 Meter tiefer.

Unser heutiges Ausflugsziel: Supramonte di Urzulei
Unser heutiges Ausflugsziel: Supramonte di Urzulei

Insofern werfen wir noch einen Blick auf die Großwetterlage mit Satellitenbildern und Regenradar: Grundsätzlich ist rund um Sardinien kein ausgeprägtes Schlechtwettergebiet zu sehen. Hier und da ein paar Wolkenfelder.

Typisch Frühling am Mittelmeer, eine kleine Wundertüte. Du weißt nie genau, was kommt 🙂

Früh starten wir bei strahlender Märzsonne in Olbia, Klamotten in Zwiebeltechnik. Wir erreichen Dorgali – caffè an der Tankstelle, Benzin bunkern, Reifendruck prüfen.

Die Sonne scheint, über dem Supramonte Richtung Oliena besagter Sonne-Wolken-Mix. Es ist frühlingshaft, einige Blumen sprießen schon und wir sind guter Dinge.

Am Genna Silana dann ein Frühstücksstopp. Da stehen so einige Autos, denn üblicherweise brechen Wanderer von dieser Seite zur Gola Su Gorropu auf. Ich sitze tatsächlich im T-Shirt an die Wand der casa cantoniera gelehnt und knabbere an meinem Brötchen. Und das fühlt sich an wie Sommer! Okay, Sommer in Kiel vielleicht, aber schon warm, ich friere nicht. Letzter Blick auf das Wetter, da es in unserem Trekkinggebiet voraussichtlich kaum Empfang gibt: keine neuen Erkenntnisse.

Langsame Anfahrt in den Supramonte di Urzulei

Die Anfahrt ist schon Teil der Exkursion. Wir biegen von der Landstraße SS 125 noch vor Urzulei hinter einem Bergmassiv in eine kleine Asphaltstraße, auf der einige Steine und Felsbrocken liegen.

Zu unserer Linken liegt das weite, fruchtbare Tal, »Mare di Urzulei« genannt – mitten darin das Dorf Urzulei (mit einigen schönen Murales im für den Ort typischen, realistischen Schwarzweiß-Stil, und berühmt für Sa Murra, das Zählspiel mit den Händen).

Murales eines Adlers vor der Gola Su Gorropu, gesehen am Pass Genna Silana
Murales im „Urzulei-Stil“: Adler vor der Gola Su Gorropu, gesehen am Pass Genna Silana unterhalb der Bar (Künstler: Bruno Pisu, 2019)

Wir fahren quasi um den Berg und passieren ein Tor, das eigentlich immer offen steht. Sollte es mal geschlossen sein, kannst du es einfach aufmachen, durchfahren und wieder zu machen.

Die Asphaltstraße wird bald zu einem Schotterweg / strada bianca. Erst weit, dann enger werdend führt er über das Campu Oddeu, eine weite, baumlose Ebene mit freilaufenden Eseln, Kühen, Ziegen und Schafen. Alles wunderschön, das Sonnenlicht bricht sich hier und da zwischen den Wolken. Wir halten für ein paar Eselfotos.

Auf einen Plausch mit dem Esel ...
Auf einen Plausch mit dem Esel …

Ich steige aus dem Auto und – iiiiiek!!!! Ich werde von einer eiskalten Windbö überrascht, die mir Sand ins Gesicht wirbelt! Das Wetter ist deutlich kühler als auf der anderen Bergseite. Von wegen Frühling – das hier ist Herbst!

Der Sonne-Wolken-Mix ist hier eher wolkig, denn im Schatten des Berges stauen sich die Wolken vom Hinterland und unten wirbelt der kalte Wind alles durcheinander. Sogar die Kühe legen sich hin und ducken sich zwischen den Macchiasträuchern. Die Esel juckt das eher nicht. Schnell zurück ins Auto.

Schon verrückt. Und ein erster Vorgeschmack auf das, was den Supramonte ausmacht: Nach dem Motto „Alles kann, nichts muss“ macht das Wetter entweder was es will oder was ihm die Landschaft vorgibt. Was interessiert die sardische Wildnis eine Wetter-App?! Der Wind treibt die Wolken heran, aber nach der nächsten Kurve sehen wir wieder Blau. Und hinter dem nächsten Tal kann das Ganze wieder anders aussehen.

Schotterstrasse auf dem Campu Oddeu
Schotterstrasse auf dem Campu Oddeu

Wir sind hier, also fahren wir auch zum Ausgangspunkt an der Località Sedda Arbaccas und gucken wie es da ist. Die Zeit, um dort anzukommen variiert – eben je nach Beschaffenheit der Schotterstraße, des Autos und des Wetters. Die Schlaglöcher auf der Schotterstraße gehören dazu, auch die tiefen Kuhlen und Steine, die den Unterboden ankratzen können.

Der Zustand der Straße ist heute schlecht. Eine halbe Stunde geht es bestimmt im Schneckentempo. Das variiert tatsächlich, es gab schon Tage, da bin ich mit dem Panda hier locker-flockig durch gedüst. Das Auto vor uns hat vergessen, die Reifen zu checken und ist recht beladen. Wie weit der wohl kommt …

Alte Bäume als Weggefährten

Die erste Parkmöglichkeit befindet sich an der Brücke über den Fluss Rio Orbisi. Google Maps gibt sie als „closed“ aus, vor Ort ist sie aber frei und passierbar. Wer sein Auto liebt, ein flaches Fahrgestell hat oder nicht weiß, was ihn/sie noch erwartet, bleibt hier stehen. Grundsätzlich führt ein Reifenplatzer oder Abdriften hier im „Outback“ erstmal zu mittelschweren Problemen. Vor allem: Achtung mit dem Mietwagen. Einer unserer Mitwanderer meint, ab hier wäre auch möglich, bis zur Codula Orbisi im Flussbett zu wandern und (mit Kletterausrüstung und -partner) dort weiter zu gehen. Das ist nicht immer ganz einfach, weil Felsen und Wasserstand extrem variieren und man auch auf Steigungen und einige Unwirtlichkeiten eingerichtet sein sollte. Mit ortskundigem Guide, der weiß, ob es zu dem Zeitpunkt, an dem du das vorhast, angeraten ist, aber machbar.

Der frühe Startpunkt verlängert den Trek sicher um eine gute Stunde (hin und zurück), aber über einfache Forstwege (prima zum Aufwärmen). Dieser erste Abschnitt ist auch gut für einen einfachen Trek, Nordic Walking oder Jogging. Auch an sonnigen und wärmeren Tagen, weil er Schatten bietet.

Am Wegesrand finden sich viele alte, hohe Bäume. Einige davon ausgehöhlt, so dass man hineintreten kann. Ein irrsinnig beruhigendes Gefühl.

Ausgehöhlter Baum
Ausgehöhlter Baum – auch er ist Lebensraum

Wir haben in unserer kleinen, handverlesenen Wandergruppe zudem auch Leute, die nicht nur das Ziel, Sa Giuntura, sondern auch die Natur des Supramonte di Urzulei interessiert. Diese Region der Insel ist zwar auch Opfer des Disboscamento, der Entwaldung in den früheren Jahrhunderten, aber in weiten Teilen gibt es noch gesunden Wald. Der Wald hier geht in einen der ältesten Wälder der Insel über, den Foresta di Montes, den man auf einem anderen Pfad in Richtung Orgosolo erreicht.

In diesem Abschnitt finden wir viele hohe alte Bäume, einige zum Draufklettern, andere zum Reinklettern, wieder andere liegen umgestürzt. Sporadisch werden ungesunde Bäume gefällt. Einiges Holz wird abtransportiert, anderes wird liegen gelassen.

Ein schwarzes Schaf im Baum
Ein schwarzes Schaf im Baum

Einige endemische, nur im Supramonte oder Sardinien heimische Pflanzenarten leben hier. Die Peonia, die „Rose des Supramonte“ blüht hier auch, allerdings erst ab April. Wir sind einen Tick zu früh.

Einheimische Pflanzen entlang des Weges
Einheimische Pflanzen entlang des Weges

Besonders beeindruckt hat uns später auf dem Weg noch ein über hundertjähriger, dicker Eibenbaum, ein tasso secolare. Von unten auf „Kuhhöhe“ abgefressen, kann man seinen breiten Stamm umfassen. Er ist wirklich wie ein weises, altes Lebewesen, und wir halten uns gern in seiner Nähe auf.

Insgesamt ist dieser Wald zwar bewirtschaftet, aber er wirkt nicht „geputzt“, sondern wundervoll naturbelassen. Speziell wenn man den Weg mal hier und da verlässt, wird klar, wie sich die Natur entfalten darf. Die Schönheit liegt dabei im Kleinen, in einer Pflanze, in einer Wurzel, in einem Lichtstrahl, in Mooslandschaften. Lediglich an einer Strecke „störe“ ich mich an dem Zaun eines Wildgeheges – der aber die halbwilden Schweine in Schacht halten soll. Was nicht heißt, dass man nicht auch Schweinen auf dem Trek begegnen würde …

Der Forstweg ist teils mit Pflastersteinen ausgebaut (die bei Nässe super rutschig und bergauf nicht einfach zu fahren sind), je weiter du in den Supramonte hineinkommst, wird er zur Schotterstraße oder du fährst / gehst auf Waldboden. Auch hier immer mit Kuh-Verkehr rechnen. Die Herden – inklusive Kälber und Stiere – laufen frei durch die Wälder. Die Tiere sind aber in der Regel friedlich.

Freilaufende Kühe - auch hier keine Seltenheit
Freilaufende Kühe – auch hier keine Seltenheit

Beste Parkgelegenheit ist an einem zentralen Platz, wo die Forstmitarbeiter eine Hütte aufgestellt haben. Danach wird es wieder etwas ruppiger. Nach Sedda Arbaccas schafft man es (natürlich wieder abhängig vom Straßenzustand) mit einem Offroader oder einem beherzten, schwarzschafigen Panda 🙂

Wunderschöne Landschaft, überall im Supramonte di Urzulei
Wunderschöne Landschaft, überall im Supramonte di Urzulei

Gigantische Bauten und geniale Ausblicke

Der Trek ist hier und da mit Schildern versehen. Aber wenn man noch nie da war, sind da, wo man sie vielleicht erwartet, eher keine. Oder nicht so aussagekräftig wie man sie gern hätte. Die sardischen Namen einiger Punkte sagen dem Fremdling eher nichts. Ob man an Weggabelungen auf einem Pfad eher rechts oder links gehen muss, das erschließt sich nicht allen.

Wegweiser im Supramonte: Und wohin nun?
Wegweiser im Supramonte: Und wohin nun?

Und die Beschreibung der Gegend auf der Tafel hilft auch nur Experten, die (verwitterte) topografische Karten oder überhaupt Italienisch lesen können. Um nämlich festzustellen, dass das gar keine Orientierung gibt, weil von irgendwelchen Pflanzen oder historischen Ereignissen die Rede ist.

Sinnvoll ist auf jeden Fall, wenigstens eine ortskundige Person, die schonmal da war, im Team zu haben. Am besten noch einen Guide, denn selbst wer schonmal da war, ist ja privat nicht permanent im Supramonte und auf den gleichen Wegen unterwegs.

Wir sind in einem Abschnitt mit niedrigem Bewuchs angelangt und mein Blick geht gen Himmel. Ich hoffe, einen Adler zu sehen, die in den Wänden des Monte Oddeu an der Rückseite der Gola Su Gorropu nisten sollen und über diesem Gebiet nach Futter Ausschau halten könnten.

Dann lenken mich die Reste eines Gigantengrabes / tomba dei giganti ab. Wieder einmal bin ich beeindruckt, dass hier, am Allerwertesten der Heide solche enormen Bauwerke (wie auch die Nuraghen Mereu und Gorropu) entstanden sind. Dieses Exemplar ist eingefallen, aber die großen Felsen, die verwendet wurden, sind bei genauem Hinsehen gut erkennbar.

Der "tumulus" eines eingestürzten Gigantengrabes / tomba dei giganti
Der „tumulus“ eines eingestürzten Gigantengrabes / tomba dei giganti

Wir haben einen Hobby-Experten für medizinische Pflanzen dabei und er findet genau hier ein Kraut, das „erbagatta“ genannt wird, Katzenkraut. Reibt man es zwischen den Fingern und atmet dann die ätherischen Öle ein, befreit das die Neben- und Stirnhöhlen effektiv, kann aber auch ganz leichte Halluzinatione, Delirien und einige sagen sogar, Visionen hervorrufen. Ich probiere das nur sacht aus – und auch erst zuhause 😉

Hinter dem Grab haben wir eine atemberaubende Sicht. Das Panorama reicht links vom Nuraghen Mereu über ein immergrünes Tal bis über Sa Giuntura und zur Gola Su Gorropu. Irre schön!

Panorama des Supramonte di Urzulei in Richtung Supramonte di Oliena.
Panorama des Supramonte di Urzulei in Richtung Supramonte di Oliena.

Ein bisschen windig, aber im Windschatten eines Felsen und von der Sonne beschienen, ist jetzt und hier ein perfekter Märztag. Über uns ist es blau mit ein paar schnellen Schäfchenwolken. In der Ferne etwas Grau über dem Supramonte di Orgosolo und Oliena. Wir hoffen, dass es da bleibt bzw. an uns vorbei zieht.

In jedem Fall ist hier und jetzt dies der ideale Ort und Zeitpunkt für ein Picknick vor dem Abstieg zu Sa Giuntura.

Sardische Picknicks auf Wanderungen funktionieren so, dass jeder sowohl an sich selbst als auch an die anderen denkt. Man nimmt also mit, was man selbst essen möchte. Wir haben uns Nudelsalat / pasta fredda mit Oliven gemacht und noch ein Panino. Für alle bringt jeder auch noch was mit – Wein oder Gebäck oder Kuchen oder Pecorino oder Mandarinen. Das wird aber nicht organisiert oder gar umständlich abgestimmt. Tja, und so kam es wie es kommen musste: Weder habe ich an Wein gedacht (tatsächlich wegen des Frühaufstehens vergessen) noch hat niemand sonst welchen mitgebracht.

Daher geht diese Wanderung in die schwarzschafige Geschichte ein: als eine der wenigen auf Sardinien, bei der kein Wein als Treibstoff / carburante ausgeschenkt wurde! Unfassbar …

Aber noch unfassbarer ist das, was folgt. Eben saßen wir noch fröhlich und sonnenbeschienen beisammen, als ein gewisses schwarzes Schaf nochmal über den Felsen spähte, um nach besagten Adlern Ausschau zu halten. Tatsächlich glaubt es in der Ferne, rechts vom Nuraghen Mereu einen kreisen zu sehen (zumindest war das ein sehr großes Tier, wenn ich es von meinem Standpunkt noch sehen konnte). Nur leider vor einem dicht grauen Himmel.

Nuraghe Mereu, mitten im Grau-Grün

Das locker-flockige Gewölk, das uns bisher begleitete, ist zumindest am Horizont verschwunden. In den Wolken, die da kommen, steckt viel Wasser, das ist sicher. Frage ist nur, wohin es zieht. Mit jeder Minute wird die Stimmung hinter dem kalkigen Hellgrau aus Richtung Oliena bedrohlicher. Wir packen vorsichtshalber zusammen.

Kurze Krisensitzung: Was tun? Wir wandern erstmal weiter. Der nächste Abzweig führt zu den Piscine Urthaddala, die wir eigentlich noch einbauen wollten. Die kleinen Teiche geben wir als erstes den Hasen.

Dann eröffnet sich das nächste Panorama. Finde nur ich den Supramonte bei „echtem Wetter“ nochmal so schön? Ich könnte ewig hier stehen und gucken … sehe aber auch, wie sich das Blau immer weiter entfernt …

Die "Rückseite" der Gola Su Gorropu ist im Blick ... und von links rückt der Regen an ...
Die „Rückseite“ der Gola Su Gorropu ist im Blick … und von links rückt der Regen an …

Dann die ersten Regentropfen. Wir schlüpfen durch einen Felsspalt in eine Grotte und warten ein bisschen. Zwei Wanderer kommen uns entgegen, wir grüßen sie mit Bären- und Grunzlauten aus unserer Höhle, aber die pinkfarbene Trekkingjacke (in der Jagdzeit sehr praktisch!) einer mitwandernden Yoga-Lehrerin verrät uns als harmlose Wanderer.

Ja, im Supramonte kann man sich gut verstecken ... ob Räuber oder Wildschwein ...
Ob als Räuber oder Wildschwein: Im Supramonte kann man sich gut verstecken …

Weiter geht es, es regnet nur wenig (in Norddeutschland nannten wir das „Mäusepisse“). Der Boden wird langsam aber sicher nass. Der bislang geschmeidige Walk wird hier und da zur Rutschpartie.

Wir blicken immer noch geschätzt rund hundert Höhenmeter vor und unter uns auf das Ziel: Sa Giuntura / die Verbindung, den Zusammenfluss aus Rio Titione, Orbisi und Flumineddu, deren Kräfte über die Jahrmillionen die Gola Su Gorropu gegraben haben.

Die Regenwolke zieht über uns, dahinter öffnet sich kurz der Himmel: ein Regenbogen, direkt vor dem Panorama und der Felswand (aus der ein Wasserfall hinabfällt). Wir hoffen wieder, dass es aufhört und der Regen nur ein kurzes Intermezzo ist.

Spannende Landschaften, und ein Regenbogen über Sa Giuntura
Spannende Landschaften, und ein Regenbogen über Sa Giuntura

Wir steigen weiter hinab, der Weg über Fels und Geröll wird immer rutschiger. Das letzte Schild gab den Abstieg mit 30 Minuten an – und wir sind nach zehn Minuten noch nicht wesentlich vorwärts gekommen. Und dann müssen wir in dem Mistwetter ja auch wieder hinauf …

Was dann kommt, gefällt keinem von uns: „acqua seria“, wörtlich: „ernsthaftes Wasser“ von oben, übersetzbar mit „echtem Regen“. Eine dichte, zudem wieder hellgraue Regenfront bedeutet erfahrungsgemäß, dass da entweder Dauerregen, Hagel oder Schnee im Anmarsch sind. Nichts davon stand in der Wetter-App. Aber die trifft keine Schuld. Es ist hier, mitten in Tälern zwischen den Bergen einer immensen Landmasse mitten im Meer einfach manchmal so wie es ist. Da wird aus vielen kleinen einzelnen Bedingungen plötzlich ein großes Wettergebilde und stört massiv die Trekkingfreuden.

Die Karstlandschaft von Sa Giuntura, und der rückwärtige "Eingang" der Gola Su Gorropu
Die Karstlandschaft von Sa Giuntura, und der rückwärtige „Eingang“ der Gola Su Gorropu

Und tatsächlich haben wir nur wenig Zeit, uns einen Regenschutz zu suchen. Der Aufstieg gestaltet sich äußerst schwierig – wo ich bergab schon teilweise gerutscht bin, finde ich bergauf noch weniger Halt. Mit einem Wanderstock aus herumliegendem Geäst und beherzten Sprüngen aufwärts bin ich bald wieder auf befestigtem Terrain.

Das sieht alles nicht gut aus. Es wird dunkel, aber nicht weil es so spät ist, sondern von Regenwolken. Und vor Ort, mitten in der Natur, nicht wissend, was noch kommt, ist das alles nochmal mehr beeindruckend.

Im Zweifel braucht es gerade in solchen Situationen den Schneid, wieder umzukehren. Wenn im Supramonte Schlechtwetter anrückt, muss man weder sich noch anderen etwas beweisen.

Sa Giuntura von oben muss für heute leider reichen. Läuft ja nicht weg.
Sa Giuntura von oben muss für heute leider reichen. Läuft ja nicht weg.

Wir bestaunen die Schönheit von Sa Giuntura noch ein Weilchen von oben, bis sich vom Herumstehen die Kälte ausbreitet und der Regen einfach nicht aufhören will.

Aber wozu gibt es im Supramonte die Hirtenhütten! So schnell es irgend geht, kehren wir auf dem Pfad zurück. Immerhin ist uns warm, als wir am Cuile Sa Cungiadura ankommen.

Hirtenhütten: ein Cuile für die Rast

Cuile Sa Cungiadura

Der Cuile Sa Cungiadura liegt zwar am Wegesrand, aber schon ein bisschen hinter Bäumen und Gebüsch versteckt, so dass wir auf dem Hinweg erst an ihm vorbei gelaufen sind und uns ein Schild auf ihn aufmerksam machen musste.

Cuiles (in anderen Regionen auch pinettos) dienten früher den Hirten des Supramonte als Rastplatz. Daneben ein ovile / Stall, in dem Schafe und Ziegen über Nacht eingepfercht werden konnten.

Und das schwarze Schaf muss heute auch nicht in den Schafstall … 😉

Heute stehen die Cuiles im Supramonte Wanderern auf Mehrtagestouren zur Rast, zum Essen (Selbstversorgung) und zur Übernachtung zur Verfügung. Zum Beispiel wenn man aus dem Supramonte di Orgosolo kommend vom Nuraghen Mereu (lohnt sich, der grauweiße Nuraghe hat ein geniales Panorama!) zum Nuraghen Goroppu zu Sa Giuntura oder gar in die Gola Su Gorropu wandern (bzw. von dieser Seite aus klettern) möchte. Natürlich verlässt ihn jede:r ordentlich und nimmt vor allem jeden Müll wieder mit.

Die Feuerstelle im Inneren sollte nur von fachkundigen Guides entzündet und gut überwacht werden. Wir schauen uns um. Da steht sogar eine Kaffeekanne – nur hat keiner von uns daran gedacht, Espressopulver mitzunehmen. Und das mit dem fehlenden Wein hatten wir ja schon. Kommt alles mit auf die „Schnellpack-Liste für Wanderungen“, die ich mir an die Pinnwand hänge und beim nächsten Frühaufstehen hoffentlich lese.

„Unser“ Cuile ist trotzdem urgemütlich und heimelig. Draußen tropft der Regen herab und wir vernichten die Reste des Picknicks, sitzen mit dem Rücken an die Steinmauer gelehnt und quatschen über alles mögliche. Die dicken Äste des Wacholderbaums / ginepro kommen uns fast zu schade vor, um einfach ein Dach zu sein. Aber er stammt aus einer Zeit, als sie noch üppiger wuchsen und man verwendet vorzugsweise von Wind oder Tieren abgetrennte Äste oder abgestorbene und vertrocknete Bäume.

Blick aus dem Cuile ... draußen regnet es immer noch.
Blick aus dem Cuile … draußen regnet es immer noch.

„Normalerweise kommt immer einer von den Forstmitarbeitern mit ner Flasche Wein oder Filu vorbei“, sagt irgendwann einer. „Schau doch mal, ob draußen irgendwo ein Filu e Ferru ist“ sagt ein anderer. Denn daher kommt der Name: Früher vergrub man die Flasche mit dem illegalen, hochprozentigen Destillat in der Erde, wickelte zuvor einen Eisendraht herum und ließ diesen ein Stück aus der Erde schauen, um die Flaschen wieder zu finden. Aber nein, da ist keiner zu sehen und auf lange Suche hat bei dem Regen auch keiner Lust. Und bei den wenigen Leuten, die jetzt überhaupt unterwegs sind, steht auch nicht zu erwarten, dass irgendeiner mit seinem Weinvorrat vorbei dackelt.

Für heute war es das: Wir gehen zurück zum Auto. Draußen hat es sich so richtig eingeregnet und langsam wird es auch im Cuile kalt. Die Strecke zurück schaffen wir ohne Probleme. Nur bei zweien weicht die angeblich wetterfeste Jacke irgendwann durch. Mein Regencape, das zur Sicherheit immer im kleinen Daypack ist, ist nicht schick, aber verhindert wenigstens das Durchnässen. Herbstlicher geht es kaum.

Ich bin froh über mein Extra-Regencape (man kann so Wegwerfdinger übrigens trotzdem mehrfach verwenden)

Aber wir bewegen uns schnell auf dem sicheren Forstweg und bald ist uns wieder warm. Am Auto sind die Wechselklamotten (so schlau waren wir alle) höchst willkommen. Jacke aus, warme Socken an, Heizung, Losfahren.

Der Wagen hat tatsächlich noch ein bisschen Mühe, die Schotterpiste wieder hoch zu kommen und die Kurven sind schon leicht ausgewaschen.

Und dann trauen wir unseren Augen kaum.

Schnee. Kurz vor dem Campu Oddeu:

Schnee. Von Frühling bis Winter – alles an einem Tag im Supramonte.

Der Blick aufs Thermometer am Auto: 2 Grad. Vor uns wirbelt der Wind Flocken auf. Nach Frühling, Sommer und Herbst haben wir jetzt also auch noch Winter! Im März auf Sardinien kann dir wirklich alles passieren!

Die allerbeste Ausrede, um sich in einer Bar in Dorgali aufzuwärmen: ein Tee und ein Mirto ist das Gedeck der Wahl. Lütt und Lütt auf Sardisch sozusagen.

Trotz des Wetterpechs ein wirklich wundervoller Tag im Supramonte di Urzulei, mit vielen verschiedenen Eindrücken, die wir an einem „perfekten Trekkingtag“ so vermutlich nicht gehabt hätten. Sa Giuntura läuft nicht weg. Die Tour von Orgosolo und Mereu aus ist bereits geplant – und den Wein vergessen wir auch sicher nicht 😉

Vorbereitung Trekking im Supramonte di Urzulei

Warst du noch nie im Supramonte wandern, schließe dich einer geführten Exkursion an. Aber auch als geübter Sardinien-Wanderer ist ein Guide keine Schande – im Gegenteil, er/sie macht den Trek gerade bei Überraschungen sicherer und entspannter. Auch jemand, der schon mal da war und weiß, wo was ist, ist hilfreich.

Mache dich wegen der spärlichen Wegbeschreibungen vorher auf einer analogen, topografischen Karte mit der Gegend vertraut. Google Maps ist keine Wanderkarte – und vor Ort mangels Handynetz eh nicht erreichbar. Auch auf Trekking-Portalen findest du im voraus Beschreibungen und Wegpunkte.

Beschreibung Sa Giuntura und Urthadalla auf sentierinatura.it und unser Trek auf sentierisardegna.it (beide in italienischer Sprache.

Wenn du von weiter weg kommst (z. B. aus Cagliari oder aus dem Nordosten) und vielleicht noch ein weiteres Wanderziel hast, empfiehlt sich, ein, zwei Nächte zu bleiben. Ich finde als Ausgangspunkt für Touren im Supramonte sowohl Dorgali als auch Baunei sehr praktisch.

Schwarzschaf-Extra-Tipp: Interessant aus naturalistischer Sicht ist auch der Foresta di Montes mit dem Monte Novo San Giovanni, den man vom Supramonte di Urzulei über eine Traversata erreichen kann – was aber definitiv mehr ist als eine Tagestour und nur mit Guide machbar und empfohlen ist.

In eigener Sache: Das schwarze Schaf organisiert Fachreisen zu individuellen Themen. In diesem Fall war der Trek auch eine Art Recherchereise mit Leuten aus meinem sardischen Netzwerk und Freundeskreis zu botanisch interessanten Plätzen. Außerdem ging es um inspirierende, beruhigende oder gar heilende Plätze für Workshops, Detox, Auszeit, Yoga, Relax etc. Alles natürlich, wenn die allgemeine Lage eine sichere Planung erlaubt.

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