Das schwarze Schaf ist mit der Zeit ein echter Fan von Dorgali geworden. Anfangs fand es den Ort eingangs des Supramonte etwas unübersichtlich und hat sich in den Straßen verfahren oder verlaufen.
Heute weiß es: In den zahlreichen kleinen Gassen, auf den Plätzen und in den kleinen Geschäften verbirgt sich so manche Perle. Die man aber – wie so oft – nur findet, wenn man ein wenig verweilt.
Dorgali war immer ein fester Zwischenstopp auf den Schafreisen und Trekkingtouren an die Ostküste. Proviant bunkern kannst du hier sehr gut. Von Wasser bis Wein, von Gummibärchen bis Dolci, von Panino bis Pecorino bekommst du alles, was du auf einer Tour brauchen könntest und sogar in sehr guter, lokaler Qualität (die Gummibären natürlich nicht). Nur Tanken ist hier irgendwie immer etwas teurer als anderswo.
Das schwarze Schaf verbringt nun endlich ein paar Tage in Dorgali und taucht ein in das Dorf, deren Einwohner von sich selbst sagen, man lebe zwischen den Welten: im Norden die Baronie, im Süden der Supramonte, nach Westen das Nuorese und im Osten das Meer.
Eins ist nicht wie das andere, und Dorgali ist mittendrin.
Ein richtig schönes Bergdorf, gelegen auf etwa 400 Meter über dem Meer, was ihm ein tolles Panorama beschert: Eingerahmt von Bergen, geradeaus Richtung Oliena der höchste Gipfel des Supramonte, der Monte Corrasi, leicht rechts der Monte Tuttavista bei Galtelli.
Die Lage am westlichen Hang der beiden Berge Monte Bardia (881 m) und Monte Tului (911 m) ist auch ohne direkten Meerblick super. Und es wäre ja auch gleich da, hinter den Bergen in unmittelbarer Nachbarschaft, rund vier Kilometer Luftlinie entfernt. Mit Cala Gonone gehört auch ein typischer Touristenort zum Gemeindegebiet.
Doch das Meer kann warten. Konnte es schon immer.
In früheren Jahrhunderten war Meerblick einfach überhaupt kein Argument: Die ersten Dorgalesen wählten die Lage im Landesinneren, da sie deutlich geschützter (vor Wetter und Piraten) und das Land fruchtbarer war, als die steile, felsige (wahnsinnig schöne) und zum offenen Tyrrhenischen Meer gewandte Seite der Berge.
Das schwarze Schaf nistet sich in einem B&B mitten im Dorfzentrum ein (Sa Corte Antica, sehr ruhig und ortstypisch) und streift am ersten Abend erstmal in aller Ruhe durch die Straßen, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Ein paar Bars haben noch geöffnet, ansonsten ist es ziemlich dunkel. Doch auch allein in den engen Gassen wirkt der Ort immer noch freundlich und heimelig. Einen großen Anteil daran hat die traditionelle Musik, die durch die Straßen klingt.
Das Schaf folgt den Tönen und gelangt an einen Platz, auf dem ein kleines Fest zu Ehren eines Heiligen gefeiert wird. Erst ist die Fläche ganz leer, dann spielt ein Junge auf dem Harmonium ein scheinbar beliebtes Lied und gleich zehn Paare sind sofort zur Stelle und tanzen – natürlich – den „ballo sardo“.
Erstaunlicherweise sind hier fast ausschließlich die jungen Dorgalesen, alte Leute sind so gut wie gar nicht zu sehen. Die Bar am Rande der piazza ist rappelvoll.
Von wegen, im Hinterland gäbe es ja nichts für Jungvolk. Man feiert gut gelaunt. Nur eben ganz anders als in Milano oder Berlin.
Genau das ist Sardinien: die im Alltag und in allen Generationen verankerten Traditionen. Warum etwas Gutes aufgeben, nur weil es »unmodern« ist? Auf die Idee käme hier niemand.
Am nächsten Tag werden kurz die kleinen Geschäfte in der Via Lamarmora und Corso Umberto zu den Öffnungszeiten beäugt. Die unternehmerische Krise ist durchaus spürbar, nur wenige Geschäfte können sich halten.
Positiver Nebeneffekt: kaum Billig-Asienware und freundliche, zurückhaltende Leute. Keiner will dich zu irgendeinem Kauf zwingen oder drängt sich auf.
Und so kauft sich das Schaf gern zwei Flaschen Wein (der Cannonau di Sardegna Cl. D53 2013 der Cantina di Dorgali wurde aktuell vom Gambero Rosso mit drei Gläsern bedacht) und ein neues T-Shirt (Fehlplanung im kleinen Gepäck) und setzt sich dann in eine der zahlreichen Bars, um die Septemberwärme zu genießen.
Dann wird der Ort weiter erkundet. In Dorgali fehlen zwar große Sehenswürdigkeiten, aber das Schaf will eh nichts „abhaken“. Man hat hier aber (was der Vorabend schon bewies) eine Reihe an Erlebenswürdigkeiten. Was ja viel besser ist.
Und so kommt man hier und da mit Einheimischen ins Gespräch, muss natürlich gegen Mittag schon den ersten Rotwein, den drei ältere Herren auf einem Tisch im Vorgarten zu sich nehmen, ablehnen (was schwer fällt), freut sich an den kleinen Dingen und staunt, mit welchem Affenzahn die Autos durch Gassen fahren, die oft nicht breiter sind als das Gefährt selbst.
Am Nachmittag entdeckt das schwarze Schaf am Ortsrand bei der oberen Umgehungsstraße (Viale Enrico Fermi) drei schöne Wege / Treks:
Der Tag endet mit einem guten Essen am späten Abend. Das schwarze Schaf folgt der Empfehlung ihrer Gastgeberin. Im Il Colibri, in der Via Floris gibt es typisch dorgalesische Küche. Auch Gewöhnungsbedürftiges wie gekochtes Schafsblut findet sich auf der Karte … bestimmt gut, aber irgendwie locken die hauseigenen ravioli dorgalesi dann doch määähr …
Das Ambiente ist etwas hektisch, selbst um halb zehn, als das Schaf ankommt, ist es noch rappelvoll. Der Laden scheint in irgendeinem Reiseführer zu stehen.
Aber das Essen ist gut, das runde Brot aus Dorgali (es heißt wohl einfach pane dorgalese) sättigt, so dass das Schaf schon mit dem ersten Gang Mühe.
Und als die meisten Gäste gegangen sind, hat der Padrone sogar Zeit für einen Plausch mit dem Wolltier und gibt gern das Rezept der Ravioli preis, offriert einen guten Mirto.
Nur wo er den traumhaften geräucherten Schinken kauft, will er partout nicht verraten. Zu gut ist er. „Wenn du ihn essen willst, musst du eben wiederkommen“, grinst er breit.
Das Schaf ist bereit für eine geruhsame Nacht und einen aktiven Tag.
Dorgalis Lage ist perfekt für sternenförmige Ausflüge in die Umgebung. Im Umkreis von 20 Kilometern gibt es bereits so viel, dass du dich in Dorgali durchaus ein paar Tage einnisten kannst, ohne dass es langweilig wird.
Hier ein paar Vorschläge:
Grotta di Ispinigoli – Eine tolle Attraktion, die riesige Höhle aus Stalagmiten und Stalagtiten. Sie wächst seit einigen Jahren nicht mehr – man vermutet, der Klimawandel hat sie quasi trockengelegt. Erforscht ist sie nur wenig, aber mit der 38 Meter hohen Stalagmitensäule in ihrer Mitte ein echter Hingucker. Führungen jeweils zur vollen Stunde. Im Winterhalbjahr auf Anfrage und an Feiertagen.
Quelle Su Gologone – Der Ausgang eines viele Kilometer langen Netzes aus (oft unsichtbaren) Wasseradern im Supramonte. Su Gologone entwässert das Gebirge. Du blickst in den in Grün- und Blautönen schimmernden Schlund.
Fiume Cedrino – Einer der wenigen Flüsse Sardiniens, die ständig Wasser führen. Er entspringt quasi aus der Quelle Su Gologone – eine Traumtour mit dem Kanu.
Oliena – Die etwa 15 Minuten entfernt liegende Nachbargemeinde ist ein Tipp für Weinliebhaber: Die Enoteca der Cantina Sociale Oliena ist liebevoll gestaltet, außerdem gibt es dort den klassischen Cannonau der Region, den „Nepente di Oliena„. Der Ort selbst ist sehr typisch und ursprünglich, und gehört eindeutig schon zur Barbagia.
Valle di Lanaitto – Ein tolles Tal für alle Ansprüche: die einfachen Spaziergänge auf den schattigen Fortswegen führen dich bereits zu einigen tollen Plätzen, z. B. das Nuraghendorf Sa Sedda e Sos Carros, die Grotten Sa Oche e Su Bentu. Ein toller Trek führt auf den Monte Tiscali zum Villaggio di Tiscali in einer eingestürzten Grotte (das Schaf ist die Tour nach Tiscali vom Valle di Oddoene via Scala e Surtana gegangen).
Anstrengend und anspruchsvoller der Trek auf den höchsten Berg des Supramonte, den Monte Corrasi.
Zum Klettern / Canyoning trekken die echten Sportskanonen vom Valle di Lanaitto aus nochmal ein paar Kilometer über einen Berg nach Badde Pentumas.
Valle di Oddoene – Weinanbaugebiet in einem wunderschönen Tal, eingerahmt von hohen Bergen mit vielen kleinen Produzenten (zum Direktverkauf folge einfach den selbstgezimmerten Schildern, achte ein bisschen auf Mittagspausen und Privatsphäre, oft wohnen die Leute auch da wo sie arbeiten und rechnen nicht unbedingt mit Touristen). Von hier aus startet ein Trekkingpfad zur Gola Su Gorropu (alternative anstrengendere Route von Genna Silana an der SS 125) und nach Tiscali (siehe oben).
Cala Gonone – Deutlich touristischer als Dorgali. Nett ist das Panorama oberhalb des Ortes, vom Aussichtspunkt gleich hinter dem Tunnel. In der Hauptsaison irre voll, in der Nebensaison wie ausgestorben. Start der Bootstouren in den Golfo di Orosei.
Golfo di Orosei / Buchten des Supramonte – Bequem erreichst du die Cala Fuili per Auto über die Küstenstraße nach Süden von Cala Gonone. Alle weiteren Buchten sind nur per Boot von Cala Gonone (bzw. einem der anderen Häfen der Umgebung) erreichbar. Von hier aus per Trek gelangst du auf markierten Wegen nur bis zur Cala Luna. Zu allen weiteren Buchten starte besser von Baunei / Altopiano del Golgo. Die Strände im Norden des Golfo di Orosei (z. B. Cala Cartoe, Cala Osalla) sind ebenfalls sehr schön und schon in der frühen Nebensaison so gut wie leer. Fahre zu ihnen am besten auf der superschönen alten zementierten Strasse von Dorgali nach Cala Gonone über den Passo di Irghiriai am Monte Irveri, mit tollem Blick aufs Meer und viel Ziegenverkehr (am Monte Irveri sind einige nicht zu schwere Kletter- und Trekkingmöglichkeiten).
Cala Luna / Grotte del Bue Marino: Eine schöne 2-3-stündige (je nach Kondition / Wetter) Küstenwanderung führt dich zu den beiden „Hotspots“. Auch diese in den Sommermonaten hemmungslos überfüllt, in den Randmonaten oder gar der Nebensaison ein Träumchen!
Buchi Arta – Eine steile Kletterwand für alle Ansprüche, auch Kinder finden hier eine einfach Route. Von der Straße nach Dorgali nimm den Abzweig zum Nuraghen Mannu, die schmale Straße führt oberhalb der Codula Fuili (auch ein feines Kletterziel, erreichbar von der Cala Fuili) entlang, und irgendwann ist der Abzweig Buchi Arte ausgeschildert. Erst noch ein gutes Stück bergauf (traumhaft auch für Mountainbiker oder schon für einen Trek!), dann wieder bergab, der Einstieg zur Wand ist in einem Tal, nicht markiert, erkennbar nur dank relativ viel Platz für die Autos bei ein paar Bäumen – und mit Glück dank anderer Kletterer!
So richtig toll wird Dorgali, je weiter die Nebensaison voranschreitet: Die Dorffeste werden vorwiegend in der Winterhälfte des Jahres gefeiert.
Also, in und um Dorgali gibt es eine Menge zu erleben.
Übrigens: Was die Herkunft des Namens betrifft, ist man sich nicht ganz einig. Etymologisch liegt das Wort „sorga“ bzw. „sorgal“ nahe, für „Quelle“ oder „Brunnen“ aus dem katalanischen Sprachraum, woraus sich in der Zeit der Besatzer „Thorgal“ entwickelt haben könnte. Im Sprachgebrauch in Dorgali und Ollolai findet sich zudem der Begriff „unu durgalu“, der „Kanal“ oder „Ort mit fließendem Wasser“ bedeutet.
Eine zweite Theorie sagt, der Name stammt von einer nahe gelegenen römischen Siedlung Sulcalis („Thurcali“) – wobei das eine das andere nicht zwingend ausschließt.
So oder so: Dorgali ist eine unbedingte Schwarzschaf-Empfehlung für den nächsten Urlaub!
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Sigrid Hering
18. Juni 2019 at 16:57Danke! Das war schön, mal etwas über Dorgali zu lesen. Mirgeht es mit dem Ort wie von dir anfangs beschrieben. Ich war schon ein paarmal dort, aber bin immer nur „irgendwie“durch die Straßen geirrlichtert.
Jetzt ist meine Neugier geweckt und ich werde mal einen Flossenschlag länger dort bleiben 🙂
Liebe Grüße aus Bremen
Sigrid von o-solemio