Urlaub in einem echten Künstlerhaus. In einem, das so ist, wie der Künstler es erlebt hat. Stilvoll und inspirierend. Natürlich auf Sardinien. – Als ich von Giulias exklusivem Charme B&B Mario Cesare in Gergei hörte, war mir klar: Bei nächstbester Gelegenheit, wenn ich Inspiration oder eine kleine Auszeit brauche, muss ich da hin!
Gedacht – und bald getan. Ich und mein Freund gönnten uns nach viel Arbeit ein paar ruhige, entspannte Tage zu zweit.
Aber ich bin ja auch ein schwarzes Schaf – und so ist das hier nicht nur ein simpler Übernachtungstipp für einen Pärchenurlaub. Mal abgesehen davon, dass es dem Haus nicht gerecht werden würde, habe ich einiges über den Ort Gergei und den mir zuvor komplett unbekannten Künstler Mario Cesare (* 1925 / _ 2012) erfahren.
Daran mag ich euch gern teilhaben lassen.
Gergei gehört zur historischen Region Sarcidano. Der Ort ist klein, hat etwa 1150 Einwohner, in der Architektur ist (wie im mittleren Süden üblich) ein unaufdringlicher, ländlicher Reichtum sichtbar, der natürlich verfällt, vereinzelt aber herausgeputzt wird. Das Dorf hat viele schräge, verwinkelte Straßen. Ein echtes, sardisches Dorf eben.
Es wirkt in sich gekehrt, ja. Der Trick ist, sich genau daran anzupassen. Sich die Stille und Langsamkeit zu eigen zu machen. Wer wie jeder gute Tourist zur Mittagszeit ankommt und niemanden auf den Straße sieht, denkt vielleicht fälschlicherweise: „Hier gibt’s ja nix“. Oh, wie falsch man liegen kann!
Die Schätze sind nur (wie bei Schätzen so üblich) eher auf den ersten Blick unsichtbar. Und das ist gut so.
Auch ich streife zu Fuß durch Gergei, Zeit ist eh kein Argument in diesen Tagen. Kurz nach Mittag ist es herrlich still und es gibt wenig zu tun. Ideal, um sich einzustimmen.
Gibt man sich dieser Ruhe hin, nickt dir bald eine Dame im Vorbeigehen zu, grüßt ein Herr, springt eine Katze von der Mauer, tönt ein Hund aus einem Innenhof, sehen dich ein paar Eidechsen neugierig an.
Touristische Infrastruktur braucht hier kein Mensch, ein paar Schilder reichen. Denn es liegt alles auf der Hand. Wer bleiben will, findet in Gergei und den Nachbardörfern alles, was für einen schönen Urlaub wichtig ist.
An einigen Plätzen und Kreuzungen öffnet sich der Ort und lässt Raum für Begegnungen. Hier und da gibt er Impulse in Form von Kunst und Wandgemälden. Einige Murales sind übrigens Mario Cesare gewidmet (Bericht mit Video auf Videolina in italienischer Sprache).
Bis zum Ortsrand gehe ich, sehe über die weiten, goldgelben Felder und bereits der kleine Spaziergang entspannt mich zutiefst. Ein Murales im Ort thematisiert den einsamen, tristen Hirten, der (wohl schwer erkrankt) hinter seinen seinen Schafen her über die sonnengetrockneten Felder läuft, während das Dorf fröhlich ein Fest feiert.
Die Sonne scheint auch heute, es ist sehr warm. Zurück im Dorf drücke ich mich an einer der hohen Mauern aus Stein entlang, die die Häuser vor neugierigen Blicken schützen.
Ein weiteres Wandgemälde mit einem tollen Kontrast aus einem leuchtenden, erdigen Rot als Grund und Schwarzweiß-Motiven rezitiert ein wirklich schönes Gedicht von Mario Cesare:
Suonava l’armonica a bocca / ricordo là nella distesa valle / dove l’acqua del fiume / filtrava tra i cannetti ingialliti / e muggiva un vitello.
E l’armonica suonava / motivi lontani nel tempo / che l’eco ancora mi giunge / qua su dove riposo / col fianco sul muto colle.
E taciti alla memoria / si portano sul filo dei ricordi / gioni ormai sepolti / sotto una valanga di vita / che volge ora a ponente / e tutto si porta dentro / libera lasciando la mente / perché il processo finale si compia.
(Text: Mario Cesare / Murales: Giuseppe Schirru)
Die Mundharmonika. Gergei, 2020
Er spielte die Mundharmonika / ich erinnere mich, dort im weitläufigen Tal / wo das Wasser des Flusses / durch das vergilbte Schilf sickerte / und ein Kalb muhte.
Und die Mundharmonika spielte / Melodien aus weiter Ferne, / dass das Echo mich noch erreicht, / hier oben, wo ich ruhe / auf der Seite liegend auf dem stummen Hügel.
Und wortlos zum Gedächtnis / tragen sie am Faden der Erinnerungen / Tage, die nun begraben sind / unter einer Lawine des Lebens / die sich nun nach Westen wendet / und alles in sich trägt / und den Geist frei lässt / um den letzten Weg zu vollenden.
(Übersetzung des Textes von Mario Cesare: Nicole Raukamp)
Entstanden ist das Wandgemälde mitten in der Pandemie 2020. Die Entstehungsgeschichte und was ihn inspiriert hat, erzählt uns der Künstler Giuseppe Schirru in diesem Video auf Youtube.
Beschäftigen wir uns noch ein wenig mit dem Künstler. Dazu gehe ich in sein Haus zurück. Denn da wohne ich ja in diesen Tagen.
Zwar wurde Mario Cesare 1925 in Grenoble geboren, doch als er neun Jahre alt war, zog die sardische Familie, als die politische Lage auf dem Kontinent schwierig wurde, nach Gergei, den Geburtsort seines Vaters.
In dem kleinen Haus der Familie lebte Mario Cesare hier mit seinen Eltern und zwei Brüdern Antonio und Paolo in nur zwei Zimmern. Er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens hier – bis auf zwei Jahre Militärdienst war er immer in Gergei.
Als der Vater schon ein Jahr nach der Rückkehr auf die Insel starb, kümmerte die Mutter sich allein um die drei Söhne Antonio, Mario und Paolo.
Die künstlerische Ader des Mario Cesare zeigte sich früh, doch eine Ausbildung blieb ihm verwehrt: Er musste bereits als Junge arbeiten, da die finanzielle Situation der Familie nicht einfach war. So half er den Hirten und Landwirten des Ortes und arbeitete als Handwerker, Maler.
Der Kunst widmet er sich erst ab Ende der Sechziger-Jahre.
Er experimentierte erst mit Pinsel und Leinwand, entwickelte dann seine Technik und arbeitete dann mit einem Spachtel und schuf später auch Skulpturen.
Seine ersten Ausstellungen und Anerkennung findet er 1974 in Cagliari sowie 1975 in Sassari und Iglesias. Im Folgejahr schuf er im Auftrag der Gemeinde Gergei eine Sandstein-Skulptur auf dem Platz am Ortseingang (Piazza Monumento) in Gedenken an die gefallenen Soldaten des Dorfes.
1977 bis 1984 ist wohl die für das Haus interessanteste Zeit. Mario Cesare stellt nicht mehr öffentlich aus und zieht sich die Intimität des kleinen Gemäuers zurück. Es wird mehr und mehr zum Atelier.
Mario Cesare galt als „schwierig“. Ein Mensch und Künstler, der die Öffentlichkeit scheute. Er malte und zeichnete und wirkte als Bildhauer, blieb aber bis auf wenige Ausnahmen außerhalb seines Dorfes unsichtbar.
Ich finde Mario Cesare auch deswegen interessant. Und, weil er irgendwann die bildende Kunst sein lässt und zu schreiben beginnt.
Vielleicht hatte er das Gefühl, es wäre genug und etwas anderes verkümmere in ihm – so empfand ich es mal, als ich zu viel schrieb: Buch, Blog und auch im Job hatte ich eine „textlastige“ Phase. Da war Bedarf an Bildern, nicht an Worten und ich griff zu Farbe und Pinsel. Bei Mario Cesare war es vielleicht genau anders herum.
In den kleinen Künstlerhaus hingegen konnte ich mir gut vorstellen, ein Weilchen zu bleiben und in aller Seelenruhe zu schreiben. Vielleicht frage ich Giulia mal, ob sie mir das Häuschen im Winter für mein nächstes Buchprojekt vermietet.
Einige seiner Texte sind schlicht, andere sind sehr profund. Die Sprache ist sehr klar und es braucht keine Interpretation, wohl aber ein Hineindenken, um für sich selbst den tieferen Sinn des Geschriebenen zu finden.
Umso wirrer seine Zeichnungen, bei denen das Auge erstmal ankommen und das Motiv finden muss. Mit gefallen sie. Und es ist ein genialer Kontrast zu seiner Poesie.
Einige poetische Sammlungen von Texten werden noch veröffentlicht und ein Buch über ihn geschrieben (von Salvatore Serci). Doch das kleine Haus scheint ihn vereinnahmt zu haben.
Ich weiß nicht wie, aber das Haus scheint die Seele des Künstlers zu bewahren.
Als ich darin wohne, ist der Wunsch, im Hier und Jetzt zu verweilen, sehr präsent. Zufrieden sein mit dem, was da ist. Sich selbst genug sein. Die Stille aushalten und in sich hinein horchen. Mal nichts konsumieren und dem Kopf erlauben, die Probleme des Lebens allein zu lösen. Nur Kleinigkeiten wie einen sich am Lavendel labenden Käfer sehen.
Sich dem schönen Nichts hingeben. Für andere unsichtbar werden.
Genau das macht dieses Künstlerhaus zu einem perfekten Rückzugsort für eine kleine Auszeit.
Theoretisch, auf dem Papier ist das Mario Cesare ein B&B. Doch das erste B ist deutlich mehr als ein Bett. Es ist ein Zuhause, das unsere Gastgeberin Giulia geschaffen hat und in dem es sich ganz wunderbar schlafen, leben und urlauben lässt. Und das zweite B ist hier der Himmel auf Erden.
Das Schöne an dem Haus: Es ist wie der Künstler fast unsichtbar.
Man sieht es von der Straße nicht. Ein unscheinbares Mäuerchen mit Gartentor ohne jedes Schild lässt nicht einmal ahnen, was für ein Schatz sich hier verbirgt.
Und auch als wir ein Stück durch den kleinen Garten, unter einem rankenden Wein hindurch und vorbei an einer Reihe Lavendel gehen, versteckt sich das kleine Künstlerhäuschen immer noch hinter Bäumen. Es möchte unsichtbar sein.
Und dann werden auch wir unsichtbar, indem wir uns einfangen, verzaubern und in der Zeit zurücktragen lassen.
Das alte, gedrungene Haus hat unsere Gastgeberin, Giulia Lai vor dem Verfall bewahrt. Sie hat die Renovierung geplant und zusammen mit ihrem Vater selbst und mühevoll umgesetzt.
Die Innenausstattung hat sie mit viel Liebe zum Detail, Wissen über den Künstler und Respekt vor seiner Geschichte und der Historie des Ortes erdacht und gestaltet.
Alles ist neu gemacht. Die Kunst ist, das Haus dabei sozusagen „alt aussehen“ und doch im Heute sein zu lassen. Also es so zu zeigen, wie der Künstler es erlebt hat, die Stimmung von damals und die Seele zu bewahren – und den Gästen im Heute ein hohes Maß an Stil, Schönheit und Komfort zu bieten.
Das ist nicht einfach. Zumal die Exklusivität hier nicht künstlich mit Luxus oder teuren Möbeln geschaffen wird, sondern im Gegenteil auch das Interieur schlicht und vor allem echt bleiben sollte.
Die wahren Preziosen sind andere. Einige wenige Antiquitäten haben das Haus nicht verlassen und stehen noch in den Räumen. Viele Gegenstände aus dem Besitz des Künstlers sind noch da und erzählen Geschichten. Wie ein Paar Schuhe, das er trug.
So ist auch die Holzleiter noch da, die Mario Cesare zuerst bei seiner Arbeit als Maler, später als Staffelei für seine Bilder nutzte und an der er die Leinwand befestigte. Ja, sie fängt Staub. Ja, sie ist alt und nicht mehr brauchbar. Nein, man kann sie nicht restaurieren. Nein, man kann sie nicht durch ein schickes praktisches Möbel ersetzen.
Nur so, wie sie ist, erzählt sie ihre Geschichte richtig. Sie ist wichtig für das Haus.
Da sind die schief hängende Lampe. Der knarrende Stuhl am Frühstückstisch. Die Aussparung in der Wand, in der eine kleine Skulptur steht – so ungleichmäßig, wie die Steine es vorgaben.
So hat unser Bad auch einfach keine Tür, weil es damals gar kein eigenes Zimmer dafür gab. Wir arrangieren uns gern mit diesem Umstand, das ist ganz einfach.
Die Tür in den Garten hinter dem Haus ist winzig, wir müssen drei Stufen hinauf, uns bücken und landen mit den Füßen direkt im Gras. Andere Bauherrinnen oder -herren hätten hier vielleicht einfach die Wand durchgebrochen und eine bequeme Tür mit schicker Veranda eingebastelt.
Ich mag das Haus genau deshalb – weil es so ist, wie es war. Weil es einzigartig ist. Und weil es hier Dinge gibt, die uns ganz natürlich aus unserer Komfortzone holen. Weil wahre Exklusivität eben auch nach echter Privatsphäre und etwas Einzigartigem verlangt.
Nichts, was ich hier sehe, stünde (oder passte) in eines der Luxushotels an der Costa Smeralda oder der schicken Resorts in den herausgeputzten Touristendörfern mit hauseigenem Strand. Doch ich würde um nichts in der Welt tauschen wollen.
Ich wache früh, aber ausgeruht auf und gehe nach vorn in den Eingangsbereich.
Die große Glasfläche in der blauen, schlichten Haustür lässt so viel Licht wie möglich in das kleine Häuschen. Die Bienen sind auch schon wach und summen durch den Garten. Die Wiese ist noch nachtfeucht. Das pure Idyll.
Nein, so schnell gehe ich hier nicht wieder weg.
Das eigentliche Wunder ist, dass in der Einfachheit und Schlichtheit des Hauses so viel Einzigartiges, Heimeliges und Schöpferisches steckt. Und das ist das Wunderwerk von Giulia.
Von der sardischen Gastfreundlichkeit haben wir alle schon gehört – und viele glauben, sie schon erlebt zu haben, wenn sie in einen besonders netten Agriturismo weilten. Aber ich wage zu behaupten: In Giulias Mario Cesare findest du die Kirsche auf der sardischen Gastfreundschafts-Torte.
Ich habe wirklich in den letzten 15 Jahren schon sehr, sehr viele schöne Gasthäuser und gastfreundliche, besondere Menschen getroffen und muss sagen: Hier findet das Wort Gastfreundschaft einen neuen Sinn. Giulia ist zu Gästen nicht nur freundlich – sie schließt Freundschaft mit dem Gast. Das passiert spontan, ganz natürlich und ungezwungen.
Giulias Präsenz und ihre Wärme geben uns das Gefühl, hier Zuhause zu sein. Und sei es nur für ein paar Tage.
Ich kannte sie schon zuvor, das ist sicher wichtig zu erwähnen. Aber ich weiß von anderen Gästen, die sie nicht kannten und es ganz genauso empfanden.
Giulia kommt morgens in die kleine Küche und während wir uns nochmal in dem gemütlichen Bett umdrehen, etwas lesen und duschen, kocht sie den Kaffee.
Sie kümmert sich persönlich um die Gäste in den beiden Zimmern. Reist man, wie wir, als Paar, reserviert sie das ganze Haus, damit die Privatsphäre gewahrt bleibt.
Sie bereitet die Eier von ihren eigenen Hühnern, erntet und wäscht die Trauben aus dem Garten. Frischen Ricotta hat sie auch mitgebracht, den macht die Familie selbst. Auch die selbst gebackene Torte ist ein Gedicht. Und das Frühstücks-Spiegelei erst …
Auf dem Tisch steht alles, was die Region und die Jahreszeit hergibt. Das, was Giulia einfällt und worauf sie Lust hat, es zuzubereiten.
Bei schönem Wetter sitzen wir draußen im Garten unter dem schattigen Feigenbaum. Selbst bei leichtem Regen schützt er. Zur richtigen Reisezeit könnten wir die Früchte direkt vom Baum in unseren Joghurt geben.
Reste werden wie zuhause in den Kühlschrank verfrachtet oder Giulia nimmt sie mit zu sich nach Hause. Manches finden wir am nächsten Morgen mit anderen Köstlichkeiten kombiniert.
Wünsche? Dinge, die man gar nicht mag? Kein Problem. Aber uns fällt nichts ein. Was sollten wir uns auch noch extra wünschen?!
Extrapunkt (und da können sich andere B&B und Hotels bitte was abgucken): kein Plastik, kein unnötiger Müll, kein Einweg- und Wegwerfkram.
Ja, das alles ist aufwändig, kostet täglich viel von Giulias Zeit und uns Gäste den ein oder anderen Euro mehr. Ich bin mir sicher: Es gibt viele Gäste, die den Gegenwert zu schätzen wissen.
Für mich haben die Tage im Mario Cesare in Gergei jedenfalls darüber hinaus einen spürbaren, inneren Wert.
Im Haus eines Künstlers ein Zuhause zu finden, abzuschalten, tief zu schlafen, gesund zu essen und mich von der Hektik der Welt da draußen zu lösen – das war eine der schönsten Auszeiten, die ich mir je gegönnt habe.
Lieben Dank, Giulia, dass du das Haus des Künstlers wiederbelebt und sichtbar gemacht hast.
Design by ThemeShift.