Sant’Antoni e Su O’u – Sant’Antoni de Su Fogu – Sant’Antoni de su Ohu – Falò di Sant’Antonio – Festa dei Fuochi … schon sprachlich gibt es für die Feuer von Sant’Antonio feine Unterschiede, je nach Ort und Region.
Inselweit (und genau genommen sogar in weiten Teilen Südeuropas) lebt der Brauch, am 16./17. Januar zu Ehren des Heiligen Antonius Feuer zu entzünden (der 17. Januar gilt als sein Todestag in der ägyptischen Wüste); sie werden in Italien daher auch Antonius-Feuer genannt.
Auf Sardinien, in der Inselmitte, ist das Fest nicht nur ein religiöses Fest, sondern integriert eine antike Tradition und ist etwas ganz Besonderes: Mit „Sant’Antoni e Su O’u“ beginnt der traditionelle Maskenkarneval der Barbagia.
Auf Sardinien finden sich viele kleine und große Orte, in denen Holz zusammengetragen (manchmal mit geschmückten Karren) und zu großen Haufen getürmt wird. Diese Haufen haben verschiedene Namen: Sas Tuvas, Sas Frascas, Sos Focos, Su Fogarone, Su Romasinu oder Su Foghidoni.
Manchmal siehst du die Feuer auch bei Ställen, Höfen, bei Weinbauern oder auf privaten Ländereien. Denn der Heilige Antonio ist der Schutzpatron der Landwirte und Tiere.
Feuer und Rauch sollten das Böse abwehren und waren in früheren Zeiten aber auch ein Mittel gegen Krankheiten. Eine ganz praktische Sache, um infizierte Verbände, Decken, Kleidung etc. zu entsorgen, oder Betten, auf denen jemand gestorben war, mit ins Feuer zu geben. Häufig wurden auch Ställe in dieser Zeit neu gebaut oder ausgebessert. Heute werden schon in den Monaten vorher Holzmöbel und -reste oder überflüssiger Bewuchs auf dem Land gesammelt, um Platz für Neues zu schaffen.
Eine Zeit des Neuanfangs, mitten im sardischen Winter.
Für die Dorfgemeinschaft waren die Feuer willkommene, wärmende Inseln in der kalten Jahreszeit. Eine Gelegenheit, Zeit gemeinsam zu verbringen und den Zusammenhalt zu stärken.
Wer das heute noch erleben möchte, ist zum Beispiel in Abbasanta gut aufgehoben, wo ein sehr inniges Fest gefeiert wird und sich das ganze Dorf stundenlang rund ums Feuer trifft. Man spricht und erzählt sich alles, was so passiert ist und was man so vor hat. Und die selbstgemachten Dolci die verteilt werden, sind sagenhaft …
In vielen Orten backen die Frauen jetzt besonderes Gebäck. »Sas Cascheddas« aus Mamoiada zum Beispiel sind kleine Kunstwerke aus Mürbeteig und Honig, liebevoll in vielen Stunden von Hand gearbeitet. Die süßen Geschenke werden auf den Plätzen um die Kirchen Feuer herum an alle verteilt.
Dem folgt oft ein kleiner Becher Wein, der von innen wärmt.
Nachrangig sind die Feuer natürlich auch ein Symbol für das Austreiben des Winters, das liegt quasi auf der Hand, ist aber unterm Strich zu einfach. Die Ursprünge des Festes von Sant’Antonio verlieren sich ein bisschen im Nebel der Zeiten. Aber ganz sicher geht es um Riten aus vorchristlicher Zeit.
Aber, es ist eben auch an einen katholischen Festtag zu Ehren des Heiligen geknüpft – und so ist das Fest heute eine Vermischung des christlichen Glaubens mit den antiken, überlieferten Riten der Landbevölkerung.
Natürlich ist der Glaube wichtig, sonst gäbe es ja das Fest nicht. In den Kirchen wird am 16. Januar von dem heilig gesprochenen Mönch Antonio also der Segen für Mensch und Tier erbeten. Kann ja nicht schaden. Der Tag wird »Sa Die de su Pesperu« genannt. Der religiöse Aspekt wird auf Sardinien nicht vordergründig, sondern zurückhaltend im Stillen zelebriert. Im Jahr 2021 wird allerdings zum ersten Mal ausschließlich der christliche Teil gefeiert, Pandemie lässt grüßen.
»Su Pesperu«, die Vesper, ist am 16 Januar. Wer mag, reist schon mittags an und erlebt so auch den christlichen Teil. Definitiv ein Fest für die älteren Dorfbewohner, aber auch junge Familien finden immer mehr Gefallen daran.
In Mamoiada zum Beispiel: Die Messe wird in der Kirche Beata Vergine Assunta gefeiert. Danach kommen der Priester und die Gläubigen mit der Statue des Heiligen aus der Kirche heraus, der Priester segnet das auf dem Kirchplatz Feuer und sie umrunden es dreimal.
Das ist der einzige Moment, in dem das Fest auch auf den Außenstehenden kirchlich wirkt. Die festliche Einheit wird unterschiedlich gehandhabt: In Mamoiada ist Su Pesperu nachmittags am 16., und die Mamuthones erscheinen erst am Folgetag. In Ottana hingegen treten die Boes e Merdules direkt nach der Prozession am Abend des 16. heraus. Für den Besucher beherrschen dort eher die dörflichen Traditionen die Szenerie.
Vor allem aber markiert das Feuer von Sant’Antonio in der Barbagia den Beginn des traditionellen, sardischen Maskenkarnevals und die antiken Riten sind für alle, die das noch nie erlebt haben, mega beeindruckend.
Beeindruckend ist Sa Prima Essia / das erste Erscheinen – im Inselinneren, in der Barbagia.
Zum Beispiel in Ottana. Am 16. Januar sieht man die Boes e Merdules um das riesige, unterhalb der Dorfkirche aufgebaute Feuer ziehen. Die fabelhaften, handgeschnitzten Holzmasken am Feuer zeichnen ein beeindruckendes und authentisches Bild Sardiniens.
Noch urtümlicher beginnt die Zeit des traditionellen Maskenkarnevals in Mamoiada (am Nachmittag bis in den späten Abend des 17. Januar).
Dorfbewohner und Gäste beobachten den ersten »Auftritt« der Mamuthones e Issohadores. Der Mamuthone gehört zu den ältesten überlieferten Masken der Insel. In Mamoiada ist die Tradition seit das Dorf existiert, lebendig und durchaus eine ernsthafte Angelegenheit. Die antiken Riten sind bis heute aktiver Bestandteil der Dorflebens und ein Mamuthone sein, ist quasi eine innere Berufung.
Ihr schwerer Glockenschmuck, der bei dem gemeinsamen Tanz ums Feuer einen archaischen, starken und dem Normalreisenden völlig unbekannten Klang ertönen lässt, die dunklen Kostüme und die schwarzen Masken mit verzerrten Gesichtszügen, die im Licht des Feuers kaum von dem Dunkel der Nacht zu unterscheiden sind, die archaischen Laute, die weit durch alle Gassen des Dorfes klingen …
Das lässt keinen unberührt.
Und mancher, der das zum ersten Mal erlebt, kann es kaum einordnen. Von ganz weit her scheint der Klang zu kommen und er trifft direkt in die Seele.
Die Bedeutung dieses Festes hat Salvatore Cambosu in seinem Werk „Miele Amaro“ beschrieben:
»Carrasecare maccu, de peccados unu saccu, d’allegria fattu e margura.
Ieri notte, 16 gennaio, l’allegra catasta bruciò in piazza per tutti.
Oggi, diciassette, come ogni anno e dal tempo dei padri, è tornato il carnevale.È tornato con i prigionieri muti: vecchi prigionieri muti, vecchi cattivi vestiti alla rovescia, con la cintura di campanacci e la collana di sonagli. Dura, di duro legno o di sughero è la loro maschera di lutto. Camminano a passo di bue aggiogato e sotto peso; scuotono a colpi di spalla le loro sonagliere, ora con questa ora e lo squillo è uno solo.
Dice la sonagliera: «È finita, è finita».
Dure, giovani guardie li circondano, che solo di tanto in tanto prendono al laccio l’amata o gli amici che guardano dai margini della strada il triste armento che passa.«
Der erste Satz in Sardisch bedeutet etwa (sehr holprig übersetzt): Verrückter Karneval, ein Haufen Sünden, ununterbrochene Freude und Wehmut …
Der weitere Text aus „Miele Amaro“ (Bitterer Honig) spricht von der Ausgelassenheit, die auf dem Platz herausbricht; von dem Karneval, der mit den „alten stummen Gefangenen“ mit ihren Masken aus leidenden Gesichtern wiedergekommen ist; von den Feuern, um die die Mamuthones im Takt des Schrittes von Ochsen unter einem schweren Joch tanzen; von den vielen lauten Glocken, die wie ein einziger Ton durch die Straßen klingen; von den Wächtern, den Issohadores, die sie umgeben und die mit ihrem Lasso die Geliebten und Freunde fangen, während die traurige Herde weiter zieht …
Tatsächlich verbindet sich die spürbare Freude des Festes mit einer tief verwurzelten Melancholie Sardiniens. Emotionen so dicht und stark, wie du sie vielleicht lang nicht gespürt hast. Selbst wenn du nur kurz hineinspähst.
Für jeden Besucher eine Reise in längst vergessene Zeiten und die Tiefen der sardischen Seele.
Die Feuer in der Barbagia brennen vom 16. über den 17. Januar, und dann bis in die tiefe Nacht. Manche wärmen noch am 18. Seele und Körper. Wenn du also ganz eintauchen willst, dann sind das ideale Reisedaten für den Januar.
» Hier ein paar Termine, Orte und »Überlebenstipps« für Sant’Antonio vom schwarzen Schaf
Lohnenswert ist, wenn du bereits die Vestizione / das rituelle Ankleiden ansiehst.
In Ottana gibt es ein großes Feuer in der Dorfmitte. Die Boes e Merdules sind alle dort und verteilen sich ggf. anschließend. Nicht selten, dass man sich plötzlich mit einem Merdule in der Dorfbar wiederfindet …
In Mamoiada ist das etwas komplexer: Zwei Gruppen Mamuthones ziehen durch das Dorf zu etwa 40 Feuern. Einige sind groß, andere sehr familiär und in diesem Jahr hab ich sogar ein kleines gesehen, das extra für die Kinder gemacht wurde.
Es gibt zwei Strategien: Du folgst den Mamuthones (zusammen mit einer Horde anderer Leute). Wenn du nicht so viel laufen magst, oder dich irgendwo wohl fühlst, dann bleib einfach an einem der Feuer stehen. Die Mamoiadini werden dich gern in ihre Gemeinschaft aufnehmen.
Diejenigen, die sich schon auskennen, gehen gleich zu irgendeinem Feuer, das dir gefällt (dazu empfiehlt es sich, am Vortag schon einen kleinen Rundgang gemacht zu haben).
In Kontakt kommen hängt vor allem an dir selbst: Am besten lächelst du jemanden an. Vor allem die Damen, die das traditionelle Gebäck auf einer Platte trägt an und darfst dir was davon nehmen. Das Gebäck muss aufgegessen werden, also keine falsche Scheu.
Dann kommt früher oder später jemand mit Wein vorbei. Je nachdem zu wie vielen Feuern du gehst, hast du einiges zu tun. Ablehnen ist nicht leicht: Das Spiel geht so: Vino? (Wein) – No Grazie. (Nein danke, lächelnd) – Ha detto „si“? (Haben Sie „Ja“ gesagt?) – No, grazie (Nein danke, eher grinsend) – Ah, ha detto di sì! Va bene! (Sie haben „Ja“ gesagt! Sehr gut!) – No … (Nein … still und leicht verzweifelt) – Siiii (Jaaaa!) – Zack, hast du den Becher Wein auch schon in der Hand.
Trick, um einigermaßen „heil“ durch Sant’Antonio zu kommen: Nur einen kleinen Schluck trinken und dann den noch halb gefüllten Becher in der Hand behalten. So wird maximal aufgefüllt, wenn überhaupt.
Bleibe auf jeden Fall bis zum 18. und ziehe vielleicht durch irgendein anderes Dorf im Nuorese oder in Sardinien: Die Stille am nächsten Morgen, wenn whiskyähnlicher Geruch von verbranntem Holz in der Luft liegt, ist einmalig.
Dann vertiefe das Kennenlernen der Region und reise ein bisschen in der kargen winterlichen Landschaft umher.
Die Tage im Januar sind oft schön und die Einheimischen geben dir gern Tipps, was du ansehen könntest. Vielleicht finden auch vor oder nach Sant’Antonio spezielle Exkursionen und Wanderungen statt, das jeweilige »Pro Loco« ist die richtige Anlaufstelle.
Bei schlechtem Wetter locken die Museen, wie das ethnische Museum und das Maskenmuseum in Mamoiada – beide klein, aber fein – oder aber das MAN in Nuoro und das Museo Nivola in Orani.
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
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Béatrice Marti
8. Januar 2015 at 12:34Vielen Dank für diesen wiederum sehr informativen und mit Genuss zu lesenden Artikel.
Ein weiterer journalistischer Leckerbissen mit Gehalt, der so leichtfüssig daher kommt.
Wie ein reichhaltiges Gourmetmenu, bei der jeder Bissen auf der Zunge vergeht und man danach gesättigt, zufrieden und voller neuer Energie ist!
Ich freue mich auf viele weitere, bei denen ich gleichzeitig mein Wissen über die Insel erweitern kann, auf der ich seit einem Jahr lebe.
Herzliche Grüsse aus Milis
Silke
21. Januar 2021 at 13:00Liebe Nicole
dein Beitrag lässt mich wieder in Galtellì sein, wo ich letztes Jahr den ganzen Winter verbrachte und auch beim Fest zu Ehren des Sant‘ Antonio dabei war. Den ganzen Tag lang wurde sorgsam vorbereitet. Viele helfende Frauenhände schälten Unmengen an Kartoffeln und Zwiebeln für das Festessen am Abend mit 400 Leuten.
Auf dem Hof des patrone ging es laut und umtriebig zu, es herrschte riesige Vorfreude. Zwei Schweine (mindestens) wurden von den Männern geschlachtet und alles draußen frisch zerlegt.
Andere schichteten Tage zuvor das Holz für das riesige Feuer auf und wurden traditionell mit einem Riesenpack an ganz frisch belegten Broten versorgt, die schnell mal fix im Dorfladen zubereitet wurden. (Brötchen mit Mortadella oder Salami, wie immer ohne Grünzeug oder Dressing).
Das Abendessen der Dorfgemeinschaft fand ich sehr rustikal schön und unkompliziert. Schweinebraten mit dicken weißen Bohnen. Wenn ich mir überlege, wie eng wir da alle zusammenrutschen mussten….herrlich!
Zu der Zeit war anlässlich der Literaturtage eine Gruppe internationaler Schriftsteller im Ort, 40 Leute, alle vom Bürgermeister persönlich auch zum Fest geladen. Und da muss ich wieder schmunzeln. Eine Australierin übernahm sich ‚etwas‘ beim guten Cannonau und wurde schlafend! am Straßenrand auf der Straße nach Dorgali gegen 1 Uhr morgens zufällig aufgegabelt und zum Glück heil nach Hause gebracht. Sie selber wusste davon nichts mehr am nächsten Tag.
Diese Anekdote fiel mir beim Lesen ein und wird auch von den Galtellìnesen grinsend erinnert.
Also… Immer ein großes Schlückchen Wein im Plastikbecher übrig lassen!
Liebe Grüße, Silke
pecora nera
21. Januar 2021 at 16:23Schöne Geschichte – Danke dafür 🙂
Das mit dem Wein ist so ne Sache, ich hab mich „akklimatisiert“ 😉
… und auf Plastikbecher müssen die hier eh mal verzichten, ist ne echte Unsitte. Zum Glück gibt es mittlerweile ein Verbot, so dass mindestens mal recyceltes genutzt wird.
In diesem Jahr hatte Sant’Antonio – man muss schon sagen: Dank Corona – etwas sehr Familiäres, fast Besinnliches. Das war sehr, sehr schön.
Wir freuen uns aber natürlich auch aufs nächste Jahr, wenn hoffentlich wieder in Gemeinschaft gefeiert wird.