„Die Bottarga schmeckt nirgends so gut wie in Cabras (Càbras). Trägt man sie auch nur nach Oristano, verliert sie an Geschmack. Mit jedem Kilometer, den sie sich von dem Ort, an dem sie gewonnen wurde, entfernt, wird sie gewöhnlicher. Sie passt sich ihrer Umgebung an.“
Antonio, der zum Konsortium lokaler Fischer gehört, beschreibt das „Gold von Càbras“, die lokale Spezialität: Rogen der Meeräsche / muggine aus dem See um die Ecke. Dem folgt natürlich subito ein Loblied auf die ganze Stadt und die Sinis-Halbinsel. Doch doch, es ist wirklich ganz entzückend hier, in der Stadt am See. Das schwarze Schaf hat schon längst beschlossen, ein paar Tage zu bleiben.
Während er alten Zeiten nachhängt, halte ich das Ganze zunächst für eine Marketing-Masche – und den Grund, warum der Kilopreis auf der Waage gerade über 200 Euro schnellt und es 52,50 Euro für etwa 220 Gramm erscheinen.
Dann überlege ich. Warum sollte das ein Kaufargument sein, wenn das, was man hier kauft, auch nur hier richtig gut sein soll? Wär ja viel schlauer zu sagen, dass es ewig haltbar ist und ewig gut und man deswegen gleich ein ganzes Kilo kaufen könnte …
Das Nachdenken hat schnell ein Ende. Denn dummerweise hat der Mann recht. Die feine Scheibe Bottarga auf einem Stück Brot mit Olivenöl ist die Beste, die das schwarze Schaf je gefuttert hat.
Nach den gestrigen Gnocchetti alla Bottarga con Carciofi (Artischocken) im Restaurant um die Ecke – die der Grund waren, warum ich den Fischhöker, Entschuldigung, weniger despektierlich: die Peschiera de Pontis (» www.consorziopontis.net), überhaupt aufgesucht habe.
Ernsthaft, ich habe schon vorher Bottarga gegessen, aber die „echte“ ist der schlichte Wahnsinn.
Und als es im nächsten Supermarkt mal genau auf die kleinen Gläschen sah, stellte ich fest, dass die meiste Bottarga aus dem Atlantik kommt und industriell auf dem italienischen Festland verarbeitet und abgefüllt und nur über sardische Gesellschaften vertrieben wird. Wie soll die den echten Geschmack des Sees haben?
Die von Fischern aus Càbras gefertigte, gesalzene, an der Luft getrocknete und hier und heute frisch gehobelte Bottarga. Die ist das einzig wahre. Keine andere. Schlicht, gut, mit Klasse. wie die Stadt selbst.
Tja, und seit heute ist der Gaumen des schwarzen Schafs verwöhnt und gnadenlos.
Naja, immerhin kauft es nicht den Superiore (bei der Bottarga gibt es ähnliche Qualitätsunterschiede wie beim Wein), aber der Meeräsche-Rogen in Cabras-Qualität ist – von einfach bis superbe – schlicht der Hit.
22 Euro wandern über die Theke. Auch nicht billig. Aber dank des Schocks zuvor hat sich das nun relativiert. Und Kaviar – nichts anderes ist die Bottarga – kostet nunmal ein bisschen mehr als ein Mettigel.
Schlau, diese Cabresen. Oder dummes Schaf? Na, sicher nicht! 20 Euro wurden schon sinnloser unter die Leute gebracht als hier.
Und es glaubt wirklich: Den Leuten geht es nicht primär darum, Touristen etwas zu einem horrenden Preis anzudrehen. Sie wehren sich sicher nicht dagegen und verramschen auch nichts.
Aber: Sie wollen vor allem ihre Kultur und die Bottarga vor einem Schicksal als globalisiertes Industrieprodukt retten.
Hier geht es um nichts weniger als die Bewahrung der Fischerkultur der schönen Stadt am See.
Cabras liegt am See, dem Stagno di Cabras, einem der fischreichsten Seen in ganz Italien. Eine Oberfläche von über 2.200 Hektar, und nimmt 20% des Gemeindegebietes ein – ist aber nur maximal 3 Meter tief.
Er tauscht jährlich 100 Millionen Kubikmeter Wasser, die vom Monte Ferru herabkommen, mit dem des Meeres, das über fünf Kanäle hereinströmt.
Dort, wo der Rio Mare Foghe ankommt, ist das Wasser naturgemäss am süssesten, in den südlichen Kanälen am salzigsten. Der Grund des Stagno liegt übrigens ca. 10 Meter unter dem Meer. Mit den anderen Seen formiert sich der Stagno di Cabras zu einer riesigen Lagune auf der Sinis-Halbinsel.
Und auch die Muggine, die Meeräsche, fühlt sich in dieser natürlichen Hydraulikanlage ziemlich wohl, genauso wie Seebarsche (spigola), Karpfen (carpa) und Aale (anguilla).
Flamingos leben in seinen flachen Wassern und finden paradiesisch viel Nahrung aus Salinenkrebsen und hereingespültem Meeresgetier.
Trotz dieses Reichtums kommt es vor, dass man hinausschaut und kein einziges Fischerboot sieht.
Die gute Nachricht: der See und seine Vielfalt werden geschont und der Fischerberuf wird nur von wenigen ausgeübt, die dem See nicht schaden können.
Die schlechte Nachricht: Weil der Fischerberuf kein Einkommen mehr sichert, stirbt er langsam aus. Und mit ihm verliert die Kultur einer ganzen Stadt an Substanz.
Aber, es gibt Fischereikooperativen auf den Seen – Stagno Pontis, la Peschiera Pontis, Pischeredda, Sa Madrini – auch wenn seit den 70er-Jahren durchaus Probleme zu verzeichnen waren und die Zahl der Fischer zurückgeht. Doch viele kleine Motorboote starten weiterhin früh morgens und kehren gegen 10 Uhr mit ihrem Fang wieder zurück.
Und die neue Fangstation am Ende des großen Kanals zum Meer hin soll sogar wieder sehr gut funktionieren.
Die traditionellen Boote aber sieht man fast nur noch auf Bildern, Wandgemälden und alten Fotografien.
Im See von Cabras wurde in früheren Zeiten die traditionelle Fischerei über eine Art „Fangsystem“ aus mehreren Kammern betrieben. Aus Schilf wurden „Becken“ dort gefertigt, wo auch bei Ebbe ausreichend Wasser im See steht.
Die Fische schwammen mit der Strömung durch die Öffnungen hinein, konnten aber bei Hochwasser (der Unterschied macht hier ca. 50 cm aus) mit der einsetzenden Gegenströmung nicht so leicht wieder hinaus. Dann kamen die Fischer auf ihren Booten heran und holen den Fang heraus.
Das antike Boot, mit dem sie auf dem See fischten, war „Su Fassoi“ bzw. „Is Fassonis“. Um 1600 sollen sie das erste Mal gebaut worden sein. Man baute sie aus dem Material, das man in direkter Umgebung vorfand: Schilfrohre („feu“).
Zuerst konstruierte man eine Art Kiel und band dann lange Schilfrohre fest daran zusammen – und zwar unten die dicken und die sich nach oben verjüngenden Enden des Schilfes. Das ergab, wenn man fertig war, eine schmale Spitze – den Bug – und ein breites Ende – auf dem der Fischer Platz hatte.
„Su fassoi“ ist etwa 4 Meter lang, und das dickere Ende 90 cm breit. Auf circa 25 – 30 cm Höhe wird das Schilf gebunden.
Man mag es kaum glauben, aber das Teilchen schwimmt – und selbst wenn jemand darin sitzt, hat es kaum Tiefgang. Praktisch, um auch bei niedrigen Wasserständen zu den Fangkammern zu kommen.
Und es sah eben im Ergebnis aus wie ein „halbes Boot“, vom Bug bis zur Mitte. Im alten Ägypten nutzte man ähnliche Boote. Ob das nun einen Link zu Sardinien erlaubt, sei dahin gestellt. Vermutlich wuchs dort schlicht das gleiche Material und die Idee, daraus ein Boot zu basteln, ist nun auch nicht ganz so weit hergeholt.
Man fischte natürlich nicht nur auf dem See, sondern auch auf dem Meer. Das zeigt eine kleine Fotoreportage, die auf der Piazza Stagno, dem weitläufigen Platz am der Kirche Santa Maria Assunta gegenüberliegenden Ende unter freiem Himmel, installiert wurde.
Die Kirche selbst ist übrigens ein architektonisches Stil-Wirrwarr, mit zwei daneben stehenden Türmen, die in ihrer Hässlichkeit der Schönheit des Ortes keinen Abbruch zu tun vermögen. Wie auch immer sie das schaffen.
Auf dem See selbst haben längst modernere Boote und Fangmethoden Einzug gehalten. Nein, insgesamt ist da nix mehr mit Fischerromantik.
Aber das macht nichts.
Denn die Schöne und der See können ganz gut mit sich selbst.
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Hans-Peter Bröckerhoff
21. Mai 2015 at 12:09Cara Pecora Nera,
danke für den schönen Bericht über Cabras, das Dorf, das in den letzten drei Jahrzehnten zu meiner zweiten Heimat geworden ist.
Die Bottarga ist wirklich einzigartig, aber nicht nur die. Auch die Muggini selbst (also die „Bottarga-Lieferanten“) aus dem Stagno sind eine Gaumenfreude, ob gegrillt (übrigens nicht geschuppt und nicht ausgenommen) oder gekocht oder als traditionelle Merca zubereitet. Verständlich, dass Muggini und Bottarga in meinem Kochbuch „Die Küche Sardiniens“ eine wichtige Rolle spielen.
Die Fischereikooperativen auf dem Stagno funktionieren übrigens immer noch recht gut – auch wenn in den vergangenen Jahren durchaus Probleme zu verzeichnen waren und die Zahl der Fischer zurück geht. Aber die kleinen Motorboote starten weiterhin früh morgens und kehren gegen 10 Uhr mit ihrem Fang wieder zurück. Und die neue Fangstation am Ende des großen Kanals zum Meer hin soll sogar wieder sehr gut funktionieren.
Auch wenn das Dorf selbst nicht wirklich schön ist, lohnt es sich, hierher zu kommen. Aus kulinarischen Gründen, seit kurzem wegen der Giganti (den wohl wichtigsten archäologischen Funden der Insel in den letzen 50 Jahren) und weil die zur Gemeinde gehörende Sinishalbinsel mit ihren vielfältigen Stränden nicht nur schön, sondern wunderschön ist.
Weiterhin viel Erfolg mit Eurer Website!
Saludi e trigu
Hans-Peter Bröckerhoff
http://www.sardoro.de
nicole
21. Mai 2015 at 14:00Vielen Dank für den Kommenta und die Blumen 🙂
Ich war so frei, den Absatz zu den Kooperativen auch im Text oben zu übernehmen, das passt ja ganz gut.
Ansonsten finde ich Cabras tatsächlich schön, auf jeden Fall ist der Anblick von der Westseite über den See klasse, die Kanäle sind im Abendlicht ein Traum und in den Gassen der Stadt ist es durchaus hübsch. Einen kleinen Faible für Verfall muss man na klar haben, aber das gilt ja fast für die ganze Insel.
Verstehe jedenfalls sehr gut, wenn man in der Region leben mag. Alles Gute!