Als D. H. Lawrence und seine Frau Frieda von Richthofen mit dem Zug von Cagliari kommend in Mandas einfuhren, war es kalter Januar. Sie tranken Tee aus einer Thermoskanne, und die Landschaft auf dem Hinweg hatte den Schriftsteller eher an Cornwall erinnert, als an Italien. Sardinien sei ganz anders, sehr viel weiter und einfacher, kein Auf und Ab, sondern laufe in die Ferne.

»La Sardegna è un’altra cosa. Molto più ampia, più dimessa, per niente su e giù, corre via in lontananza …«

(aus »Das Meer und Sardinien« von D. H. Lawrence)

Hier im südlichen Teil der Insel ist die Landschaft im Winter und Frühling tatsächlich üppig grün und lieblich-hügelig … Nur heute, bei 37 Grad Hitzefahrt durch die ockerfarbenen, abgeernteten und verdörrten Felder, präsentiert sich mir ein ganz anderes Bild. Rauchschwaden am Horizont lassen Ungutes erahnen, doch es stellt sich heraus: Da brennen nur die Landwirte die Stoppeln ab, um das Land für das nächste Jahr vorzubereiten. Eine uralte, landwirtschaftliche Methode auf Sardinien. Die Asche dient als Dünger und bei quasi Null Wind und kaum Vegetation rund um die Felder ist das machbar.

Überhaupt, uralt. Ich bin quasi auf den Spuren der britischen Reisenden. Und so ist auch mein Ziel für heute Mandas, in der historischen Region Trexenta. Mein Gasthaus ist die Antica Locanda Lunetta (www.anticalocandalunetta.it). Das alte Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert mitten im historischen Zentrum / centro storico ist heute ein B&B di Charme, das die Bezeichnung völlig zu recht trägt. Es ist ein Ort, der nicht nur Dichter und Denker beflügelte, sondern auch einer der dich in eine Zeit mit Werten und Traditionen trägt, die der moderne Mensch fast schon vergessen hat.

Ich trete ein, durch …

… ein Tor in die gute, alte Zeit

Ein sofortiges Willkommen: Eingang der Antica Locanda Lunetta in Mandas

Das große, schwere Eichentor steht offen.

Ich trete in den Innenhof, oder vielmehr: in einen »Innengarten« mit duftenden Pflanzen, die eine grüne und blühende Oase gegen die Wüstenhitze außerhalb der Mauern bilden. Eine lauschige Musik trifft auf die schwarzschafigen Ohren und ich weiß nach nicht einmal einer Minute: Hier bin ich Willkommen.

Von Steinmauern umgeben, verbindet dieser Garten die uralten Gebäude zu einem heimeligen Ort. Er ist nicht groß, aber geschickt genutzt. Kleine romantische Fluchten und gemütliche Leseplätze erwarten dich. Tatsächlich ist die Antica Locanda Lunetta mein Geheimtipp für eine kleine Auszeit, um sich selbst etwas Gutes zu tun und seinen Gedanken nachzuhängen.

Aber, Achtung: Romantikalarm! Alles lässt sich natürlich auch ganz prima in der Gesellschaft des / der Liebsten geniessen.

Die Antica Locanda Lunetta ist definitiv was für Romantiker.
Die Antica Locanda Lunetta ist definitiv was für Romantiker.

So oder so: Ab jetzt ist Urlaub, und sei es auch nur für ein paar Tage!

Ich atme die Atmosphäre früherer Zeiten und weiß definitiv: Hier werde ich mich wohl fühlen. Und da kannte ich meine Gastgeber und mein Zimmer noch gar nicht!

Das ergibt sich bald: Barbara tritt mit einem weltbewegenden Lächeln aus dem Haus und hält den 2020 obligatorischen Abstand, ohne mir auch nur im Geringsten fern zu sein. Sie weiß schon bei Ankunft meinen Namen (was meinem letzten B&B an der Küste auch nach fünf Tagen noch egal war) und begrüßt mich, als wäre ich schonmal da gewesen. Sie freut sich ehrlich, das merke ich, über die Komplimente zu dem Haus, die sie bestimmt schon tausendmal gehört hat.

Familienerbe »Gastfreundschaft«

Ich fühle mich wie bei ihr Zuhause. Tatsächlich ist das auch fast so: Die Familie wohnt im hinteren Teil des hübschen Anwesens. Der Gast ist ganz nah dran. Und dabei schaffen meine Gastgeber in den nächsten Tagen einen ganz großen Spagat (den nicht alle sardische Familien drauf haben): Wer Familienanschluss will, bekommt ihn – es ist immer jemand für dich da, wenn du das möchtest. Wer Privacy will, bekommt die. Alles kann, nichts muss. Du entscheidest.

Und wie gesagt, ich spüre das in den ersten paar Minuten, die ich in diesem Gemäuser bin. Wir gehen hinauf zu meinem Zimmer – oh, und ich liebe diese naturbelassenen Steine und die hohen Räume, garniert mit modernen Elementen.

Alles atmet die Atmosphäre von Annodazumal, ohne im Geringsten verstaubt zu sein. Ich frage nach D. H. Lawrence und sie erzählt mir unprätentiös, was ich wissen möchte.

»Das Gasthaus, in dem Lawrence mit seiner Frau wohnte, gehörte meinem Urgroßvater. Es lag direkt an der Bahnstation, und war das einzige im Ort. Mit der Antica Locanda Lunetta knüpfen wir an diese Geschichte an. Wir wollten den Geist jener Zeit in dieses Haus, ins Heute holen.«

Barbara, meine Gastgeberin

Oh, und wie das gelungen ist! Calogero Lunetta, so der Name ihres Ur-Großvaters, der einst aus Sizilien nach Sardinien kam, ist also ehrenwerter Namensgeber für das elegante, alte und geschichtsträchtige Haus.

Calogero und Dondina Lunetta, mit ihren vier Kindern (Fotografie mit freundlicher Genehmigung der Antica Locanda Lunetta, Copyright)
Calogero und Dondina Lunetta, mit ihren vier Kindern (Fotografie mit freundlicher Genehmigung der Antica Locanda Lunetta, Copyright)

Ich habe das Buch, das der berühmteste Gast Sardiniens über seine Reise geschrieben hat, »Das Meer und Sardinien«, natürlich mitgenommen (zu sprachlichen Übungszwecken in italienischer Sprache, daher kann es sein, dass meine Übersetzung etwas holprig und eben nicht wie in der deutschen Fassung ist) und lese das Kapitel über Mandas. Als Lawrence und seiner Frau zur Nacht gegen den Hunger noch einige Brötchen gebracht wurden, beschrieb er das so:

»Eravamo commossi … Queste piccole, delicate generosità sono quasi scomparse nel mondo.« / »Wir waren berührt … diese kleinen, großzügigen Gesten sind heute auf der Welt fast verloren.«

Nur zur zeitlichen Einordnung: Lawrence schrieb diese Worte 1921. Was sollen wir denn heute sagen?! Und darüber freue ich mich auf Sardinien immer wieder. Denn was sich bei den Sarden seit der Jahrhundertwende wirklich kein bisschen verändert hat, ist diese spezielle Art der Gastfreundschaft, dieses uneingeschränkte Gastgeber-Sein. Ob du nun wie damals auf der Durchreise bist oder ganz entspannt für einen ausgiebigen Relax-Aufenthalt bleibst: zu wissen, dass Leidenschaft hier Prinzip ist und schon immer so war, tut sehr gut.

Ich glaube, auch Calogero und Dondina würde sehr gefallen, wie ihre Nachkommen heute in Mandas diese traditionelle Sorge für den Gast interpretieren und mit wieviel Herzblut sie dem alten Vorbild folgen.

Und die Ahnen wären sicher beeindruckt, in welch schönem Ambiente die Gäste heute wohnen. Denn natürlich waren Hotels und Zimmer früher sehr viel schlichter und weniger komfortabel – verglichen mit der Reise kurz nach dem Ende des ersten Weltkrieges ist das Heute geradezu luxuriös!

Historische Zimmer mit modernem Touch

Mein feines Zimmer, in dem ich mich absolut wohl fühle!
Mein feines Zimmer, in dem ich mich absolut wohl fühle!

Das Haus ist so, wie es ist. Originalgetreu restauriert und in der Innenausstattung braucht es keinen Schnickschnack, man legt Wert auf hochwertige, feine Dinge, spielt mit alten und neuen Elementen.

Mein Zimmer ist den historischen Vorbildern nachempfunden, natürlich mit modernen Mitteln erweitert, ich habe ein schönes Bad und ein funktionierendes WLAN (im Hinterland auch nicht immer selbstverständlich) und finde alles sehr gemütlich. Barbara hat den Raum wegen der Hitze extra ein wenig herunter gekühlt. Eine Wohltat. Wäre jetzt Winter und es draußen deutlich kühler, würde man sicher auch dafür sorgen, dass es warm ist.

Ich sehe mir am nächsten Tag auch das Zimmer meiner „Mitbewohnerin“ an, und ein weiteres. Alles sehr schön. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass D. H. Lawrence und seine Frau den Komfort von heute ebenfalls geschätzt hätten.

Tiefe Stille und ein sehr schönes »Nichts«

Das kleine Fenster meines Zimmers geht zur Straße raus und als ich spät abends nach einem ereignisreichen Tag wieder »nach Hause« komme, schaue ich auf die orange beleuchtete Gasse, freue mich über Hunde und Katzen, die herumstreunen, genieße die Stille.

Mandas by night
Mandas by night

Da gibt es eine Passage im Buch, als Frieda von Richthofen fragt:

»E Mandas, è bella?« – »Bella in che modo?« – »C’è qualcosa da vedere?« – »Polli.« – … – »Che cosa si fa qui?« – »NIENTE! A Mandas non si fa niente! A Mandas si corica col buio, come le galline.« …

»Und Mandas, ist das schön?« – Schön in welchem Sinn?« – »Gibt es etwas zu sehen?« – »Hühner.« … »Was macht man denn hier?« – »NICHTS! In Mandas macht man nichts. In Mandas legt man sich wenns dunkel wird, wie die Hühner hin zum Schlafen.«

Ich muss grinsen, denn tatsächlich ist es sehr dunkel (es lohnt auch der Blick zum Himmel!) und wirklich nicht viel, also eher NICHTS los in Mandas. Kein Huhn und auch keine Menschenseele weit und breit.

Aber was soll ich sagen? Es stört gar nicht. Im Gegenteil. Diese tiefgreifende, intensive Ruhe ist hier und jetzt perfekt. Mir fällt das berühmte italienische »Bel Niente« ein, das »schöne Nichts«, oder: die hohe Kunst, einfach das Sein zu genießen. Diese Stille des Ortes spiegelt sich in der inneren Gelassenheit wider, mit der ich am nächsten Morgen zum Frühstück im Garten schlendere.

Tolles Frühstück im Grünen :)
Tolles Frühstück im Grünen 🙂

Natürlich gibt es das Beste, was die Gastgeber und die Region haben: von einem frisch gebackenen Kuchen über Honig und Mandeln bis zu Schinken und Käse. Alles bei Kilometer Null in herausragender Qualität produziert. Ich bin das auf Sardinien ja fast gewohnt, aber es in einem Gasthaus im Inselinneren in dieser rigorosen Perfektion vorzufinden, ist schon eine beeehsondere Erwähnung wert.

Und außerdem, wirklich – und ich liebe die Locanda allein dafür: Kein Gramm Plastik, nicht ein abgepacktes Fertigprodukt. Auch das Wasser kommt in Glasflaschen. Nachhaltiger, natürlicher und bewusster Urlaub geht genau so. Danke, danke, danke. Das ist wirklich wichtig!

So viele natürliche Ecken, in denen es sich herrlich entspannen lässt ...
So viele natürliche Ecken, in denen es sich herrlich entspannen lässt …

Als ich am nächsten Nachmittag zurück komme, liegen auf dem Boden aromatische Kräuter. Ich atme Minze, Rosmarin, Oregano. Wo bitte, macht noch jemand sowas? Am Abend ist eine kleine, feine Gesellschaft gebucht, von der ich Teil sein darf (dazu demnächst an anderer Stelle mehr). Was für eine schöne Idee, uns so zu empfangen. Ich zweifle nicht daran, dass wer so detailverliebt ist, mit weiteren Überraschungen aufwartet.

»Siamo così.« ist Barbaras schlichte Antwort, als ich sie am Ende meines Aufenthaltes, oder eher: meines Da-Seins, für ihre tollen gastgeberischen Qualitäten lobe. Sie meint damit sich und ihre Landsleute, und ja: Sie stapelt damit zwar tief, aber es ist wahr. Ich bin in dieser Region noch nie, wirklich niemals, von irgendjemandem oder irgendeiner Unterkunft enttäuscht worden. Und erst recht nicht hier und heute.

Ich würde gern länger bleiben, aber ich weiß leider erst hinterher, wie schön es hier war. Vorher war ich der Meinung, zwei Nächte reichen. Schon auf dem Weg nach Olbia wächst meine Sehnsucht, zurückzukehren. Insofern:

Was, wenn nicht eine absolute, hundertprozentige, schwarzschafige Empfehlung für die Antica Locanda Lunetta. Ich komme immer gern wieder!

Da, wo ein schwarzes Schaf in einer Nische steht, kann ich nicht anders als das gut finden!
Da, wo ein schwarzes Schaf in einer Nische steht, kann ich nicht anders als das gut finden!

Ich kann nur sagen: Wer wirklich »landestypisch« und »nah an Land und Leuten« auf Sardinien urlauben mag, wird hier wunschlos glücklich. Mir fehlt die Antica Locanda Lunetta jedenfalls schon jetzt und ich freue mich auf das nächste Mal.

Um deinen Urlaub in der Locanda zu buchen, hast du mehrere Möglichkeiten. Am besten ist na klar der direkte Kontakt:

Tausend Dank, Grazie mille!

Kleines Nachwort und Infos zur Region

Wenn ich solche Perlen finde, macht es mich tatsächlich ein bisschen traurig zu sehen, dass es nicht permanent ausgebucht ist. Und das sogar jetzt in der Hauptsaison, wenn die Insel voller Touristen ist.

Und vor allem, dass der einzige Grund ist, weil es eben nicht an der Küste liegt und keinen Strand vor der Haustür hat.

Die Antica Locanda (und viele andere Gasthäuser dieser Art) macht ja alles richtig: Ein solches alt ehrwürdiges Haus mit so einer tollen Geschichte, einer so abwechslungsreichen Umgebung (unten ein paar Ideen), mit so wunderbaren, leidenschaftlichen und ehrlichen Gastgebern hätte es absolut verdient, on top of the list zu stehen – noch vor jedem schicken Sterneschuppen an der Küste.

Perfekten Service (wobei das Wort zu banal ist für das, was du hier bekommst), tief empfundene sardische Gastfreundschaft ist nur dort spürbar, wo die Sarden leben und dich in ihr Haus einladen.

Ich hingegen lade alle ein, die für ihren nächsten Sardinienurlaub ein Hotel mit „Strandzugang“, „Pool“ und „Meerblick“ suchen, genau darauf zu verzichten. Es ist ja nur zu eurem Besten 🙂

Die Region: Trexenta, Marmilla, Sarcidano

Highlight in der Region: Eine Fahrt mit dem Trenino Verde, hier über die alte Brücke am Stausee bei Isili
Highlight in der Region: Eine Fahrt mit dem Trenino Verde, hier über die alte Brücke am Stausee bei Isili

In der Region gibt es so viel zu sehen und zu entdecken, dass du das Meer gar nicht vermissen wirst. Alles in rund einer halben Stunde Autofahrt zu erleben:

Und falls dich doch die Strandsehnsucht packt, ist das Meer ja nie ultraweit weg. Mein Tipp von Mandas: Fahre runter nach Cagliari, an den Poetto oder nach Chia / Pula. Alles in so bummelig einer Stunde erreichbar – und dann geht es abends wieder nach Hause, nach Mandas 🙂

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2 Comments

  1. Sigrid Hering

    15. August 2020 at 12:59

    Wundervoll. Das ist das Wort, das mir nach dem Lesen einfällt. Nicht nur, weil di diesen Ort so liebevoll und detailliert beschrieben hast, das schon beim Lesen die Sehnsucht danach wächst… Wundervoll, das es diese Orte immer noch und immer wieder in Sardinien gibt. Diese besondere Insel, mit ihren besonderen Menschen.
    Wo die Gastfreundschaft zu Hause ist.
    So schön!
    Danke für den tollen Tipp und die gefühlvolle Beschreibung!
    Ich werde diesen Tipp an all die weitergeben, die gerne das Inselinnere erkunden möchten :-). Es gibt sie zum Glück. Die die sich nicht nur Meer und Strand, sondern auch für das Hinterland interessieren.
    Danke
    Sigrid von o-solemio

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  2. Thomas R.

    1. Dezember 2020 at 15:01

    Aus dieser Beschreibung spricht eine tiefe Liebe zum Land, seiner Bevölkerung und Kultur. Kein oberflächlicher Flirt. Und dann schreibt Nicole einfach wunderbar feinsinnig, teils witzig und hin und wieder ein klein wenig sarkastisch. Eine gute Mischung, würzig und animierend.

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