Ein Tag am See. Wie es wohl ist, einen ganzen Tag aufs Wasser zu sehen? Von hier, von dort, von weit oben, von der Uferkante, vom Steg, vom Weg? Das schwarze Schaf will’s wissen und fährt in den mittleren Süden der Insel.

Lago del Medio Flumendosa

Lago del Medio Flumendosa

An zwei der schönsten Stauseen Sardiniens sollte das klappen. Sie liegen gleich nebeneinander, im Sarcidano, im mittleren Südosten der Insel: der Lago Mulargia und der Lago del Medio Flumendosa.

Die Frage, was „schaf denn da machen kann“ ist heute irrelevant und wird nur mit Selbstverständlichkeiten beantwortet: Gucken. Sitzen. Entspannen. Freuen. Doch doch, da geht noch mehr (siehe ganz weit unten).

Aber für heute reicht „nichts“.

Nach dem frühen Frühstück trabt das schwarze Schaf aus seiner Bleibe, dem OmuAxiu in Orroli.

Doch nicht zu weit. Gleich hinter dem Dorfausgang nimmt es links eine schnittige, schmale Teerstrasse. Der Wegweiser zeigt zu einem Hotel, daran fährt es gepflegt vorbei, zwischen Kuhweiden zum Rand des Sees.

Der erste See: Lago del Medio Flumendosa

Die Straße endet an einem kleinen Parkplatz, von dem aus das Schaf zu Fuß weiter geht. Hinter ihm kommen zwei Jeeps an. Jäger. Es trabt vorsichtshalber etwas schneller.

Die Schotterstraße ist gesäumt von Felsen und Feigenkakteen. Sie führt in einigen Kurven hinab zum Seeufer. Die Morgenluft ist frisch, die Sonne wärmt die Steine, das lockt Eidechsen hervor.

Blick auf den Lago del Medio Flumendosa

Blick auf den Lago del Medio Flumendosa

Der erste Blick auf den Lago Medio del Flumendosa ist überwältigend.

Von der Straße ist der See fast unsichtbar. Und jetzt, dieser Blick in seine wassergefüllten Schluchten – als gäbe es nichts anderes außer ihm.

Der Wind spielt mit der Wasseroberfläche und pfeift um die Hänge, das dunkle Grün der bewaldeten Hänge verstärkt den Eindruck von Tiefe.

Bereits nach einigen Minuten ist es wie im Taumel. So schön ist es hier!

Neben dem Cactus Quartett wird es langsam wach. Während die vier Feigen ein kleines, leises Ständchen trällern – oder waren es doch die Singvögel im Buschwerk am Hang? – staunt das Schaf über den künstlichen See.

Cactus Quartett del Flumendosa

Cactus Quartett del Flumendosa

1958 wurde der Mittellauf des Flusses Flumendosa (der zweitgrößte Sardiniens) unterbrochen. In mühevoller Arbeit errichtete man die Diga, den 119 Meter hohen Staudamm am südlichen Ende der Schluchten vor Escalaplano.

So entstand der Lago del Medio Flumendosa auf 268 Metern über dem Meer.

Knall! Pfeif! Widerhall! Die Jäger!

Ein Schuss aus einem echten Gewehr – daran hat sich das Schaf immer noch nicht gewöhnt und es jagt ihm einen Schauer durch die Wolle.

Hier in den Schluchten des Sees knallt es lauter, das Projektil pfeift beeindruckend laut durch die Luft, an den Hänge hallen die Geräusche wider, bis sie sich verlieren.

Die Wildschweine sind immerhin vorgewarnt. Das Schaf auch, und bevor es zum Jagdunfall wird, macht es auf dem Absatz kehrt und überlässt den Jägern das Terrain.

Nuraghe Arrubiu

Im Sardicano definiert man sich über den Slogan „Laghi e Nuraghi“ – Seen und Nuraghen. Da gibt’s also einiges zu sehen. Das soll natürlich nicht in Stress ausarten, aber ein Nuraghenbesuch, in einer dieser Ruheoasen, schadet nie. Bei Nurri gäbe es den sehenswerten Corongiu’e Maria, und noch so ein paar andere.

Heute auf dem Weg liegt das Highlight der Region: Nuraghe Arrubiu.

Nuraghe Arrubiu - mehr als ein Steinhaufen

Nuraghe Arrubiu – mehr als ein Steinhaufen

Arrubiu bedeutet „rötlich“ – wie die Flecken der Flechten, die auf den alten Steinen wachsen, und wirklich sehr hübsch sind. Zwar könnte auch jeder dritte andere Nuraghe so heißen, aber bekannt darunter ist eben dieser hier.

Insgesamt 18 Türme soll Arrubiu haben, was ihn auf einer Fläche von 3000 qm zum größten Nuraghenkomplex der Insel machen soll. Ehrlich jetzt? Aus manchem Blickwinkel sieht er eher aus wie ein … nun … etwas größerer Steinhaufen.

Zugegeben, größer als manch anderer Nuraghe, man kann hineingehen und ja die ein oder andere Kammer mehr hat er – aber der größte? Nun mal ehrlich.

Als wir hineinstiefeln, ist gerade der Chef-Buddler – Entschuldigung, natürlich der Beauftragte für die Grabungen seit 2012 – am Werk. Der müsste es ja wissen.

Man sei mit den Ausgrabungen noch lang nicht fertig, so die Antwort. Genau genommen habe man erst vor ein paar Jahren wieder angefangen. Das meiste des Komplexes sei noch verschüttet. Unterhalb des jetzt sichtbaren Teils läge mindestens ein ganzes Stockwerk, und der Bau wäre eigentlich eher eine Bastion.

Also gut. Wenn irgendwann eine ganze Burg hier offen liegt, könnte das mit dem „größten“ sogar hinhauen. Das Schaf zeigt sich einigermaßen beeindruckt.

Draußen scheint die Sonne und es stapft ein bisschen über die alten Steine. Hinauf darf man leider nicht, aber das macht gar nichts. Eine kurze Nuraghenhugging-Session, die Wärme der Steine genossen, und weiter.

Ein wenig erkundet es noch das Terrain. Ein Stück hinter dem Nuraghen schlängelt sich ein schmaler Pfad an den Rand der Hochebene und hinunter zur Diga – dem Staudamm.

Das Schaf hat wieder Lust auf Wasser, aber da jetzt runter und wieder rauf … Es steht ja noch ein anderer See auf dem Programm:

Lago di Mulargia im Spätsommer

Lago di Mulargia im Spätsommer

Der zweite See: Lago di Mulargia

Der See ist ganz anders als sein Nachbar. Weit und lieblich. Still. Von weichen Hügeln umgeben. Wer wirklich mal ein sehr schönes Nichts sehen will, ist hier genau richtig. Perfektion in Duseligkeit.

In der warmen Nachmittagssonne schlendert das schwarze Schaf die Teerstraße am östlichen Ufer entlang.

Wenig Wasser trägt der See, dafür leuchtet es in einem einzigartigen Blau. Seine Kanten sind freigelegt, der rotbraune Boden kommt ans Licht. Jeder Blick wie gemalt.

Als die Straße endet, sind Spuren des Menschen sichtbar. Ein weisses Haus in der Mitte des Sees ist die Steuerungsanlage für den Wasseraustausch mit dem Lago del Medio Flumendosa: Trägt der zuviel Wasser, werden diese durch einen Tunnel von 6 km Länge in den künstlichen See von Mulargia geleitet.

Leben? Eher kleinteilig. Zwei Autos, zwei Eidechsen, eine Libelle.

Schafe am Lago di Mulargia

Schafe am Lago di Mulargia

Beim Brombeeren-Pflücken werden Kindheitserinnerungen wach.

Und dann kommen die wolligen Verwandten herangeglockt, schwarz und weiss suchen sie auf dem ausgedörrten Land am Flussufer nach Gras. Obwohl hier Wasser steht, wächst ohne Regen auf den Flächen im Sommer fast nichts. Die Tiere verstecken sich vor der Sommerhitze unter einem Busch.

Das Schaf geht ein Stück weiter und setzt sich auf ein trocken gefallenes Boot. Freut sich an der Ruhe und beobachtet ein paar Fische.

Als sie abtauchen, ist es wieder ganz still. Keiner bewegt sich.

Taumelmodus in Perfektion.

Der Fluss Flumendosa

Wir haben beschlossen, uns dem Fluss ein anderes Mal zu widmen, vielleicht sogar, ihn entlang zu reisen.

Spannend dürfte sein Verlauf auf 122 km sein, von seiner Quelle auf ca. 1300 Metern im Gennargentu, durch zwei Stauseen aufgehalten (der erste ist auf 800 Metern der Lago del Alto Flumendosa bei Villagrande in der Schlucht Bau Muggeris), bis er zwischen Villaputzu und Muravera ins Meer fließt.

Idylle am Nebenlauf des Flusses Flumendosa

Idylle am Nebenlauf des Flusses Flumendosa

Einen entspannten Ausklang des Tages findet das Schaf an einem kleinen seitlichen Zufluss.

Mit einem kühlen Ichnusa auf einem Stein sitzend, schaut es in dem relativ trockenen Flussbett einigen leuchtend roten und blauen Libellen zu, schließt eine kurze Freundschaft mit einer Eidechse und entdeckt einen Schwarm kleiner Fische.

Das „Ich-hab-alles-was-nicht-Sardinien-ist-vergessen“-Gefühl ist wieder da. Das geht hier so leicht!

So schön kann ein fauler Tag sein. Vielleicht mal eine hübsche Alternative zum Schimmeln am Strand. Und viel viel stiller … zzzzz …

Zum Schluss sieht das Schaf noch einen Greifvogel, der aber direkt wegfliegt. War ihm wohl zu hektisch plötzlich …

Apropos hektisch:

Aktivitäten

Wer nicht anders kann und auf den Seen aktiv werden will, findet diverse Möglichkeiten. Neben Bootsausflügen in einem kleinen Mississippi-Dampfer gibt es Angebote zum Kanufahren, Angeln, ja sogar einen sehr aktiven Ruderclub gibt es am Lago del Medio Flumendosa.

Hotel Istellas - traumhaft gelegen am Lago del Medio Flumendosa

Hotel Istellas – traumhaft gelegen am Lago del Medio Flumendosa

Adressen finden Reisende in Selargius Donigali, Orroli und Nurri. Eine gute Adresse ist das Hotel Istellas, das auch den Centro Nautico beherbergt.

Wegen der sehr abgeschiedenen Lage des Sarcidano empfiehlt es sich allgemein, bei allen geplanten Aktivitäten zu fragen, vorher anzurufen und ggf. zu fragen, ob zur Reisezeit denn auch jemand da wäre.

Gerade in den Sommermonaten ist so manches geschlossen, wo an der Küste der Bär tobt – da muss der Reisende etwas umdenken. Wir empfehlen, ein paar Tage zu bleiben, um die Region wirklich kennenzulernen.

Wer einmal in antiken sardischen Schäferhütten nächtigen oder essen möchte, oder vom Pferd in die tiefen Schluchten schauen möchte, oder einfach mit dem Motorrad oder Fahrrad die quasi unendlichen kurvigen Landstraßen entlangfahren möchte, ist hier sehr gut aufgehoben.

Saison ist hier eher Frühling und Herbst – ganz nach Schafes Geschmack 😉

Weitere Informationen und Quellen:

 

1 Comment

  1. sigrid

    13. November 2015 at 17:55

    schööööön!
    die ruhe stahlt bis auf meinen schreibtisch. ich versinke kurz in deinen fotos und erinnere mich. und tief hinten in der brust beginnt die vorfreude ihren tanz… die vorfreude auf den nächsten sardinienaufenthalt, auf die ruhe, die weite und … die zeitlosigkeit.

    Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert