Die Murales auf Sardinien gehören mittlerweile in jedes Reiseprogramm, das etwas auf sich hält. Kaum ein Sardinienreisender, der nicht von den famosen Wandmalereien zumindest mal gehört hätte. Man karrt ganze Busladungen Touristen in die üblich verdächtigen Dörfer. Ein guter Grund, diese Straßenkunst mal von einer schwarzschafigen Seite zu betrachten – nämlich off season und vor allem in einem eher unbeachteten Ort auf Sardinien: San Gavino Monreale.
Das Dorf, das bis vor einigen Jahren nur für den Anbau von hervorragendem Safran bekannt war (und heute noch ist, zu recht), hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem Mekka für Street Artists gemausert.
Großflächige undkünstlerische Wandgemälde zieren viele Fassaden im ganzen Ort, der mit Dörfern wie Orgosolo oder San Sperate heute absolut mithalten kann. Weit über 70 Werke gibt es bereits, und jährlich kommen ein, zwei, drei Gemälde dazu.
An diesem regnerischen Novembertag entdeckt das schwarze Schaf den Ort auf eigene Faust, lässt sich treiben durch die Inselkunst, abseits aller touristischen Pfade.
Die Motive sind ganz unterschiedlich: von realistischen Darstellungen alter Handwerke und Traditionen, die mit dem Ort verbunden sind, bis zu Portraits z. B. von Grazia Deledda und Eleonora d’Arborea, bis zu fantasievollen Werken.
Detailverliebt und in gekonnter Technik realisiert, sind Murales – modern auch StreetArt, Straßenkunst – eine wirkliche Verschönerung des Dorfes und mancher grauer, schmuckloser Fassaden.
Ich beginne meinen Kunstspaziergang durch San Gavino Monreale in der Via Eleonora.
Dieser etwa hundert Meter lange Straßenzug mit originalen niedrigen Häusern trägt den Namen Su Bixinau de Oristanis. Su Bixinau kann grob mit Nachbar übersetzt werden und bezeichnet die Menschen dieses Ortes in der Provinz Oristano. Die knapp 50 Wandgemälde, eines schöner als das andere, zeigen denn auch die Menschen, die in diesen Häusern leben oder lebten, ihren Alltag, ihre Handwerke.
Die Via Eleonora wurde auf Ansinnen des Künstlers Sergio Putzu aus San Gavino zwischen 2016 und 2018 gestaltet und ist heute quasi das Herzstück, und für sich genommen fast wie ein eigenes, kleines ethnografisches Museum unter freiem Himmel.
Hier einige Eindrücke:
Die Kunstbewegung in San Gavino Monreale entstand nach einem eigentlich traurigen Ereignis, sollte aber das Gesicht des gesamten Ortes verändern und einen hoffnungsvollen Effekt haben.
Einige Freunde aus San Gavino, deren Weggefährte viel zu früh von ihnen gegangen war, fühlten sich inspiriert, ihm zu Ehren ein Kunstevent zu organisieren. Das im Sommer 2014 von Giorgio Casu, einem seiner Freunde geschaffene, erste Wandgemälde mit dem Titel Skizzo wurde ihm gewidmet.
Das Werk zeigt stilisiert Orte, die von den Einwohnern in San Gavino oft frequentiert wurden. Der Zug als Symbol der Bewegung sowie zwei Flamingos, die in den Nächten, in denen das Werk entstand, gesehen wurden, verbinden sich zu einem großflächigen Gemälde, inmitten des Dorfzentrums.
Daraus entwickelte sich eine Kulturvereinigung, die heute die Werke unter freiem Himmel kuratiert. Federführend schuf Giorgio Casu danach weitere eigene Murales, zum Beispiel die Eleonora, in der Nähe der alten Bahnstation und entwickelte seinen Stil. (instagram: @giorgiocasu)
Die im Mittelalter lebende Richterin Eleonora d’Arborea findet sich in einigen weiteren Motiven und wird dir bei einem Urlaub in der Region sicher öfter begegnen. Sie war eine der wichtigsten und einflussreichsten Frauen der Insel.
Eine andere Frau, die Sardinien geprägt hat, wird von der Street Artistin @leticiamandragora (instagram) portraitiert – Grazia Deledda:
Natürlich werden auch Männer und wichtige Ereignisse gewürdigt, wie die Meisterschaft / scudetto des Fußballvereins von Cagliari, mit dem Spieler Gigi Riva:
Mit dem Titel „Se morit su pastore morit Sa Sardigna intrea“ schuf Mauro Patta in der Via Convento ein Werk zu Ehren der Schäfer und Hirten der Insel: „Stirbt der Hirte, stirbt ganz Sardinien“.
Eine Erinnerung an den Wert und die kulturelle Verankerung des Hirtentums mit wunderschönen Portraits des weißen, sardischen Schafs.
Weiter geht’s mit unserem kleinen Rundgang … aber ich verrate nicht mehr so viel – du sollst bei deinem Besuch ja auch noch was zu Entdecken haben 😉
Wenn du deinen Ausflug nach San Gavino Monreale vorbereiten möchtest, organisierst du dich am besten mit der Karte der Murales, die dir Name und Position verrrät und eine Vorschau anbietet.
Die interaktive Karte findest du hinter diesem Link, scanne den QR-Code einfach mit deinem Handy ein:
Auch der Online-Guide »Monumenti Aperti tutto l’anno« erleichtert dir die Sache. Darin sind nicht nur die Murales, sondern auch weitere Sehenswürdigkeiten des Ortes verzeichnet, die frei zugänglich sind. So kannst du im ganzen Jahr, wann immer du möchtest, durch San Gavino streifen.
Führungen zu den Murales bietet die Kulturvereinigung SKIZZO an bestimmten Tagen sowie nach Absprache. Infos » Tel. +393805249307 / E-Mail: nonsolomurales.sangavino@gmail.com / www.skizzo.art / facebook: Associazione Culturale Skizzo / instagram: non_solo_murales_san_gavino und ass_cult_skizzo
Du brauchst sicher den ganzen Tag, um alle Murales zu sehen. Das kannst du wie das schwarze Schaf natürlich auch auf eigene Faust versuchen, es ist nur etwas zeitaufwändiger, wenn man sich im Ort nicht auskennt.
Wetter? Ist zumindest mir egal. Ich bin in Sonnenschein los und im Regen angekommen, der war mal ganz zart, mal heftiger. Um nicht durchzunässen oder zu frieren, haben wir immer mal wieder kleinere Autofahrten unternommen, zu Murales in den Randgebieten des Ortes.
Regen kann mir den Tag nicht verderben. Mit der passenden Klamotte, einem Regenschirm (den ich gar nicht aufgespannt habe) und einem sonnigen Gemüt ist alles kein Ding. Regnete es zu sehr, haben wir uns in eine Bar auf einen caffè oder ein kleines Bier gerettet. In einer unterhielten wir uns über den Verfall der alten Bahnstationen, über die Werke eines der Künstler aus San Gavino, und über Tokio, wo der Barista gerade Urlaub gemacht hatte.
Die Vorteile: Bei grauem Himmel ist das Licht für Fotos der Murales sehr gnädig, wirft keine harte Schatten über die Motive. Und es sind so gut wie keine anderen Leute unterwegs, die dir ins Bild dackeln.
Ein ganz feiner, schwarzschafiger Tag in Sardinien also: reich an Eindrücken und Erlebnissen.
Warmwollige Empfehlung für einen Ausflug ins Safran- und Murales-Dorf San Gavino Monreale.
San Gavino ist über die Schnellstraße SS 131 gut erreichbar – nimm die Ausfahrt Sanluri oder Sardara, und nach ein paar Kilometern bist du da. Auch mit dem Zug ist San Gavino erreichbar, z. B. ab Cagliari in knapp 45 Minuten für schlappe 4,50 Euro (Tickets auf www.trenitalia.it).
Und wenn du schonmal da bist, dann bleibe doch einfach ein paar Tage – in der näheren Umgebung gibt es extrem viel zu sehen: zum Beispiel die kleine Burg des Ortes, Castello Monreale oder das gut erhaltene Castello Eleonora in Sanluri, am Ortsrand findest du auch ein Weingut, das moderne Su Entu. Geologisch interessant ist die Gegend auch, mit der Kissenlava in Masullas und den Giaras der Marmilla, z. B. der Giara di Gesturì mit den Wildpferdchen oder dem Monte Arci. An die schönen Dörfer im sanft- hügeligen Medio Campidano schließt sich das Sarcidano an.
Beste Reisezeit? Immer. Aber tatsächlich ist die spätherbstliche Nebensaison besonders gut. Denn wenn du Glück hast, ist gerade Safranernte (Anfang November, aber immer nur ganz wenige Tage) sowie die Dorffeste rund um den Safran etwa Mitte November. Die Hauptorte für die Produktion sind San Gavino Monreale, Turri und Villanovafranca. Überhaupt lädt die Region zu einer kulinarischen Rundreise ein …
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