Eines Morgens klingelt das Telefon. Samuel aus dem Domu Antiga in Gergei fragt: »Hast du Lust auf ein paar Tage im Süden? Wir organisieren eine kulinarische Rundreise durch die Region. Wir kochen zusammen, besuchen ein paar Freunde, die Wein machen und Olivenöl, Pasta, Gebäck, Käse, Trüffel …«
Hm? Sagte er gerade Trüffel? Und Wein? Kochen? Der geneigte Sarde weiß, wie man schwarze Schlemmer-Schafe fängt! Gutes Essen, guter Wein, im sonnigen Süden Sardiniens? Na logo! Das lässt das Wolltier sich nicht zweimal sagen!*
Herausgekommen ist diese kleine Genussreise – zum Nachmachen empfohlen, speziell für Liebhaber der natürlichen, unverfälschten sardischen Küche.
Im Urlaub ist Essen ja durchaus ein Weg, die Kultur des Reiseziels noch besser kennen und lieben zu lernen – denn die Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Und der wird gerade in Sardiniens unbekannteren Ecken nach Strich und Faden verwöhnt.
Darum schauen wir uns kurz an, wo wir eigentlich sind.
Das Sarcidano liegt zwischen den fruchtbaren Weiten des Medio Campidano und den unzugänglichen Höhen der Barbagia und ist trotz seiner Vielseitigkeit nur wenig bekannt.
Die Dörfer, die wir besuchen sind allesamt ganzjährig bewohnt: Gergei, Escolca, Isili, Gesturì, Nuragus, Nurallao, Laconi, … Hier erlebst du das ganz normale und damit eben auch das echte Sardinien.
Ich niste mich in einer kleinen Locanda in Mandàs ein. Der Ort gehört gerade so eben in die Nachbarregion Trexenta, ist aber auf wunderbare, Weise eng mit den Dörfern des Sarcidano verbunden: kulinarisch und freundschaftlich, aber auch historisch. Denn es ist unter anderem eine alte Bahnlinie aus dem vorletzten Jahrhundert, die von der großen weiten Welt erzählt und uns mitten in das Herz Sardiniens und zu den kulinarischen Genüssen bringt, der Barbagia Express.
Von den „Erlebenswürdigkeiten“ der Region erzähle ich ein anderes Mal – in diesen Tagen geht es vor allem um die kulinarischen Freuden der Region.
Was mich begeistert, und das möchte ich deswegen vorwegnehmen: Alles, was ich in diesen Tagen zu mir nehme ist wirklich rigoros natürlich, aus eigener Produktion, hausgemacht und bei Kilometer Null hergestellt.
Oder sagen wir ruhig auch bei Kilometer 20 oder 30 – denn hier in den historischen Regionen Sarcidano, Trexenta und Marmilla arbeitet man zusammen, um die ganze Region aufzuwerten. Einer hilft dem anderen und gerade kleine Betriebe haben so eine Chance, von ihrer hingebungsvollen und nicht unbedingt einfachen Arbeit zu leben.
So geht gelebte, ehrliche Nachhaltigkeit. So bewahrt man Werte wie Freundschaft und Gastfreundschaft.
Meine kulinarische Reise durch Südsardinien beginnt in Gesturì.
Gegen Abend komme ich in Gesturì an, bis zum Abendessen sind es noch ein, zwei Stunden. Meine Autorenkollegin, mit der ich hier bin (sie ist Engländerin, lebt auf Sardinien und schreibt Kochbücher) ist im gleichen Relax-Modus: Wir sind mit unterschiedlichen Intentionen angekommen, lassen uns aber gleich treiben.
Ich bin nicht zum ersten Mal hier. Alles ist schon leicht vertraut, ich muss nichts ansehen, nichts fragen, um zu verstehen – sondern kann mich ganz der Atmosphäre des Dorfes hingeben. Ich laufe durch die Gassen im historischen Zentrum.
Der Streifzug durchs herausgeputzte Dorf gefällt mir ausnehmend gut. Hier und da ein wenig Kunst in den Straßen, frische Farbe an den Fassaden, hervorgehobene Details. Doch, hübsch hier.
Die Attraktion sind natürlich die berühmten Wildpferde / Cavallini della Giara, die auf der Hochebene oberhalb des Dorfes leben. Trotzdem ist Gesturi nicht überlaufen, es liegt nicht unbedingt an einer touristischen Rennstrecke und man braucht ein Weilchen, um anzukommen.
Wir sind mitten in der Hauptsaison, Ende Juli – und dennoch ist in der gesamten Region nie zu viel los. Ich erlebe in Gesturì das wirklich wahre Leben: Einige Autos, Menschen, die einkaufen, zur Arbeit fahren oder Kinder zur Schule bringen, ein paar streunende Katzen, knatternde Mopeds, die obligatorischen alten Herren und Damen, die sich vor der Kirche auf ein Schwätzchen treffen – alles hat seine Daseinsberechtigung und schenkt dem Dorf Lebendigkeit.
Das Cortis Antigas ist ein echter Geheimtipp. Ist das Tor geschlossen, ahnt man kaum, welch ein Schmuckstück sich hinter der alten Mauer befindet. Heute steht es weit offen: Wir werden erwartet.
Mein Gastgeber des heutigen Abends, Ignazio, hat das alte Haus vor dem Verfall bewahrt und es gekonnt, ganz nach traditionellem Vorbild und mit natürlichen Materialien renoviert. Ich fühle mich sofort wohl.
Doch ihn treffe ich erst später – denn im Eingang sitzt ein älterer Herr und flicht Körbe. Ich setze mich auf eine Steinbank und sehe ihm einfach zu.
Er arbeitet nach einer alten Technik aus seinem Heimatdorf Sinnai: Er verwendet Giunco / Binsen und die aufwändigen farbigen Stickereien erfordern einiges an Kunstfertigkeit.
Diese alte Tradition des Korbflechtens ist in Südsardinien tatsächlich noch verbreitet – vor allem die älteren Sarden nutzen die Körbe täglich. Auch ich habe mir so einen zugelegt und bewahre darin Brot auf, vor allem das pane carasau hält darin wirklich gut. Im umgedrehten „Deckel“ habe ich vor einigen Tagen Tomaten sonnengetrocknet.
Keine Eile. Das liegt der sardischen Esskultur als Prinzip zugrunde. Es ist schon nach 21 Uhr, als wir zum Essen gebeten werden. Da ist sie wieder, die „Sardinian Culture Time“ – ein Zeitgefüge, das so ganz anders ist, als das nordeuropäische und ganz klar am Essen ausgerichtet ist.
An so heißen Sommertagen wie heute isst man entweder ausgiebig zu Mittag und dann aber drinnen, im kühlen Haus – oder draußen, jedoch deutlich nach Sonnenuntergang. Man lässt sich viel Zeit. Vorteil: Der Körper ist nicht mehr damit beschäftigt, die Hitze auszugleichen und kann sich ohne Stress der Verarbeitung des Essens widmen.
Ich empfehle allen, vor allem Deutschen, die ja gern schon um 19 Uhr nervös werden, wenn noch kein Restaurant aufmacht, sich irgendwie an dieses südeuropäische Zeitgefüge anzugleichen. Das ist dem Genuss und auch der interkulturellen Verständigung sehr zuträglich. Denn die Sarden triffst du eben nicht um halb sieben im Tourirestaurant, sondern eben spät abends in einem dörflichen Landhaus.
Erlebst du das im Urlaub anders, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du dich in einer touristisch geprägten Region befindest.
Wir sitzen in Gesturì im Garten des Cortis Antigas, die Grillen zirpen. Um nichts in der Welt würde ich mit einem Strand-Hotel-Restaurant tauschen!
Die Sommernacht ist mittlerweile lau und sehr angenehm. Drinnen ist ein Antipasti-Buffet mit allerlei Köstlichkeiten aufgebaut.
Alles ist rigoros selbst gemacht und aus eigener Produktion, und wann immer ich mit meinem Tellerchen in Richtung Küche gehe, finde ich neue Köstlichkeiten. Ich bin begeistert von dem selbst gebackenen Brot und darüber, was aus Gemüse aus dem Garten so gezaubert wird, ob geröstete oder eingelegte Zucchini, Oliven, Auberginen, sonnengetrocknete Tomaten … dazu Aufschnitt mit hausgemachtem, luftgetrockneten Schinken – der von hiesigen, frei laufenden Schweinen stammt und ein Gedicht ist.
Was dem Ganzen noch das gewisse Extra verleiht, ist das Olivenöl. Natürlich von einem befreundeten Olivenbauern aus der Region: Olio Sa Mola aus Escolca. Das es auch in verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt, von mediterranen Kräutern über Basilkum bis zu Zitrusfrüchten. Aber nicht, dass deswegen der ursprüngliche Olivengeschmack verloren ginge – oh nein, hier hat jemand ganz vorsichtig und gekonnt genau das richtige Maß gefunden. » www.oliosamola.com
Auch der heutige Abend bestätigt das, was die sardische Küche für mich generell ausmacht: Gutes muss nicht opulent sein. Oft ist das Grundprodukt an sich, das die sardische Erde schenkt, völlig ausreichend: è già buono / es ist schon gut. Sagt auch Ignazio und freut sich, dass seine eingelegten Zucchini solchen Anklang finden. Ich überfuttere mich fast am Antipasto, so gut und vielseitig ist es.
Von wegen, die Inselküche ist immer fleischlastig: Heute gerät der Hauptgang fast zur Nebensache. Die Köstlichkeiten aus dem orto / Gemüsegarten haben für mich die Nase definitiv vorn. Und später die dolci, das süße Gebäck. Meine beiden Favoriten sind im Cortis Antigas natürlich hausgemacht und ganz großes Kino.
Mitten im Hinterland Sardiniens spüre ich eine Leichtigkeit, einen Sinn für schlichte Schönheit, eine Liebe zum Detail, die hier im Cortis Antigas zur Philosophie erhoben wird.
Arbeit wird wertgeschätzt. Die Familie stand den ganzen Tag in der Küche für die Gäste. Jeder gibt sein Bestes. Die daraus erwachsende Entspannung und innere Zufriedenheit, dieses Überzeugtsein von der eigenen Arbeit macht für uns Gäste die Qualität spürbar, sichtbar, schmeckbar. Das zieht sich auch durch die nächsten Tage, die ich hier bin.
Nicht falsch verstehen: Ich mag auch sehr das rustikal-ländliche Sardinien, ein ruppiges pranzo pastore, wo der Käse mit dem Hirtenmesser geschnitten wird, das maialetto überm Erdloch grillt und der Landwein in Strömen fließt, ist absolut nicht zu verachten.
Doch diese Genussreise durch Südsardinien berührt die Seite von mir, die sich gern verwöhnen lässt, die alles Schöne und Komfortable liebt. Sie ist ein kleines Träumchen, und ich nehme mir vor, den Traum in baldiger Zukunft im Cortis Antigas noch weiter zu träumen. Homestory folgt!
Und das Tolle: Es ist ja erst der Anfang!
Am nächsten Tag fahre ich zu einem meiner Lieblings-Gastgeber auf der Insel: ins Domu Antiga in Gergei.
Die Idee ist ein kleines »Kochlabor« zusammen mit den Gästen – um sie direkt an die Landeskultur heranzuführen. Essen wollen ja sowieso alle – also kocht man zusammen. Schwerpunkt heute: Pasta. Frische, hausgemachte Pasta gehört zu dem Besten, was Sardinien zu bieten hat.
Die in Südsardinien traditionellen Pastasorten sind: Fregola und Malloreddus.
Nach und nach darf sich in dem „Kochlabor“ jede:r an ihnen versuchen. Mehr oder weniger erfolgreich. Das zieht sich natürlich und das, was sonst wirklich schnell geht, nimmt hier ein, zwei Stunden in Anspruch. Macht aber nichts. Zeit ist hier nebensächlich.
Das Erkennungsmerkmal des Selbstgemachten ist das Irreguläre.
Die Fregola-Kügelchen sind nicht einheitlich (in mancher Supermarkt-Packung ist das anders). Man siebt sie zwar aus, so dass man grob in große und kleine Kugeln ordnet. Aber das war es auch schon. Ist übrigens gar nicht schwer, sie zu machen, wenn man den Dreh raus hat.
Weil heute viele der Anwesenden Sarden sind oder auf Sardinien arbeiten oder leben und sich in der sardischen Küche auskennen, gerät das gemeinsame Zubereiten der Pasta zu einem fachsimpelnden Miteinander.
Auch mein kulinarischer Blogger-Kollege Hans-Peter (» www.sardinien-auf-den-tisch.eu) ist da und lässt sich inspirieren. Ich übertrage Teile des Events live auf facebook, und Nadia, eine russische Bloggerin auch. Sehr spaßig und entspannt das alles.
Die Malloreddus haben mich wieder einmal herausgefordert. Beim Nachmachen zuhause war auch prompt der Teig zu feucht und klebte an dem kleinen Holzbrettchen, über das diese Pasta mit dem Daumen und einem Kniff gedreht wird.
Im Domu Antiga läuft das natürlich alles perfekt. Das ist die Übung: Schon immer und quasi täglich macht man hier die Pasta für die Gäste selbst. Für mich ist das immer noch Ausnahmezustand, ich greife aus Faulheit noch oft zur Fertigpackung. Dabei geht es echt schnell, wenn man es regelmäßig macht.
Eins ist aber ganz wichtig: hochwertige Zutaten, denn darin liegt auch das Geheimnis. Einfaches, industrielles Supermarktmehl hat einen grundlegenden Nachteil, dass es verklebt und weniger geschmeidig ist. Gerade bei Mehl lohnt es sich, nicht die 50-Cent-Packung zu nehmen, sondern doch mal ein, zwei Euro drauf zu legen.
Als Farina / Mehl und Semola / Hartweizengrieß bevorzugt man im Domu Antiga (und jetzt auch ich in meiner Küche, ich hab mir gleich einen 3-kg-Sack zugelegt) die Sorte „Grano Duro Cappelli“. Das Getreide wird angebaut und verarbeitet auf Sardinien, von hier aus nur ein paar Dörfer weiter, in Tuili (» hier geht es zur facebook-Seite des Consorzio Sardo Grano Cappelli).
Diese alte Getreidesorte unterscheidet sich signifikant von nahezu allem, was heutzutage auf Europas Feldern angebaut wird. Sie ist genetisch unverändert, was sie leichter bekömmlich macht. Der Körper kann das zu Pasta verarbeitete Mehl deutlich besser verwerten und ist schneller satt. Auch wer unter Unverträglichkeiten leidet, sollte dieses Urgetreide vermutlich mal ausprobieren.
Auch für die Natur ist das alte Korn gut: Es wächst deutlich höher (bis zu 1,80 Meter) und darf auch Energie in das Wachstum der Pflanze stecken – dem meisten Industriegetreide ist das genetisch „verboten“, da geht sämtliche Energie in das Korn, die Pflanze ist auf Platzoptimierung augelegt und hört auf knapp einem Meter auf zu wachsen.
Der hohe und irreguläre Wuchs des alten Grano Cappelli ist gut für den Boden, der mehr Schatten erhält und nicht so schnell austrocknet, und für Kleinstlebewesen, die es sich am Boden gemütlich machen und hier bis zur Ernte einen Lebensraum und Futter finden. Ein gutes Miteinander, so wie es früher einmal war.
Apropos früher: Samuel erzählt von seiner Großmutter.
Er bereitet den alten Kupferkessel vor, an dem schon seine Großeltern saßen und Käse selbst machten. Oder vielmehr seine Großmutter. Sie hat ihm die wichtigsten Dinge beigebracht und auch ein paar Tricks verraten. Diese überlieferten Methoden werden nicht hinterfragt oder optimiert. Alles wird genau so gemacht, Oma wird es schon wissen. Und sie konnte auch mehr als Pecorino.
Darum experimentiert auch Samuel gern mit dem Produkt und verlässt hier und da traditionelle Wege und entwickelt seine eigenen Fertigkeiten – die er irgendwann wieder an seine Kinder und Kindeskinder weitergeben kann. Vielleicht ist auch deswegen sein Käse – vom Pecorino über Ricotta bis zum Schimmelkäse – ein Gedicht!
Die Schafsmilch wird langsam und schonend erhitzt. Samuel wartet geduldig. Slow cooking in echt, sozusagen. Das durfte ich auf Sardinien schon öfter erleben, aber die Ruhe und die fast meditative Atmosphäre in schönem Ambiente – das hat schon was.
Mit einem Gerinnungsmittel versehen (neben dem tierischen Lab von Ziege oder Lamm wird auf der Insel auch ein Extrakt aus wilder Distel oder ganz selten Zitrone verwendet) wird die Molke getrennt und die festen Bestandteile herausgehoben und in eine Form gegeben. Früher war das ein geflochtener Korb, oder eine metallene Form. In vielen Käsereien findet man heute Plastik.
Samuel nutzt diese alten Utensilien aus nostalgischen Gründen, auch, weil er für den Hausgebrauch, Gäste und Freunde produziert. Da müssen weder Rezepte, noch Abläufe noch Equipment optimiert werden. Man macht das, was immer funktioniert hat – fertig.
Wir versammeln uns zum Mittagessen am Tisch der Familie und essen die selbst gezwirbelte Pasta (ich meine, einen Malloreddu, den ich drehte, wieder zu erkennen, kann mich aber täuschen).
Das Gefühl, haargenau zu wissen, wo jede Zutat, jedes Gericht herkommt und wieviel Zeit und Arbeit darin steckt, ist wirklich schön und beruhigend.
Und auch das Essen dauert. Ein Mittagessen wird gern mal ausgedehnt und auch wir sitzen lang zusammen, sprechen über die gute, alte Zeit – und wie man sie trotz Industrie, EU und Regularien ins Heute retten und die alten Traditionen vor dem Verschwinden bewahren kann. Und das geht genau in so kleinen, feinen Betrieben.
Rigoros verteidigen, was seit Jahrhunderten gut ist. Netzwerken, um die Qualität zu halten und ein Auskommen zu haben.
Auf die Uhr guckt hier schon lange keiner mehr. Erst als es Zeit wird, sich für den Apéro vorzubereiten, kommt wieder Leben in unsere kleine Gesellschaft.
Und: ein weiterer „Dorfwechsel“! Die Rundreise führt uns nach Nuragus.
Eine halbe Stunde auf Landstraßen und ich lande in einer auch für mich neuen Welt. Es gibt wirklich wenige Dörfer, die ich auf Sardinien noch nicht besucht habe. Ich gestehe: In Nuragus habe ich bislang nie angehalten.
Heute gibt es einen guten Grund, das zu ändern: Wein!
Doch bevor wir auch nur einen Tropfen Wein zu uns nehmen, bringt uns der Winzer Stefano Soi auf einen besonders schönen Weinhang, hinter dem Dorf. Die Sonne will gerade untergehen, ich blicke über die Hügel die sich goldig-grün färben und genieße de friedlichen Abend. Ich könnte noch länger hier bleiben, und mir das Gigantengrab / Tomba di giganti di Aiodda ansehen. Aber die Weinverkostung ruft – das Grab muss warten!
Der Winzer ist eigentlich Architekt und das wird klar, als wir sein kleines, aber feines und stilvolles Weingut in Nuragus betreten. Er führt uns in die klimatisierten Räume, wo seine Schätze reifen. Sehr schick das alles.
Wie schon auf dem Weinhang versinken wir in Gesprächen über Wein und Kultur und Design – und vergessen fast, dass draußen die Degustation vorbereitet ist.
Die Weine stehen schon bereit: der leichte Weiße NURÀ, aus der Traube, die genauso heißt, wie ihr Anbauort: Nuragus. Der Rotwein SOI ist ein reinrassiger Cannonau, typvoll und schwer. Sein zweiter Roter, LUN wird dominiert vom antiken Bovale. Und NÈA, ein Rosé, steht gelungen in der Mitte und ist mein Favorit an diesem Sommerabend.
Alle sind irgendwie Volltreffer, ich kann mich kaum entscheiden. Am Ende nach Hause begleiten mich die beiden Roten: Sie sind ideal für die kommenden Nebensaison-Abende.
Ich kehre zurück in meine Locanda und falle zufrieden ins Bett.
Am nächsten Morgen erwartet uns Laconi, wir nähern uns dem historisch bedeutsamen Ort mit seiner dichten Wäldern.
Laconi liegt weit im Landesinneren, mir fällt fast schwer, den Ort zu Südsardinien zu zählen. Aber auf der Rundreise darf er nicht fehlen. Speziell wegen seiner Menhire (das Menhir-Museum ist der Hit!) und des wundervollen Parco Aymerich mit seinen Wasserfällen und der Burgruine.
Ich bin zum vierten Mal hier – immer zu einer anderen Jahreszeit. Jetzt im Sommer fließt immer noch Wasser durch den schattigen Park – ein echter Luxus bei 35 Grad.
Von den letzten Tagen noch gut gefüllt, gibt es heute kein opulentes Mittagessen – aber der Snack ist nicht weniger gut. Denn da sind wir beim rustikalen Sardinien, das wir alle so lieben: ein kühles Bier und ein Panino / belegtes Brötchen sind auf einer kulinarischen Sommerreise nicht zu verachten!
Vor allem ist nicht zu verachten, womit dieses panino belegt ist: mit Salat und Pecorino und – Trüffeln! Endlich! Das schwarze Schaf ist im siebten Himmel! Die sardischen Trüffel gibt es nur hier in den Wäldern zwischen Laconi und Nurallao (übrigens auch ein sehr schönes Wandergebiet) und sind einfach der Hit!
Jetzt mag jemand einwenden, so ein Ichnusa sei ja ein Industrieprodukt und ja, das stimmt. In Sachen Bier und Braukunst hat Sardinien einiges mehr zu bieten. Aber: es ist tatsächlich sardisch, das non filtrata durchaus mehr als das normale (das im Grunde ein Heineken ist).
Und man darf ja auch als Gourmetschaf mal ausreißen: Es ist süffig und jetzt gerade, an diesem heißen Sommertag im Wald des Parco Aymerich in Laconi genau richtig.
Und: Es ist ja nicht so, als wäre die Region schon am Ende ihres kulinarischen Repertoires. Uns erwarten mitten am hellichten Tag Liköre, Aperitifs und Digestifs. Und dazu besuchen wir das Liquorificio Artigianale Lugas Rosa in einer unscheinbaren Nebenstraße, ein entzückender kleiner Laden in einer Sackgasse in der Via Giuseppe Mazzini, mitten in Laconi (» zur Webseite).
Bei den Stichworten Likör – Digestif – Sardinien denkt jeder gleich an Mirto. Der ist hier Nebensache und allerhöchstens die Spitze des Eisberges.
Rosa Lugas fängt den Duft und die Essenz der wilden Heilkräuter der Insel ein: piante officinali / medizinische Pflanzen genannt, denn die Tradition der Liköre ist eigentlich eine uralte Heilkunst und stammt aus Zeiten, in denen Wissenschaft, Forschung und medizinischer Fortschritt noch unbekannt waren und man das zum Heilen nahm, was man in der Natur vorfand.
Der Alkohol machte die Kräuter haltbar und tat in einigen Fällen auch zur Genesung sein Übriges. Ich hänge am Elicrisio und bin begeistert: Der Duft der Pflanze hängt manchmal in der Landschaft, wenn ich wandere und hier, in dem kleinen Gläschen ist er perfekt konserviert. Außerdem gibt es Liköre aus wildem heimischen Fenchel, Wacholder, Lakritzwurzel, Thymian und dann …Schokolade mit Mirto!
Der Barbagia Express ruft mich aus dem Kräuterparadies – er fährt in kurzer Zeit ab und wir müssen noch hoch zur Bahnstation. Und das mit Finocchietto und Elicrisio-Likör im Bauch …
Der Zug bringt mich zurück nach Mandàs. In meiner wunderbaren Unterkunft, der Antica Locanda Lunettta bleibe ich im Kräuterhimmel, denn ich laufe über einen Teppich aus Minze und Rosmarin, setze mich in einen gemütlichen Sessel im herrlichen Garten, in dem Bienen summen und träume von weiteren kulinarischen Köstlichkeiten …
Wenn du auch so eine kulinarische Reise machen möchtest, all die Leckereien probieren und vielleicht auch einkaufen möchtest ist der allerbeste Weg, dich ein paar Tage in der Region einzunisten und dich den Gastgebern und den Leuten vor Ort anzuvertrauen.
Das Netzwerk Sardinia Secrets besteht im Kern aus den wundervollen kleinen Gasthäusern von vier Freunden, die in der Region mit den Produzenten, Kulturvereinen, Guides etc. gut vernetzt sind:
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Eine Schlemmerreise lebt von dem Sich-Einlassen. Viele der erwähnten Produkte und Spezialitäten bekommst du eben nicht im normalen Supermarkt in dem Touri-Dorf oder gar online per internationalem Versand – sie hängen direkt am Erleben vor Ort. Die produzierten Mengen sind klein und nachhaltig. Das ist ja das Schöne und darum gut so 🙂
Denn „hausgemacht“ erlebst du nur, wenn du auch tatsächlich bei Sarden Zuhause bist und isst.
* Kleiner Disclaimer: Ja, es war/ist immer noch Covid. Ich habe schon etwas überlegt. Denn die Reise haben wir Ende Juli 2020 gemacht, die Corona-Fallzahlen waren zu dem Zeitpunkt gering und die Tour waren so konzipiert, dass das meiste unter freiem Himmel oder in offenem Ambiente stattfand – z. B. beim Rundgang durch Weinhänge oder Abendessen im Innenhof. Masken trugen wir z. B. in Bus und im Zug, ansonsten reichlich Vorsicht und Rücksicht. Wenn es mir doch mal zu eng wurde, bin ich auf Abstand gegangen. Insofern hab ich für mich entschieden, dass die Ansteckungsgefahr weit abseits der touristischen Hotspots im Landesinneren einigermaßen gering sein dürfte und auch ich dort nicht zur Virenschleuder mutiere. Alles ist gut gegangen.
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