Hinauf, hinauf, immer nur hinauf. Das schwarze Schaf lässt die Bergkette des Monte Limbara in seinem Rücken und das kleine Städtchen Monti hinter sich. Es kämpft sich Richtung Süden auf die angrenzende Bergwelt des Monte Olia.

Sein Weg führt an Weinhängen vorbei, wo der beste Vermentino der Insel wachsen soll. Es futtert hier und da ein paar frische Kamillenblüten zwischen den Stämmen weg (für die Gesundheit!) und erreicht pünktlich in der Mittagssonne den Staatsforst von Monti, den „Foreste demaniale di Monte Olia“.

Raupe

Raupe

Korkeichen und Pinien wachsen hier höher als anderswo, denkt das Schaf. So hoch, dass es ihr Ende nicht erfassen kann. Doch sie spenden Schatten und das Schaf macht eine kleine Pause. Trifft eine Raupe und entscheidet sich, das Blatt auf dem sie sitzt, nicht zu fressen. Ganz schön schnell ist so eine Raupe, zack!, ist sie auf dem nächstgelegenen Baum und außer Sicht.

Weil es hier nichts mehr zu sehen gibt, läuft das Schaf weiter auf einem breiten Waldweg. Viele Leute hier heute… Es werden immer mehr… Plötzlich hört es laute Motorengeräusche. Jemand ruft, man solle die Straße freimachen? Straße? Wie? Was? Warum? Es wollte doch ganz ruhig im Wald spazie…

*WWRRRUUUUUUUMMMMMMMMMMMMMM*

Eine Rallye! Mitten im Wald! Na, das ist ja was für Schafe! Der Rennwagen hat ganz schön viel Sand aufgewirbelt! Und da! Schon das nächste Geräusch, der nächste Ruf. Das Schaf schüttelt sich schnell den Staub vom Fell und stellt sich in eine Kurve. Hier ist es sicher. Es tritt noch ein Stückchen weiter zurück, hinter einen Baum.

*WWRRRUUUUUUUMMMMMMMMM* … Der war etwas langsamer, aber schwarz ist die Wolle jetzt nicht mehr. Aber so ein Sandbad ist ja gut fürs Fell. Weiter wandert es die Strecke entlang und erreicht den „Hotspot“ des Ganzen – rund um das Forsthaus ist die Strecke mit rotweißen Bändern markiert. Streckenposten wachen darüber, dass niemand auf die Piste rennt.

Über ein schwarzes Schaf wundert sich hier keiner, die vorwiegend jungen Herren (einige in Begleitung ihrer gelangweilten Freundinnen) haben anderes zu tun. Da wird gefachsimpelt und mit Fahnen gewedelt und das mitgebrachte Picknick (bestehend aus einer Kühltruhe mit Ichnusa) verzehrt.

Eigentlich ganz lustig, denkt sich das Schaf und *WWRRRUUUUUUUMMMMMMMMMMMMMM* – der nächste Wagen. Es würde selbst gern mal im Wahnsinnstempo die Wege durchheizen. Das wäre auch toll mit dem Mountainbike. Ja, das mach ich, denkt sich das mittlerweile hellgestaubte Tier. Vielleicht wundert sich dann ja einer.

Genug davon. Ruhe bitte. Während aus Richtung Monti immer mehr Autos ankommen, nimmt das Schaf Kurs auf Alà dei Sardi, wenngleich es heute dort nicht ankommen wird. Die Hochebene „S’Ambiddalzu“ lässt jeden Besucher innehalten. Staunend sieht das Schaf zurück. Eben noch dichter Wald, jetzt breitet sich eine einsame Umgebung mit niedrigen Büschen und enormen Granitfelsen vor ihm aus.

Niemand ist hier. Kein WRUMM dringt an die Ohren. Nichts. Rein gar nichts! Welche Wohltat! Erst nach zehn Minuten Spaziergang die ersten Menschen: eine Truppe Rennradfahrer, doch die sind so schnell weg wie sie kamen. Bloß keine Eile, denkt sich das Wandertier und wie als Gegenentwurf lehnt es sich gemütlich an einen vom Wind und Wetter zerfressenen Felsen. Schließt die Augen, genießt die Wärme der Sonne. Wandert weiter, sieht einen einsamen Bauern, der einen Zaun neu zieht. Die Glocken seiner Kühe machen das einzig vernehmbare Geräusch.

Nach ein paar Kilometern ein Wegweiser. Sos Rueddos – Su Piscamu – Santuario San Paolo Eremita. Hm… Die Nase weist leicht nach links, also immer derselben nach. Ein Santuario ist ein Wallfahrtsort … Das Schaf überlegt. Was ist das eigentlich? Ein Wall, über den man fährt? Das gefällt ihm. Ist das schon da vorne? Der Weg führt zunächst entlang an kleinen grauen Mäuerchen, die so typisch für die Insel sind. Dahinter ein paar Korkeichen und wieder ein paar Kühe. Linker Hand ein kleiner Hof, der Käse und Honig verkauft, daneben eine Herde Käseproduzenten – wollweiß in der Sonne grasende Schafe. Ein fröhliches „Beeeeeh“ über die Hänge gerufen und weiter geht es bis die Hochebene endet und es wieder leicht bergab geht. Ein traumhafter Blick von hier oben – bis weit hinüber nach Olbia, die ganze Umgebung unter Wolken – es droht, ungemütlich zu werden. Das passiert hier, im Hinterland und doch so nah am Meer.

Der Weg führt immer weiter bergab und es sieht so aus, als würde er sich in der Ferne verlieren. Eine Sackgasse? Das könnte man ja oben auch mal dranschreiben, wehe, wenn ich das alles wieder hinauf muss… Doch es hat keine Zeit zu überlegen, ob es gar umkehrt, denn neben und vor ihm breitet sich das Tal aus. Der grüne halbhohe Wald aus Steineichen bedeckt die Hänge, die nahen sowie auch die in weiter Ferne. Keine Häuser, keine Straßen. Nur Ruhe, Natur und pure Idylle. Die Tritte werden langsamer, das Staunen größer, das Herz ruhiger.

Und dann ist es plötzlich da. Eine Quelle, eingefasst in Stein, dann ein Schild, das eine Bar und Eis verspricht. Das Schaf blickt in die Richtung, in der die Leckereien zu erwarten sind. Und da erhebt sich direkt neben und über ihm, mitten im Grün, wie auf einer Art Wall (!) eine Kirche. Ein breiter Aufstieg aus Pflastersteinen führt direkt auf das Hauptportal zu.

Die Kirche San Paolo Eremita ist ein wenig größer als Landkirchen in dieser Gegend üblicherweise sind. Sie wurde zwischen 1796 und 1818 in einfacher Bauweise aus grauem Granit errichtet. Durch seine schlichte Schönheit macht das ehemalige Kloster einen präsenten und stabilen Eindruck. Das Kirchenarchiv besitzt darüber hinaus ein überaus wertvolles Pergament, das auf die Weihung dieses Ortes durch Marzochus, Bischof von Bisarcio, im Jahr 1348 hinweist. In jedem Jahr, vom 16. bis 18. August, findet hier in alter Tradition ein sehr religiöses Fest statt, zu dem hunderte, wenn nicht Tausende Pilger herbei kommen. Ganz bestimmt eine besondere Gelegenheit für alle, die an etwas glauben und vielleicht sogar katholisch sind. Neben der Kirche Nostra Signora in Luogosanto ist das Santuario San Paolo Eremita* der wichtigste Wallfahrtsort der Insel, an dem Pilger ihre Gebete und Opfer aus Dankbarkeit für die empfangenen Gaben darbringen.

Nun kennen Schafe keinen religiösen Eifer und Menschenmengen mögen sie auch nicht besonders. Lieber traben sie in der Nebensaison ein wenig durch die Natur drumherum. Und schon lockt das plätschernde Geräusch von Wasser, das hinter dem struppigen Grün weiter ins Tal fließt. Das Schaf sucht das Wasser, folgt einem kleinen Rinnsal auf dem Weg, immer lauter wird das Plätschern. Dann, hinter drei großen Felsen: zwei wirklich kleine, aber auch wirklich hübsche Wasserfälle, ein kleiner Teich mit glasklarem Wasser hat sich gebildet.

Ein Ort zum Verweilen! Doch nicht lang, die Natur ruft weiter. Schafe sind Nomaden und – neugierig! Eine wunderschöne Strecke von hier aus führt über einen holprigen Forstweg durch den Wald über den Bergrücken auf der anderen Seite des Tales, bis nach Berchiddeddu.

Oder geht es doch lieber wieder zurück, direkt auf den Monte Olia? Dessen Gipfel ist mit 811 Metern eine eindrucksvolle Erhebung in der Region und damit muss er sich vor dem Monte Limbara (seinem Nachbarn in ca. 60 km Luftlinie Entfernung) nicht verstecken. Der Monte Olia ist an seinen Hängen stark bewaldet, in der Gipfelregion hingegen genießt derjenige, der es hier herauf geschafft hat, ein grenzenloses Panorama. An einem Teil des Hangs ist der Staatsforst unzugänglich, ein anderer ist als Teil eines Nationalparks geschützt, man kann Greifvögeln, Wildschweinen und ganz selten auch Rehen begegnen. Sogar der Vorfahr des Hausschafs, das Muflon wurde hier gesichtet.

Den Gipfel erklimmt das Schaf heute nicht mehr, merkt ihn sich aber** für einen nächsten Ausflug in dieser Region mit nicht enden wollenden Eindrücken.

* Übrigens: In der Gallura gibt es noch eine Kirche mit gleichem Namen, in der Nähe von Arzachena … nicht verwechseln, da findet vermutlich kein großes Fest statt…
** Wanderweg Monti – Monte Olia PDF mit der Detailbeschreibung; Quelle sardegnatursimo.it

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