Das schwarze Schaf ist in Mamoiada, im Dorf der Mamuthones und Issohadores, die zu den wichtigsten traditionellen Karnevalsfiguren in Sardinien gehören. Eins wird ziemlich schnell klar:

Hier schlägt das Herz Sardiniens.

Die junge Sardin, die ich gerade kennengerlernt habe, sagt: „I Sardi siamo noi. / Wir sind die Sarden.“ und meint das genau so. Der stolze Blick lässt gar keine Diskussion zu. Geboren und aufgewachsen in Mamoiada, einem kleinen, auf den ersten Blick schmucklosen und doch überaus authentischen und typvollen Dorf in den Bergen der Barbagia, spricht aus der Frau wie selbstverständlich die uralte Seele der Region. Die Leute hier sind stolz, aber dabei so offen und herzlich, so gastfreundlich, dass es dir fast die Sprache verschlägt.

Hier in Zentralsardinien leben Traditionen, Werte und Kulturen, die anderswo längst vergessen sind. Auch in anderen Teilen Sardiniens. Alles, was dir in San Teodoro oder Budoni als sardisch vorgesetzt wird, wirst du nach einem Besuch in Mamoiada mit einem anderen Blick betrachten.

Mamoiada, idyllisch in einem Tal hinter Nuoro gelegen
Mamoiada, idyllisch in einem Tal hinter Nuoro gelegen

Selbst die weiteren Regionen der noch so ursprünglichen Mittelmeerinsel, wie die Gallura oder gar die Hauptstadt Cagliari, die dem urbanisierten Festlandeuropäer schon sehr ursprünglich und wie aus einer anderen Zeit vorkommen, gelten hier als deutlich weniger „sardisch“.

Das ist keineswegs abwertend gemeint: Die hier lebenden Menschen sind selbstbewusst, verliebt in ihr Land, die Barbagia und ihr Dorf, Mamoiada. Das nennt man wohl Zuhause.

Vier Tage sardischer Karneval

Sa Rosada, Innenhof
Sa Rosada, Innenhof

Wir sind am Sonntag da, nachdem der erste Maskenumzug der Mamuthones e Issohadores bereits stattgefunden hat – wir haben nämlich erstmal die Sartiglia in Oristano besucht. Aber, wir haben die Masken Mamoiadas trotzdem nicht verpasst.

Vier Tage lang, vom Sonnabend bis zum „martedi grasso“, dem fetten Dienstag, feiert das Dorf – mal mehr, aber auch mal weniger urtümlich.

Wir verbringen die Tage bei Augusto im Sa Rosada. Seine familiäre Pension in einem Haus des 18. Jahrhunderts an der Piazza d’Europa hat den Charme des Landes perfekt eingefangen: ein heimeliger Hinterhof, spärlich mit Antiquitäten möblierte Zimmer, ein Restaurant, in dem gut und einfach nach alten sardischen Rezepten mit Produkten der Region gekocht wird. Eine Bar, die sich als der Treffpunkt für alle Feiernden zu bald jeder Tageszeit herausstellen soll. Augusto begrüßt uns, als wären wir schon hundert, und nicht nur ein paar Mal dort gewesen und als hätte er nur auf uns gewartet. Und er behauptet, er hätte das auch. Wie nett!

Ein wunderschöner, heimeliger Ort.

Maskenumzug in Mamoiada
Maskenumzug in Mamoiada

Wir erhalten zwei Ridotto: kleine Plastikbecher (jaaaaa, da muss noch gelernt werden) gefüllt mit Cannonau, dem kräftigen Rotwein der Region. Aus einem Liter können 16 dieser Becher gefüllt werden und wir erleben nach wenigen Stunden, wie schnell man auch mit diesen kleinen Mengen seine Sinne einbüßt. Wenn man nicht mitzählt.

Um vollständig in die Kultur des Karnevals in der Barbagia einzutauchen empfiehlt sich bereits zum 17. Januar ein Besuch in Mamoiada. Am Tag des heiligen Sant’Antonio di Abate beginnt die Festzeit. In Mamoiada werden mehrere Feuer entzündet, aus den Höfen strahlt der Feuerschein und dringen urtümliche Laute. Der nicht mit den Traditionen vertraute Gast steht daneben, staunend, mit einem Gefühl irgendwo zwischen Romantik und Ehrfurcht.

Spätestens wenn die „Mamuthones e Issohadores“ zum ersten Mal seit dem vorigen Jahr in Erscheinung treten und durch die Straßen ziehen, ist man gefangen von der Leidenschaft der Menschen für ihre eigenwillige Kultur. Seine Bewohner stürzen sich in diese Zeit, als hätten Sie Ewigkeiten darauf gewartet.

Von dem Tag, da die Feuer entzündet wurden, dauert der Karneval bis zum „martedi grasso“. Der Karnevalsdienstag schließt um kurz vor Mitternacht mit dem Erscheinen des „Juvanne Martis Sero“. Zwischen diesen beiden Ereignissen liegt ein gut gefüllter Kalender mit Terminen und Veranstaltungen, mit denen man einen Blick abseits von allen touristischen Pfaden auf die sardische Kultur werfen kann.

Mamuthones e Issohadores

Szenerie mit Mamuthones
Szenerie mit Mamuthones

Der Mamuthone und der Issohadore sind zwei völlig unterschiedliche Figuren. Vielen Besuchern fällt schwer, eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Die Figuren existieren nebeneinander in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit, ohne aber auf die jeweils andere Figur verzichten zu können. Viele halten den Mamuthone zunächst für ein Tier und glauben, der Issohadore sei da, es zu fangen oder zu dressieren. Das ist falsch und wird bei einem intensiveren Blick auf beide Figuren deutlich.

Dunkle Gestalt: der Mamuthones
Dunkle Gestalt: der Mamuthones

Der Mamuthone hat scheinbar etwas Unzivilisiertes an sich: Eine dunkle Maske, ein zotteliger Umhang aus dem Fell von schwarzen Schafen und seine wilden Tänze und Bewegungen lassen die Vermutung, es handele sich um ein animalisches Wesen, naheliegen.

Die Maske ist antropomorph, dem Tierischen liegen eine Reihe menschlicher Eigenschaften zu Grunde. Wer genau hinsieht, entdeckt in der schwarzen Holzmaske ein düsteres, vom Leben gezeichnetes Menschengesicht, ein Kopftuch, das die Landfrauen tragen, Arbeitshose der Männer aus schwerem, dunkelbraunen oder schwarzen Stoff, schwere Stiefel / Schuhe, und damit die Kleidung des sardischen Volkes, der ländlichen Gegend, der Hirten und Feldarbeiter.

An das Tier erinnert der Mamuthone auch mit seiner schweren Last, dem zwischen 20 und 30 kg schweren Glockenschmuck, die er feierlichen und kräftigen Schrittes („ai passi del boe“ – mit den Schritten des Ochsen), die aber wie ein einziger Schritt klingen, durch die Straßen des Dorfes. Ein Symbol dafür, wie hart und mühevoll die Arbeit hier ist – und wie sehr sie gleichzeitig wertgeschätzt wird.

Der Issohadore, Begleiter und Dirigent des Mamuthone
Der Issohadore, Begleiter und Dirigent des Mamuthone

Einen eindrucksvollen Kontrast bilden dazu die lebendigen Farben und der flinke Schritt der Issohadores. Die Figur ist positiv, seine Kleidung lehnt sich an die Tracht der Männer Mamoiadas an: ein leuchtend rotes Jacket aus Baumwolle, um das ein Riemen (ledern oder aus Stoff) mit Glöckchen gebunden ist, eine weiße Hose und schwarze Stiefel oder Schuhe mit Gamaschen. Um die Hüfte dann ein weibliches Symbol: ein blumenbesticktes weißes oder schwarzes Tuch, das Wohlstand und Leben bedeutet, ein Schatz, den die Frauen trugen. Dazu eine schwarze Mütze auf dem Kopf, gebunden mit einer Schleife.

Die Issohadores tragen geflochtene Seile und mit diesen Lassos fangen sie nicht die Mamuthones, sondern die Zuschauer am Straßenrand, vorwiegend Frauen und Mädchen. Dies tun sie, um ihnen Glück zu wünschen, und sie werden natürlich immer wieder freigegeben.

Einer der Issohadore führt die Ungleichen an und gibt den Takt vor. Er ist die Verbindung zwischen den beiden tanzenden Gruppen – 12 Mamuthones und 8 Issohadores.

In Mamoiada entsteht durch den Kontrast und die Geräusche eine irreale Atmosphäre, die alte Symbole an heidnische Kulte in Erinnerung zurückrufen und die Besucher in ihren Bann ziehen.

Die Theorien, die am meisten Anerkennung finden, gründen sich auf Riten aus dem Dionisos-Kult. Immer geht es auch um den Kampf zwischen Gut und Böse. Wie in vielen Kulturen dieser Welt wird auch mit diesem Fest das Ende des Winters und die Ankunft der schönen Jahreszeit gefeiert (in Mamoiada allerdings symbolisiert durch deb Tod des Juvanne Martis Sero Dienstagnacht).

Es ist stark, die Figuren können Angst machen, die Szenerie wirkt in der grauen Wirklichkeit der Berge unheimlich und eindrucksvoll.

Doch vielmehr fühlen wir die Kraft, die von den beiden Gruppen ausgeht. Die Energie des wiederkehrenden Lebens, noch bevor wir den Frühling sehen können und während wir in der kühlen Berggegend durchaus frösteln. Sardinien, Mittelmeer – das ist in vielen Köpfen immer noch mit Sonne, Wärme und Meer verbunden. In Mamoiada müssen wir uns mit maximal 10 Grad bei einem leichten Wind und hoher Luftfeuchtigkeit, die für kriechende Kälte sorgt, arrangieren.

Und doch macht unser Herz einen Sprung und es scheint kein Zufall, dass noch viele weitere Besucher ihren Weg in das kleine Dorf Mamoiada finden. Jetzt, wenn die Mamuthones und Issohadores durch die engen Gassen tanzen, werden sie von einer immensen Besucherzahl begleitet. Und alle merken, dies ist ein einmaliges Erlebnis.

Karnevalsdienstag in Mamoiada

Auf der Straße, die durch das alte Dorf führt, ist heute nur Fußgängerverkehr zugelassen. Wie bereits in den Tagen zuvor, öffnen die Familien auch am letzten Tag des Spektakels, dem Karnevalsdienstag, die Tore ihrer Garagen und Geschäfte. Die Hausherren und -frauen verkaufen Selbstgemachtes zu wunderbar moderaten Preisen. Die Kälte der Berge zieht in das Dorf, alle fänden schöner, wenn die Sonne schiene. Aber immerhin regnet es nicht, freut sich das Dorf.

Um 16 Uhr soll der Umzug der „Mamuthones e Issohadores“ beginnen, jetzt ist es kurz nach drei. Also nehmen wir das gastfreundliche Angebot an und trinken einen „caffé a mendule“: im Original aus Mandeln gemacht, heute bekommt man aber auch oft einen caffè / Espresso mit Mandelsirup. Der Geschmack erinnert an Nuss- oder Marzipaneis und trotz des ungemütlichen Klimas ist für kurze Zeit Sommer.

Ein Spektakel für das ganze Dorf

Straßenmusik gehört zu jedem Umzug dazu
Straßenmusik gehört zu jedem Umzug dazu

Von dem Platz vor dem Rathaus dringen seltsame Melodien, zu denen der „ballo sardo“ getanzt wird. Wir laufen den Tönen entgegen und entdecken einen Musiker mit Ziehharmonika, umringt von einer Menschenmenge, einige tanzend, alt und jung. Wieder zieht es uns in die nächstbeste geöffnete Tür. Hier wohnt ein Jäger und bietet uns fast zum Selbstkostenpreis ein Brötchen mit gekochter, körnig zerfallener Salsiccia an. Einfach und großartig. Dazu passt perfekt ein Ridotto. Natürlich ein Cannonau aus eigenem Anbau.

Seit einigen Jahren hat sich die Gewohnheit eingebürgert, sowohl am Montag als auch am Dienstag der Seite des historischen Karnevals, „i piccoli“, den Kindern zu erlauben, ebenfalls als „mamuthones e issohadores“ gekleidet durch die engen Straßen des Dorfes zu ziehen. Sie geben dem Dorf die Hoffnung, dass ihre Traditionen so schnell nicht aussterben werden.

Dafür werden auch die beiden ortsansässigen Kulturvereine sorgen. Mehr als unsere Karnevalsvereine in deutschen Hochburgen, sind sie ganz den uralten Werten verpflichtet. Hier und heute geht es weniger um Besäufnis und Politik – auch wenn weder Wein noch Sozialkritik zu kurz kommt – sondern mehr um das Bewahren des Alten und des Guten, der sardischen Traditionen und die Rückbesinnung auf all das, was das die sardische Seele ausmacht.

So sind diese Tage in Mamoiada dicht angereichert mit kulturellen Veranstaltungen, die sich um das Leben vor Ort drehen. Seien es Ausstellungen im Maskenmuseum oder im Pro Loco. Am Dienstag, wenn sich der Sonntagsumzug der Mamuthones e Issohadores wiederholt, folgen ihnen Gruppen in traditionellen sardischen Gewändern oder in Verkleidungen und lustigen geschmückten Wagen.

Wir lassen uns treiben und gegen Mitternacht werden wir erneut überrascht. Ein Eselskarren, gefahren von einem jungen Mann des Dorfes, sein Gesicht schwarz gemalt, zieht durch das Dorf. Hinten auf dem Karren liegt Juvanne Martis Sero, die Schlussfigur des Karnevals in Mamoiada. Er wird von den Einwohnern zutiefst bedauert, weil er das Ende des Festes symbolisiert. Er ist das Symbol für den sterbenden Winter. Um diese kleine Szene herum tanzen andere auf der Piazza di Municipio und lassen sich in die Nacht und das nun wieder folgende normale Leben treiben. Bevor nun auch die liturgische Fastenzeit bis Ostern beginnt, wird mit der Ausgabe von „fave e lardo“, einem Gericht aus dicken weißen Bohnen gekocht mit fettem Schweinefleisch und Schwarte, eingeläutet.

Irgendwo, zwischen intensivem Feiern und tiefer Besinnung endet die Innenschau der besonderen Art. Mamoiada kehrt zurück zu seinem Tagesgeschäft. Seine Besucher sortieren diese Eindrücke zu ihren Urlaubserinnerungen und fühlen: Hier haben wir in Sardiniens Seele geblickt.

Impressionen

2 Comments

  1. sigrid

    15. Februar 2013 at 16:52

    liebes chef-schaf,
    danke für den schönen bericht.
    nun habe ich wieder ein klein wenig mehr der sardischen kultur verstanden, ein paar puzzelteile haben ihren platz gefunden, vielen dank!
    sardinien ist eine insel, die mich, je mehr ich erfahre, desto mehr fasziniert. eines tages möchte ich gerne zur fastnachtszeit hier sein und dein bericht animiert mich, dann im kleinen dorf mamoiada zu sein, wenn der winter verabschiedet wird.

    Reply
    • admin

      15. Februar 2013 at 19:42

      Das freut uns so richtig, vielen Dank! Und die Reise wird sich ganz bestimmt lohnen! Nehmt aber ausreichend warme Sachen und noch einen Schlafsack mit, dann kann nichts schiefgehen 🙂

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert