Schafe und Sardinien – das ist untrennbar miteinander verbunden. Seit das schwarze Schaf durch die Insel reist, bleibt es bei jeder Herde stehen und bei jedem Schaf, das es trifft, entfleucht ihm ein „Beeeh!“ … natürlich.
Aber vor kurzem lernte es bei einer Reise nach Mamoiada einen Hirten kennen, der dem Dasein als Schäfer etwas geradezu Philosophisches abgewinnen kann. Mattia Moro, knapp über 30, Sohn einer Hirtenfamilie, entschied sich für das Leben als Hirte in seinem Heimatdorf. Hier lernst du ihn kennen:
Mattia erzählt in dem Video:
„Wir sind wie Zigeuner“, sagte mein Vater. Wir gehen mit den Schafen dorthin, wo viel Gras wächst, damit die Schafe glücklich sind. Doch, die Schafe müssen glücklich sein, betonte er immer.
Ich glaube, dieser Beruf ist für die Insel grundlegend wichtig. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch aus kulturellen Gründen. In Mamoiada sind wir rund fünfzehn Schafhirten. Wir haben insgesamt etwa 2.500 bis 3.000 Schafe der sardischen Rasse („razza sarda“), das sind Milchschafe. 90% der Schäfer liefern ihre Milch an die großen Molkereien.
Mein Vater wurde als Hirte geboren, er war Sohn eines Schäfers und hat mir eine sehr wichtige Sache beigebracht. Denn er war glücklicherweise auch Käser und hat mir erklärt, wie man Käse macht. Mir gefällt das, weil ich die Früchte der Arbeit sehe, den ganzen Weg der Entstehung und des Lebens, die vielen Jahre … was sich letztlich alles in einem Käselaib manifestiert. Vor einigen Jahren konnte ich meine eigene kleine Käserei mit Direktverkauf eröffnen. Wir verarbeiten nur unsere eigene Milch und verwandeln sie in Käse.
Mein Tag beginnt um 5:30, wenn ich aus dem Haus gehe, und abends gegen halb acht komme ich zurück. Uns geht es gut, es ist eine Arbeit, die uns erlaubt zu leben, uns durchzuschlagen, und große Befriedigung zu erleben. Wir sind glücklich … jeder ist glücklich.«
Seit ich auf Sardinien bin, habe ich die beiden Worte „Glück“ und „Schafe“ selten in einem Zusammenhang gehört. Der sardische Schäfer, eigentlich ein wortkarger, rauer, fast melancholischer Geselle, ist in der Regel auch etwas älter und von eher praktischer Natur – und nicht zwingend der Inbegriff des Glücklichseins.
Dass einer dem Hirtenberuf so viel Positives abgewinnen kann, statt zu lamentieren (tatsächlich erinnere ich nicht, dass Mattia überhaupt von Schwierigkeiten erzählte – die es ohne Zweifel gibt, wir erinnern uns nur an den Preiskampf für Schafsmilch) hat mich schwer mehrfach beeindruckt. Eine solche Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit – davon träumt wohl jeder, der im Betrieb, Projektbüro oder im Homeoffice vor sich hin rotiert.
Genau darum hat mich die Begegnung mit Mattia wirklich zum Nachdenken gebracht. Denn Mattia ist ja kein Hobby-Hirte, der das aus romantischen Gründen macht, sondern Unternehmer.
Aber neben der Frage, wie er mit Schafen und Käse wirtschaftlich arbeiten kann, erlaubt er sich, seiner Arbeit und seinen Erzeugnissen eine immaterielle Bedeutung zu geben – und eben glücklich zu sein.
Das Hirtenleben auf Sardinien gilt allgemein als beschwerlich und hart – allein die Uhrzeiten, nie Urlaub, und ein Schafstall ist wahrhaft kein Luxus. Und Mattia hätte sicher ein Studium beginnen oder einen einfacheren Job wählen können. Er hätte mit seiner Frau und den Kindern in die Stadt ziehen und die Freiheit genießen können.
Doch seine Lebensphilosophie ist eine andere. Er entschied sich für das Landleben. Mehr noch: Er wählte ein Leben als Schäfer. Das ist ja kein Beruf, den man wechselt, wenn er einem nicht mehr passt. Das ist eine Berufung.
Oder vielmehr: Die Frage, ob er Hirte werden solle, hat sich Mattia zwar gestellt, aber die Antwort war immer sonnenklar. Die Familientradition aufrecht zu erhalten und ihr etwas Sinnhaftes abzugewinnen, lag in seiner Hand. Mattia arbeitet wie sein Vater und Großvater aus leidenschaftlicher Überzeugung mit seinen Schafen und dem, was sie ihm schenken. Ihre Milch verarbeitet er so natürlich, rein und gut wie es ihm irgend möglich ist, zu Pecorino und Ricotta.
Dass er nicht nur Hirte, sondern auch Käser ist, gibt seiner Arbeit und seinem Leben eine andere Qualität – und erweitert seine Möglichkeiten.
Was ich spannend fand, war dass sich der Stolz des Jungunternehmers in einem ganz besonderen Wunsch ausdrückte. Nämlich nicht um jeden Preis im Großmarkt an viele zu verkaufen, sondern ganz direkt, an Menschen mit Qualitätsbewusstsein. Lieber etwas weniger, als Zugeständnisse machen zu müssen. Und lieber an Menschen, die seine Arbeit und ihren Wert begreifen.
Er sagte mir: »Ich ziehe es vor, meinen Pecorino an Leute zu verkaufen, die ihn wertschätzen und verstehen, welche Arbeit dahintersteckt, statt hunderte anonymer Käselaibe … die Leute erinnern sich nicht einmal, was zwischen ihren Lippen war. Dabei muss dich das doch nachhaltig beeindrucken ….«
Speziell, wenn Mattia Käse macht, herrscht in dem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb / azienda agricola eine geradezu meditative Ruhe.
Ich sehe zu, wie er die Arme andächtig in den alten Kupferkessel taucht und die Wärme spürt und schweigt. Zusammen mit meiner kleinen Gruppe von Journalisten stehe ich neugierig daneben. Alle schauen und warten, bis er uns erklärt, was da vor sich geht. Wer etwas fragt, fragt ganz leise. Keine Hektik, kein Stress.
Vermutlich liegt das Glück genau da, in diesem Kupferkessel.
Natürlich ist das kein „Käseyoga“, was Mattia da macht. Das ist ernsthafte und anstrengende Arbeit. Jeden Tag, rund 14 Stunden, 365 Tage im Jahr. Da wird klar, dass diese meditativen Momente die Ausnahme und ihm durchaus gegönnt sind.
Ein Käse aus einer Direktproduktion wie der von Mattias Familie ist jedem Käserei-Produkt vorzuziehen (auch wenn es natürlich auch da gute Produkte gibt). Aber ich glaube, Mattias innere Haltung zu seinem Beruf hat einen positiven Effekt auf den Geschmack. Ich hab jedenfalls einen deutlichen Unterschied wahrgenommen.
Der frische, noch warme Ricotta, den uns Mattia zum Kaffee und einigem Gebäck (selbstverständlich auch selbstgemacht) hinstellt, ist der Hit. Und wir verstehen alle sofort, wie man auch mit wenig zufrieden sein kann.
Auch der Pecorino, den wir in seinem Ladengeschäft kaufen, ist qualitativ Lichtjahre von allem entfernt, was du im Supermarkt bekommst.
Speziell außerhalb von Sardinien, ist wirklich schwer, richtig gute Pecorino-Qualität zu finden. Ich empfehle den Gang ins kleine, feine Käse- oder Spezialitätengeschäft, die direkt importieren und auch darauf achten, wo sie einkaufen. Das kostet etwas mehr, lohnt sich aber.
Diese Loyalität zur Tradition, diese indiskutable Zufriedenheit mit dem Leben und dem, was man zur Verfügung hat, spiegelt das echte Sardinien. Und wenn man wie Mattia daraus etwas Wertvolles für sich und seine Familie schafft, dabei noch etwas Sinnvolles tut und der Job Befriedigung verschafft – umso besser.
So ist es heute, im 21. Jahrhundert, in den kleinen Dörfern abseits der touristischen Orte immer noch. Das hat keineswegs mit Rückständigkeit zu tun, sondern vielmehr mit Kultur und in der Gesellschaft verankerten Werten.
Dank solcher Persönlichkeiten wie Mattia besteht die Hoffnung, dass diese Philosophie auch in künftigen Generationen weiter lebt – und Schafe und Schäfer glücklich sind.
Den auf ganz natürliche Weise, bei Kilometer Null, also direkt lokal produzierten Pecorino und Ricotta von Mattias Schafen bekommst du in seinem Ladengeschäft im Zentrum von Mamoiada:
BADU
“kilometro zero”
Corso V. Emanuele III, 11
08024 Mamoiada (NU), Sardinien
Mattias Hof, die Azienda agricola BADU, befindet sich am Ortsausgang von Mamoiada, in der Località Badu Orgulesu.
Besuche und Vorführungen können nach Voranmeldung in Abstimmung mit Mattias Arbeitszeiten organisiert werden. Gruppen, die eine kulinarische Reise durch Mamoiada machen möchten, wenden sich gern per Mail an das schwarze Schaf: nicole (at) sardinien-incentive.de oder nicole (at) pecora-nera.eu … (at) = @
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
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