Der ländliche Tourismus, Agriturismo genannt, ist eine feine Sache auf Sardinien (und natürlich in ganz Italien). Vor allem für kulinarische Genussreisende zu empfehlen und für alle, die nah an Land und Leuten urlauben wollen.
Die Idee ist: Wir machen Ferien in einer ländlichen Umgebung, mit gutem Essen aus selbst vor Ort hergestellten Produkten in Quasi-Bioqualität. Dazu tolle Aromen, reine Luft, entspannende Landschaften, gelebte Traditionen. Wir leben mitten in der Natur und Kultur, in familiären landwirtschaftlichen Betrieben und erfahren so viel über Land und Leute.
Quasi das Beste der sardischen Gastfreundschaft. Näher ran geht fast nicht. Betriebe, die dieser ursprünglichen Philosophie folgen, gibt es wie Sand am Meer auf Sardinien. Das schwarze Schaf hat sich mit dem Konzept beschäftigt, sich durchgefuttert und gibt nachfolgend ein paar „Überlebenstipps“.
» Hier geht es zur Übersicht der schaferprobten Agriturismi auf Sardinien.
Tatsächlich gehört auch das Wohnen im ländlichen Raum zum Agriturismo-Konzept. Aber speziell küstennah, in den ausgesprochenen Urlaubsregionen Sardiniens, steht das Wort häufig nur für ein rustikales Abendessen.
Der Ausflug in den Agriturismo (von Touristen gern auch in unfreiwilliger Komik »Agrotourismo« genannt … nein, die sind nicht aggressiv …) als »landestypisches Fress-Happening« ist ein relativ neuer Standard im Ferienprogramm. Bedient werden in den Menüs die Erwartungen aus den Reiseführern: Natürlich gibt’s Malloreddu alla Campidanese und auch das porcetto sardo ist gesetzt. Muss!
Wie im »All-inclusive-Rausch« kugelt man ins Feriendomizil und hofft, dass man nicht platzt … Ach, egal! Muss man im Urlaub gemacht haben!
Leider lässt sich mit allem wo »echt sardisch« draufsteht, und ne Fahne mit den Quattro Mori weht, Geld verdienen. Und so kommt es, dass man in gewissen Urlaubsorten auch im dritten Agriturismo mit ebenjenem Porcetto buchstäblich abgespeist wird und denkt, es gäbe überall dasselbe. Zudem manchmal in einer Qualität, die echt nicht viel wert ist. Hauptsache viel statt Vielfalt, scheint das Motto. Die Atmosphäre erinnert an All-inclusive-Hotels.
Dummerweise reicht das vielen aus. Aber noch viel schlimmer ist: Die »echten«, die guten Agriturismi haben Mühe, zu kommunizieren und dem am Schild vorbeifahrenden Touristen zu beweisen, was sie denn positiv unterscheidet.
Nämlich: Gelebte, herzliche Gastfreundschaft und Qualität, Qualität, Qualität. Um die Highlights zu finden, brauchst du entweder Glück oder eine gute Spürnase.
Nun aber in medias (f)res(s)! Los geht’s mit ein paar Tipps für die »Agriturismo-Beginner«:
Eines haben alle gemeinsam: Es gibt viel zu essen. Das ist so und das bleibt vermutlich auch immer so. Der erste Tipp in der Liste ist also absolut ernst gemeint:
Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
Geboren wurden die ersten Agriturismi etwa in den Sechziger Jahren, nachdem ein Entwicklungsprojekt der OECE (Organizzazione Economica della Comunità Europea) in der Region Oristano den Grundstein gelegt hatte, um auch hier die Armut nach dem zweiten Weltkrieg zu bekämpfen.
Eine ebenso intelligente wie einfühlsame Beraterin erkannte schnell, dass die sardischen Frauen das Rückgrat und Potenzial der Gesellschaft waren.
Zunächst gab sie die Frauen der Orte eine zusätzliche Aufgabe und das notwendige Wissen dazu. Alles war ganz nah an dem, was sie auch sonst taten – allerdings ging es nun darum, zusätzliche Werte zu schaffen: Sie erhielten lebende Hühner, die sie am Haus halten konnten. Und sie lernten, das Futter anzubauen und kranke Tiere selbst zu kurieren.
Ungenutzte Flächen – häufig blieben zum Beispiel die Innenhöfe der Häuser brach – wurden zu Gemüsegärten umfunktioniert. Der vielleicht vorhandene, aber magere Zitronenbaum wurde kultiviert und gegen Ameisen geschützt, darunter wurde saisonal unterschiedliches Gemüse und Obst angebaut. So gab es im ganzen Jahr immer etwas zu essen.
Wer Stoffe für den Haus- und Stallgebrauch webte, der produzierte bald auch Decken und Vorhänge zur Verschönerung des Ambientes. Natürlich konnten die Frauen schon immer weben. Doch der im harten Alltag oft vernachlässigte künstlerische Aspekt mit traditionellen Motiven wurde wiederbelebt und gab den Produkten mehr Wert.
Teppiche und Stoffe wurden außerhalb des Dorfes verkauft oder dienten als Tauschware. Aus dem alten Können wurde ein Angebot gemacht, zu dem sich bald eine Nachfrage entwickelte.
Die Idee war tatsächlich: Das Wachstum aus eigener Kraft, Wissen vermitteln um Vorhandenes zu nutzen und aufzuwerten, direkt am Haus kultivieren und produzieren. Vor allem nicht mehr nur sporadisch für den Eigenbedarf, sondern in satter und verkaufbarer Menge. So gründeten sich ähnlich wie schon bei Wein und Käse auch die ersten Kooperativen – z. B. 1962 die Cooperativa Allevatrici Sarde in Oristano.
Im zweiten Schritt renovierte man die Häuser und verbesserte die dörflichen Infrastrukturen mit eigener Arbeitskraft der Bewohner. An Raum mangelte es nirgends, Platz genug war da. Oft sogar zuviel: Man lebte in den kleinen, leicht heizbaren Zimmern und ließ die großen – oft aus Geldmangel – verkommen und vermodern. Das wurde gemeinsam mit den Dorfbewohnern geändert und die Häuser für die nächste Maßnahme vorbereitet.
Im dritten Schritt adaptierte man schließlich das Jahrhunderte alte Gästekonzept der ländlichen Alpenregionen für Sardinien: Quasi wie in einer Alpenhütte – nur eben ohne Alpen und ohne Hütte 😉 – sollten Wanderer, Naturforscher und Archäologie-Interessierte (die die Reisenden auf Sardinien zu der Zeit hauptsächlich waren) in einem Gästezimmer aufgenommen werden und gegen kleines Geld bei der Familie wohnen und versorgt werden.
An Lebensmitteln – von Eiern über Käse bis Gemüse und natürlich Brot, Pecorino und Schinken – gab es keinen Mangel. Die schönen Decken und Teppiche sorgten für ein landestypisches, heimeliges Ambiente.
Der Agriturismo war geboren. Schlicht, aber in jeder Hinsicht gut.
Der Agriturismo ist bis heute eine echte Erfolgsgeschichte. Das Prinzip verbreitete sich über die nächsten Jahrzehnte auf der gesamten Insel.
Die neue Einnahmequelle führte dazu, dass Hirten das Wandern aufgaben und ihre Tiere näher am Haus halten konnten. Manche konnten sogar größere Höfe oder Weiden kaufen, und stiegen – je nach Lage und natürlichen Gegebenheiten – in den Obst-, Gemüse, Wein- und Olivenanbau ein.
Die Bauern auf Sardinien sind extrem stolz auf ihre selbst produzierten Sachen. Zwar bleibt ein Hirte immer ein Hirte. Aber wenn der Sohn nun auch Wein anbaute und damit über die Dorf- und gar Landesgrenzen herauswuchs, war das ein Grund zur Freude. Die Sesshaftigkeit nahm den Menschen viel Last von den Schultern, die sie – fleissig wie die Sarden auch sind – in positiver Weise wieder in den Familienbetrieb steckten.
So entwickelten sich auch erste Betriebe, die sich nicht nur komplett selbst versorgten – sondern sogar so viel produzierten, dass es für viele mehr reichte.
Alles immer mit den eigenen (und ein paar helfenden) Händen, nach antiken Traditionen, ohne Pestizide, mit natürlichen Verfahren und ohne Massentierhaltung. Und ohne dass irgendwelches Zeug aus Übersee herangekarrt werden muss.
Bis heute ist das die Regel auf Sardinien. Und die Qualität von Gemüse bis Fleisch, von Wein bis Brot, von Pasta bis zum Zwischenmenschlichen ist grundgut und herausragend.
Nicht weniger kann der Reisende von heute in einem Agriturismo erwarten. Und wenn er das nicht bekommt, ist ganz klar: Der Agriturismo ist eigentlich kein »echter«.
Gute Agriturismi sind auch unter dem Begriff »azienda agricola« zu finden und stehen für nachhaltige, lokale Landwirtschaft (wobei wiederum gesagt werden muss, dass nicht jede azienda agricola auch Gäste beherbergt).
Wo also find ich einen guten Agriturismo?
Das »Kilometer-Null-Prinzip« bedingt, dass nun der Gast – wenn er denn das Strandhotel bucht – etwas weiter fahren muss. Nämlich dorthin, wo Schafe weiden, Gemüse wächst, Schweine auf Wiesen laufen. Das ist halt ganz selten in Strandnähe.
Schon fünf bis zehn Kilometer ins Hinterland sind für manchen Strandurlauber zwar eine Herausforderung, aber ein guter Anfang! Und mit Blick auf die Qualität sehr viel versprechend.
Fahre aber auch mal 30, 40 oder gar 100 Kilometer in eine andere Region. Nimm nicht den erstbesten Agriturismo in Küstendunstkreis, sondern den nach dem zweiten Dorf im Hinterland. So wirst du auf die Perlen treffen, von denen das Schaf spricht.
Hier noch ein paar Quellen:
… oder folge einfach Schildern am Strassenrand, die dir gefallen – das schwarze Schaf ist auf diese Weise schon in wunderschöne Agriturismi mit unheimlich netten Menschen gestolpert.
Nur seinen Lieblings-Agriturismo verrät das Schaf nicht, weil er sonst seine Intimität verliert. Also, euren Liebling müsst ihr selbst finden 🙂
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