Ein markanter Felsblock sticht da in der hügeligen Inselmitte aus der Landschaft heraus: die Perda Liana. Das weithin sichtbare Naturmonument ist eine Landmarke, die vermutlich seit Jahrtausenden ein Wegweiser der wandernden Hirten im Inselinneren Sardiniens war. Im Gemeindegebiet von Gairo, am Südhang des Gennargentu-Gebirges, gelegen, sieht man sie bereits von Norden kommend, am Arcu Correboi zwischen Mamoiada, Fonni und Villagrande Strisaili – einem alten Pass der Transhumanz, der Wanderroute zum Weidewechsel.

Der Berg weist den Weg: die Perda Liana ist weithin sichtbar
Der Berg als Wegweiser: die Perda Liana ist weithin sichtbar

Heute ist die Perda Liana eine Art Wahrzeichen der Region Ogliastra und ein beliebtes Ausflugsziel für Aktivurlauber. Ganz großartig ist es hier auch zum Mountainbiken. Ich hab mich ein wenig geärgert, dass wir nicht mit den Rädern angereist sind).

Perda Liana – der berühmteste Felsabsatz der Ogliastra

Die Perda Liana gehört zu den sogenannten Tacchi d’Ogliastra. Tacco heißt so viel wie Absatz, ähnlich wie der von Schuhen (bloß umgedreht bzw. ohne Schuh). Im lokalen Sprachgebrauch nennt man sie hingegen Tonneri. Die Absätze der Ogliastra sind mal High Heels wie die Scala San Giorgio und mal stabile Hacken wie bei Herrenschuhen. Und ein tacco tut sich ganz besonders hervor.

Mit ihren 1.293 Metern und der markanten Form ist die Perda e‘ Liana sicher der berühmteste Felsabsatz. Der Turm aus Stein erhebt sich gut 50 Meter aus der Landschaft, sein Durchmesser beträgt ca. 100 Meter.

Das schwarze Schaf machte sich zu einer kleinen Wanderung auf, um ihn zu erkunden.

Bei diesem Wildschwein aus Holz beginnt einer der einfachen Wanderpfade
Bei diesem Wildschwein aus Holz beginnt einer der einfachen Wanderpfade

Was den Hike angeht, gibt es wahrlich Wege und Gipfel auf Sardinien und in der Welt die komplizierter sind. Das gesamte Gennargentu-Massiv ist eher hügelig und übersichtlich, hat kaum alpine Schwierigkeiten. Nur bei bestimmten Wetterlagen ist Vorsicht geboten (und weil das Wetter im Gebirge auch schnell umschlagen kann, eigentlich doch immer).

Alles geht auf Sicht: Wege rund um die Perda e Liana

Die offiziellen Wege sind wirklich einfach und der Berg weist dir den Weg.

An die Perda Liana kannst du bis dicht unter den Gipfel mit dem Auto heranfahren. Dann geht es auf klar erkennbaren Wegen (wir starten an der Località Pinningassu oberhalb einer kleinen Brücke bei einem Holztor), mit wenigen Höhenmetern, teils mit Handlauf und Steinstufen, auf die Perda Liana. Das ist in einer guten Viertelstunde bis 20 Minuten machbar. Oben angekommen, kannst du den Berg einmal umrunden und dich durch die flache, steinige Vegetation (mit gutem Schuhwerk, bitte keine Trekkingsandalen!) bis an den Felsabsatz selbst wagen. Rund um den Gipfel gibt es kaum Markierungen, aber wegen der gut einsehbaren Landschaft ist das kein Problem.

Sternförmig führen andere Wege, auch alte Hirtenpfade, heran, auf denen du die Umgebung erkunden kannst. Einige von ihnen führen in die Barbagia di Seulo. Und theoretisch kannst du auch von der Perda Liana zur Punta Lamarmora wandern.

Blick von der Perda Liana auf die Gebirgskette des Gennargentu, mit dem höchsten Gipfel Punta Lamarmora
Blick von der Perda Liana auf die Gebirgskette des Gennargentu, mit dem höchsten Gipfel Punta Lamarmora

Längere Treks sind aber eher etwas für einen schönen Frühlings- oder oder Herbsttag, denn die Wege sind weit und du brauchst Zeit und ein gutes Wetterfenster. Aber im Gennargentu lassen sich richtig schöne Wanderungen planen. Dafür brauchst du aber wegen fehlender Markierungen am besten einen Guide (der dich auch zu markanten Punkten wie saisonalen Wasserfällen oder Hirtenhütten bringen kann) und/oder ein gutes GPS.

Dazu Wasser und Wegzehrung nicht vergessen. In Frühling, Herbst und Winter nimm extra Klamotten und ggf. eine Mütze mit. Denn sobald die Sonne verschwindet oder Wind aufkommt, wird es dort oben sofort kalt. Im Sommer hingegen ist die baumarme Gegend wirklich mühsam du musst dich um guten Sonnenschutz bemühen.

Kurze Wege auf die Perda Liana
Kurze Wege auf die Perda Liana – oder eher: an den Fuß des Gipfelturms

Und … „auf die Perda Liana“ ist auch nicht ganz richtig gesagt. „Zur“ oder „an die“ Perda Liana trifft es eher. Mit wenig Anstrengung gelangst du nämlich nur an den Fuß des Felsabsatzes. Ganz oben drauf wird es doch schwieriger. Und – um eine der kuriosesten Fragen, die das schwarze Schaf je erreichte, gleich vorweg zu beantworten: Nein, eine Treppe gibt es da nicht.

Wenn du also ganz oben drauf stehen willst, geht das nur kletternderweise – also mit entsprechender Ausrüstung und Klettertechnik. Dann brauchst du natürlich auch noch einen Guide, der dich sichert und die anspruchsvollen Sportkletterrouten kennt. Denn wegen des instabilen Gesteins (zur Geologie gleich mehr), ist die Perda Liana nur bedingt für Anfänger geeignet. Auch sie allein bewältigen zu wollen, ist nicht machbar; Bouldern auf 50 Metern quasi unmöglich und gefährlich. Wende dich am Besten an einen Kletterverein (associazione arrampicata sportiva) in der Region, z. B. Climbing Ulassai / Nannai Climbing Home (B&B) in Ulassai.

Das schwarze Schaf bleibt bei der Wanderung – und hatte an diesem Januartag richtig Glück. Denn im Flachland und an den Küsten war es dicht neblig und winterlich kalt. Nur bedingt gutes Wanderwetter. Darum suchten wir uns eben ein Ziel, das ohne große Schwierigkeiten zu bewältigen und schnell zu erreichen war. Die Idee war goldrichtig: Wir stiegen über die Wolkendecke. Über dem gesamten Gennargentu schien die Sonne und damit war es vergleichsweise warm, obwohl wir mitten im Winter waren. Nur der Wind war an einigen Flanken recht kühl. Der Trek war zudem kurz genug, um im Winter nicht durchzuschwitzen.

Und der Fels lädt an seinen windstillen, sonnigen Ecken zu ausgiebigen Pausen und zu einem Picknick ein. So hatte das Schaf Zeit und Muße, sich mit den Kuriositäten des Berges zu beschäftigen.

Die Perda Liana ist uuuuuralt – und trotzdem sehr lebendig

Der Gennargentu gehört insgesamt zu den ältesten Gebirgen Europas und stammt aus dem Paläozoikum (vor 360-500 Millionen Jahren), als Sardinien noch zusammen mit Korsika einen Block bildete, der sich irgendwann von der kontinentalen Landmasse löste. Sardiniens zentrales Gebirge ist damit deutlich älter als die Alpen (die etwa vor 50 Millionen Jahren vergleichsweise „plötzlich“ durch tektonische Aktivität entstanden).

Darum ist die Perda Liana für Geologen sehr spannend: Sie bildet quasi alle geologischen Epochen der Entstehung Sardiniens* auf kleinstem Raum und über einen sehr langen Zeitraum ab.

Die Basis des Felsabsatzes besteht aus Schiefer aus ebenjenem Paläozoikum. Die Gesteinsschicht der kegelförmigen Struktur ist Dolomitgestein aus dem Mesozoikum der Jurazeit (150 Millionen). Über einen sehr, sehr, seeeehr langen Sedimentationsprozess durch Wassererosion wurde die letztliche Form des Turms aus Kalk-Dolomitgestein bestimmt. Ganz ähnlich, wie er heute da steht, gab es den Tacco vermutlich bereits im Miozän. Die Perda Liana ist damit rund 20 Millionen Jahre alt.

(Ich hoffe, ich hab das alles geologisch-korrekt wiedergegeben; meine Quelle: sardegnaforeste.it).

Spannend, nicht nur für Geologen: uraltes Gestein an der Perda Liana
Spannend, nicht nur für Geologen: uraltes Gestein an der Perda Liana

Doch da war noch nicht Schluss: Der Boden senkte sich weiter ab.Die atmosphärischen Bedingungen sorgten dafür, dass das Gestein weiter aufbrach, die prismenartigen Strukturen sind gut zu erkennen. Einzelne Felsbrocken lösten sich (das kommt bis in die jüngere Zeit vor) und liegen verstreut auf dem Terrain.

Der Forscher und Kartograph General Alberto Lamarmora, der Sardinien Mitte des 19. Jahrhunderts bereiste, war ebenfalls auf dem Berg. Er beschrieb, dass man hier Geier und Mufflons beobachten könne. Geier leben mittlerweile eher woanders (z. B. an der Westküste bei Bosa). Aber tatsächlich rennen uns vier junge Mufflons über den Pfad, aufgeschreckt von einer Horde Jäger. Wir sind leider nicht vorbereitet, um sie zu fotografieren – die Tierchen sind scheu und schnell wie nix.

Der Nachbarberg der Perda e‘ Liana heißt übrigens Su Cucurru e‘ Mufloni. Die Gegend ist also per se nicht schlecht, wenn man die Tiere sehen will. Am besten wähle man einen ruhigen Tag in der Woche während der Nebensaison, wenn kein Mensch unterwegs ist. Und dann heißt es wie immer bei Wildtieren: Geduld und Glück haben.

Auf der mittleren Höhe im Gennargentu wächst ein Wald, aus typischer mediterraner Macchia, der sich über etwa 3.000 Hektar erstreckt. Er wurde teils aufgeforstet mit jungen Bäumen nach der industriellen Ausbeutung und Entwaldung / disboscamento – und mit Erdbeerbäumen, dem Corbezzolo, oder lokal-sardisch: olioni. Einige sagen, davon ließe sich der Namensteil Liana ableiten.

Allerdings gibt es noch eine andere Erklärung für den Namen.

Die Perda Liana – ein nuraghisches Heiligtum?

Perda Liana (im lokalen Sprachgebrauch der Sarden auch Perda e‘ Liana) leitet sich von Perda = petra / Stein ab, und Liana soll vom Namen eines ethnischen, nuraghischen Volksstamms, den iliensi oder iolei herrühren, und hieße somit »Stein der Iliensi«.

Der General Lamarmora glaubte, beeinflusst von Erzählungen der Einheimischen, auf dem Gipfel der Perda Liana einen Nuraghen zu erkennen – konnte aber mangels Ausrüstung nicht hinaufsteigen. Seine Annahme hat sich denn auch nicht bestätigt.

Aber die Überlieferungen bestätigen, dass die Perda Liana schon in der Bronzezeit für das nuraghische Volk eine wichtige Rolle gespielt hat. Denn sicher ist kein Zufall, dass alle wichtigen Nuraghen der Region rund um den Gennargentu eine direkte Sichtverbindung zur Perda e Liana haben, z. B. Nuraghe Orruinas (Arzana), Nuraghe Serbissi (Osini), Nuraghe Ardasai (Seui), Nuraghe s’Ulimu (Ulassai). Eine Funktion zur Kommunikation untereinander, zum Beispiel als Warnung vor Feinden oder als Wegweiser für Hirten ist mehr als wahrscheinlich. Über Jahrhunderte, ja Jahrtausende, hinweg.

Die Perda Liana – auch ein Totem, ein Altar?

Ob seiner prägnanten Form und dem altarähnlichen Erscheinungsbild war der Gipfel vermutlich auch eine Art Totem. Ein symbolischer, natürlicher Altar, eine heilige Stätte. Oder ein Orientierungspunkt, auch in übertragenem Sinne: An seinem Fuß sollen sich verschiedene nuraghische Stämme versammelt haben könnten, um Räte abzuhalten oder bei Stammesfehden Allianzen zu bilden. Oder auch schlicht, um sich zu finden und einen festen Treffpunkt zu haben. An den Überlieferungen der Einheimischen kann, wenn man sich das, was man über die nuraghische Kultur weiß, anschaut, was dran sein.

Lassen wir es für den Moment bei den Vermutungen, es war ja niemand dabei und die nuraghische Kultur kannte keine schriftliche Dokumentation. Aber möglich ist zwischen Himmel und Erde ja vieles.

Vielleicht auch, dass die Perda Liana einige ziemlich übernatürliche Bewohner hat …

Dämonen im Mondlicht am Eingang zur Hölle

Falls du gerade Geld brauchst und nichts zu verkaufen hast, außer deiner Seele, bist du an der Perda Liana genau richtig. Denn hier sollen Dämonen leben, die den Menschen im Austausch für ihre Seelen alle Reichtümer geben, die sie haben möchten. Der Legende nach sei der Eingang zur Hölle / la porta dell’Inferno am Fuß des Felsabsatzes zu finden. Ähnliches sagt man übrigens auch über Su Sterru, einen Karstschlund bei Baunei.

Der Eingang zur Hölle ... hier vielleicht?
Der Eingang zur Hölle … hier vielleicht?

Jedenfalls muss man in einer Nacht, erhellt vom Mondlicht, zur Perda Liana hinauf steigen. Dann sähe man am Fuße des Berges die Dämonen tanzen. Man biete ihnen eben seine Seele an und äußere, was man gern hätte. Und das würde sofort Wirklichkeit.

Und so gibt es in der Ogliastra eine Redensart über Leute, die innerhalb kurzer Zeit reich wurden, ohne dass es dafür eine logische Erklärung gäbe: »A sa Perda Liana, su hi heres ti dana!« – grob übersetzt: »Er war an der Perda Liana, dort bekommt man was man will.«

Ich hab meine Seele lieber behalten. Denn in dem Moment da oben an der Perda Liana war ich – wie so oft auf kleinen Auszeiten im Inselinneren – wieder einmal wunschlos glücklich.

Anfahrt zur Perda Liana

Von Norden kommend, fährst du bei Nuoro von der Schnellstraße 131 ab, auf die SS 389 in Richtung Lanusei. Kurz vor Villanova Strisaili ist rechts eine Tankstelle mit Bistro, L’Altura, wo du noch Wasser und Wegzehrung bekommst. Dann geht es weiter geradeaus, die ausgebaute Straße wird enger und kurviger. Nach wenigen Kilometern kommt rechts eine kleine Brücke, die zur Bahnstation Villanova führt. Dort abfahren und rechts auf der Nebenstraße am Stausee Lago di Bau Muggeris entlang.

Rechne im Gennargentu mit natürlichen Straßensperren :)
Rechne im Gennargentu immer mit natürlichen Straßensperren 🙂

Die Nebenstraßen sind quasi immer von Kühen und Pferden bevölkert – aber die tun in der Regel nichts. Nur ein bisschen Geduld brauchst du. Auch die Winterreifen-/Schneekettenpflicht von November bis April hat hier durchaus an manchen Tagen Sinn. Irgendwann kommt ein Abzweig – und da ist es egal, ob du rechts abbiegst oder weiter geradeaus fährst – beide Wege führen letztlich ans Ziel. Wir wählen den zur Località Pinningassu (Google Maps Location 39.9168586042398, 9.41467405459808). Die Routen und die Wanderpfade sind weiter z. B. auf outdooractive beschrieben:

» https://www.outdooractive.com/de/route/wanderung/gairo/perda-e-liana/115512963/

Lageplan Perda Liana
Lageplan Perda Liana

* Zur Entstehung Sardiniens: Die Perda Liana und andere Naturmonumente sind auch Tipps in meinem zweiten Sardinien-Buch – darin ist das Kapitel zum Juli dem Thema Geologie gewidmet: „Die Entstehung einer Insel“. » Bestellung im Buchshop bei Books on Demand

Die Perda Liana ist eines der Naturmonumente, vorgestellt im neuen Sardinienbuch vom schwarzen Schaf
Die Perda Liana ist eines der Naturmonumente, vorgestellt im neuen Sardinienbuch vom schwarzen Schaf

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