Die Barbagia di Seui ist einer der abgelegensten Plätze, die man auf Sardinien finden kann. Die nächstgelegene Abfahrt an der Schnellstraße SS 131 ist Sanluri – von dort sind es rund 70 Kilometer über mehrere Staats- und Provinzstraßen und durch viele kleine Dörfer.

Das schafft selbst Sebastian Vettel nicht unter anderthalb Stunden. Der Durchschnittsfahrer ist nach etwa zwei Stunden am Ziel.

Barbagia di Seui

Barbagia di Seui

Das liegt zum einen an dem ewigen Auf und Ab und an Serpentinen vom Feinsten, zum anderen an den gefühlt tausend Schafen, die – mal mit, mal ohne Hirte, aber immer mit Hund – auf den Straßen unterwegs sind.

Das schwarze Schaf wohnt in einer kleinen Locanda in Pauli Arbarei, hat am Abend zuvor gute Pizza gegessen, und das Wetter ist ein Träumchen als es nach zwei Kaffee startet. Noch ist es im Medio Campidano – da ist quasi jedes Dorf eine kleine Perle. Und wenn man jedes besucht, dauert die Fahrt Tage.

Aber, es wendet sich heute ins Inselinnere, vorbei geht es am nördlichen Ende des Stausees Lago Flumendosa, über einen Pass und dann, wenn man endlich wieder Gas geben und einfach nur geradeaus fahren könnte – ist man da.

Sadali. Meine Güte, gibt es hier viel zu sehen! Das „Dorf des Wassers“ mit seinen mittelalterlichen Häusern im historischen Zentrum, gebaut rund um viele Quellen, Wassermühlen, etwas außerhalb die Domus de Janas, Grotten, Urwälder, die Täler und Berge … hier könnte das pecora nera mehrere Tage verbringen, ohne sich zu langweilen.

Heute ist es wegen der „cascate“, der Wasserfälle, hier. Und zwar wegen eines bestimmten Wasserfalls. Ab jetzt wird gelaufen, ein paar Stunden lang.

Su Stampu ‚e Su Turrunu

Wasser fließt überall im Dickicht

Wasser fließt überall im Dickicht

Im grünen Dickicht des Waldes liegt das Ziel. Auf den Straßen schon früh mit „cascata“ ausgeschildert folgt man ab Sadali an der großen Kreuzung vor dem Ort den Schildern zur Grotte de Is Janas. Ein paar Kilometer weiter auf dem großen Parkplatz beim Restaurant „Alla Grotta“ parken.

Drei Trekkingpfade beginnen hier zu einem großen Teil als alte Maultier- und Minenpfade. An ihren Enden gehen sie oft in weitere Wege über, die weit in die Landschaft, in die Täler und Wälder hineinführen (eine Karte findet Ihr unten).

Alle Wege sind recht gut ausgeschildert, aber wegen ihrer Weitläufigkeit und Abgeschiedenheit niemals unvorbereitet und nur mit ausreichend Verpflegung und guter Ausrüstung zu gehen.

Der Pfad nach Su Stampu ist einer der leichtesten – eigentlich ist er ganz prima zum Aufwärmen. Etwa eine Dreiviertel Stunde einfach, die meiste Zeit bergab. Er beginnt hinter der Biglietteria für die Grotte Is Janas als breiter Schotterweg, wird aber bald enger.

Das Schaf folgt den Wassergeräuschen, unten fließt der Riu Mattianu und der Pfad läuft „einspurig“ nebenher.

Geröll auf dem Pfad

Geröll auf dem Pfad

Bald schon erahnt man die ersten „Wasserfällchen“ in der Landschaft. Sie sind ein wenig versteckt, das Dickicht aus Busch und Baum ist zu stark, die Lichter und Schatten schaffen eine fast undurchdringliche, verwunschene Welt, die sich dem Blick von außen zu verschließen scheint – und das obwohl man mitten drin steht.

Und dann das erste Hindernis: Ein Schild will am Weitergehen hindern, der Weg sei zerstört und es sei niemandem und auf keinen Fall erlaubt, weiter zu gehen. Okay, kurz hinter dem Schild Geröll, das mitten auf dem Weg liegt und ihn fast unpassierbar macht.

Su Stampu de Su Turrunu

Su Stampu de Su Turrunu …

Tja, fast. Hallo? Schwarzes Schahaaaf! Das wäre ja nun wirklich gelacht, wenn es sich jetzt irgendwie aufhalten ließe. Natürlich auf ganz eigene Gefahr, und auch nicht zum Nachmachen empfohlen, aber mal ehrlich – es ist doch nicht so lang gefahren, um wieder umzukehren!

Also … wie durch Zauberhand landet das Wolltier auf der anderen Seite des Geröllhaufens. Ein Wunder!

Weiter geht es bergab, Stufen aus Stein, rechts die hohe Felswand, links fällt die Landschaft mehrere Meter zu dem Fluss hin ab. Runterfallen wär jetzt blöd, aber ein Zaun sichert den Wanderer.

Der Hinweg nach Su Stampu geht auch für Wanderer ohne große Ambitionen. Aber nicht vergessen: Anstrengend wird der Rückweg – das was wir jetzt hinuntergehen muss dann als Steigung überwunden werden. Es sei denn man nimmt den Rundweg in eine andere Richtung (was deutlich länger dauert).

... oder auch Su Stampu de Su Turnu

… oder auch Su Stampu de Su Turnu

An zwei großen Bäumen an den Hängen zwingt die Schönheit des Ortes, anzuhalten. Zu grandios ist der Blick auf das Tal, der Wald gewährt von hier aus einen Blick auf das Valle Guado Salassi.

In gut drei Stunden ist dieser Anschlusspfad hin und bis zum Ausgangspunkt zurück zu schaffen.

Und mittendrin, laute Wassergeräusche. Su Stampu ruft.

Einer der Schönheiten auf die die Insel zu Recht mächtig stolz ist. Ein Wasserfall, der nicht etwa über einen Hang hinabfließt – nein, der wird aus dem oberhalb verlaufenden Riu Turrunu gespeist, der im Fels verschwindet und dann mitten durch das Karstgestein hoher Felswände in einen kleinen See hinabfällt.

Daher auch der Name „Su Stampu de Su Turrunu“ – was in etwa „Der Abdruck des Flusses Turrunu“ bedeutet.

Dieser besondere Wasserfall, von dem etwa acht Meter Wassersäule zu sehen ist, macht einen ohrenbetäubenden Lärm. Weiter geht es um die Ecke, wir stapfen über eine kleine Brücke und sind ernsthaft ergriffen.

Doch das nächste Hindernis ist da. Es liegt buchstäblich in der Luft. Was riecht denn hier so merkwürdig? Näher und näher kommen wir, stärker und stärker wird der eigenartige Geruch.

Und dann liegt sie da: eine tote Ziege. Gott hab sie selig.

So verquer wie sie da liegt, scheint sie von den Felswänden oberhalb des Wasserfalls hinabgestürzt und hier verendet zu sein. Sieht nach Genickbruch aus, immerhin ging’s wohl schnell.

Kein Forensiker und kein Pathologe da, aber ein, zwei Tage – länger liegt sie da noch nicht. Es hatte auch schon jemand Hunger, die Innereien waren schon weg – insofern hielt sich der eklige Anblick in Grenzen. Schön? Ja, neee, nicht wirklich.

Wasserfall vor Grotte

Wasserfall vor Grotte

Doch auch das ist echte Natur, die einem auf der Insel immer mal begegnet. Ja, da wird einem kurz schlecht. Wie jetzt also um die Ziege (und vor allem um den üblen Geruch) herum noch die Schönheit bestaunen?

T-Shirt hochziehen, Kopftuch vors Gesicht halten, etwas Zahnpasta unter die Nase (die ist im Trekkingrucksack keine so schlechte Ausrüstung) und von einer Position, an der der Übelgeruch nicht ganz so stark entlangzieht, ein paar Fotos schießen. Zehn Minuten, länger geht es wirklich nicht.

Davon ausgehend, dass der Weg bald wieder hergestellt, und die Ziege ja bald so richtig Geschichte ist, hier nun das Loblied auf Su Stampu de Su Turrunu:

Die vor uns liegende Landschaft ...

Die vor uns liegende Landschaft …

Er ist wirklich einzigartig, so wie er da aus dem Fels herabsprudelt und von ausgeprochener Schönheit. Eine Belohnung für alle, die den weiten Weg hierher gefunden haben.

Das Wasser ist die Hauptattraktion, wie es sich in mühevoller Kleinarbeit einen Weg durch das Kalkgestein gegraben hat, und nun vor einer großen halbrunden Grotte einen kleinen flachen See füllt.

Wie eine Bühne präsentiert sich die Szene, und das Wasser, das aus ihrer Mitte entgegen und hinab fließt zum Riu Maragosu, ist wie die Musik des Stückes, das gerade dargeboten wird.

Das Merkwürdige: Das laute Getöse dieser „Landschaft aus Wasser“ stört in keinster Weise die Ruhe des Ortes. Die Wasser klingen wirklich wie Musik …Wäre da nicht die Ziege – man wollte hier gar nicht wieder weg …

Dieses Naturphänomen ist seit Millionen von Jahren in Gang und die vielen kleinen Bäche haben eine ganze Schlucht gegraben, in der auch seltene Pflanzen wachsen und gedeihen.

Wenn die Sonne scheint, ist es hier wie in einer Art Märchenwald, überall glitzert es, weiter flussabwärts treffen sich die Wasser und füllen weitere Bäche, speisen weitere Wasserfälle, die mal plätschern, mal tosen.

Wo Flüsse sich treffen ...

Wo Flüsse sich treffen …

Der Pfad führt weiter oberhalb des Flusses, in Richtung des Tales. Etwa zehn Minuten später das dritte Hindernis: eine vom Wasser zerrissene Brücke. Der Fluss ist flach genug, man kann ihn leicht passieren – nur auf die rutschigen Steine aufpassen.

Die Umgebung hier zwischen den Flüssen bleibt unvergessen im Gedächtnis: mit Moos bewachsene Felsen und Felswände aus Kalk, Bäume und Kletterpflanzen verschlingen sich ineinander und so wenig wie sie voneinander zu trennen sind, können wir je vergessen, wie großartig es hier ist.

Wir gehen noch weiter in das Märchen hinein und lassen uns verzaubern …

Weitere Informationen: 

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