Dass Pasta nicht bloß „Nudeln“ ist bzw. sind (da geht’s ja schon los), wissen wir spätestens seit dem ersten Italien-Urlaub. Und dass es – speziell auf Sardinien – mehr gibt als Spaghetti und Lasagne, das wissen wir auch. Oh, und wir kennen den Unterschied zwischen Tagliatelle und Tortellini! Und nu kommst du!
Nun also Su Filindeu. Das ist eine sehr seltene und exklusiv auf Sardinien im Nuorese gefertigte Pasta. Und zwar definitiv eine für Fortgeschrittene – von der Herstellung bis zum Rezept – obwohl es ein traditionelles, ländlich-bäuerliches Gericht ist.
Schon die Ursprünge des Namens erfordern ein etymologisches Lexikon. Der sardische Name könnte seine Ursprünge im Spanischen haben. Dort versteht man unter Findeo bzw. Los Fideos Fadennudeln, und Fideos fines beschreibt in der dortigen Küche ganz feine, aus langen Fäden bestehende Nudeln.
„Su Filindeu“ könnte aber auch aus dem Arabischen kommen: Den Begriff fidaws kann man mit „Haar“ und in manchem Kontext mit „fein wie ein Haar“ übersetzen. Vielleicht kam’s auch aus dem Arabischen über Spanien nach Sardinien. Uns könnte Su Filindeu vielleicht von „filigran“ bekannt vorkommen, was ja auch „fein“ bedeutet und sicher sprachgeschichtlich auch irgendwie verwandt ist.
Wer genau hinhört, erkennt sogar im Sardischen Unterschiede: Man kennt die Pasta als findeos, fundeos, filande und filindeus. Nun ist die Pasta aber in der Barbagia rund um Nuoro zuhause, und die Nuoresi mögen generell kein abschließendes „s“. Und so heißt die Pasta bei ihnen (und hier wird sie auch nur noch hergestellt) Su Filindeu.
Die Bedeutung? Die Pasta sei himmlisch leicht, wie Engelshaar, sagte mal jemand. Und weil sie so einzigartig war, habe sich in den Dörfern auch die Bezeichnung „Gotteshaar“ durchgesetzt: capelli di Dio, fili di Dio, die „Fäden Gottes“.
Das Wort, das Su Filindeu vor allem beschreibt, ist dieses: kompliziert.
Das beginnt schon bei der Herstellung. Der Pastateig wird sehr aufwändig und mit viel Gefühl gearbeitet, gewalkt, gezogen, gelegt.
Nur noch wenige Frauen in der Barbagia rund um Nuoro beherrschen diese Kunst (rund zehn sollen es noch sein, verifizieren lässt sich diese Zahl kaum). Das schwarze Schaf lernte noch zwei Köche kennen, die sich an die Herstellung wagten – aber letztlich doch, weil es eben so lang dauert und es keine Garantie fürs Gelingen gibt, für ihr Restaurant auf die fertige, handgemachte Pasta der Frauen aus Lollove zurück greifen.
Das schwarze Schaf hat beim Autunno in Barbagia in Lollove einer von ihnen zugeschaut, wie diese Pasta entsteht.
Und weil Sarden in manchen Dingen kompromisslos sind, hat sie tatsächlich mehrere Anläufe gebraucht, bis sie einen zufriedenstellenden Teig hatte. Der Grund: An diesem Tag fand die Vorführung draußen statt, bei zu viel Wind (den ich so gar nicht gespürt habe, da reicht scheinbar ein bisschen) – was die ganze Prozedur um einiges erschwerte.
Damit der Teig geschmeidig wird und bleibt, wie man ihn zur Verarbeitung braucht, sind nämlich nicht einfach nur die Zutaten, sondern auch Wind und Wetter und irgendwie auch die persönliche Stimmung entscheidend. Nicht alles ist reine Technik, vor allem Erfahrung ist das A und O. Und so kann einfach nicht jeder und immer Su Filindeu herstellen.
Jedenfalls kann ich mir jetzt gut vorstellen, warum sogar Starkoch Jamie Oliver scheiterte, als er es versuchte. Schöne Dinge brauchen ihre Zeit, und sie brauchen Können.
Weil sie so aufwändig ist, gibt es diese Pasta auch nur zu besonderen Gelegenheiten. Eine ist das jährliche Pilgerfest des Heiligen San Francesco di Lula, zu dem Su Filindeu als rituelles und wärmendes Gericht für die Pilger gereicht wird, die nach einer nächtlichen Wanderung von Nuoro im Kloster ankommen.
Der Pastateig wird länglich ausgerollt (und die sardische Köchin spürt, ob sie ihre Hände mit Salzwasser oder Quellwasser befeuchten muss) – dann in einem Bogen die beiden Enden in die eine (offene) Hand gelegt, man hat also quasi zwei lange Teigstränge, die mit der anderen in die Länge gezogen werden. Das wiederholt man acht Mal. Und wer in Mathematik aufgepasst hat, weiß: 28 = 256 … also am Ende müssen es 256 feine Fäden aus Pastateig sein. Und das ist erst der Anfang.
Diese Fäden werden auf einem großen kreisrunden Tablett aus Schilf oder Bast ausgelegt, und zwar in drei Schichten kreuz und quer übereinander. Das ergibt ein filigranes Gitter. Dieses wurde in der sardischen Luft und von sardischen Sonnenstrahlen getrocknet, und ist tatsächlich trotz der drei Schichten hauchdünn. Hebt man dieses Gitter von der Unterlage und hält es gegen die Sonne, scheint diese durch.
Diese „Gitterkreise“ (irgendwie etwas grobes Wort für dieses Kunstwerk) sind sehr lang haltbar. Zur Zubereitung wird die Pasta in kleinere Teile zerbrochen.
Das traditionelle Original-Rezept ist so schlicht wie genial: Man kocht Su Filindeu in einer Brühe aus Schafsknochen, mit Stückchen von frisch produziertem oder ganz, ganz jungem Pecorino. Eine Art Suppe also.
Sie ist milchig und im Optimalfall schmeckt man neben der kraftvollen Brühe auch noch die Säure vom Trennungsmittel der Käseproduktion und den leicht salzigen Pastateig. Auch um Su Filindeu zu kochen, bleibt es kompliziert. Das gehört zum Konzept. Dazu gleich mehr.
Anmerkung: Die sardischen Herbstfeste fanden / finden 2020 covidbedingt leider nicht oder vereinzelt in digitaler Form statt. Aber ihr könnt der Edition 2019 nachspüren: Das schwarze Schaf ist zusammen mit Sigrid von der Ferienhausvermittlung o-solemio durch Lollove getigert und daraus ist eine hübsche filmische Erinnerung entstanden – lieben Dank!
Am einfachsten und authentischsten ist ja immer ein traditionelles Gericht am Originalort nach Originalrezept und mit lokalen Zutaten hergestellt zu essen.
Nun kennt ja aber nicht jeder von uns eine Nonna in Nuoro, die noch Su Filindeu zaubern kann. Wenn nur eine Handvoll Frauen die Pasta macht – dann ist klar, dass man sie nicht in jedem Restaurant findet. Für Restaurants ist die handwerkliche Herstellung eh zu kompliziert.
Auf die Frage an die beiden Damen in Lollove, ob nicht die Restaurants der Costa Smeralda ihnen für so eine exklusive Pasta die Türen einrennen, rollten sie nur mit den Augen und sagten „Boh“. Was eines dieser wunderbaren kurzen sardischen Worte ist, die alles sagen – und so viel heißt wie „Reden wir nicht darüber“ oder „Mir doch egal.“ Läuft letztlich auf dasselbe hinaus.
Beider Gesichtsausdruck sagte ziemlich unmissverständlich: „Ich mach doch meine Pasta nicht für die Costa!“ Keine weiteren Fragen also. Wahre Exklusivität hat nämlich eben doch nichts mit Geld und Glamour zu tun.
Und so hat, wer sich ins Landesinnere Sardiniens vorwagt, einen enormen Vorteil gegenüber allen Küsten-Urlaubern und vermeintlichen VIP.
Man muss sich aber ein bisschen anstrengen, um Su Filindeu zu bekommen – und das ist sogar auf Sardinien Glückssache. In die Barbagia zu fahren ist quasi der erste und richtige Schritt.
Hier ein paar Restaurants, in denen du sie vielleicht bekommst:
Das Originalrezept ist trotz aller Schlichtheit (Pasta, Brühe, Pecorino – und sonst nix) außerhalb von Sardinien relativ aufwändig zuzubereiten.
Schon allein, weil es die Pasta nicht gibt und das selbst machen – wie oben gesehen – kompliziert ist. Schon Pastateig an sich ist ja für viele die erste Hürde.
Dann ist da das Schaf, dessen Knochen man braucht. Ein sardisches Schaf versteht sich (gern auch ein altes, dessen Fleisch man für „pecora in capotta“ verwendet hat), aus quasi-Biohaltung von der Insel. Hat man das, muss man es über den Jordan schicken und die Knochen zu einer Brühe auskochen. Tendenziell mühsam.
Dann der Pecorino. Ist ja nicht so, als gäb’s den nicht. Globalisierung macht’s möglich. Aaaaber: Pecorino ist nicht Pecorino. Und der aus dem nordeuropäisch-kontinentalen Supermarkt ist entweder zu reif oder doch halb industriell hergestellt. Alternativ: selbst aus Schafsmilch herstellen. Aber wo kriegt man denn bitte schön Schafsmilch her? Und wer hat heute noch Zeit, Käse zu machen? Eben.
Und jetzt kommt der Moment, in dem die Sarden mich vermutlich vierteilen oder gleich als Suppenschaf verwenden werden!
Denn weil Su Filindeu zuhause quasi unmöglich zuzubereiten ist, habe ich gewagt, ein Cross-Over-Rezept zu entwerfen.
Oha! Darf man das?! Oh ja, ich darf – Hallo?! Schwarzes Schahaaaf! 😉
Also. Auch für mein Rezept brauchst Du auf jeden Fall eine Packung Su Filindeu. Mit Glück findest du die in deinem Sardinien-Urlaub bei einem Ausflug zum Autunno in Barbagia. Aber echt nur mit Glück.
Alternativen? Boh … ich kenn keine. Was allerhöchstens geht: frischen Pastateig machen (mach ihn etwas salziger als normal), den dann ganz ganz dünn ausrollen, und – wie auch immer – ein Gitter eindrücken. Oder man zaubert mit der Nudelmaschine ganz ganz viele Spaghetti, so dünn wie möglich, zieht sie auf und legt sie auf was rundes. Das ist zwar immer nur ein Imitat, aber schmecken kann es trotzdem und es ist auch sicher recht spaßig 😉
Die Brühe wird bei mir kurzerhand eine Gemüsebrühe (frisch!!!). Damit ist das Gericht auch für Vegetarier tauglich. Und wenn wir ehrlich sind, könnte es auch fleischlos sein, denn es ist ja nur traditionell bedingt, weil man ja früher wie bei quasi allen bäuerlichen Gerichten alles vom Schaf verwendet hatte und man die Knochen eben zur Brühe auskochte. Das wärmte und schmeckte. Das wenige zur Verfügung stehende Gemüse als Vitaminträger hat man auf Sardinien nicht in einer Brühe „verkocht“. Heute ist die Lage anders. Ja, die Schafbrühe ist deutlich kräftiger, eine Gemüsebrühe ist deutlich feiner und leichter. Aber es geht.
Ich folge außerdem dem Rezept des Su Gologone (siehe oben), und koche frische, sehr aromatische Tomaten mit. Das muss erlaubt sein.
Dann der Pecorino. Der „echte“ ist quasi eben erst hergestellt und höchstens vom Schaf nebenan. Selbst in einem italienischen Spezialitätenladen oder extrem gut sortierten Käseladen gibt es den ganz jungen, Pecorino nur mit viel Glück und vielleicht ist es dann kein sardischer. Und wenn du ihn bekommst, fällt es bei rund 30 Euro Kilo-Import-Preis relativ schwer, das Stück Käse klein zu schneiden und in eine Suppe zu werfen … Su Filindeu hin oder her. Alternative wäre ein normal junger Pecorino und die Beigabe von ein paar Flöckchen Schafs-Ricotta, den findet man auf Sardinien relativ leicht im Supermarkt, auf dem Kontinent geht’s je nachdem, wo man denn wohnt, und ob da Schafe sind, auf den Markt oder ins Spezialitätengeschäft. Aber ob der Aufwand lohnt? Boh …
Wie ich so den Pecorino zu meiner Pasta in die Brühe gebe, duftet es ganz großartig. Moment mal … Käse … Suppe … ich habe Assoziationen von einer französischen Zwiebelsuppe … und plötzlich Lust auf Zwiebeln!
Und dann ging’s mit mir durch! Wie eigentlich immer, wenn ich koche! Ich schneide eine Frühlingszwiebel ganz ganz fein und dünn, röste sie leicht an und gebe sie dazu. Immerhin hab ich ja auch keine Schafsbrühe, ein bisschen kräftiger Geschmack tut dem also gut.
Und wo ich schonmal dabei bin, springt auch ein Schluck Vermentino hinein und dann wage ich, neben schwarzem grobem Pfeffer noch ein paar gehobelte Blättchen frischen Koriander (ganz wenig!) hinein zu werfen!
Der Waaaaaaaahn! ;)))))
Su Filindeu hat mich in meiner Küche inspiriert, und das Ergebnis war auch echt nicht schlecht … 😉
Aber ich würde tatsächlich immer das Original vorziehen. Denn die echten Fäden Gottes, Su Filindeu, sind einfach göttlich!
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
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Sigrid Hering
5. November 2019 at 23:33Aaaah, die Packung gleich erkannt… und der Duft beim Lesen… mmmh!
Meine steht noch unberührt, doch nach dem Flug bereits in handliche kleine Stücke zerteilt und wartet auf den Besuch der römischen Freunde in Bremen zu Weihnachten. Fürs Schaf hab ich schon beim Türken des Vertrauens angefragt. Das gibt eine gute Brühe. Den Pecorino… tja mal sehen, vielleicht muss ich improvisieren.
Aber dat wart wat!
Ich bin optimistisch, danke für die Rezeptanregung und freue mich auf „su filindeu“
Sigrid von o-solemio
pecora nera
6. November 2019 at 20:43Danke Dir!