Das Wasser fliesst. Sekunde um Sekunde. Durch das ganze Dorf Sadali. Vor allem unter den Häusern. Manchmal findet es den Weg an die Oberfläche.
Das ist Sàdali, ein hübsches kleines Dorf in der Barbagia die Seulo an Südhängen des Gennargentu-Gebirges (das ist so ziemlich mittendrin) auf etwa 760 Metern über dem Meer gelegen und mit etwa tausend Einwohnern.
Es nennt sich selbst „paese dell’acqua“ – „Dorf des Wassers“, eben weil so viel davon hindurchfliesst.
Sadali ist der Ort auf Sardinien mit den meisten Quellen. Sie alle zu finden, dürfte eine echte Schafaufgabe sein.
Das Dorf ist ganz gut erschlossen: Die Gemeinde hat mit freiwilligen Bewohnern, darunter einige Künstler, mehrere Pfade angelegt, auf denen man an den „fontane“ (Brunnen), „mulini“ (Mühlen) und „orti“ (Gärten), durch die das Wasser mit einem kleinen Kanalsystem geführt wird, entlang schlendern kann.
Viele alte Häuser sind renoviert und werden liebevoll gepflegt, und vereinzelt kreativ gestaltet. An einigen hängen Bilder aus alten Zeiten.
Sadali versucht, sein Erbe und die Erinnerung an früher zu bewahren und die Natur in das Leben zu integrieren. Das macht es ganz gut, auch wenn es eher etwas für den „Entdeckungsreisenden“ ist. Touristen, die gern alles erklärt und vorgekaut bekommen, sind hier vielleicht etwas verloren.
Italienisch hilft beim Kontakt mit den Einheimischen, die sehr nett sind. Man grüsst sich auf den Strassen und lächelt freundlich (zumindest zurück – grätzige Touris werden auch gern mal kritisch beäugt).
Aber auch ohne Sprachkenntnisse habt ihr es mit einem gesprächigen Dorf zu tun: Wirklich überall begegnet einem Wasser – mal als kleines Rinnsal, und mal als echte Quelle, mal nur als Plätschern oder Rauschen aus irgendeinem Winkel.
Und schön ist so ein Rundgang auf eigene Faust allemal.
Die Flüsschen Riu Procargiu und Riu Alinus tragen das Wasser auch nach Sadali hinein, aber anders als wir es vielfach kennen, schlängeln sie sich nicht oberirdisch durch den Ort, sondern fliessen unter den Häusern.
Die Hauptattraktion von Sadali ist der Wasserfall „Cascata di San Valentino“ mitten im Dorf. Und der ist nicht nur zum Valentinstag gut für einen Besuch.
In Europa kann man die Wasserfälle, die mitten in einem Ort befinden, an einer Hand abzählen – und von diesen ist San Valentino vermutlich hübscheste. Neben ihm steht eine alte Mühle, alles ist von Efeu und anderem Grün bewachsen, das Geräusch des Wassers ist allgegenwärtig.
Niemals trifft man hier zuviele Leute. Besonders am frühen Morgen und Abend ist es ein wirklich kleiner, feiner und beschaulicher Ort. Aber auch mittags, wenn man hier von der Sonne Schatten und Frische sucht, bekommt man genau das.
Sieht man von der kurvigen langen Anfahrt nach Sadali vielleicht mal ab, dürfte er der einzige mit dem Auto und ohne grosse körperliche Anstrengungen erreichbare Wasserfall Sardiniens sein.
Viel Wasser fliesst in Sadali, das in einer Hanglage liegt, hinab in die Grotte „Sa Ucca Manna“, frei übersetzt, das grosse Maul. Sie ist genau genommen eines dieser „Schlucklöcher“ in der Erde, auf etwa 12 Meter offen. Sa Ucca Manna liegt wie San Valentino im historischen Zentrum.
Die Wasser des Dorfes gelangen hier hinein und fliessen nach etwa 150 Metern im unteren Teil des Dorfes wieder hinaus, werden verwendet um die Gärten zu bewässern (ein Pfad duch die „orti“ führt quasi einmal um das Dorf herum, und zeigt, wie fruchtbar die Hänge rund ums Dorf sind – ein Eldorado für Selbstversorger.
Nicht selten werden quasi über den Zaun frisches Obst oder Gemüse angeboten.
Übermengen an Wasser fängt der Rio Sadali auf, über den sie in den Lago Flumendosa gelangen.
Wer etwas vom Wasser sehen will, dem sei die „nasse Saison“ empfohlen – also nicht im Sommer, sondern am besten im Frühling. Das bedeutet aber auch, dass es regnen kann. (was hier aber gar nicht unangenehm ist und quasi zum Konzept gehört).
Im Frühling sind die Wasserläufe permanent gefüllt. In der ersten Jahreshälfte blüht ausserdem alles. Sadali und die Barbagia die Seui sind zwar immer von einem satten Grün geprägt, aber jetzt explodiert die Landschaft geradezu.
Im Hochsommer hinterlässt die Trockenheit auch hier ihre Spuren. Fällt über mehrere Wochen und Monate kein Regen und ist es lange Zeit sehr heiss, dann geht das Wasser im Dorf deutlich zurück.
Wer sich fragt, ob sich die weite Anreise dann trotzdem lohnt? Aber ja! Der Wasserfall neben der alten Mühle ist zwar wie ausgewechselt, ganz ruhig, ja fast beeehsinnlich und leise plätschernd. Du entfliehst deutlich dem Touristentrubel an der Küste, bist hier in einer grünen Oase.
Aber die Trekkingpfade rund um das Dorf sind gute Schattenspender – und wer sich in der warmen Jahreszeit aktiv sein will, für den ist es hier super.
Im September hat die Gegend eine Tendenz zu starken Regenfällen und Wärmegewittern, dank derer die Flüsse und Bäche nach und nach wieder anschwellen. Während die grossen Wasserfälle anderenorts noch länger brauchen, um sich zu füllen, geht es dank der hydrogeologischen Gegebenheiten in Sadali recht schnell.
Zwar sehen die Flüsse auch hier recht schmal aus, aber das täuscht. Und mit jeder Woche Richtung Jahresende wird es besser.
Kleiner Tipp für Pilzesammler (Herbst / beginnender Winter): Regnet es viel, spriessen die Dinger in den Wälder rund um Sadali bis nach Seulo, Aritzo und Belvì – eben wie Pilze das so tun – aus dem Boden. Nur auskennen sollte man sich …
Auch im Winter hat die Gegend absolut ihren Reiz. Dann trägt auch der Wasserfall San Valentino so viel Wasser, dass man aufpassen muss, nicht nass zu werden. Zu Weihnachten wird dort übrigens eine kleine Krippe aufgebaut – und da kommt tatsächlich auch für Besucher vom Kontinent so etwas wie Weihnachtsstimmung auf, die auf der Insel sonst eher nur mit Mühe zu finden ist.
Warum auch immer – vielleicht verliebte man sich hier besonders leicht? – Sadali hat sich den Heiligen San Valentino als Schutzpatron des Dorfes ausgesucht. Er ist auch der Namensgeber von Wasserfall und Ortskirche.
Das Gotteshaus ist das einzige auf der ganzen Insel, das dem Schutzpatron der Liebenden geweiht ist.
Wer sich zudem für Architektur und verschiedene Baustile interessiert, wird hier von einem Bein aufs andere hüpfen: Die Kirche wurde ursprünglich mit spät-byzantinischen Einflüssen gebaut, vom römischen Stil beeinflusst und später im Lauf der Jahrhunderte gotisch-katalanisch und von den Savoyern erweitert.
Der italienische Künstler Daniele Rossi (rossiprojects.com) hat seit 2013 in Sadali Zeichen gesetzt und geholfen, die Wände der alten Häuser mit Farbe zu versehen und hat einige sehr coole Wandmalereien geschaffen – in seinem ganz eigenen Stil. Seine Motive scheinen zu leuchten und fügen sich grossartig in das Dorf ein.
Sie behandeln auch die Traditionen und den Alltag Sadalis, wie die Karnevalsmasken S’Urtzu e Su Pimpirimponi oder das Motiv der „Tzia Cecìlia“.
An vielen Häusern ist diese Kunstform zu bestaunen, ganz in der Tradition der antiken Murales auf Sardinien.
Sie sind sie eine echte Bereicherung für das Dorf und in manchen Fällen sogar eine richtige Überraschung.
Und dann ist da noch das riesige Motiv des belgischen Künstlers ROA – das lässt quasi niemanden kalt: Ein gefesseltes Wildschwein, mit einem Seil an einen Schädel gebunden. Ein Symbol für die ewige Koexistenz des Lebens und Sterbens und eine Hommage an die sardischen Wildschweine.
Also, auf zu einem Streifzug durch die Gassen des Dorfes mit Blick an die Wände?
Nach einer langen Durststrecke in Sachen Finanzierung und Instandhaltung soll der „kleine grüne Zug“, der Trenino Verde (treninoverde.com) ab 2020 wieder regulär fahren. Der aktuelle Fahrplan (hier als PDF) lässt hoffen, dass er tatsächlich auf allen Strecken wieder in Betrieb genommen wird. Bis nach Sadali sind es von Arbatax einige Stunden, aber es ist die wohl schönste Zugstrecke der Insel und mit der richtigen Einstellung und einem dauerfaszinierten Blick aus dem Zugfenster ist das durchaus ein tolles Erlebnis in genialer Landschaft.
Am Bahnhof werdet ihr vielleicht von den Einheimischen angesprochen, ob ihr zur Grotte oder ins Restaurant wollt. Das überrumpelt den ein oder anderen. Wer also weiss, was ihn erwartet, ist ein bisschen im Vorteil. Eines können wir sagen: du musst hier keine Sorge haben, einem Tourinepp aufzusitzen – für schlechte Angebote ist das Dorf viel zu klein, Sadali ist jetzt auch keine ausgesprochene Touristenhochburg 😉
Ihr könnt das Ganze auch ruhig angehen lassen und erst etwas zu Mittag essen (die Auswahl ist übersichtlich, wir waren zuletzt im Restaurant „Da Iliano“ etwas versteckt in Bahnhofsnähe gelegen, aber ganz gut ausgeschildert – und die Culurgiones, das traditionelle Pastagericht der Region mit Kartoffelstampf und Minze kann man nichts verkehrt machen).
Akklimatisiert Euch dann über einen Rundgang durchs Dorf, entlang der Wasserwege.
Am besten bleibt eine Nacht, speziell wenn ihr vorhabt, in der Gegend zu wandern. Weil Sadali so klein ist, gibt es auch nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten: z. B. das B&B Fragus e Saboris oder die Zimmervermietung „Le Case del Foletto“.
Am nächsten Morgen könnt ihr dann zum Trekking und/oder zur Grottenbesichtigung aufbrechen und erst am Abend zurückfahren.
Ein schöner Ausflug ins Hinterland ist das auf jeden Fall, und eigentlich lohnt es auch, noch ein zwei Tage länger zu bleiben. Denn sowohl im Dorf als auch im Umland gibt es ja viel zu entdecken.
Selbst im Hochsommer ist die ganze Umgebung grün, die umliegenden Berge sind reich an Quellen und Flüssen.
Selten sieht man ausgetrocknete Flussbetten, höchstens im Sommer. Im Ort ist das Geräusch von Wasser eigentlich immer präsent.
Dass Sadali selten ganz trocken fällt, liegt an der Hochebene, auf der es liegt – das Gestein wirkt wie ein Schwamm, saugt alle Feuchtigkeit auf und speichert sie. Sie ist zerklüftet und das Regenwasser versickert sofort tief in der Erde – entweder direkt an der Oberfläche oder über sogenannte „inghottoio“, „Schlucklöcher“, in denen Wasser ab- und unterirdisch weiterfliesst.
Etwa 60-80% der jährlichen Regenmenge werden im Karstgestein der Hochebene gespeichert – und das, was es nicht fassen kann, tritt über Quellen, Wasserfälle und Flüsse kontinuierlich wieder aus.
Der vielleicht berühmteste Wasserfall der Gegend, der direkt aus dem Gestein kommt, ist „Su Stampu de Su Turrunu“.
Er befindet sich nur wenige Kilometer entfernt von Sadali und ist über mehrere Trekkingpfade zu erreichen.
Ein Pfad beginnt bei der Grotte „Is Janas“, in der die Feuchtigkeit ihre skurrilen Skulpturen gebaut hat – eine der schönsten auf der ganzen Insel, und im Sommer eine echte Erfrischung.
Da trifft man sogar auf Kühe im Wald, die ebenfalls Schatten und Wasser suchen – die meisten Flussbetten sind allerdings trocken, und im Gegensatz zum Festland raschelt jetzt das vertrocknete Laub unter den Füssen.
Die Wege zum Su Stampu de Su Turrunu haben wir oben schon erwähnt. Ihr erreicht sie entweder über die Strasse, die direkt am Ortsausgang Sadali Richtung Grotte führt.
Alternativ nehmt die Landstrasse Richtung Seulo. Dort gibt es mehrere Wegweiser, die in die Wälder der Barbagia di Seulo hineinführen. Unter anderem einer zur „Piscina di Licona“ und ein Alternativpfad zu Su Stampu. Das Auto stellt ihr am Ende der asphaltierten Strasse ab und folgt einfach den Wegweisern.
Das Ecomuseo del Lago Flumendosa hat einen Trekkingpfad zur Grotte Is Janas angelegt (von Sadali aus kann man mit dem Auto fahren fast bis vor die Grotte fahren, das ist aber nicht halb so schön) und bietet geführte Wanderungen an. Das Häuschen war leider nicht besetzt, als wir da waren, aber die Kollegen sind per Telefon ansprechbar (siehe Bild).
Die gesamte Gegend ist ein echtes Wanderparadies – von einfach bis schwierig ist alles dabei. Auch geführte Exkursionen werden angeboten.
Wichtig: Bleibt immer auf den markierten Wegen. Denn hat man sie einmal verlassen, wird die Landschaft schnell unübersichtlich und alles sieht irgendwie gleich aus … Ihr seid ja keine Kühe, denen egal ist, wo sie am Ende des Tages ankommen, sondern wollt auch wieder raus 😉
Die Gemeinde Sadali ist ziemlich aktiv – von den religiösen Festen zu Ehren des San Valentino (da wird übrigens ziemlich viel Fisch gegessen) über die „Sagra di Is Culurgionis“ und „Sa Corda Manna“ bis zum Musik- und Kulturfestival „S’Incungia“ Ende November erwartet Euch in Sadali einiges.
Wir meinen, einfach mal hinfahren. Egal wie weit es ist. Und es ist weit … 😉
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sigrid
6. September 2015 at 15:58liebes schaf,
es ist, wie immer, eine bereicherung für mich, deine artikel zu lesen… und immer möcht ich am liebsten sofort die koffer packen ( auch wenn hier vielleicht ein rucksack angebrachter wäre) und zum ort deiner beschreibung reisen.
sadali… merk ich mir! und auch wenn ich mit koffer gut klar komme, weil ich keine wandersfrau bin, werde ich mir den ort anschauen und mich von deinem bericht zu einem spaziergang inspirieren lassen.
bin schon gespannt auf das wasser (mein elelement) und die murales – und dank auch für die -gewohnt gute- recherche, zu malern, restaurants und unterkünften….
klasse! danke 🙂