Die Sartiglia ist eines der schönsten Reiterfeste Sardiniens – und vielleicht sogar das wichtigste und älteste. Der Sternenritt / La Corsa alla Stella ist jedenfalls ein tolles Spektakel: elegant gekleidete Reiter versuchen, im gestreckten Galopp einen an einem Band hängenden Stern mit einem Degen aufzuspiessen.
Doch die Sartiglia ist mehr nur eine Art schickes Ringreiten. Nicht nur, weil in der Stadt auch noch ein akrobatisches Spektakel stattfindet: die Pariglie, bei der drei Reiter (natürlich ebenfalls im Galopp) Pyramiden und Figuren auf dem Rücken ihrer Pferde bilden.
Sa Sartiglia hat eine lange Geschichte und das Fest wird bis heute mit Stolz und Ernsthaftigkeit begangen.
Das schwarze Schaf hat es sich mal genauer angesehen. Falls du das auch möchtest, hier der nächste Termin:
Einige der wesentlichen Bestandteile sind auf die spanischen Besatzer zurückzuführen, die aber keinesfalls die Erfinder der Sartiglia sind. Turniere dieser Art wurden im Mittelalter in ganz Italien abgehalten, vermutlich zuerst verbreitet durch die Kreuzritter, ab dem 11. Jahrhundert.
Die Sartiglia in Oristano entstand vermutlich um 1400. Einen ersten Hinweis auf das Alter des Festes erhalten wir von der Fondazione Sartiglia, die im Jahr 2015 den 550. Ritt feierte – was auf ein erstes Fest im Jahr 1465 hindeutet, wenn es denn jährlich stattfand.
Die älteste urkundliche Erwähnung der Sartiglia in Oristano findet sich allerdings erst in einem Dokument aus dem Jahr 1546, das ein Fest namens „Sortilla“ zu Ehren des Königs Carlo V. beschreibt. Das war aber mit Sicherheit nicht die erste Austragung, sondern fand wegen des Königs besondere Aufmerksamkeit.
Mit Karneval hat das Fest allerdings herzlich wenig zu tun – auch wenn es am Karnevalssonntag und -dienstag gefeiert wird.
Im 18. Jahrhundert soll die Kirche diese Entscheidung getroffen haben – um das Volk „an der Sünde zu hindern“. Um dem Karnevalstreiben etwas entgegen zu setzen, nahm man das unter den Bewohnern Oristanos beliebte Fest, setze es auf die letzten Tage vor der Fastenzeit und überließ zudem die Organisation den Gremien. Der Plan ging auf.
Das Wort Sartiglia stammt also aus dem Spanischen, dessen Ursprung wiederum steckt im lateinischen sorticola, was neben „Ring“ auch „Glück“ oder „Schicksal“ bedeuten kann.
Das weist auf zwei Elemente des Festes hin: den Stern, durch dessen inneren Ring die Reiter mit ihrem Degen stechen und das Omen für eine gute oder schlechte Ernte, wenn der Anführer des Turniers, Su Componidori, trifft oder eben nicht.
Die Reiter stammten stets aus einem von zwei Gremien:
Keine Rivalität, sondern ein gemeinsamer Kampf um das Überleben und eine gute Ernte – und nicht zuletzt eine gemeinsame Demonstration des sprichwörtlichen Stolzes des sardischen Volkes gegenüber ihren Besatzern.
Die Sarden sind ein Reitervolk und bis heute erfreut sich die Sartiglia enormer Beliebtheit. Das ist auch an der Zahl der aktiven Teilnehmer abzulesen: Zu Beginn waren es zwölf Reiter, die die besondere Ehre hatten, an dem Sternenritt teilzunehmen. Mittlerweile zählen sie fast das Zehnfache – auf der Startliste stehen jedes Jahr weit über 100 couragierte Reiter und Reiterinnen.
Montags zwischen den beiden Hauptfesten reiten übrigens die Kinder und Teenies – sehr niedlich, wenn Ponys über das Geläuf rasen!
Der Fortbestand der Sartiglia ist jedenfalls gesichert.
Heute ist die Sartiglia in Oristano in ihrer speziellen Ausführung in Europa fast einzigartig. Die Organisatoren streben eine Anerkennung als Weltkulturerbe an.
Die Bezeichnung für die Autorität des Festes, den Sternenreiter, stammt ebenfalls aus dem Spanischen, vom Begriff Componedor. Auch er ist ein Zeuge des aragonesisch-katalanischen Erbes an der sardischen Westküste.
Su Componidori ist die Autorität, der Anführer des Reiterfestes, und für die Zeit des Festes eine Art Halbgott. Der Componidori trägt eine schlichte, Maske, die ihm etwas Göttliches verleiht. Die Maske lässt keinen Schluss auf das menschliche Gesicht seines Trägers zu.
Man nennt Su Componidori auch den „König des Frühlings“. Er ist elegant in die Gewänder des Fürstenhauses Arborea, einer noblen Dynastie, aus der auch die sardische Volksheldin Eleonora d’Arborea stammte, gekleidet.
Die Maske ist bewusst androgyn und ohne Mimik. Auch dies ein sehr präsenter Zeuge der alten Fruchtbarkeitskulte und ein Symbol für das gleichzeitige Vorhandensein von Männlichkeit und Weiblichkeit als Notwendigkeit für den Fortbestand des Lebens.
Und so ist der Reiter zwar oft männlich – aber es gibt Ausnahmen, zum Beispiel 2013: Valentina Uda war eine der wenigen Amazonen, der diese Ehre zuteil wurde.
Ist die Maske des Componidori erdfarben, stammt der Reiter aus der Gruppe der Landwirte (Componidori Gremio dei Contadini). Ist sie elfenbeinfarben, stammt ihr Träger aus der Gruppe der Tischler und Handwerker (Componidori Gremio dei Falegnami).
Mit seiner Geschicklichkeit, den Stern zu treffen, sorgt er für eine gute Ernte in der Region.
Das Volk seinerseits erwartet sehnsüchtig la benedizione / die Segnung, die der Componidori mit einem veilchenverzierten Stab ausführt. Dessen Bezeichnung sa pipia de maiu (in etwa bambina di maggio / Kind des Mai) symbolisiert die fruchtbare Erde, das Wachstum, die gute Ernte und soll seinen Ursprung in einem sehr frühen Fruchtbarkeitsritus der Insel haben.
Der Teil der sardischen Geschichte unter spanischer bzw. katalanischer Besatzung ist an sich nicht rühmlich. Aber wenn heute ein Sarde in der fürstlichen Kleidung ihrer ehemaligen Herren ein solch fröhliches Fest anführt, ist das nichts anderes als eine Demonstration von Stärke und manifestiert einen mit der Geschichte gemachten Frieden.
Doch nicht nur die Maske ist der Grund für seine besondere Stellung. Bereits dem Moment seiner Vestizione wohnt etwas Heiliges inne, der Besucher spürt das und sieht dem Ritual gebannt zu. In sardische Tracht gekleidete Frauen, die Massaieddas, angeführt von Sa Massaia manna (manna = große, erste), legen ihm langsam, mit sehr viel Sorgfalt die Maske und die fürstlichen Kleider an.
Die alte Tradition liegt in jeder Minute in der Luft. Ein Getränk wird ihm gereicht, das göttliche Kraft verleihen soll.
Das elegant geschmückte Pferd wird herangeführt. Mehr als alle anderen spürt das Tier die Aufregung, die um seinen Reiter herrscht. Es fühlt die neue Macht, die er heute trägt und ausstrahlt. Heute ist alles anders als sonst. Es scheut, als er in den Sattel gehoben wird. Doch er hält das große und elegante Vollblut im Zaum.
Von dem Moment an, da Su Componidori maskiert ist und auf dem Pferderücken sitzt, darf er bis zum Ende des Tages den Boden nicht mehr berühren.
Er wird eins mit seinem Pferd und sein gottähnlicher Habitus macht auch den Vierbeiner zu etwas Besonderem.
An der Hauptattraktion, dem Sternenritt, hing früher das Schicksal des ganzen Volkes. Vor der Cattedrale di Santa Maria Assunta ist der Stern aufgezogen. Wer ihn trifft – allen voran Su Componidori – sorgt für eine reiche Ernte und sichert den Wohlstand der Stadt. Das erhöht den Druck auf die Reiter – in früheren kargen und abergläubischen Zeiten sicher noch mehr als heute.
Doch Ruhm und Ehre des Reiters hängen auch in modernen Zeiten von diesem einen Erfolg ab, der so einfach aussieht und doch so schwer zu erreichen ist. Doch hier reitet keiner auf Nummer Sicher. Hier wird nicht detailliert Maß genommen, weder langsam noch vorsichtig das Ziel anvisiert. Das Pferd wird nicht beruhigt, um möglichst sicher im Sattel zu sitzen.
Hier herrscht nur Ruhe vor dem Sturm. Tönen die Fanfaren, wissen alle: Jetzt geht es los! Das aufgeregte Pferd wird bereits auf den ersten paar hundert Metern zu einer starken Galoppade angetrieben und im enormen Tempo auf die Gerade vor der Kirche gelenkt.
Der Moment größter Anspannung und Konzentration beim Reiter, Glück und Geschicklichkeit müssen jetzt seine Gefährten sein. Für alle, die vom Componidori erwählt wurden, ihr Glück am Stern zu versuchen, ist die Jagd auf den Stern eine außergewöhnlich emotionale Erfahrung, die in dem Moment explodiert, wenn der Ring durchstochen ist und auf dem Degen des glücklichen Reiters steckt.
Weiter geht es unter dem tosenden Applaus des Volkes, der Jubel lässt das Pferd noch schneller werden.
Am Ende der mit Sand aufgeschütteten Via Duomo haben die Gewinner die Ehre, noch einmal umzukehren und gemächlich zum Start zurückzutraben, den Stern auf ihrem Degen zu präsentieren und in ihrem Ruhm zu baden, während die Trommeln und Trompeten nur für sie spielen.
Den kleinen silbernen Stern, den sie als Zeichen der Anerkennung ihres Erfolges erhalten, tragen viele stolz ihr Leben lang bei sich.
Alle Reiter gewinnen an diesem Tag an Ansehen. Alle sind maskiert. Einige tragen den schlichten dunklen Anzug der sardischen Landbevölkerung, die anderen eine bunte Tracht ihres Heimatdorfes, oder ein historisches Kostüm. Ganz nach Herkunft, Gefallen und Tradition.
Diejenigen, die den Stern zu treffen suchen, sind die einen. Aber auch denjenigen, die sich in halsbrecherischen Formationen auf dem Rücken ihrer Pferde versuchen, zollen die Zuschauer ihren Respekt und Applaus.
Die sogenannten Pariglie fanden früher außerhalb der Stadttore statt. Der alte Torre Mariano ist noch erhalten und markiert den Beginn der Strecke in der Via Mazzini, die für das Spektakel mit Sand aufgeschüttet wird.
Die Reiter starten hinter dem alten Tor und spornen ihre Pferde an. Man sagt, sobald sie hier hindurchreiten, sei ihr wilder Ritt gesegnet.
Drei Pferde starten nebeneinander, zuweilen mit einem Seil verbunden, das durch den Zaum gezogen wird. Im gestreckten Galopp geht es die Straße hinunter. Die drei Reiter formieren so schnell und so spektakulär wie möglich eine akrobatische Figur auf dem Rücken der Pferde.
Eine eindrucksvolle Demonstration von Mut, Können und Geschicklichkeit.
Auch Su Componidori nimmt an den Pariglie teil. Mit ihm startet der Zweite Reiter / Segundu Cumpoi, der dem Anführer den gesamten Tag über folgt (er ist auch zweiter Starter des Sternenritts), ihm behilflich ist und ihm zur Seite steht. Er reitet stets rechts von ihm.
Die Pariglie formieren sie zusammen mit Su Terzu, dem Dritten im Bunde.
Während sich die meisten Pariglie möglichst spektakulär und gekonnt in der Formation präsentieren, ist die Aufgabe von Su Segundu und Su Terzu den Componidori zu schützen und heil über das Geläuf zu bringen.
So sitzt oder steht er in der Eröffnungsrunde einfach auf seinem Pferd und wird von den anderen gehalten. In der Schlussrunde liegt er auf dem Pferderücken und segnet mit seinem Blumenstab erneut das Volk.
Viele Monate vergehen, bis eine solche Formation funktioniert. Für alle Reiter dauert die Vorbereitung auf das Fest insgesamt fast das ganze Jahr. Zunächst braucht man ein Pferd und Freunde, auf die man sich verlassen kann. Das müssen Leute sein, die die Reitkunst beherrschen. Hat man das gefunden, ist es harte Arbeit, die akrobatischen Figuren zu üben und vor allem die Pferde auf das Geschehen auf ihrem Rücken und das laut jubelnde Volk in der überfüllten Stadt vorzubereiten.
Manch Pferdefreund wird beim Anblick der Vollblüter nicht nur warm ums Herz, sondern auch ein wenig angst um die Tiere.
Nur noch selten sieht man die kleinen, ausdauernden Pferde der Landbevölkerung. Der Anglo Arabo Sardo ist heute ein hoch gezüchtetes und kraftvolles Tier.
Zwar gilt die Rasse als nervenstark, doch auch unter Pferden finden sich zarte Gemüter, die den gesamten Tag in einem hoch aufregenden Umfeld nur schwer durchstehen. Aufgeregte Stuten und furchtsame Wallache können scheuen. Als sensibles Fluchttier kann jedes Pferd Applaus, Jubel und Aufregung als Gefahr begreifen. Auch Hengste werden stolz präsentiert und zuweilen noch unberechenbarer, als sie bereits von Natur aus sind.
Vorsicht ist am Rand des Geschehens also immer geboten. Doch, es sind bereits Tiere gestürzt, haben einen Herzinfarkt erlitten oder haben sich und Zuschauer, die unvorsichtig an oder auf der Strecke standen, verletzt und mussten getötet werden.
Auch zu schweren Unfällen mit Besuchern ist es in der Vergangenheit gekommen, das darf man bei all der Fröhlichkeit nicht vergessen. Die Sartiglia steht daher auch immer wieder in der Kritik.
Natürlich wird das Fest tierärztlich begleitet und zugelassen werden nur komplett gesunde Tiere. Der Tierarzt ist ständiger Begleiter des Festes und kontrolliert den Zustand der Pferde. Und die Teilnehmer haben neben dem Stolz auch eine gewisse Zuneigung und ein Gespür für ihr Pferd und seine Fähigkeiten.
Und doch bleibt eine Restgefahr, da Tiere eben nicht vernünftig handeln.
Der Besucher ist daher unbedingt aufgerufen, sich vorsichtig zu verhalten, die Tiere nicht noch zusätzlich zu irritieren, bei Übergängen über die Piste sehr vorsichtig zu sein und immer auf die Ordner und die Trompeten, die die nächsten Reiter ankündigen, zu achten.
Lieber einmal mehr umsehen als zuwenig: Pferde sind schneller, als man denkt und bei dem enormen Tempo, das sie hier gehen müssen, sollte sich kein Mensch in ihrem Weg befinden.
Das schwarze Schaf wünscht allen Teilnehmern – Reitern, Pferden und Besuchern – ein wunderschönes und unvergessliches Spektakel!
Design by ThemeShift.
Mieke tschammerhöll
27. Januar 2023 at 04:39Danke für diese information. ich bin ca. drei Monate in Pula und wünsche natürlich noch einiges von der Insel zu sehen. Das schwarze Schaf ist mir schon bekannt von einer deutschen doku, viel erfolg
Mieke Tschammerhöll