Nebida. Ein schwarzes Schaf entert das alte Minendorf an der Südwestküste Sardiniens, in der Region Sulcis-Iglesiente.

Stufen zur Waschanlage
Stufen zur Waschanlage

Das sardische Wort „nébida“ bedeutet Nebel. Ist das der Namensgeber? Schwer vorzustellen, angesichts der strahlenden Sonne.

Aber da gibt in den Bergen dieser Region die „Nebidedda“, eine endemische Thymianart. Die verbreitet einen grandiosen Duft, wenn morgens der Dunst auf ihren zarten Blättern liegt. Also hat der Nebel doch was damit zu tun. Nebulös…

Die Wolle des Schafs jedenfalls ist ziemlich verdreckt vom letzten Trek im Hinterland. Es braucht dringend eine Wäsche. Jemand hatte ihm gesagt, in Nebida gäbe es eine „Laveria“, eine Waschanlage.

Also fragt es nach. Ja, hier gibt es die Laveria Lamarmora, sagt man, die sei aber verlassen. Und schickt das Tier auf einen breiten Weg Richtung Meer.

So geht der wollige Wanderer dorthin, wo es in dieser Gegend am schönsten ist, dort, wo das Land das  Meer trifft.

Laveria Lamarmora
Laveria Lamarmora an der Küste von Nebida

Eine Aussichtsplattform gewährt grandiose Ausblicke: nach Süden bis nach Portoscuso und bei klarem Wetter bis zur Isola San Pietro, nach Norden bis zum charakteristischen Zuckerbrot, dem imposanten Pan di Zucchero. Richtung Westen nur das weite blaue Meer, das heute lange große Wellen schlägt.

Den Blick nach unten gerichtet sieht das Schaf das Ziel des Ausflugs: die Waschanlage. Oder, sagen wir es richtig: die „Laveria Lamarmora“.

Wie ein Edelstein liegt sie dort unten am Hang, in einer atemberaubenden Landschaft. Zum Staunen, diese Kombination aus Berg, alter Mine und endlosem Blau.

Doch der Weg hier hat einen Fehler: Er ist eingezäunt. Das kann nicht sein, denkt sich das Wolltier, Zäune gibt es zuhause nun wirklich genug.

So sucht es sich sofort einen Weg direkt hinein in die Macchia, knabbert hier und dort an einem Zweig und landet schließlich an einer Treppe. Behende springt es die etwa 300 Stufen hinunter zur Wäscherei.

Diese Welle bringt nichts zum Einsturz
Diese Welle bringt nichts zum Einsturz

Bei einem Unwetter 2010 wurde die Laveria, zum Weltkulturerbe der Unesco zählend, von ungewöhnlich hohen Wellen und Wind beschädigt, und drohte einzustürzen. Bis heute stehen große Zäune mit Warnschildern „pericolo di crollo“ – „Einsturzgefahr“ …

Wenn sie das vier Jahre später wirklich noch ernst meinten, wäre der Zaun wohl noch intakt … denkt es und klettert durch ein großzügige Lücke, und trabt vorsichtig durch das alte Gemäuer. Man braucht deutlich mehr, um ein schwarzes Schaf aufzuhalten. Nachahmen? Sollte man das wohl eher nicht.

Das Gebäude ist ein Traum für Freunde des Verfalls. Ihren Namen trägt die Laveria zu Ehren von Alberto Ferrero Conte De La Marmora – dem reisenden General und Geologen, der sich mit seinen Bänden „Voyage en Sardaigne“ um Sardinien verdient gemacht hat.

1897 wurde sie erbaut, die ursprünglichen Pläne sind auf einigen ausgestellten Tafeln gezeichnet. Geschlossen und verlassen wurde die Anlage in den 30er Jahren.

Damals wurden Mineralien aus den umliegenden Bergwerken hergebracht, es gab in der Wäscherei eine „sezione terra“, in der das Gestein zertrümmert sowie Dreck und Sand entfernt wurden, und dann die „sezione rocciosa“ um das gewonnene Blei und Zink zu reinigen.

Plan der Laveria Lamarmora
Plan der Laveria Lamarmora

Schnell wird klar: Gewaschen wurden hier einst nur Mineralien und heute schon lang nichts mehr. Auch keine Wolle. Enttäuschend.

Da muss es wohl doch ins Meer springen – die kräftigen Wellen waschen sicher besser als so ein altes Gemäuer.

Also trippelt das Schaf wieder los, und landet auf einem wunderschönen Weg entlang der Küste. Einerseits die Felsen, auf der anderen Seite fällt der Land in das Meer hinab.

„Il sentiero dei cinque faraglioni“ heißt der Weg. Faraglioni bedeutet „Klippen“. Gemeint sind die fünf markanten Felsen im Golf von Gonnesa (auch „Golfo del Leone“, wörtlich: Löwengolf).

Sie reihen sich an der Küste zwischen Funtanamare und Masua von Süd nach Nord:

  • „Il Morte“ (von Einheimischen auch Portu Raffa genannt)
  • „S’Agusteri“ (von ital. Aragosta – hier fanden die Langustenfischer reichlich Beute … und prompt bekommt das Schaf Hunger …)
  • „Coppia di Portu Banda“ (ein Pärchen aus einem großen und einem kleineren Felsen in dem kleinen Strand hinter Nebida)
  • „Pan di Zucchero“ (wörtlich: Zuckerbrot; alte Sarden nennen ihn bei seinem früheren Namen „Su Concali de su Terrainu“)
Traumhaft: Sentiero dei Cinque Faraglioni
Traumhaft: Sentiero dei Cinque Faraglioni

Der größte von ihnen, der Pan di Zucchero ist 133 Meter hoch – fast so hoch wie die Kuppel des Peterdoms in Rom. Wer die Gelegenheit hat, mit dem Boot hinzufahren, sollte das unbedingt tun – der Anblick ist grandios und von Meer sieht der Felsen noch viel imposanter aus.

In seiner Nähe ist der vom Meer aus sichtbare Ausgang der Mine Porto Flavia zu sehen – hier legten früher Schiffe an, um die direkt im Berg gewonnenen Mineralien direkt aufzunehmen.

Aber das ist eine andere Geschichte. Erstmal wird endlich die Wolle gewaschen.

Der Parco Geominerario Storico e Ambientale della Sardegna (www.parcogeominerario.eu) gehört zu den 120 Geoparks der UNESCO weltweit. Neben Nebida, Buggeru, Iglesias, Ingurtosu, Guspini und Arbus im Sulcis-Iglesiente gehören auch  Orte wie Monte Arci, Orani, Guzzurra, Sos Enattos, Funtana Raminosa, Argentiera, Nurra, Gallura und der Sarrabus ebenfalls zum Park und sind allesamt spannende Reiseziele.

Informationen zum „Sentiero dei Cinque Faraglioni“

Panoramaweg entlang der Küste von Funtanamare bis Masua, mal auf Trampelpfaden, mal auf breiten Wegen. Rot-weisse Markierungen und einige Hinweisschilder mit Zeitangaben bis zum nächsten Etappenziel. Keine Kletterstrecken, aber ab und zu Geröll, es geht auch mal durch ein Tal (in einem leben viele Schwalben, sehr schön) und hier und da werden in die Berge gehauene stollenähnliche Durchstiche durchschritten.

Dauer: gut 6-7 Stunden; von Süden aus ca. 3 Stunden von Funtanamare bis zum Ortseingang Nebida, von dort ca. eine halbe Stunde zur Belvedere di Nebida/Laveria Lamarmora, weiter ca. 1,5 Stunden bis Portu Ferru, ca. 2 Stunden bis Masua; Teilstrecken sind auch einzeln gut zu laufen. Der Einstieg in einer Kurve am südlichen Ortsausgang von Nebida ist etwas ungewöhnlich hinter der Leitplanke. Eine große Halterung für Werbeplakate sowie Hinweisschilder sind ersichtlich, an die Leitplanke neben das weiss-rote Zeichen haben wir unseren Schafaufkleber gepinnt 🙂 Schwierigkeit: einfach; ca. 150 Höhenmeter, feste Trekkingschuhe. Beste Zeit: Frühling. Interessanteste Zeit: Spätherbst, Winter – dann zeigt sich die Region von ihrer wilden, stürmischen Seite – bei Westwind und gleichzeitig Sonnenschein ein Hit.

Tipp: Hinter Porto Flavia schließt sich ein weiterer interessanter Trek bis Buggerru an, der ähnlich lang, etwas anspruchsvoller und schwieriger ist. Am Anfang geht es sehr steil bergauf, geht später an einem spanischen Wehrturm vorbei, über die Cala Domestica und Cala Grande, hinauf zu Galleria Henry bis nach Buggerru, und wer mag kann bis Portixeddu weitergehen. Die Natur unterscheidet sich hier noch einmal deutlich von der Strecke rund um Nebida. Mit ein oder zwei Übernachtungen (ob nun im Freien oder in/um Nebida) ergibt das eine grandiose Tour. Wir empfehlen für die lange Tour ein Schönwetterfenster im Frühling: März/April/Mai.

Noch mehr Bilder gefällig? Dann schaut in den Beitrag: Masua und das Meer

1 Comment

  1. Ulrich Groß

    15. Juni 2017 at 13:51

    Na das ist mal eine Überraschung! Nicht nur, weil sich jemand sehr dezidiert über zum Beispiel Nebida äußert, sondern weil sich diese(r) jemand wohl auch ziemlich viel Mühe gemacht und sich mit den faszinierenden Eigenheiten dieser Insel wohl sehr ausgiebig beschäftigt hat. Ja und dann noch die Tatsache, dass die Schöpflinstraße quasi „um’s Eck“ meiner Bleibe am Oberen Luisenpark liegt.
    Ich habe als Student einige Jahre in Sardinien verbracht, die meiste Zeit davon im Iglesiente zwischen Fluminimaggiore und Nebida. Auch noch in Iglesias geheiratet und unsere Tochter in der Kirche von Nebida zum Taufbecken getragen. Eine der wenigen Kirchen übrigens, deren Turm neben dem Gebäude steht.
    Zu „meiner“ Zeit war der Bergbau in Acquaresi noch in vollem Gange und Nebida war ein äußerst stark belebtes Bergarbeiternest mit hohem LKW-Durchgangsverkehr, 24-Stunden-Schichtbetrieb in der Mine, ein fast durchgehen geöffnetes „Dopo Lavoro“ zur Flüssigkeitsversorgung der Kumpels und dem höchsten pro-Kopf-Bierverbrauch im Südwesten. Damals kostete ein Kilo Sardinen noch ca. 1.000 Lire, etwa eine DM, heute 7 EUR, und für schlappe 5.000 Lire konnte sich jeder nach getaner Arbeit in den wohlverdienten Dauerschlaf süffeln.
    Diese Zeiten sind leider vorbei. Die Mine wurde trotz noch vorhandener enormer Vorräte geschlossen, die Alten leben überwiegend von Rente oder Sozialhilfe und die meisten der Jungen – das begann schon vor ca. 30 Jahren – gingen aufs Festland („su continenti“) oder ins Ausland. Da war keinem der Weg zu weit: von Südafrika über Schottland, Deutschland, Tunesien und Venezuela sind Ziele fast in der gesamten westlichen Welt vertreten.
    Während Nebida im Winter ein einsames Dasein fristet (wie bestimmt auch zahllose andere Ortschaften auf der Insel), allerorts die Kamine rauchen und an windstillen Tagen über dem Ort angenehm nach „moddizzi, murdegu und scistu) harzig riechende Rauchschwaden wabern, wandelt sich das Ganze im Sommer. Nicht nur der Touristen wegen, sondern vor allem deshalb, weil sich fast alle „emigrati“ wieder bei Ihren Familien einfinden und eigentlich nicht wissen, ob sie nun unablässig mit ihren Auslandserfahrungen prahlen oder doch besser zugeben sollen, dass sie nichts mehr lieben, als ihr Heimatdorf.
    Eines ist auf jeden Fall sicher: „Spaghetti alla Vernaccia“, „Pasta allo scoglio“ oder eine einfache „Pizza Mare“ schmeckt in Nebida unvergleichlich gut.

    Saluri & trigu!

    Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert