Wegen einer gewissen Coronakrise ging Ende April eine Nachricht unter, die eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen lassen sollte: Im Mittelmeer wurde eine Rekordmenge an Mikroplastik gefunden. Speziell Sardinien, genauer, der Canyon di Caprera, weist den höchsten Wert an Mikroplastikkonzentrationen auf, der jemals zuvor weltweit (!) in einer tiefen Umgebung gemessen wurde.

Als ich morgens beim ersten Kaffee bei meinen Freunden von SeaMe Sardinia die Notiz über die Studienergebnisse las, war ich tatsächlich ein bisschen geschockt. Damit hat wohl keiner gerechnet – sieht das Wasser doch immer so türkisfarben und rein aus! Eben. Die Gefahr ist unsichtbar und lauert wie so oft unter der Oberfläche.

Eine wissenschaftliche Studie der Universitäten Manchester, Southampton, Bremen, Brest und Durham, die am 30. April 2020 in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde, hat eine sehr traurige Bilanz für den Canyon di Caprera gezogen (Der Canyon di Caprera ist ein bis zu 1.500 Meter tiefer Unterwassergraben, der etwa 20 Seemeilen vor der Nordostküste Sardiniens beginnt. Er liegt mitten im Schutzgebiet »Pelagos« für Wale und Meeressäugetiere; dort ziehen Wale, Delfine und Mondfische ihre Kreise.)

Dass im Mittelmeer zu viel Müll schwimmt, wissen wir auch nicht erst, seit 2019 ein Pottwal-Weibchen vor Porto Cervo angeschwemmt wurde, das mitsamt seinem Jungtier wegen 22 kg Plastik im Magen verendete. Zum großen Plastik im Mittelmeer gab es 2018 eine WWF-Studie (Download pdf) mit traurigen Zahlen.

Ein Finnwal (balenottera comune) im Pelagos-Schutzgebiet. Wieviel Plastik hat er schon im Magen?
Ein Finnwal (balenottera comune) im Pelagos-Schutzgebiet. Wieviel Plastik hat er schon im Magen?

Das Erschreckende an der aktuellen Studie ist, dass quasi der gesamte Meeresboden von Mikroplastik durchseucht ist – selbst an sehr tiefen Stellen, und dass Strömungen echte „Hotspots“ schaffen, die die Natur extrem beeinträchtigen.

Coronakrise? Ich krieg die Plastikkrise!

Da reden wir rund um Corona über Hygiene und Gesundheit, tragen Masken, damit niemand krank wird, freuen uns, dass im Lockdown die Luft auf der ganzen Welt besser wurde, dass die Natur sich erholt … und schaufeln dann unser Grab an anderer Stelle.

Aus den Augen, aus dem Sinn: Jedes Jahr gelangen mehr als zehn Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane der Welt. Allerdings sind davon nur etwa 1% auf der Meeresoberfläche sichtbar, während die restlichen 99% unsichtbar in den Tiefen des Meeres und in den Nahrungsketten von Tieren und letztlich auch Menschen landen.

Und jetzt gesellen sich zum Wegwerfbecher noch Einweg-Masken und Plastikhandschuhe – im Dienste der Gesundheit! Wir denken echt manchmal von zwölf bis mittag …

Je kleiner Plastik wird, desto mehr Schaden richtet es an ...
Plastik verschwindet nicht. Es wird nur immer kleiner. Und je kleiner es wird, desto mehr Schaden richtet es an …

Und es ist auch nicht verwunderlich, dass es ausgerechnet das Mittelmeer so hart trifft. Der Plastikwahn speziell in Urlaubsländern, vom Einweggeschirr bis zur Strandliege, ist ja nicht neu. Dazu gleich mehr. Erstmal zurück zur Studie:

Mittelmeer = Plastikmeer

Tut mir ja auch in der Seele weh, das so schreiben zu müssen. Aber die Studie gibt echt Anlass zu Sorge: Man nahm an 16 unterschiedlich tiefen Stellen des Canyons Sedimentproben und untersuchten sie auf Plastikfasern und -fragmente unter einem Millimeter. Das Ergebnis: Aus 50 g Sediment extrahierten die Forscher jeweils bis zu 184 Fasern und 14 Fragmente, was insgesamt 1,9 Millionen Teilchen pro Quadratmeter Sediment entspricht.

Das Mikroplastik befand sich dabei in allen Teilen des Canyons – vom küstennahen Boden bis zum Tiefseeboden. Besonders viel Mikroplastik fand man zwischen 600 und 900 Metern Tiefe – über 70 km von der Küste entfernt. Dennoch ist der größte Teil des Plastiks, terrestrischen Ursprungs, stammt also von der Bevölkerung, die am Mittelmeer lebt – und von Touristen, die am Mittelmeer und auch auf Sardinien urlauben.

„Fast jeder hat von den berüchtigten ‚Müllinseln‘ aus schwimmendem Kunststoff im Ozean gehört, aber wir waren schockiert über die hohen Konzentrationen an Mikroplastik, die wir in der Tiefe am Meeresboden gefunden haben„, sagt der Hauptautor der Studie, Dr. Ian Kane von der Universität Manchester.

Die Autoren der Studie zeigen anhand von hydrodynamischen Modellen, wie das Mikroplastik sich sowohl durch die Oberflächenströme als auch durch die tiefen Wasserströme gesteuert wird. Die Dichte wird durch die Temperatur (thermo-) und den Salzgehalt (-haline) des Wassers bestimmt. Es ist bekannt, dass thermohaline Ströme (bekannt ist das Prinzip vom Golfstrom) Sauerstoff und Nährstoffe an Organismen, die in tieferen Gewässern leben, liefern und damit auch die biologische Artenvielfalt bestimmen.

Nicht nur das „große Plastik“, sondern speziell auch das Mikroplastik wird unter Wasser von Sedimentlawinen weiter befördert, durch die Strömung auf und über den Meeresboden transportiert und schließlich in Sedimentdriften abgelagert. So entstehen die „Mikroplastik-Hotspots“ wie am Canyon di Caprera. Anderes Mikroplastik sinkt von der Meeresoberfläche ab.

© Quelle: I. Kane et al. (2020)

Aufgrund der geringen Größe von Mikroplastik können diese von Organismen aller Ebenen, vom Zooplankton über Fische bis hin zu Walen aufgenommen werden. Das wiederum ermöglicht die ungehemmte Übertragung toxischer Substanzen in die Nahrungskette.

Die Ergebnisse sollen nun dazu beitragen, die Bildung anderer Hotspots vorherzusagen, die Auswirkungen auf das Leben im Meer zu untersuchen und dann irgendwie zu verbessern.

Wo kommt das Plastik her?

Auch Mikroplastik kommt wie „normales Plastik“ vom Land (also von uns) und wird über Flüsse, die industrielles und häusliches Abwasser führen, in den Ozean transportiert.

„Im Mittelmeerraum leben 150 Millionen Menschen, die mit 208–760 Kilogramm Müll pro Kopf und Jahr zu den weltweiten größten Verursachern fester Siedlungsabfälle zählen. Während der Sommermonate steigern die 320 Millionen Touristen pro Jahr, die im Mittelmeerraum Urlaub machen, die Abfallbelastung des Meers um 40 Prozent.“ (Zitat aus der WWF-Studie).

Spätestens hier kommen wir Menschen wieder ins Spiel – weil das ganze ja in unserer Nahrung landet. Scheint uns als Kollektiv aber nicht wirklich zu interessieren.

Auch der Einzelne tut sich schwer: Was ich nicht sehe, das betrifft mich nicht. Mikroplastik im Fisch? Hab ich noch nie gesehen, meine Dorade hat immer gut geschmeckt? Coronavirus, hab ich noch nie gesehen – warum sollte ich mir die Hände waschen oder ne Maske tragen? Mikroplastik vor Sardinien? Also an meinem Hotelstrand hab ich noch nie welches gesehen – betrifft mich also nicht.

Hirn? Empathie? Instinkt? Hab ich im Menschen lang nicht mehr gesehen. Gibt’s vermutlich auch nicht … Wenn ich noch einmal das Wort Schwarmintelligenz in Verbindung mit Menschen höre, dreh ich durch …

Vom Biodiversitäts-Hotspot zum Mikroplastik-Hotspot war für den Canyon di Caprera darum leider ein vergleichsweise kurzer Weg.

Aber für das gesamte Mittelmeer ist jetzt echt die Frage aller Fragen:

Was heißt das nun für uns im Urlaub? Was kann ich tun?

Auf jeden Fall können wir dafür sorgen, dass es nicht noch schlimmer wird.

Plastik-Überbleibsel der Saison
Plastik-Überbleibsel der Saison. Schritt 1: Nimm allen Müll wieder mit. Und wenn dir irgendwo was von deinem Kram abhanden kommt, geh es suchen!

Um mich nicht grob zu wiederholen, verlinke ich mal diesen Artikel des schwarzen Schafs, denn bekanntlich fasst man sich am besten zunächst an die eigene Wollnase:

» 1.000 Ideen für weniger Müll und Plastik im Sardinien-Urlaub

Auch der zitierte WWF-Report zeigt ein paar mögliche „Wege aus der Plastikfalle“. Ich habe hier mal einige der Empfehlungen für den Tourismus herausgesucht:

  • Verzicht von Hotels und Restaurants auf Einwegartikel
  • Etablierung eines wirksamen Abfallsammelsystems in Hotels und auf Schiffen sowie eine Mülltrennungsrate von 100 Prozent
  • Ausbau des lokalen Abfallmanagements und der notwendigen Infrastrukturen (in den Gemeinden)
  • Hygieneprodukte in Hotels in Mehrwegbehältern; Angebot von Kosmetik ohne Mikroplastik
  • Information der Gäste über das Abfallmanagement am Reiseziel und Ermunterung der Gäste, zur Abfallvermeidung beizutragen.
  • Verzicht auf Einweg-Plastikflaschen. Stattdessen eine Leichtmetallflasche von zu Hause mitnehmen oder Glasflaschen kaufen und an Quellen auffüllen.
  • Einkaufen im Supermarkt ohne Einwegplastiktüten.
  • Beutel, Korb oder Rucksack beim Einkauf mitnehmen.
  • Möglichst selten in Plastik verpackte Produkte kaufen.
  • Verwendung von Kosmetik ohne Mikroplastik.
  • Sammlung und sachgerechte Entsorgung des eigenen Mülls im Hotel.
  • Informationsrecherche zum Recycling am Urlaubsort.

Unsere Aufgabe als Reisende ist, das von unseren Gastgebern und Gastländern einzufordern, also die Nachfrage nach umweltfreundlichen Angeboten zu erhöhen.

Plastikbecher beim sardischen Dorffest: Du musst da nicht mitmachen. Und drei Becher weniger, sind drei Becher weniger. Und vielleicht gibt’s dann beim nächsten Fest Mehrweg.

Ob es zu spät ist oder nicht, entscheiden immer noch wir.

Meine ganz persönliche Meinung: Ein rigoroser Systemwechsel würde Heilung an vielen Stellen des Planeten bringen. Vielleicht nicht in besagten Tiefsee-Hotspots, das übersteigt vermutlich unsere Lebensdauer. Doch vielleicht lässt sich die Wissenschaft auch was einfallen – wenn man sie lässt und sie entsprechend fördert.

Wenn jeder mitmacht, ist man sicher in ein paar Jahren an einem besseren Punkt als heute.

Natürlich, ich hör die Stimmen direkt: „nützt doch alles nix“ … „da müssen erstmal die Großen und China was machen“ … „das ist Aufgabe der Konzerne, Lobby“ … „wegen der Wirtschaftsinteressen wird das eh nichts“ … bla.

Ich meine, auch ein langsames Umdenken kann helfen: Schritt für Schritt kommt man ja auch ans Ziel. Der Konsument hat da einen ganz erstaunlichen Einfluss. Und wenn die anderen nicht mitmachen wollen, dann machen wir eben erstmal was alleine. Ist ein Anfang.

Wenn wir intelligent genug waren, den Sch… zu produzieren, dann sind wir doch auch schlau genug, die Welt wieder zu einem besseren Ort zu machen?! Das Wissen ist ja schon da …

Was mir der Coronavirus-Lockdown mit den Nachrichten über bessere Luft und die Natur, die sich ausbreitet, wenn der Mensch sich zurückzieht, gezeigt hat: Es geht, wenn wir wollen – oder müssen. Wär ja schick, wenn wir das ohne neue Viruswelle begreifen würden.

Helfen auf Sardinien

Bis wir uns direkt auf Sardinien wieder selbst engagieren können, und sei es nur durch eine Müllsammlung am Lieblingsstrand, seien hier stellvertretend ein paar Organisationen genannt, die sich um den Schutz des Meeres und der Insel kümmern. Vielleicht magst du ja die ein oder andere irgendwie unterstützen.

Forschungseinrichtungen auf Sardinien, die sich um Meeres- und Küstenschutz kümmern:

» Wenn du weitere Organisationen und Initiativen auf Sardinien kennst, schreib sie bitte unten in die Kommentare! Ich würde einen separaten Artikel daraus machen, damit wir noch besser an den richtigen Stellen helfen können 😀

Quellen:

4 Comments

  1. Fischer

    26. Januar 2021 at 10:37

    Hallo, vorrangig die schon genannten Maßnahmen. Leider gibt es kein Pfandsystem für Glas – und Plastikflaschen, wie fast überall am Mittelmeer. Solange dies so bleibt, gibt es leider keine Bewußtseinsumkehr.
    Verzicht von Hotels und Restaurants auf Einwegartikel
    Etablierung eines wirksamen Abfallsammelsystems in Hotels und auf Schiffen sowie eine Mülltrennungsrate von 100 Prozent
    Ausbau des lokalen Abfallmanagements und der notwendigen Infrastrukturen (in den Gemeinden)

    Reply
    • pecora nera

      26. Januar 2021 at 11:47

      Ja, Danke für das Feedback, es gibt leider noch mehr als genug zu tun …
      Die Einwegkultur verändert sich langsam, aber sicher .. erste Fortschritte sind bemerkbar.
      Umso wichtiger, dass jeder bei sich anfängt. Ich kann auch ohne Pfandsystem plastikfrei(er) leben, wenn ich es will. Reduzieren, Wiederverwenden, Reparieren … und vor allem: machen 😉

      Reply
  2. Ally

    11. November 2021 at 16:44

    Hallo, ich habe gestern eine Kiste Wasser im Pfandsystem gekauft – die fährt voll nach Sardinien und leer wieder zurück. Leider ist das Plastikproblem so unvorstellbar groß in der Welt, dass wir kaum rettbar sind. JEDER muss sich bei allem und überall fragen: Brauche ich das, ist es umweltfreundlich zu entsorgen, wo wird es entsorgt und wo kommt es wieder zum Vorschein. Bei Minimum 400 Jahren Verrottungszeit ist es nicht verkehrt über die eigenen Konsumgewohnheiten bei jedem Konsum nachzudenken. Im Moment ist alles, was wir nicht brauchen und konsumieren gut für die Umwelt …

    Reply
    • pecora nera

      11. November 2021 at 17:29

      Lieben Dank für deinen Input! Bin einverstanden, das schöne Nichts, das bel niente als tägliches Prinzip wäre echt ein großer Schritt vorwärts 🙂

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert