An diesem Sonntagmorgen im Herbst auf Sardinien begibt sich das schwarze Schaf auf eine Reise nach Mittelerde. Denn die Insel ist nicht bloß die ganze Welt, sondern noch viel viel mehr – alles, was die Fantasie zulässt. Es lässt sich hinreißen von einer wahnsinnig schönen Landschaft aus Schluchten, Tälern, Felsbögen und Höhlen. Läuft bis nach Erebor und trifft sogar Smaug mit dem Arkenstein – ihr werdet sehen!
Ein Trekking der beeehsonderen Art, abseits aller ausgetretenen Pfade, im Supramonte di Urzulei.
Aber beginnen wir am Anfang, also im Haus des Hobbit.
Das schwarze Schaf suchte mit selbigem nach einer Beschäftigung fürs Wochenende und versuchte, ihn von einem Trekking zu überzeugen. Ich war gerade im Herbst auf Sardinien angekommen, das Wetter war wie erhofft sonnig, die Temperaturen angenehm und ich hatte nach langer Arbeit an meinem Buch endlich mal wieder einen freien Sonntag. Alles sprach dafür (außer das frühe Aufstehen).
Doch wohin? Die Tage waren bereits kurz – richtig lang durfte die Tour nicht sein. Ich befand mich in Olbia – eine ewig weite Anfahrt war auch ungemütlich.
So durchwühlte ich die einschlägigen Facebook-Gruppen und fand eine eher unspektakulär klingende Tour: an den Hängen der Codula Eluna zum Monte Garbau (auch: Monte Carbau) und zum Sala degli Archi (in etwa übersetzt Saal der Bögen). Der Guide ist Tony (facebook: @walkinginsardinia), mit dem wir bereits meinen Lieblingsberg, den Monte Corrasi bestiegen haben.
Der Steckbrief der Tour zum Monte Garbau (den ich bis dato nicht kannte, obwohl ich schon öfter in der Region unterwegs war) warf sechs Kilometer Rundkurs aus. Kurz genug für einen Tag im Spätherbst. Einige Höhenmeter und Kategorie E (Escursionisti, also für Leute, die öfter Trekken oder Hiken). Aber anstrengend, stand da – wegen der unbefestigten Wege auf unbekanntem Boden und ausgesetzten Stellen.
Erst dachte ich: Hm. Rund um irgendeinen popeligen Berg wandern? Und dann nicht mal an der Cala Luna ankommen?
Doch ich besann mich schnell: Warum muss man eigentlich immer irgendwo ankommen?! Gut, wenn man grad eine dringende Botschaft an die Elben übergeben muss, vielleicht. Aber im Urlaub?
Der Weg ist das Ziel, wusste schon Konfuzius. Oder war es Galadriel? Egal – ich meldete mich an und erlebte alles, nur keinen unspektakulären Trek.
Mich erwartete – unerwarteterweise – eine der schönsten Wanderungen, die ich je auf Sardinien gemacht habe. Die Fotos in diesem Artikel zeigen nur einen Hauch der Wirklichkeit – aber es ist trotzdem keine Untertreibung.
Und angekommen bin übrigens trotzdem – in einer Welt, die ich nur aus Filmen kannte.
Eine Tourenbeschreibung spare ich mir. Die genau Wegführung auf gut Glück für Frischlinge und andere Urlauber beschreiben zu wollen ist mangels klarer Wege und Beschilderung schwierig. Es ist ein bisschen Suchen und Finden. Damit ist der Trek schon generell als schwierig zu bezeichnen – speziell für alle, die evidente, ebene Wege erwarten oder die Besonderheiten des Geländes nicht kennen.
Sprich: Du brauchst für diese Tour einen Guide. Es gibt weder Schilder noch durchgehend erkennbare Wege, noch eine Handyverbindung, und auch keine Daten für das GPS. Jemand, der schonmal da war und weiß, wo es lang geht, ist also eine gute Idee.
Das ist in der Nebensaison auch nicht lang im Voraus planbar. Tony hat den Trek in den Tagen zuvor auf Machbarkeit getestet, denn im Herbst sind Erdrutsche keine Seltenheit. Der urtrockene Sommer hat den Grund instabil gemacht, die schwache Vegetation vermag die Hänge kaum zu halten und sobald es geregnet hat – ab dafür.
Auch insofern ist dies eine Tour, die nicht immer angeboten wird. Aber heute!
Offensichtlich ist auf dem Trek alles okay und wir starten am Sonntagmorgen am Treffpunkt an der Bar Babbai (wo du übrigens auch sehr gut essen kannst) an der Landstraße SS 125 um 9 Uhr (okay, nach Kaffee und Brioche und drei Zuspätkommern um halb zehn, aber das nehmen wir entspannt mit). An der Kreuzung nahe Urzulei biegen wir ab und fahren die 13 Kilometer lange schmale Asphaltstraße bis zur Località Teletottes (ausgeschildert, dort beginnt auch einer der erwähnten langen Treks zur Cala Luna).
Sehr angenehm: Die heutige Tour ist nur von Einheimischen gebucht. Die einen kommen aus Fonni, die anderen aus Seneghe, ich und zwei Freunde aus Olbia, Tony ist aus Villagrande Strisaili. Darum wird zwar viel Sardisch gesprochen und ich verstehe nicht alles. Aber es ist schön Leute um sich zu haben, die die reine Landschaft zu schätzen wissen und nirgendwo ankommen müssen.
Weil sie nämlich das Glück haben, schon längst da zu sein.
Teletottes klingt ja schon fast ein bisschen wie Hobbiton und das ist unser Startpunkt. Der Hobbit ist endlich wach und guten Mutes. Ich schnappe mir einen herumliegenden Holzstock, denn Tony meinte, Wanderstöcke (oder eben irgendein natürliches Hilfsmittel) seien keine schlechte Idee – sie helfen, Kraft zu sparen. Wie recht er hatte, würde ich bald merken.
Mein Stock bringt mir auf diesem Trek den Namen „Gandalf“ ein – was angesichts der Landschaft, die sich wirklich mit jedem Schritt mehr wie Mittelerde anfühlt, gar nicht so abwegig ist. Gandalf, the Sheep …
Das bewaldete Tal ist mein Lorièn, ich bin Gandalf, der Stab-Elb, und begleite den Hobbit und die anderen Zwerge nach Erebor …
Die grundsätzliche Orientierung scheint dank der Schlucht Codula Elune oder Codula Ilune, an deren Hang wir nun ein paar Stunden wandern, relativ gegeben.
Wir werden immer auf der rechten Seite des Flussbettes sein, links neben uns ist selbiges, man kann es aber manchmal nur erahnen. Rechts sind Felswände, hinter uns der Startpunkt an der Località Teletottes, vor uns käme irgendwann die Cala Luna.
Ich horche auf das Plätschern des kleinen, saisonalen Flusses neben uns, der über Jahrmillionen die Schlucht Codula Iluna gegraben hat – seit dem Sommer hat es kaum geregnet und die wenigen Stellen, die sich mit Wasser füllen, sind geradezu paradiesisch. Der Wind spielt in den Bäumen, der Waldboden ist voller Eicheln und kupferfarbenem Laub.
Aber so zen-mäßig wie er anfängt und das alles klingt, wird der Trek nicht. Das merke ich direkt nach den ersten fünfzig Höhenmetern. Es geht nicht nur einfach hoch, sondern sehr steil den Hang hinauf. Wir nehmen uns Zeit.
Die Codula Elune / Ilune gilt als eine der längsten Schluchten Sardiniens. Sie ist knapp 12 Kilometer lang, und in ihr fließt der Rio Ilune, ein saisonaler, uralter Fluss (heute eher ein Bach). Sie führt zur Cala Luna und ich bin sie vor einigen Jahren entlang gelaufen (dafür brauchst du übrigens viel Zeit, etwa 4,5 Stunden einfach).
Und obwohl ich da schon neugierig überall hingeschaut hatte, war mir aus meinem Blickwinkel von unten nichts besonders Spektakuläres aufgefallen.
In Wirklichkeit ist da oben an den Hängen eine ganze Welt. Die seitlichen hohen Wände der Schlucht beherbergen einige gut versteckte Grotten, Höhlen, Bergzinnen und faszinierende Naturdenkmäler.
Nach dem wirklich anspruchsvollen Aufstieg erreichen wir die ersten Panoramen: wunderschöne, hohe Felswände, an denen wir entlang gehen … und zu denen wir weiter aufsteigen!
Teletottes ist auf rund 200 Metern – die Berge sind bis zu 800 Meter hoch. Ziehen wir 200 Meter Felswand über uns ab, ist das immer noch reichlich viel zu erklimmen. Aber: Schritt für Schritt kommen wir vorwärts.
Und auch wenn es anfangs anders aussah: Das alles ist ziemlich wild und unübersichtlich. Und wir sind mittendrin! Spannend!
Der Trek ist nicht immer ganz einfach, aber machbar. Und die ständig wechselnden Ausblicke sind einfach toll. Wie so oft, in diesem scheinbar ewig gleichen Grün-Grau des Supramonte, erwartet dich eine Landschaft, die in ihrer Vielfalt, Stille und Kraft beeindruckt.
Wir kommen an Resten eines an die Felswand gebauten Cuile / Hirtenhütte vorbei und Tony erzählt uns von dem schlichten Leben, das wandernde Hirten hier führten. Und es gibt einige wenige, die immer noch mit ihren Ziegen durch den Supramonte streifen oder ihre Tiere frei laufen lassen.
Wir setzen den Weg in nördlicher Richtung fort, es geht wieder aufwärts, wir müssen hier und da die Hände zu Hilfe nehmen, um weiter zu kommen. Dann gehen wir durch eine Absperrung, die das Gebiet Su Piggiu Longu markiert.
Und dann, ganz unerwartet taucht er auf und ist zum Greifen nah! Der einsame Berg! Mein Erebor!
Da steht er, der Monte Garbau einsame Berg. Er ist wirklich einsam, denn kaum jemand kennt ihn und kaum jemand sucht ihn auf.
Der Monte Garbau sieht wirklich so aus, als könne er einen Schatz beherbergen … Wir müssen noch ein Stück weitergehen, um ihm ganz nah zu sein …
Ist dies Smaugs Einöde? Wo ist der Drache?
Wir gönnen uns eine Pause, denn uns steht ein erster Abstieg bevor, relativ anspruchsvoll über Scala ‚e Fustes, alte aus Wacholder gezimmerte Treppen und Steige. Wir vertilgen das Mitgebrachte („pranzo a sacco“, inklusive einem guten Landwein, den natürlich die Zwerge mitgebracht haben) und sind alle von diesem unbekannten Berg begeistert.
Es stünde uns aber noch ein Highlight bevor, meint Tony und wir wissen wovon er spricht: vom bezaubernden Saal der Bögen – Sala degli Archi.
Ein wunderbares Meisterwerk der Natur. Und der perfekte Rahmen für Ausblicke in die umliegende Landschaft, wie nicht von dieser Welt.
Durch einen der Felsbögen sehe ich den Monte Garbau.
Ich finde den abgebrochenen Ast eines Wacholderbaums, ein Stein ist in ihm eingeklemmt.
Das ist doch der Arkenstein im Maul des Drachen Smaug?! Halt Smaug! Gib ihn den Zwergen zurück!
Der Rückweg hinunter zum Flussbett ist nochmal anspruchsvoll. Direkt nach dem Bogensaal erwartet uns ein steiler Abstieg, den einige Wandergefährten so nicht erwartet haben. Es geht über Felsbrocken und dicke Wacholderäste eine Felswand hinab.
Geschafft. Die grünen Hänge des Supramonte breiten sich vor uns aus. Wir blicken in ein bewaldetes Tal, wunderschön wie Lorièn – ohne weiteres könnten hier Elben leben.
Die petraia, der Geröllhang hinunter ist nicht trivial, einige Passagen sehr rutschig und steil – so mancher setzt sich auf den Hosenboden, das ist fast normal. Hauptsache, man hat immer irgendwo Halt. Seitlich gehen hilft an den schwierigen Stellen, wir gehen auch eher am Rand und halten uns hier und da an Bäumen fest. Mir hilft mein Gandalf-Stab.
Dann noch ein Stück Wald – und wir sind wieder am Flussbett. Der Rest zurück zum Ausgangspunkt Teletottes ist ein Kinderspiel.
Kurz vor Ende erhaschen wir noch einen Blick auf die Haupt-Attraktion der Codula Ilune, die Grotte bzw. das Karstsystem Su Palu. Können aber nicht hineingehen, denn sie ist aus Sicherheitsgründen verschlossen.
Zumindest unter Grottenolmen, Verzeihung, Speläologen ist Su Palu weltweit bekannt – da sie sich die sich über 42 km (ja, Kilometer) im Inneren des Supramonte in Verbindung mit anderen Grotten erstreckt. Su Palu geht zu Beginn etwa 350 Meter in die Tiefe und ist etwa 15 Kilometer lang mit mehreren großen Sälen. Man vermutet auch eine Verbindung zur Grotte di Bue Marino – damit wäre der gesamte Komplex sogar 70 Kilometer lang. Eine sportliche und logistische Herausforderung für Wissenschaftler und Forscher.
Und im Inneren sieht es dann so aus:
Wir sind zurück. Gandalf the Sheep legt den Stab ab – für den nächsten beherzten Wanderer durch Mittelerde. Und widmet sich ganz profan dem von Tonys Mutter für die Wanderer gebackenen Apfelkuchen und selbstgemachtem Birnensaft.
Abseits der ausgetretenen Pfade und aller touristischen Hotspots ist die Insel eben doch am schönsten 🙂
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PS. Dieser Platz Welt gehört übrigens zum Supramonte di Urzulei. In das Dorf Urzulei lohnt übrigens ein Abstecher, z. B. für das Belohnungsbier danach. Es hat einige nette Murales in einem realistischen Schwarzweiß-Stil an den Hauswänden. Auch eine Tankstelle ist dort unten am Ende der Serpentine – falls man sich im Verbrauch verkalkuliert hat.
PPS. Noch mehr Impressionen von der Tour 🙂
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Roberto
5. Dezember 2021 at 19:53Genial !
Margit
12. Dezember 2021 at 23:21Bin sehr neugierig geworden – toll!
Ralph
26. September 2022 at 07:25Sehr schöner Bericht und wundervolle Photos!
Das alles weckt den Waldläufer in mir.