Ottana zeigt uns eine sehr sehenswerte Form des traditionellen Karnevals in der Barbagia. Manche sagen sogar, hier gäbe es die schönsten Karnevalsfiguren auf Sardinien: die Boes e Merdules.
Sie zeigen eine Art Schauspiel mit Szenen aus dem Landleben, ihre Masken sind kleine Kunstwerke, von Hand aus Holz geschnitzt. Dazu gibt es ein Fest, an dem das ganze Dorf teilnimmt, Tänze auf einem großzügigen Dorfplatz, Wein, Musik – und das alles unterhalb der beeindruckenden Kathedrale San Nicola von 1160. Die Szenerie ist wirklich kaum zu toppen.
Ottana selbst ist kein ausgesprochen schönes Dorf, aber praktisch gelegen, nämlich direkt an der Schnellstraße 131 (die Ab- und Auffahrt ist etwas haarsträubend kurz) und damit in relativ kurzer Zeit auch aus Olbia oder Cagliari erreichbar.
Die Faszination der Boes e Merdules zieht Menschen aus allen Teilen der Insel und sogar vom Festland oder aus anderen Ländern an. Damit ist ein großes Fest garantiert. Intim ist der Carnevale Ottanese nicht unbedingt, aber dafür beeindruckend und trotz der Größe und der vielen Leute authentisch geblieben.
Am frühen Nachmittag des Karnevalssonntag befindet sich das in einer ruhigen und gelassenen Stimmung.
Das schwarze Schaf streift ein Weilchen durch die noch leeren Gassen. Nach kurzer Zeit trifft es auf einen Handwerker, der gerade Holzstücke grob zurecht haut. Im Laufe des Tages kann man ihm zusehen, wie er daraus live eine der traditionellen Masken schnitzt.
Das Stück, das er jetzt zu fassen hat, soll »Su Boe« werden, eine der zentralen Figuren des Carnevale Ottanese: der Ochse. Die Hörner sind bald erkennbar.
Das pecora nera stärkt sich zwischendurch mit einem Vino und schaut und hört dem Maskenmann zu, wie er an der Maske arbeitet und dabei etwas über den Karneval in Ottana erzählt.
Die Ursprünge des Karnevals in Ottana verlieren sich in weiter Vergangenheit. Alte Riten und Kulte fließen ein, und so genau kann keiner sagen, wann das eigentlich angefangen hat, mit den Boes e Merdules.
Die beiden Hauptfiguren, Su Boe und Su Merdùle gehören zusammen. Sie repräsentieren einen Ochsen und seinen Herrn oder Hirten.
Sie sind ein Symbol für das Landlebens, und spielen später während sie durch das Dorf ziehen, den ewigen Streit zwischen dem kräftigen Tier und dem Menschen. Letzteren zwingt das Leben, das Tier zu unterjochen – damit beide überleben können.
Bis in nicht allzu ferne Zeiten galt ein Paar Ochsen als das ganze Leben seiner Besitzer. Ein Landwirt, der Ochsen besaß, galt als wohlhabend. Wenn er sie allerdings verlor, war sein Leben quasi am Ende.
Das galt speziell in Ottana noch bis zum Beginn der 70er Jahre. Bis sich eine neue Einnahmequelle eröffnete: Ein Unternehmen der Petrochemie siedelte sich in Ottana an und hat sowohl den Ort und seine Landschaft als auch die Bedeutung alter Traditionen massiv verändert. Die beiden Schlote sind von der Schnellstrasse gut sichtbar.
Die Veränderung hat die Masken zum Glück nicht vertrieben. Die Traditionen sind weiterhin tief in der Bevölkerung, bis in die ganz junge Generation, verankert.
Das liegt sicher an der Faszination, die die Masken auf Groß und Klein ausüben, aber auch an der tief verwurzelten Liebe zur Heimat und dem Stolz auf ihre Besonderheiten.
Zur Karnevalszeit streifen Gruppen von Boes und Merdules durch die Straßen, die zum einen in Kulturvereinen organisiert sind, sich zum anderen aber auch spontan oder unter Freunden bilden.
Junge Männer aus Ottana knüpfen zum Karneval manchmal auf ihre ganz eigene Weise an die alten Traditionen an. Da sieht man auch mal einen Boe mit einem grünen Regenschirm, bunten Luftschlangen um den Hals oder einer Flasche Ichnusa in der Hand.
Der Zuschauer sieht auch keine Prozession, die bestimmten Regeln folgt, sondern die Protagonisten bewegen sich frei im Dorf. Quasi überall kann man den Boes e Merdùles begegnen – zu späterer Stunde natürlich auch in Bars oder beim Essen.
Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt, den ganzen Sonntag, einige am Montag (das ist auch der Tag, an dem sich die Kinder verkleiden), und wieder viele am Karnevalsdienstag, dem Martedì Grasso, wenn der Karneval auch mit bunten Kostümen und fröhlichen Wagen / carri allegorici gefeiert wird.
Der Ochse, das Rind, der Stier – Su Boe repräsentiert die großen Weidetiere, und mit ihnen Kraft, Stärke und Leben.
Su Boe ist eine freundliche Figur des Karnevals in der Barbagia – und ein Glücksbringer: Zwischen den Augen trägt er einen Stern, der ihn selbst und auch seinen Herrn beschützt. Charakteristisch sind die schönen Mandelaugen und die klaren, eleganten Linien von der Schnauze bis zu den Hörnern.
Die Masken des Boe sehen demnach auch wie ein Stier bzw. Ochse aus. In manchen Fällen sind die Hörner etwas kuh-untypisch – das ist der künstlerischen Freiheit des Maskenschnitzers geschuldet. Die Länge der Hörner bestimmt nämlich der Baum, in dem der Künstler einen Boe „sieht“. Bei besonders langen Hörnern ist meistens eine große Astgabel im Spiel.
Und so erinnert manche Maske auch an die gehörnten Kämpfer aus der Nuraghenzeit, die Shardana, deren Bronzeabbilder zum Beispiel im archäologischen Museum in Cagliari ausgestellt sind.
Die Ähnlichkeit ist nicht zufällig: Alles soll seine Ursprünge in einem antiken Kult um den Stiergott / dio toro auf Sardinien haben, der wiederum eng mit dem Landleben und dem täglichen Kampf zwischen Mensch und Tier, Leben und Tod verbunden ist.
Su Boe trägt einen Umhang aus weißen Schaffellen – und eine gewaltige Last: einen Schmuck aus Glocken unterschiedlicher Größe, der rund 30 Kilogramm wiegt.
Trotz dieses enormen Gewichtes bewegt sich der Boe mit rhythmischen, kraftvollen Schritten, damit die Glocken so laut wie möglich durch die Straßen klingen.
Er wirkt majestätisch, stolz und unzähmbar.
Die menschliche Figur ist die des Hirten: Der Merdùle will oder vielmehr muss den Boe zähmen, wenn er das karge, felsige Land bestellen und seine Familie und Dorfgemeinschaft ernähren will.
Er wird auch Su Gobbeddu / der Bucklige genannt, ein vom Leben gezeichneter und gebeutelter Mann.
Die Gesichtsmaske ist bewusst hässlich. Er ist derjenige, der sogar dem Teufel Angst machen und alles Schlechte vom Leben fernhalten sollen.
Su Merdùle will das Tier bändigen, ist sehr dominant und kämpft, weil der Boe ihm kräftemäßig zwar überlegen, aber in Taktik und Konsequenz unterlegen ist.
Auch der Merdule trägt einen Umhang aus weißen Schaffellen, aber keinen Glockenschmuck. Ihn sieht man mit unterschiedlichen Utensilien auf dem Rücken, die er in seinem Alltag braucht: Sa Taschedda (Brotbeutel aus Leder) sowie Sa Socca und Su Voette (Seil und Peitsche), mit denen er das Tier in seine Schranken weist und ihm Kommandos gibt.
Der ein oder andere Merdule spielt S’Orriu – ein Instrument in Form eines Zylinders aus Kork, bespannt mit Eselshaut; eine Schnur ist daran befestigt. Zieht man an dieser, ertönt ein ganz spezieller Laut, der unter den Tieren Unruhe und Verwirrung stiftet.
Ebenfalls ständig präsent in den Straßen Ottanas ist die weibliche Karnevalsfigur des Ortes: die bucklige Ilonzana, auch Filonzana genannt. Sie stellt eine trauernde Alte dar, die komplett in Schwarz gekleidet ist. Sie trägt wichtige Alltagsutensilien mit sich – Wolle und eine Spindel.
Ihr Auftritt ist von großer Bedeutung für die Dorfbewohner: Sie spinnt Wolle zu einem Faden und droht, diesen abzuschneiden, wenn man ihr nichts zu trinken gibt.
Der Faden symbolisiert dabei im übertragenen Sinne das Leben desjenigen, der ihr gegenüber steht.
Sie prophezeit damit auch das Unglück einer schlechten Ernte. In früheren Zeiten bedeuteten schlechte Erntejahre schwache Familien, verhungernde Tiere und damit oft gleichermaßen den Tod.
Kleiner Tipp also: Wenn Ihr die Alte seht, sucht das Weite. Sie erscheint immer als letzte hinter den Merdùles, ist dunkel gekleidet und geht schwerfällig. Sie hört nie auf, den Faden zu spinnen.
Einige der älteren Einwohner spielen das Spiel aktiv mit und rufen »Unser Schicksal ist in ihren Händen / il nostro destino è nelle sue mani«. Sie fordern den Merdule auf, ihr zu trinken zu geben, denn in der Taschedda des Merdùle befindet sich oft Wein für die Alte.
Das kann auch nach hinten losgehen: Oft wird man von den Merdules festgehalten und gezwungen, selbst der Alten zu trinken zu besorgen. Tut man das nicht, droht sie, den Faden zu trennen.
Egal ob man nun an den Schicksalsfaden glaubt oder nicht – es ist auf jeden Fall besser, wenn der Faden intakt bleibt.
Neben dem relativ unorganisierten Rundgang durch das Dorf, gibt es auf dem zentralen Dorfplatz vor der Kirche einige theatralische Szenen, die Su Boe und Su Merdule miteinander spielen.
Der Boe ist zwar unterworfen, aber wie oft bei Tieren in Gefangenschaft, kommt ab und zu der Rebell durch. Er weigert sich – durch Hinlegen auf den Boden – seine Arbeit auf dem Feld zu verrichten. Viele verstehen das auch als ein Symbol des Stolzes und der Nicht-Unterwerfung der Sarden gegenüber ihren diversen Besatzern. In diesem Sinne korrespondieren der Boe und der Merdule, und werden eins.
Rebelliert das Tier, kniet sich der Gobbeddu, also der Hirte, daneben und drängt es, wieder aufzustehen – manchmal mit Peitschenschlägen oder Tritten, und manchmal mit einem Streicheln der Schnauze.
Wenn der Boe sich weiterhin weigert, tritt die Filonzana auf den Plan. Sie stellt sich an die Seite des Tieres und befiehlt ihm, zu gehorchen und droht ihm mit dem Durchschneiden seines Lebensfadens. Jetzt erhebt sich der Boe und stellt sich mit ungeheurer Mühe unter dem schweren Gewicht der Glocken wieder auf seine Füße.
Die Szene ist ein Symbol für das Leben, das auch im Sterben immer weiter geht. Auch deshalb nehmen viele Boe ihre Kinder (quasi als Kälber) während des Umzugs an die Hand.
In mancher Szene sieht man den Boe aber auch im Sterben, und sein Hirte versucht, ihn wieder zu beleben. Mit Wein gelingt das.
Die Merdules bieten dann auch den Beobachtern der Szene oft etwas zu trinken an – und das darf man auf keinen Fall ablehnen. Die Wut der Boes und der Merdules ist heftig, und sie drohen mit ihren Hörnern oder der Peitsche.
Natürlich geht es immer gut aus, und auch das ist ja nur eine Szene, die es im echten Leben auch gibt.
Im Carnevale Ottanese gibt es noch weitere Tierfiguren:
Die Maske des Boe ist eine der beliebtesten Mitbringsel aus dem Sardinien-Urlaub. Wenn du absolut sicher sein willst, ein Original zu bekommen, fahre nach Ottana und kaufe sie direkt in bei einem der ansässigen Künstler, der auch Masken für die aktiven Teilnehmer des Karnevals herstellt.
Die Masken haben immer ihren Preis. Sie kosten je nach Größe und Kunstfertigkeit bis zu 200 Euro, Maß- und Wunschanfertigungen auch mehr Und sie sind den Preis auch wert: Ein Boe wird immer per Hand gefertigt, und die aus Ottana aus einem Stück leichtem Holz (Olive, Steineiche, Birne), das in der Umgebung, zum Beispiel an Flussläufen, wächst.
Eine Boe-Maske wird von Generation zu Generation weitergegeben und stellt einen echten Wert in der Familie dar. Daher ist dieses echte Kunsthandwerk auch nicht unbedingt billig. Und es sollte Euch immer skeptisch machen, wenn sie es doch sind. Dann sind häufig Kleber, billiges Pressholz, wenig Handwerkskunst oder gar China im Spiel. Erst der Herkunftsnachweis und z. B. eine Prägung oder Signatur des Künstlers, macht den Kauf sicher.
Es gibt die Masken natürlich auch in vielen Bottegas und kleinen Artigianato-Geschäften inselweit. Die Herkunft sollte genau bestimmt und zertifiziert sein.
In den größeren Souvenirshops musst du vorsichtiger sein. Es gibt zum Beispiel einen deutlichen Unterschied zwischen der Maske des Merdule und der des Mamuthone aus Mamoiada, auch wenn sie sich ähnlich sehen und in einigen Shops wahllos nebeneinander hängen. Und auch nicht immer orginal sind.
Fragt in Andenkenläden außerhalb von Ottana oder Mamoiada darum ruhig genau nach, was die Maske bedeutet, aus welchem Holz sie ist, welcher Künstler sie hergestellt hat, etc.
Kann man keine Antwort geben, oder ist die Verarbeitung eher gefräst als geschnitzt (oft gut erkennbar an den Augen) und riecht die Maske eher nach Lösungsmittel und nicht nach Holz – dann ist sie vielleicht in China produziert und darf nicht viel kosten. Auch der Preis ist in diesem Fall tatsächlich ein guter Indikator, ob du es mit einem Original zu tun hast.
er
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
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