Sardinien hat sie noch, die kleinen feinen Plätze. Nur wer etwas auf sich nimmt, erreicht sie. Heute ist es so weit.
Aber gleich vorab: Was jetzt kommt, ist nichts für Langschläfer oder Haubentaucher. Die Küstenabschnitte am südlichen Golfo di Orosei über den Landweg zu erreichen, kostet einiges an Anstrengung und Vorbereitung. Cala Sisine, Cala Biriola, Cala Mariolu, Ispudiligenie, Poltu Quau … sie alle sind etwas für Fortgeschrittene.
Das schwarze Schaf nimmt das gern als sportliches Training, schließlich will es irgendwann den Selvaggio Blu gehen. Aber das ist sicher nicht für alle die ultimative Urlaubsfreude. Daher der Tipp: Ja, man erreicht alle auch per Boot von Cala Gonone und Santa Maria Navarrese.
In diesem wilden Teil des Supramonte an einem Tag zwei oder noch mehr Buchten scha(f)fen zu wollen, ist extrem sportlich und nicht angeraten. Pro Tag reicht auch dem normal geübten Wanderer ein Ziel.
Zumal Hektik komplett fehl am Platz ist – sowohl was die Schönheit des Platzes angeht, als auch die Vorsicht. Es dauert so lang wie es dauert.
Insgesamt kann man sich im Supramonte di Baunei sicher gut eine Woche und noch länger beschäftigen ohne sich irgendwie zu langweilen. Wenn man das denn will.
Aber jetzt – los geht’s!
Kleine Vorbemerkung: Die Beschreibung ersetzt nicht die eigene Vorbereitung mit aktuellem Kartenmaterial und erst recht keinen ortskundigen Guide. Dazu später noch mehr. Genügend Wasser, Proviant, zum Trek passende Kleidung sollten selbstverständlich sein.
Nach einer guten Nacht und einem frühen Frühstück auf der Hotelterrasse im Bia Maore in Baunei (wenn man nett fragt, steht schon um sieben Kaffee und selbstgemachter Kuchen bereit, heute mit Pinienkernen) steht es um 8 Uhr im Revier.
Am Golgo beginnt neben der kleinen Kirche San Pietro die etwa 15 km lange Schotterstraße zur Cala Sisine. Sie bringt uns auch zu anderen unbekannteren Küstenabschnitten (Link zum Kartenausschnitt auf openstreetmap.org).
Wir nehmen zunächst das Auto. Zwar ist der menschliche Körper für 15 km Gehen am Tag ausgelegt – aber es sieht eh so aus, als würden wir ihn heute und die nächsten Tage an seine Grenzen bringen, also fahren wir so weit es geht.
Der Weg ist am Anfang noch breit angelegt. Doch mit jeder Minute wird er schmaler und steiniger. Die wenigsten Autos schaffen es bis zur Codula Sisine, der Schlucht / das Flussbett, durch das die letzten Kilometer zu Fuß zurückgelegt werden müssen.
Der letzte mögliche Parkplatz ist etwa 2 Kilometer vor der Bucht, eine gute Stunde hin, wegen der Steigung etwa anderthalb zurück.
Kuhfamilie als Begleitschutz
Die 4×4 haben kein großes Problem – aber ob und wie weit man sich selbst und dem Mietwagen die je nach Jahreszeit ausgewaschene Straße, phasenweise mit Geröllbelag, zumuten will, sei jedem Fahrer selbst überlassen.
Unser Panda schafft es ein paar Kilometer. Vor einer fiesen kleinen Steigung auf Geröll stellen wir ihn lieber in eine Parkmulde im Schatten eines Baumes.
Wir haben etwa 2,5 Kilometer (einfach) mehr zu gehen als die, die ihre Autos dort hinauf quälen (am meisten erstaunt hat uns ein uralter grüner Panda – die Dinger sind echt kleine Wunderwerke).
Aber so weit zu Fuß zu gehen, ist nicht unschön: Eine Kuhfamilie begleitet uns. Kleine, dunkelbraune Tiere mit langen Hörnen. Sie sind neugierig, aber haben letztlich mehr Angst vor uns als wir vor ihnen. Und so flüchten sie sich bald in eine der seitlichen Lichtungen.
Bald kommt der erste Abzweig „Piredda > Ispuligidenie“ – auch eine sehr sehr schöne Tour. Danach folgt „Ololbissi > Cala Biriala“. Letzteres unsere zweite Tour; dazu weiter unten mehr.
Unheimlich schön: Codula Sisine
Weiter geradeaus gelangen wir zur „Codula Sisine“, dem Flussbett und anschließend der „Cala Sisine“. Schöne Details am Wegesrand, von kleinen Blüten über knorrige Bäume bis zu tollen Felsen.
Der Trek zur Sisine ist übrigens wenig bis gar nicht ausgeschildert.
Das ist auch nicht unbedingt notwendig: Die Straße ist eindeutig, geht irgendwann in die Schlucht und das Flussbett über, und wenn man genau dort zwischen den Felswänden und Berghängen bleibt, kann man nur an einem Ziel ankommen – der Cala Sisine.
Vom letzten Parkplatz geht es immer nur leicht bergab. Vorsicht ist beim Laufen auf dem Geröll im Flussbett angebracht.
Die Bergflanken und Felswände, die sich zu beiden Seiten hoch erheben, sind beeindruckend und einfach nur wunderschön.
Der lange Weg ist entweder bewaldet und schattig, bzw. die Sonne scheint im Tagesverlauf in den meisten Fällen aus dem Süden auf den Rücken, was sehr angenehm ist. Auf dem Rückweg ist es meist schattig.
Nebel kriecht vom Meer herauf
In der Cala angekommen, braucht man sich nur im Herbst zu ärgern, wenn man Badezeug und -handtuch vergessen hat.
An diesem Tag im April ist das Wasser selbst für die Füße noch zu kalt.
Für ein Picknick auf dem kiesligen, steinigen Strand ist es aber immer eine gute Zeit. Im Sommer gibt es dort eine Strandbar, die von Cala Gonone aus betrieben wird. In der Nebensaison muss man sich sein Zeug eben mitnehmen.
Alle, die nicht übermüde sind, sollten dann noch den Pfad an der Nordseite der Bucht hinaufgehen – dort eröffnet sich ein wunderschönes Panorama auf die kristallklaren Wasser der Bucht und den Golfo di Orosei. Der Weg führt übrigens zur Cala Luna – nach etwa 4-5 Stunden traumhafter Küsten-/Berg-Wanderung.
Unser nächstes Ziel ist Richtung Süden. Dort ist kein Pfad vorgetreten, die Felswände des Supramonte erheben sich vom Meer auf bis 600 Meter – die höchsten im Mittelmeer.
Da ist ad hoc kein Durchkommen, es sei denn, man ist eine Ziege. Querfelsein ist in dieser Region ohne Ortskenntnisse nicht empfehlenswert. Zu viele sind hier schon verloren gegangen.
Daher hilft nur: zurück. Das ist ohne große Anstrengungen machbar, nur die schiere Länge (je nach Autoparkplatz) und die leichte, aber permanente Steigung machen es etwas mühsam.
Im Frühling und Herbst liegt der Supramonte am Vormittag oft noch im fetten Nebel, der vom Meer heraufzieht.
Der Pfad zur Cala Biriala ist voller grandioser Ausblicke, für die man klares Wetter braucht. Auch für die technischen Herausforderungen des Weges.
Abstieg voraus: da unten wartet die Cala Biriala
Die Tour zur Biriala ist an ihrem Anfang mit einer grossen Übersichtskarte markiert und der Trek in italienischer Sprache kurz beschrieben.
Ein Schild, das nach links zur Cala Sisine weist, und nach rechts zur Cala Briola (meint die Biriala, man ist nicht ganz einig, die Baunesen nennen sie auch Billaricóro).
Und das war es dann auch mit sachdienlichen Hinweisen – eigene Vorbereitung ist also unerlässlich. Schaut Euch das Territorium auf unterschiedlichen Karten und in 3D-Auflösungen an – von Google Earth bis Openstreetmap, sowie in einschlägigen Trekkingforen gibt es ausreichend Beschreibungen.
Schon zu Beginn des Weges lohnt aber ein ortskundiger Guide – weil der nämlich den Einstiegspunkt zur Cala in den Büschen kennt. Denn geht man weiter geradeaus auf dem breiten Weg, landet man in einer Sackgasse auf einem privaten Bauernhof. Kurz zuvor trafen wir eine verschreckte Dame, die in eine halbwilde Schweineherde gelaufen war und völlig entnervt den Einstieg zur Mariola suchte. Wir haben sie im weiteren Tagesverlauf nicht mehr gesehen.
Typisch Supramonte: Fels trifft Meer
In der Natur gibt es natürlich eine Menge Hilfestellung und das Höhenprofil gibt Auskunft: Wir gehen erst weiter hinauf, auf etwa 400 Meter und müssen dann steil bergab.
Und zwar über 2,4 Kilometer, oder etwa 2 Stunden einfach (die auf dem Schild angegebenen 1:40 halten wir für ein Gerücht, oder das gilt für super sportliche Wanderer).
Wir bleiben also auf dem Pfad und wissen bald nach dem Aufstieg: Dort zwischen den beiden Berghängen geht es steil hinunter. Die Orientierung ist nicht wirklich schwer.
Der Trek selbst ist aber mit „EE – Escursionisti Esperti“ angegeben – die Wanderung ist tatsächlich sehr anspruchsvoll und sollte nicht allein gegangen werden. Am besten man wendet sich an Wanderführer (eine kleine Auswahl am Ende des Artikels).
Vertikal aufragende Leiter: Scala Biriala; Foto: Leonella Escursioni Trekking
Das bedeutet, dass der Pfad nicht vollständig markiert und erkennbar ist, der Wanderer sich auf unebenem und felsigen Gelände bewegen können muss, es Abschnitte mit technischen Schwierigkeiten gibt und entsprechende Ausrüstung notwendig ist.
Und das ist in diesem doch sehr wilden und ursprünglichen Teil des Supramonte durchaus etwas untertrieben.
Wir erfahren bald, welche technischen Schwierigkeiten gemeint sind. In der kleinen privaten Wandergruppe vor uns kommt eine Dame nicht über den schmalen Pfad hinaus, der steil an einer Felswand entlang führt. Den Stahlseilen, die als Hilfestellung angebracht sind, trauen sie nicht über den Weg. Man kehrt mit drei Leuten wieder um, zwei gehen weiter.
Der Weg ist von Einheimischen quasi „hinmodelliert“, und existiert bereits seit vielen Jahren. Im Abschnitt „Iscala ‘e Fustes“ sind Älste von Wacholderbäumen an der Felswand befestigt, und man geht hier auf den Spuren der Köhler, die das Meer erreichen wollten.
Ein Phänomen vielerorts im Supramonte: Das Holz der Wälder wurde geschlagen und zu Kohle verarbeitet, die über das Meer auf den Kontinent verschifft wurden. Bis heute hat sich die Flora der Insel nicht davon erholt.
Der Tritt auf den Pfad am Fels entlang, oder die vertikal aufragenden Stufen einer Leiter aus Metall (früher war sie aus Holz!) sowie das Hinuntergehen an einem fest installierten Seil ist nicht jedermanns Sache.
Wer nicht ganz fit ist, und sich nicht auskennt, wird hier sicher an seine Grenzen stoßen und vielleicht doch lieber den Weg übers Meer wählen.
Gut geplant und vorbereitet ist der Trek aber machbar. Wie sagte jemand so treffend? „Un’escursione per molti … ma non per tutti!“ – Eine Wanderung für viele – aber nicht für alle. (Hier die entsprechende Tourenbeschreibung in einem Artikel in italienischer Sprache.)
Diese Tour allein und ohne Ortskenntnis bzw. ohne Guide zu gehen – gerade in der Nebensaison, wenn es geregnet hat und wenn die Sonne früh untergeht – würde selbst das schwarze Schaf niemandem raten.
Da, wo diese ausgesuchten Punkte beginnen, gibt’s noch mehr, zum Beispiel die Tour zur Cala Mariolu, zur Grotta del Fico, oder die Tour Piredda – Ispuligidenie. Weiter südlich lohnen die Ziele Poltu Quau und Capo Montesanto. Fragt einfach die ortskundigen Guides, ob sie Euch dorthin bringen.
Auch weiter ins Berginnere führen manche Wege.
Literaturtipp für den anspruchsvollen Wanderer und Kletterer: andalus & caminus (in zwei Bänden) von Aldo Nieddu, in italienischer Sprache, mit sehr detaillierten Beschreibungen.
Doch noch ein zwei Worte zum Thema Guide. Ob man sich einem anvertraut, entscheiden das eigene Können, das Wissen um das Wanderrevier und die Tour gemeinsam.
Wir sind sehr große Freunde des Alleinwanderns. Aber das hat definitiv Grenzen – und die sind im Supramonte sehr schnell erreicht. Vor allem für die, die solche Touren als Abwechslung im Urlaub gehen und noch nie allein in diesem Gebiet unterwegs waren. Wie oft verwechseln Touristen von Ziegen ausgetretene Pfade mit Wanderwegen … kein Scherz.
Abschnittsweise trifft man hier auf den Selvaggio Blu, einen der schwersten Trekkingpfade Europas. Das sagt einem eigentlich schon alles zum Thema Guide oder nicht.
Eine Begleitung ist manchmal extrem wichtig und hilfreich. Sie gibt an den schwierigen Stellen Zuversicht, oder erklärt die Gegend und den weiteren Verlauf des Pfads. Im Falle der kleinen Calas am Supramonte kann ein guter Guide den sicheren Rückweg bedeuten. Hin ist meistens nicht so schwer – zurück passieren die meisten Fehler.
Ein Guide erhöht auch den Spaß- und Entspannungsfaktor, da sehr viel Anspannung verloren geht, wenn man weiß, was kommt.
Was extrem hilfreich ist – für beide Seiten – sind Italienischkenntnisse auf Seiten des Reisenden. Hier und da gibt es zwar deutschsprachige Guides, und man kommt auch sicher durch den Trek, aber leicht gehen interessante und wichtige Details oder einfach nur Scherze verloren.
Da ist ein Auswanderer aus dem eigenen Land, der Touren anbietet, schon besser. Darunter allerdings jemanden zu finden, der das Gelände so gut kennt wie ein Einheimischer, ist etwas aufwändiger.
Sachdienliche Hinweise zur Cala Biriala – die wichtigen Details liefert ein guter Guide
Wer aber eigene Sprachkenntnisse mitbringt, und sich bei seiner Tour Einheimischen anvertraut, kommt in den Genuss zahlreicher schöner Geschichten.
Wie der vom Nonno des Guides, der einmal seine Ziegenherde nicht wieder fand und geschlagene sieben Tage bei Wind und Wetter im Supramonte in diversen Cuiles zubrachte – nur um die Herde bei seiner Rückkehr seelenruhig an dem gewohnten Platz wieder zu finden.
Oder von dem ersten heimlichen Trek als Fünfjähriger, bei dem er abgerutscht und mit einem Seil im Baum hängen geblieben sind und von seiner Familie gesucht werden musste – aber seine Liebe zum Trekking entdeckt hat.
Das macht solche Wanderungen nicht nur zu einem technisch-sportlichen Höhepunkt des Urlaubs, sondern auch zu einem tollen, zwischenmenschlichen Erlebnis.
Zur besten Wanderzeit: Im Sommer bleibt es zwar länger hell, dann ist es aber eigentlich zu warm für diesen Trek und die Anstrengungen, die der Supramonte fordert.
Der April ist eine gute Zeit – nicht zu warm, nicht zu kalt, und wenn es nicht gerade regnet, ein Träumchen. Auch der November hält einige perfekte Tage für die kleinen Touren bereit.
Seid nur rechtzeitig wieder auf dem Rückweg – gutes Zeitmanagement, gute Ausrüstung für alle Fälle und ein stabiles Wetterfenster sind alles.
Exkursionen auch zu den entlegenen Buchten bieten
Wir vertrauen uns gern unseren Freunden von Leonella Escursioni Trekking an, die ihr – mit Italienischkenntnissen – auch nach Touren zu anderen unbekannten Plätzen auf der Insel fragen könnt. Sie stammen aus dem Südosten, dem Sarrabus und kennen so manche Perlen. Programme veröffentlicht Leonella auf ihrer Facebook-Seite.
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