Tempio Pausania, Tèmpiu in galluresischer Sprache. Der Name hat Klang, das muss man der Stadt lassen. Ein alter Fluss, der in den Bergen entspringt und in den Golfo di Olbia fließt, Phausania, gab ihr den Beinamen. Von dem ist heute nur noch wenig zu sehen, aber er nährt die Stadt im Zentrum der Gallura.

Der Bahnhof Tempio Pausania von außen
Der Bahnhof in Tempio Pausania von außen

Tempio liegt mitten in der felsig-bergigen Landschaft, am Fuße des Monte Limbara. Als einer der ersten Orte auf der Insel erhielt er eine Bahnverbindung.

Im Februar 1888 wurde direkt nach der Strecke Cagliari-Isili auch die Strecke Monti-Tempio eingeweiht – ein Zeichen dafür, wie bedeutsam der Ort bereits vor der Jahrhundertwende war.

Wie es so ist und scheinbar auch immer war auf Sardinien: Bestimmte Dinge brauchen Zeit. Und so sollte es weitere 43 Jahre dauern, bis die Stadt zur Inbetriebnahme der Linie Tempio-Sassari endlich auch einen zeitgemäßen Bahnhof / stazione erhielt.

Schmuckstück am Fuße des Limbara

Damals wie heute liegt der Bahnhof außerhalb des Stadtzentrums. Das ist so üblich auf Sardinien, die Bahnhöfe liegen in der Nähe der früher wichtigen Verkehrswege.

Und da die meisten Reisenden mit dem Auto ankommen, bleibt er oft unentdeckt und unbeachtet. Selbst wer mit dem Zug oder Bus (dessen Station auf dem Platz gleich nebenan ist) ankommt, geht meistens nicht hinein.

Wobei mit dem Zug ankommen heute einigermaßen schwierig ist: Eine regelmäßige Verbindung nach Sassari oder Olbia gibt es schon lang nicht mehr, und für den Touristenzug Trenino Verde („kleiner grüner Zug“) und die Instandhaltung der Strecken fehlt das Geld. Alle Jahre wieder steht in den Sternen, ob und wann und auf welchen Strecken er fährt. Ein Skandal, und zwar inselweit.

Diese kleinen grünen Züge fuhren schon lang nirgendwo mehr hin ...
Diese kleinen grünen Züge fuhren schon lang nirgendwo mehr hin …

Das hat zur Folge, dass auch der Bahnhof nicht immer geöffnet ist. Und er ist in einem nicht mehr ganz so guten Zustand, alles wirkt ein bisschen trostlos und verlassen.

Was schade ist, denn der Bahnhof ist ein echtes Schmuckstück und hat einigen historischen Wert.

Als sei die Zeit stehen geblieben

Das schwarze Schaf hatte Glück und betrat neugierig auf sein Inneres den Bahnhof. Als wäre die Tür ein Zeitportal, fand es sich mit einem Schlag in alten Zeiten wieder.

Holzverkleidung, Wandgemälde, Lampen und Fenster – alles war erstaunlich gut erhalten und strahlte Wärme und Wohlstand aus.

Ruhe und Zeit
Wuseliger Bahnhof? Nein, Ruhe und Leere dominieren den Raum.

Hingerissen von der Stimmung, setzt man sich fast automatisch auf eine der leeren Holzbänke. Der nächste Zug fährt weiß der Geier wann, vorher treffen sich auf dem Vorplatz der Station nur Busse, die sternenförmig in alle Richtungen abfahren.

Alles geht langsam, man hat Zeit. Die Biglietteria versteckt sich hinter einem kleinen Holzfenster mit einer milchigen Scheibe. Das schwarze Schaf erinnert sich, wie es vor ein paar Jahren hier ein Ticket für den Trenino kaufen wollte (als der noch fuhr) und weder Automaten noch Personal sichtbar waren. Der Schalter wurde erst geöffnet, nachdem es hartnäckig ein paar Minuten davor stand und sich nicht wegbewegte.

Danach schloss er wieder (vermutlich für immer) und erneut versank alles in andächtiger Ruhe.

Wandkunst aus dem Landleben

Szenen aus dem Alltag
Szenen aus dem Alltag

Tatsächlich ist es fast wie in einer Kirche, denke ich, als ich so auf den Holzbänken sitze und mir die Wandkunst ansehe. Die Fresken eines Gotteshauses könnten nicht schöner sein – hier sind es eben keine religiösen Motive, sondern sie zeigen das Leben in der Region zu Beginn des letzten Jahrhunderts.

Der Maler und Illustrator Giuseppe Biasi, geboren in Sassari im Jahr 1885, hat hier den Alltag Tempios zu Beginn des Jahrhunderst für die Nachwelt festgehalten (mehr über ihn in der italienischen Wikipedia).

Seine Szenen sind aus dem Alltag der Stadt gegriffen (die damals genau genommen nur ein etwas größeres Dorf war), zeigen Landfrauen beim Wasserholen, die Einwohner Tempios in ihren Trachten, einen elegantes graues Pferd, fressende Rinder, Planwagen, Musiker …

Menschen in der lokalen Tracht
Menschen in der lokalen Tracht
Musiker mit Harmonium
Rinder werden auf den Weiden rund um Tempio auch heute noch gehalten
Rinder werden auf den Weiden rund um Tempio auch heute noch gehalten

Moderne „Kleinkünstler“ (Oma würde sagen „Schmierfinke“) suchten sich hier zu verewigen und einen Kontrapunkt zu setzen. Alle möglichen Nachrichten und Zeichnungen finden sich auf den Sitzflächen des Holzes.

Tesoro mio – TI AMO / mein Schatz, ich liebe Dich“ ist das einzige, wobei man versucht ist, es schön zu finden – kann man das doch auch als Liebeserklärung an den Bahnhof verstehen.

Architektur

Der Bahnhof ist von außen noch gut erhalten, der Architekt Emilio Olivieri hat ein Bauwerk entstehen lassen, das auch heute noch wunderbar zur Lage und in das moderne Tempio passt. Denn auch die Stadt hat sich viel von ihrem historischen Charme bewahrt.

Uscita - Ausgang
Uscita – Ausgang

Alle fünf Ausgänge der Stazionesind den Schienen zugewandt, vier davon sind überschrieben: „Sala d’aspetto“ – Wartesaal, „Uscita“ – Ausgang, „Telegrafo“ – für das damalige Telegrafenamt, „Capo Stazione“ – Bahnhofsvorsteher.

Ein kleines Toilettenhäuschen steht etwas abseits macht von außen durchaus was her, innen ist es ungepflegt, zum Teil demoliert und mit Parolen besprüht.

Zugverkehr? Fehlanzeige

Wer hier längere Zeit verbringt, ahnt schon, dass das hier nicht unbedingt der Verkehrsknotenpunkt ist. Will man beispielsweise wie früher nach Monti fahren, dann hilft da heute nur ein Bus oder doch wieder das Auto.

... aus ganz alten Zeiten
Ein Zug aus ganz alten Zeiten …

Moderne Züge sucht man hier vergebens, dafür stehen auf den Gleisen alte, verrostete Züge, die mit Sicherheit schon so alt sind wie der Bahnhof selbst. Die Formen kennt so mancher nur noch von Spielzeugeisenbahnen. Schön ist ihr Rost im Sonnenlicht.

Die Stille hier unten erlaubt eine kleine Fantasiereise, in der alles zum Leben erwacht.

Es dampft aus den alten Schloten, der Lokführer pfeift, die Pferde- und Ochsenkarren klappern, die Tempieser bevölkern den Bahnhofsvorplatz, ein Akkordeonspieler musiziert …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert