Wolken krochen über die Berge des Gennargentu und verdunkelten den Himmel. Ein Gewitter zog hinter Fonni auf. Die Nacht rückte unaufhaltsam näher. Der Herbststurm kündigte einen harten Winter an. Der Weg, der dem Hirten bevorstand – durch unbewohntes, unwirtliches, düsteres und bewaldetes Gebiet bis zu den fruchtbaren Weiden viele Täler weiter – war gefährlich für Mensch und Tier.
Sie waren vertraut mit der Umgebung, und doch – wer wusste genau, was es da draußen alles gab? Manchmal gingen Schafe verloren, oder es verirrte sich sogar ein Hirte und kehrte nie mehr zurück …
Ein Geräusch! Was war das?! Der Wind, ein Muhen, ein Brüllen? Ein Rufen aus der Unterwelt? Ein lärmender Blitz erhellte kurz die Landschaft – dort! Da stand doch etwas hinter dem Baumstumpf im diffusen Wolkennebel? Es bewegte sich … ein Widder? Ein Stier? Ein großer Hund? Oder – wie in manchen Fieberträumen erzählt wurde – ein Bär?
Die Schafe drängten sich dicht aneinander und der Hirte hielt mit klopfendem Herzen Ausschau, das Messer gezückt … Mensch und Tier gerieten an ihre Grenzen …
Das letzte Licht verschwand, in den Tälern widerhallte der Donner …
In Fonni ist es heute immer noch nicht wirklich kuschlig.
Auf 1.000 Metern am Hang des Gennargentu ist es Anfang Februar kalt. Nix da liebliche Täler.
Alles ist ruppig und karg. Der Wind zerrt an dem kupferbraunen Winterlaub, das einfach nicht von den Steineichen fallen will.
Auch die Schafe und Winterlämmer wirken ein wenig grantiger, Kälte liegt ihnen nicht.
Hunde bellen alles an, was sich dem Zaun nähert und verteidigen Hof und Herde. Zur Not bis aufs Blut.
Wer sich zu dieser Zeit einen oder zwei Tage in dem Dorf gönnt, bekommt eine ganz leise Ahnung davon, wie das Volk in alten Zeiten gelebt haben muss. Richtig weit weg sind die letzten Jahrhunderte hier nicht.
In einem Dorf wie Fonni leben viele alte Traditionen unverfälscht weiter – die des Hirtentums, der Transhumanz, des Kunsthandwerks, der Gesänge, der Tänze, der Gemeinschaft.
Und allen voran die des uralten Karnevals. Die der Urthos e Buttudos.
Der Kampf der beiden zentralen Figuren in Fonni sind mit das Wildeste, was Sardinien zu bieten hat:
Über S’Urthu e sos Buttudos kann insgesamt nur spekuliert werden. Die tiefen Wurzeln sind nicht dokumentiert und irgendwo im Dunkel der Zeiten verloren.
Die Sarden neigten in früheren Zeiten nicht zu Aufzeichnungen, sondern erzählten sich alles Wichtige. Das macht die Forschung schwierig.
Vermutlich dachte niemand, dass es mal schwarze Schafe und Reisende geben würde, die alles ganz genau wissen möchten.
Eine Analogie aus der sardischen Tierwelt gilt für die Urthos e Buttudos als am wahrscheinlichsten: Widder, Stier, Mufflon, Schaf, Pferd – und der Mann und Schäfer, der das Tier dominieren muss, um in der harten Wirklichkeit zu überleben.
Eine etwas andere Vermutung reicht – aufgrund der Wortähnlichkeit – bis in die Altsteinzeit zurück. Legenden erzählen vom Urthu – Orso – dem Bären.
Nun ist der Bär allerdings ein der sardischen Fauna leider völlig unbekanntes Tier. Sein Vorkommen lässt sich jedoch nicht vollkommen ausschließen – auf Korsika bei dem Bergdorf Conte, soll’s den ausgestorbenen Höhlenbären auch angeblich mal gegeben haben.
Wie gesagt, Steinzeit, etwa 25.000 Jahre her. Es war ja keiner dabei, also bleibt das Spekulation.
Denkbar ist, dass – gerade in antiken, archaischen Zeiten – die Menschen eben nicht genau wussten, was sich in der einsamen Bergwelt über ihnen für Wesen befanden. Der Nordeuropäer hat ja auch überall Drachen im Wald gesehen.
Der menschliche Geist ist leicht zu verwirren. Dazu noch ein paar Schatten im Dunkel des Waldes, zu viel Wein und Jahrhunderte alte Legenden und Überlieferungen – und plötzlich gibt es eben Bären dort, wo gar keine sind.
Forscher, die sich mit dem sardischen Karneval intensiver auseinander gesetzt haben, sehen im Wortstamm von S’Urthu viel eher eine Verbindung zu Orcus latino, dem römischen Gott der Unterwelt und der Toten.
Die passende Legende zum Kult gibt es auch: Vom Höllenfeuer gepeinigte, geschwärzte und gehörnte Wesen seien der Unterwelt entkommen und trieben ihr Unwesen auf der Erde, brachten das Böse zu den Menschen.
Daraus habe sich auch auf Sardinien ein Stier- und Totenkult und Fruchtbarkeitsritus entwickelt.
Deutlich sichtbar und typisch sei der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Sommer und Winter. Das sei mehr oder weniger das, was in Fonni gezeigt werde. Ein Klassiker.
Um den Gott Orcus gibt es rund um Fonni kaum archäologische Funde, und der Kult ist in der tiefen Barbagia nicht besonders deutlich dokumentiert oder bestätigt.
In anderen Teilen der Insel aber finden wir Hinweise auf den Stierkult, zum Beispiel in vielen domus de janas. Die Ausgrabungsstätte Sa Domu ‚e S’Orcu in Siddi hat von oben betrachtet, die Form eines Stierkopfes.
Könnte S’Urthu also der wilde Stiergott aus einem Totenkult sein? Sagen wir so: Möglich ist es und hat auch Sinn.
Noch naheliegender, und damit nicht unwahrscheinlicher (Riten und Traditionen in ländlichem Umfeld sind in der Regel nicht kompliziert) ist der symbolische Kampf zwischen Mensch und Tier. Gern auch im weiteren Sinne ein Kampf auf Leben und Tod.
Da der Boden am Nordhang des Gennargentu im Winter nichts hergab, waren die Männer des Dorfes gezwungen, zur Transumanza mit den Herden in die fruchtbaren Ebenen (aus denen sie zuvor vertrieben worden waren) zu wandern.
Das erforderte oft auch ein großes Maß an Strenge, Stärke und Dominanz den Tieren gegenüber. Mit «Bitte geh doch weiter» oder «Bitte bleib doch hier» kam man bei Fluchttieren nicht weit.
Der Tod war ständiger Begleiter im antiken Landleben, ja sogar bis in die Neuzeit. Wasser- und Nahrungsmangel ganz zuvorderst, gebrochene Glieder oder Wegelagerer waren auch nicht selten.
In Fonni erzählt man sich auch, dass einige Männer des Dorfes oft hinauf in die höheren Lagen der Berge gingen, um wilde Tiere zu fangen.
S’Urthu könnte also ein wilder Widder, ein Ziegenbock, ein Mufflon sein, aber auch ein Stier oder gar ein Pferd.
Alle Tiere hier oben tragen im Winter ein den klimatischen Bedingungen angepasstes, eher zotteliges Fell. Passt also.
Wenn wir aber schon am Mutmaßen sind, möchte schwarze Schaf eine eigene Spekulation dazu werfen.
Als ihm eingangs des Dorfes der graue Cane Fonnese mit seinem kratzigen struppigem Fell über den Weg läuft, erkannte es spontan eine verblüffende Ähnlichkeit zum Urthu.
Der Fonnese ist eine sehr alte Hunderasse. Er gilt als einer der schwierigsten Hütehunde, lässt sich kaum dominieren, lebt draußen bei der Herde, oder – ja sieh einer an – an einer Eisenkette vor dem Land oder Haus, das er beschützen soll.
Ist S’Urthu am Ende ein hundartiges Wesen oder gar ein Wolf (der allerdings wie der Bär in Sardinien nicht heimisch ist)?
Einigen wir uns insgesamt einfach auf «ein wildes Tier».
S’Urthu ist auf jeden Fall die wildeste und irrsinnigste aller Figuren des sardischen Karnevals.
Sein Verhalten? Unberechenbar, mutig, fast aggressiv.
S’Urthu klettert überall hinauf, ist schnell, agil und wendig. Vorsicht ist in seiner Nähe geboten.
Es braucht schon einen starken Gegner, um das Tier zu bezwingen.
Sos Buttudos sind gekleidet in einem schwarzen Umhang aus Orbace (stark verfilzter, zu einerm wind- und nässeabweisenden Stoff verarbeiteter Wolle) mit Kapuze.
Darunter tragen sie einen Anzug aus Kord, Lederschuhe und -gamaschen, auf dem Rücken ein Lederband mit Glocken (sonaggias) geschnallt.
Viele Jungen sind zu Karneval in dieser Kleidung unterwegs. Das ist gut, um das Überleben der Tradition zu sichern. Und es zeigt auch wie lebendig sie heute noch sind.
Um der Figur allerdings vollständig gerecht zu werden, braucht es gestandene, erwachsene Männer.
Der Buttudo ist ein lebenserfahrener und härteerprobter Mann, der in einer rauen, kargen und armen Welt überlebt und Heim und Hof beschützt.
Dafür kennt Sardinien noch ein anderes, nicht übersetzbares Wort: balente.
Es bezeichnet einen Beschützer, aber auch einen Mutigen oder Gesetzlosen. Die schwarzen Gesichter und Kleider der Buttudos sind darum auch ein Mittel, nicht erkannt oder entdeckt zu werden, und sich unerkannt zu bewegen.
Dazu muss man wissen, dass dieser Mann kein ehrenloser Krimineller ist, sondern vielmehr einer, dessen Leben (und das seiner Haus- oder Dorfgemeinschaft) nach jahrhundertealten, eigenen Gesetzen funktioniert. Das findet Extreme – sowohl im Guten als auch im Schlechten.
Das mutet in Kulturkreisen außerhalb der Barbagia und Sardiniens durchaus schwierig an. Ein Thema, das Bücher füllt.
Aber das im Hinterkopf, beschreibt es die Ernsthaftigkeit der Karnevalstraditionen in der Barbagia. Wir sind hier eben nicht beim Schunkeln oder Konfettiwerfen. Nicht ansatzweise.
Sos buttudos halten immer eines von zwei Dingen in der Hand, die sie gegen S’Urthu verwenden.
Da ist eine Art Peitsche, Su Nerviu, mit der sie dem Tier drohen und es einzuschüchtern suchen.
In früheren Zeiten soll sie aus den Genitalien eines Stiers gearbeitet worden sein, eine verloren gegangene Handwerks… na nennen wir’s ruhig …kunst. Heute sind sie aus Leder und Sehnen.
Das andere ist eine schwere und laute Eisenkette, mit der sie S’Urthu zu zweit an einem Halsband halten.
Immer zwei oder mehr Buttudos versuchen S’Urthu zu zähmen und dominieren.
Das sehr ähnliche Wort «Bottúdo» gilt als Wortstamm für diese Figur und bedeutet interessanterweise «nicht kastrierter Schafbock» – und läge damit sehr nahe an dem Tier, das sie beherrschen wollen und müssen.
Sie werden nahezu eins mit ihm, während das Tier versucht, ihnen zu entkommen.
Damit ist es ein Symbol für die notwendige Koexistenz und doch den immer währenden widerstreitenden Interessenkampf zwischen Mensch und Tier.
S’Urthu rennt heute fast unbezwingbar in seinem grauem Schafsfell gekleidet, durch das Dorf, das Gesicht mit Ruß geschwärzt (s’inthiveddu).
Er kämpft fortwährend darum, sich von den Buttudos, aus der Gefangenschaft und von den Ketten zu befreien.
Das Vorbild liegt wieder im ländlichen Leben – speziell in einer rauen Umgebung, in der nicht alles sauber eingezäunt ist und in der Tiere bis heute frei laufen.
Wilde Schafe, Kühe, Ziegen, Pferde – als lebende Seelen wehren die sich ganz natürlich gegen den eigenen Tod oder das Ende ihrer Freiheit.
Sie versuchen, sich zu retten, in dem davon laufen, kämpfen oder auf Felsen oder Bäume klettern (Ziegen können das zum Beispiel sehr gut).
Heute erklimmt S’Urthu Bäume oder Laternenpfähle, geht die Hauswände hinauf und setzt sich auf Balkone. Er scheppert an Fensterläden und hämmert an Türen.
Öffnet sich hier und da ein Fenster, bekommt der Urthu etwas zu trinken (in der Regel Rotwein).
Klettert S’Urthu zu hoch, lassen die Buttudos die Kette los und das Tier bleibt auf einem Balkon oder Fenstersims sitzen oder liegen. Hie rund da posiert es stolz.
Am Boden rennen die Tiere flink und mutig auf alles zu, was ihnen begegnet. Mal kämpfen sie mit anderen Urthus, mal greifen sie ihre Jäger an. Oft jagen sie auch Frauen und Mädchen nach, die versuchen, sich in Hausecken zu retten.
Das gelingt ihnen nur selten, aber die Buttudos helfen und die Damen werden mit geschwärzten Gesichtern wieder in die Freiheit entlassen.
Gemeinsam werden die beiden Figuren auch Mascheras Bruttas, die hässlichen oder dunklen Masken, genannt.
Die Kirche, als sie im Mittelalter nur mit mäßigem Erfolg die Christianisierung der Insel versuchte, fand das Spektakel ganz und gar dämonisch.
Da sie aber trotz aller missionarischer Bemühungen nichts gegen die alten Traditionen der Fonnesen bewirken konnte, verbot sie zumindest den Gebrauch von Hörnern bei den Masken, da diese den Teufel symbolisierten. Da hätte man aber auch gleich direkt das Halten von Ziegen und Widdern verteufeln können, nur weil diese Hörner haben.
Der Teufel oder das Böse in einem für das Überleben notwendigen Tier? Das ist genauso widersinnig wie zu glauben, dass ein Glas Honig böse ist, nur weil Bienen Stachel haben.
Mit Sicherheit haben die alten Fonnesen da nur mit dem Kopf geschüttelt und sich zu Recht geweigert, ihre Traditionen aufzugeben.
Der Glaube an den leibhaftigen Teufel ist auf der Insel kaum ausgeprägt. Wenn überhaupt, ist er nur in Gestalt des täglichen Bösen, des Unglücks, des Todes, der Armut und der Krankheit sichtbar.
Urthos e Buttudos sind ein Symbol für das Miteinander von Mensch und Tier, und für den Kampf zwischen Gut und Böse.
Wenngleich ein sehr starkes. Hätte sich die frühe Kirche ein bisschen in die Leute und ihre Lebensweise hineinversetzt, hätte sie vermutlich erkannt, dass es in erster Linie um das wirklich wahre Leben und Überleben geht.
Für die Fonnesen war diese Pantomime etwas, das sie näher zusammenbrachte. Sie waren füreinander da und halfen sich gegenseitig. Auch das zeigt der Kampf der Buttudos: Das Ringen mit dem Tier ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
Man verstand berechtigterweise nicht, was es daran zu verteufeln gab, wenn man seine Familie und die Dorfgemeinschaft am Leben erhielt.
Da das seit Jahrhunderten zu dem Leben in der Barbagia gehörte, hatte es die Kirche mit ihrer in anderen Kulturen bestens funktionierenden Politik der Angstmacherei in diesem Landstrich nicht leicht.
Denn Angst machen konnten die Fonnesen sehr gut selbst.
Wer einmal die Figuren in Aktion erlebt hat, vor allem zu Sant’Antonio, wenn es dunkel ist und Feuer auf den Plätzen in Fonni brennen, spürt mehr als Gänsehaut.
Da wird ein ganz tief sitzender Punkt im Inneren der menschlichen Seele angesprochen, wie es nur ganz selten der Fall ist. Wer das schonmal in irgendeiner Form erlebt hat, und sich darauf einlässt, ist tief beeindruckt und zugleich fasziniert-neugierig.
Für den, der damit nicht vertraut ist und mit falschen Erwartungen (Stichwort Büttenrede und Kamelle) nach Sardinien kommt, bei dem breitet sich zunächst ein Unwohlsein aus.
Menschen, die gewohnt sind, in ihrer Komfortzone zu verweilen und die alles im Leben optimieren, sind hier vielleicht überfordert.
Alle, für die schon eine falsch gelieferte Fliese beim Hausbau oder ein Regentag im Urlaub eine mittelschwere Katastrophe ist, sollten definitiv lieber zuhause bleiben …
Denn in Fonni heißt es: Raus aus der Komfortzone.
Der Kult macht einigen, die ihn nicht verstehen, vielleicht sogar Angst. Und vielleicht kleinen Kindern. Dazu kommt, dass die Fonnesen nicht unbedingt als überschwänglich freundliches Volk bekannt sind, und in den seltensten Fällen Deine Sprache sprechen.
Der Besucher braucht in jedem Fall ein dickes Fell. Und vielleicht etwas hochprozentige Hilfe beim Überwinden der Hürden.
Die Nähe zu der Natur und den starken Emotionen tut dem Menschen gut – ob er nun Einwohner oder nur Besucher ist.
Nimm die Extreme an. Setze Dich mit ihnen auseinander. Verstehe, was um Dich herum passiert. Finde Deinen Platz.
Aber, es ist alles gar nicht schlimm. Und zum Glück treten auch noch ein paar fröhlichere Gesellen auf:
Eine Figur wie Su Ceomo finden wir am Karnevalsdienstag in vielen Orten (z. B. schon im Nachbardorf Mamoiada der Wagen mit Juvanne Martis Sero), mit ähnlicher Bedeutung.
Bei Su Ceomo handelt sich um eine aus Lumpen und Stroh ausgepolsterte Puppe auf einem Wagen. Er ist männlich, unfassbar hässlich und betrunken.
Der Mann (die Puppe) wurde wegen der Sünden während des Karnevals verurteilt und muss nun den Tod durch Erhängen oder Verbrennen sterben.
Sie symbolisiert den Karneval, die wilde Zeit, die jetzt enden muss.
Su Coemo wird von Männern in schwarzen Frauenkleidern, also dem Gewand von Witwen, durch das Dorf gefahren.
Sie tragen dunkle Schulter- und Kopftücher, ihre Gesichter sind zum Teil ebenfalls mit Ruß befleckt.
Sas mascheras limpidas, die hellen Masken, nähern sich auf den Plätzen immer wieder in kleinen Dreiergruppen der Szene, sie tanzen um Su Coemu aber auch – ähnlich dem ballo sardo – in Reihe.
Das Kostüm der mascheras limpidas ist ein Übrigbleibsel aus der Zeit der spanischen Besatzer.
Sie tragen weiße Blusen, dunkle Plissee-Röcke mit farbigen Stickereien, Stoffabschnitten oder Schürzen, breitkrampige Hüte mit bunten Bändern und weiße oder schwarze Schleier, hinter denen die Gesichter nicht zu erkennen sind. Letztere werden su vardellinu genannt, oder auch su vestire de sennora, da sie in früheren Zeiten nur von den Frauen adliger Herkunft getragen wurden.
Kommt man ihnen etwas näher, erkennt man unter den der bunten Figuren ebenfalls einige als Frauen verkleidete Männer. Die Frauen mit schwarzen Schleiern symbolisieren generellen Verlust im Leben und Trauer, sei es um Mann, Kind oder Tier.
Irgendwann folgt der Grabgesang (Su Teu), das lamento funebre.
Manchmal beweinen die Witwen Su Coemu in satirischen Versen (natürlich sardisch im lokalen Dialekt, und damit für die meisten Besucher unverständlich) und lauten Rufen oder betrunken klingenden Gesängen.
Hier und da ist das Lamento als traditioneller polyphoner Tenorgesang zu hören.
Dazu stellen sich die Witwen im Viererkreis zusammen und dem Vorsänger folgen die drei anderen Stimmen. Das ist äußerst passend in der gesamten Szenerie.
Wieder einer dieser magischen Momente, und Glück hat, wer dann genau daneben steht und zuhören darf.
Auch die Buttudos stimmen mit ein, um das Ende des Karnevals zu besingen. Zusammen mit den Mascheras Limpidas wird getanzt und die traditionellen Gesänge (Battorinas, Mutos) erklingen.
Geht zum Karnevalsdienstag, dem Martedì Grasso, nach Fonni. Karneval heißt hier übrigens Su ‚Arrasse’are Onnessu.
Zu diesem Zeitpunkt rechnet man im Dorf generell mit Besuchern* und zeigt sich durchaus aufgeschlossen.
Erstes Ziel: die Bar an der Piazza. Dort gönnt Ihr Euch erstmal ein Glas Wein, egal ob es mitten am Tag ist. Wer’s langsamer angehen lassen will, nimmt ein Bier. Mit Glück gibt’s hier bereits den ersten Kontakt mit Einheimischen und ihr verliert ein paar Hemmungen.
Um 15 Uhr geht’s mit dem Tanz der Mascheras Limpidas los. Ihr werdet Musik hören, könnt aber langsam austrinken – es dauert ein kleines Weilchen, bis man sich ausgetanzt hat. Geht aber natürlich gern hinaus, um zuzusehen.
Den lärmenden Auftritt der Urthos e Buttudos werdet ihr auf keinen Fall verpassen – sie kommen aus einer Seitenstraße herangerannt, Glocken und Ketten machen enormen Lärm.
Die Mascheras Limpidas gehen dann irgendwann los, durch das Dorf. Ihr könnt diesen bereits folgen, die Urthos holen Euch irgendwann ein – und ihr seid ein bisschen abseits der vielen Schaulustigen.
Die ganze Meute bewegt sich durch das Dorf. Ihr könnt, müsst aber nicht unbedingt mit ihnen rennen. Die Gruppe macht auf den Plätzen Pausen, und S’Urthu sitzt ja auch ab und zu längere Zeit auf einem Balkon und weigert sich, herunterzukommen.
Das Ganze endet mit einem großen Fest bei der Chiesa di Santa Croce auf dem großen Platz an der Via Sorabile. irto oder Rotwein wird aus kleinen Plastikbechern getrunken und sorgt leider auch für einigen Müll im Dorf.
Man wird Euch sicher den ein oder anderen kleinen Becher hinhalten, aber im Zweifel solltet ihr Euch selbst was mitbringen. Und anderen Leuten, die in Eurer Nähe stehen, davon etwas abzugeben, ist ein netter Zug und eine gute Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen.
Ein paar Stände sind aufgebaut – in der Regel gibt es Torrone (sehr guten!) und Wein. Ein paar Frauen haben Zeppole (frittierte Teigringe) gemacht und umsonst verteilt.
Rechnet nicht mit organisierter, satt machender Verpflegung – hier wird alles von den Dorfbewohnern oder dem örtlichen Kulturverein selbst auf die Beine gestellt und in manchem Jahr gab es auch mal nichts.
Wer weiß, dass er schnell hungrig wird, kann ja zum Mittag- oder Abendessen in einem der Restaurants in und um Fonni reservieren und sich für den kleinen Hunger zwischendurch auf dem Hinweg irgendwo ein Panino jagen und mitbringen.
Der Abend auf der großen Piazza endet üblicherweise spät, mit Musik und Tänzen.
Auf alle Fälle verspricht das schwarze Schaf intensive und echte Eindrücke in Fonni!
* Anmerkung: Zu den Feuern von Sant’Antonio am 17. Januar ist das Spektakel deutlich heftiger, aber kaum besucherorientiert. Man ist gern unter sich, und die Kontaktaufnahme eher schwierig. Es geht, wenn ihr Italienisch sprecht, ein paar Tage im Dorf seid und bereits Kontakte, z. B. in einer örtlichen Gruppe für Exkursionen im Gennargentu oder in Eurem B&B, geknüpft habt.
Mehr Infos: www.urthosebuttudos.it
Wer bleiben möchte: Fonni hat ein paar Hotels, B&B und Restaurants. Ihr könnt auch abends in einem Agriturismo in der Umgebung essen und übernachten – hier haben auch im Winter viele Betriebe geöffnet.
Finde deine Unterkunft in Fonni:
Booking.comAnmerkung: Wenn du über die Links oder Banner buchst, erhält das Schaf eine kleine Provision. Reicht nicht zum Reichwerden, aber vielleicht mal für einen Kaffee bei der nächsten Beeehrichterstattung, zum Begleichen der Hosting-Kosten für diesen Blog oder einen Zuschuss um den Redaktionspanda zu betanken. In jedem Fall: Danke schön!
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
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