Ein schwarzes Schaf hat sich in den Kopf gesetzt, Sardisch zu lernen. Ein wahnwitziges Experiment… Denn tatsächlich wird schnell klar: Das Vorhaben ist nicht ganz leicht. Sardisch-Kurse für Schafe? Die sind rar gesät.

An dieser Stelle merkt das Wolltier an, dass es sich bei diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Beschreibung handelt, sondern um hemdsärmelig, aber auch mühsam angeeignetes Schafwissen. Wer es genauer weiß oder etwas ergänzen möchte, gebe Laut – insbesondere alle Sarden sind herzlichst eingeladen, zu bestätigen oder zu verbessern. Nach dieser Recherche rechnet das schwarze Schaf sogar fast damit, dass alles doch ganz anders ist…

selbsterklärend, gesehen in Austis

selbsterklärend, gesehen in Austis

Jedenfalls ist es keineswegs so, dass hier einfach das italienische „o“ gegen ein „u“ getauscht wird. Zugegeben, der Buchstabe ist schon sehr präsent und oft stimmt das auch. Aber das, was dabei herauskommt, ist nicht immer Sardisch. So sagt man zwar „bellu“ statt „bello„, aber nicht „buun giurnu„, statt „buon giorno„, sondern „bona die„. Verrückte Sache.

Eh, beeeh! Los geht’s!

Welches Sardisch hätten Sie denn gern?

Der größte Stolperstein steht ganz am Anfang auf der Wiese, kurz hinterm Redaktions-Schafstall. Da behauptet jemand, eine einheitliche sardische Sprache gäbe es gar nicht. Und die Sarden würden sich untereinander auch nicht immer verstehen.

Das macht das Schaf eher neugierig, und es freut sich auf eine unheimliche Vielfalt. Wie auf einer Wiese, die von ferne einheitlich grün aussieht, aber viele unterschiedliche Gräser hat … der kleine Wollfreund wird hungrig … Aber nein, erst lernen, dann fressen!

su hantaru vezzu - la vecchia fonte - die alte Quelle

su hantaru vezzu – la vecchia fonte – die alte Quelle

Die Verbreitung der unterschiedlichen Sprachvarianten auf der Insel dokumentiert auch die Historie durch ihre  unterschiedlichen Besatzer. Quasi jedes der Völker im Mittelmeer hat Sardinien mit neuen Kultur- und Sprachkräutern versorgt, die nun seit Jahrhunderten hier wachsen und gedeihen. Die Insellage begünstigte eine eigenständige Entwicklung dieser weiten Sprachwiese.

Im Norden spricht man … Korsisch?!

Während es durch den Norden läuft, trifft es auf die ersten Brocken Sardisch. Glaubt es jedenfalls. Denn in Wirklichkeit ist alles ganz anders:

  • Gallurese / Gaddhuresu  ist eine auf Sardinien gesprochene Variante des Korsischen und gilt als eine Art Sprachbrücke zwischen Sardinien und Korsika. Wie im Vorbild der nördlichen Nachbarinsel sieht man Worte mit -chj und -ghj, die Mehrzahl wird auf -i gebildet (nicht auf -s, wie in den sardischen Sprachen). Die bestimmten Artikel folgen dem und sind lu, la, li (hingegen: su, sa, sos, sas im Sardischen). Das doppelte „d“ allerdings kommt hier oft vor – das kennen wiederum auch die sardischen Sprachen. Gallurese ist in sich eine einheitliche Sprache, ohne große Varianten. Nur unter den Einwohnern La Maddalenas gibt es eine eigene Version, „l’Isulanu“ genannt.
modde = molle = weich, sanft, mild... klingt fast wie wolle :)

modde = molle = weich, sanft, mild… ein Weichkäse also … klingt fast wie wolle 🙂

  • Sassarese / Tataresu / Turritanu (Sassari heißt nämlich „Tàthari“ bei seinen Einwohnern) ist vermutlich die, auf die die meisten Einflüsse wirkten: Erst brachten die Südkorsen über die Jahrhunderte ihre Sprache mit, dann hinterließen Katalanen, die Toskaner (Pisaner) und Genuesen ihre Spuren. Sie ist daher sprachlich gesehen korsisch-italienisch, geografisch natürlich sardisch. Die regionale Geografie hat die Sprache noch weiter diversifiziert: in Richtung Castelsardo spricht man „Castellanese„, die südlichen Regionen wie das Meilogu und die Region um Monte Acuto sind stark dem Logudorese hingewandt (siehe weiter unten); man nennt sie daher auch „Logudorese settentrionale„.
  • Catalano / Algherese / Catalanu / Aligheresu … Etwa ein Viertel der Einwohner Algheros (s’Alighera, l’Alguer) und Umgebung spricht eine alte Variante des Katalanischen, historisch bedingt durch die spanische Besatzung und vor allem die Ausmerzung und Vertreibung der sardischen Bevölkerung aus der Region. Katalanisch war in dieser Zeit Landessprache, konnte sich aber inselweit nicht gegen die anderen Sprachen durchsetzen. Algherese ist der sardisch geprägte Dialekt, der hier und da von Katalanisch abweicht: Die bestimmten männlichen Artikel sind lo/los (Katalanisch: el/els), wie in den beiden anderen nördlichen Sprachen wird das „r“ oft durch ein l ersetzt. Hier heißt unsere tolle Insel z. B. „Saldenya“ bzw. „Sardenya“ (ital.: Sardegna)

Wie jetzt, der Norden spricht also gar kein echtes Sardisch…? Aber natürlich sprechen auch die Leute im Norden eine auf Sardinien heimische Sprache. Wir sind auf Sardinien und warum was hier gesprochen wird, ob historisch oder geografisch bedingt, ist einem Schaf ziemlich schnurz. Das wär ja, als würd man sich aufregen, dass es irgendwo auf der Insel wolligere Schafe gibt. Wissenschaftler sehen das naturgemäß etwas anders, aber das hatten wir ja schon.

Das Schaf schaut weiter Richtung Süden und nach Zentralsardinien.

Murales sind häufig Schriftbilder in sardischer Sprache, hier geht es um das Thema Krieg.

Murales sind häufig Schriftbilder in sardischer Sprache, hier geht es um das Thema Krieg.

Sardisch: Lebendig in der Inselmitte und im Süden

Tzilleri - eine Destillerie? Fast, eine Bar!

Tzilleri – eine Destillerie? Fast, eine Bar in Mamoiada!

Fast alle Menschen, die hier leben, sprechen Sardisch, selbst die Kleinen. Es ist die Sprache der Einwohner und wird auch auf den Straßen aktiv gesprochen, soviel steht fest. Selbst auf der Durchreise schnappt man hier und da ein wenig auf – und hier entstand beim pecora nera denn auch das Wollen (Wolle!), die Sprache zu lernen.

Die eine sardische Sprache gibt es auch in den südlichen Gefilden nicht. Wer hätte es anders gedacht, auch hier gibt es „is variedades„:

  • Logudorese / Logudoresu gilt im Vergleich zum Lateinischen als die am besten erhaltene sardische Sprache, sie ist auch die Basis der Limba Sarda Comuna. Wenn man also hört, etwas sei in „sardisch“ verfasst, dann handelt es sich meistens um diese charaktaristische Sprache. Das schönste und klarste Logudorese soll im Goceano gesprochen werden, im Meilogu die am stärksten verfremdete Version (eine gegenseitige Beeinflussung mit dem Sassarese). Die Artikel für das Plural lauten hier nun endlich sos (m.) und sas (w.). Das im wahrsten Wortsinn isolierte Land begünstigte eine Art Lautverschiebung, so dass manche Konsonanten weicher wurden: lat. „aqua“ = logud. „abba“ (z. B. „Abbasanta„, heiliges Wasser); diese Laute werden auch mehr mit Lippen und Gaumen gleichzeitig gesprochen (wie auch immer das gehen soll, mit Lippen wird doch auch Gras gerupft…).
  • Nuorese / Baroniese / Nugoresu ist eine Variante des Logudorese und wird in der Region rund um Nuoro gesprochen, eher Richtung Norden hin, und in der Baronia. Sie klingt ein wenig anders, aber der eigentliche Kuriosum ist: Nuoro liegt zwar in der Barbagia, gehört aber nicht zu den barbaricinischen Sprachen (die kommen gleich). Hier heißt Sardinien übrigens „Sardigna„.
  • Campidanese / Campidanesu… wird in den südlichen Landesteilen Sardiniens (camp.: Sardinna) gesprochen. Sie hat ein riesiges Verbreitungsgebiet über die namensgebende Region Medio Campidano hinaus bis in die Inselmitte, im Westen gibt es leichte Unterschiede zu der im Osten. Damit sind Logudorese und Campidanese die beiden vorherrschenden Varianten. Das Campidanese kennt nur einen einzigen Artikel für die Mehrzahl, nämlich „is„. Man mag das doppelte „d“ wie in „nieddu“ (schwarz / nero) und zusätzliche „a“ – so heißt es z. B. statt „rubiu“ (rot) „arrubiu„. Und dann sieht man im Westen und Osten unheimlich viele „x“ – wie bei „Su Nuraxi“ in Barumini (Übrigens: Die x werden wie ein „sch“ gesprochen werden – der Felsen „Texile“ bei Aritzo heißt also nicht Teksile, wie der Germane sagen würde, sondern Teschile). Außerdem gibt es oft eine sogenannte Inversion von Lauten: Der Felsen „Sa Crabarissa“ zeigt eine Frau aus Cabras, das „r“ rückt hier nach vorn. In den Landstrichen Sulcis, Sarrabus, der südlichen Barbagia und der Ogliastra gibt es weitere abweichende gesprochene Varianten, in der Hauptstadt Cagliari spricht man das „campidanesu cittadinu„.
Apposentu é su sole - in etwa: die beste Stube ist unter der Sonne

Apposentu é su sole – in etwa: die beste Stube ist unter der Sonne

  • Arborense … ist ein alter Dialekt aus den beiden am weitesten verbreiteten sardischen Sprachen, Logudorese und Campidanese. Denn das reiche und fruchtbare Land um Arborea und Oristano zog immer wieder Menschen hierher (nicht zuletzt die Hirten der Barbagia, die ihre Schafe hier herunter brachten). Das begünstigte die Entwicklung eines eigenen Dialektes, der eigentlich eine Art grammatikalische Grauzone des Sardischen ist, weil er die Regeln vermischt. Die Richterzeit sicherte ihm das Überleben, die „Carta de Logu“, das sardische Gesetz der Richterin Eleonora Arborea ist in dieser Sprache verfasst.
  • Barbaricino / Barbaritzinu … ist kein gängiger Name eines Dialektes, sondern vielmehr eine gemeinsame Bezeichnung für die vielen Dialekte, die in der Barbagia gesprochen werden, unter ihnen mamujadinu, s‘ ulianesu, s‘ orgolesu – benannt nach Mamoiada, Oliena und Orgosolo. Quasi jeder Ort, jedes Dorf hat seine Eigenheiten. Passt zu den Menschen und ihrem Stolz, gut so. Wie man an den paar Worten erkennt, gibt es die Kombination „tz“, manchmal ersetzt das „z“ ein „g“ („zente“ statt „gente„); auch das „i“ wird in der Wortmitte gern durch ein „j“ ersetzt. In den Worten kommen vermehrt „h“ (z. B. in „Issohadore„) und „th“ vor.
  • Cagliaritano / Casteddaiu … eine Sprache, die in und um Cagliari und verstreut in einzelnen Dörfern gesprochen wird. Sie entwickelt sich unter der jungen Bevölkerung mit internationalen Einflüssen als moderner, subkultureller Slang weiter und ist damit vielleicht das „modernste Sardisch“.

Losgelöst von alldem ist ein Dialekt, der auf den Inseln im Sulcis Sant’Antioco und San Pietro gesprochen wird:

  • Tabarchino / Tabarchinu wird von den Menschen vor allem in Carloforte und Calassetta gesprochen. Diese Sprache ist eine Variante des Ligurischen – eingeführt von Genuesern, die das Tabarca aus Tunesien mitbrachten und auf den Inseln im Südwesten anlandeten. Und sie ist eine Minderheit in der Minderheit, buchstäblich und sprachlich eine Insel an der Insel,  da sie gar nicht in die sardische Sprachfamilie gehört.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Ein schönes Wort, das deutlich macht, wie die verschiedenen Sprachen einen Begriff nur leicht verändern, ist die Entsprechung für „nascita“ (deutsch: „Geburt“): nàschida (logudorese) – nàscida (campidanese) – nàscidda (sassarese) – nascita (gallurese) – nàixita (algherese) – nàscita (tabarchino) … (Quelle: http://www.ichnusa.net/index.php?pagina=dizionario).

Schafe sind ja auch nicht alle gleich

Schafe sind ja auch nicht alle gleich

Welche deutlichen Unterschiede es darüber hinaus in den einzelnen Orten und Dialekten gibt, zeigt die Übersetzung für „Schaf“, bzw. „Schafe“. Auf italienisch „pecora/pecore„, soviel ist klar. Und Sardisch?

Wir hörten in der Gallura „arbeke„, anderswo „berbeke„, im Campidano „berbeghe„, am Gennargentu begegnete uns ein „erbeghe“ für mehrere Tiere oder im Logudoru ein „brebei„. Irgendwo gab’s auch „biveghe„, dann gibt es „alveghe“ für das weibliche Tier, „beccu“ für das männliche … und tatsächlich sagt man hier und da sogar „pecura„.

Wer soll denn da durchblicken? Vielleicht ja die Sarden selbst.

Sardisch und die „Limba Sarda Comuna“

Mit der „Limba Sarda Comuna“ (= gemeinsame sardische Sprache) hat die Region Sardinien einen einheitlichen linguistischen Standard und eine offizielle Sprache formuliert (siehe Beschreibung/PDF auf portal-lem.com). Sie basiert auf den Gemeinsamkeiten der in den zentralen Landesteilen gesprochenen Varianten, Logudorese und Campidanese. Sie wird von fast allen Sarden verstanden.

Die gemeinsame Wurzel aller Dialekte ist dabei klar: Alle auf der Insel gesprochenen Sprachen gehören zu den romanischen oder neulateinischen Sprachen. Sie entwickelten sich aus der Sprache, die die alten Römer sprachen. Wer also mal Latein gelernt hat, dem könnte einiges bekannt vorkommen.

Seit 1997 erst ist Sardisch gemeinsam mit Italienisch Landessprache, der italienische Staat tat sich etwas schwer damit, sie anzuerkennen. Auch auf die Anerkennung als Minderheitensprache durch die Europäische Union wartet die Region Sardinien immer noch.

Das, was gemeinhin unter „Sardisch“, oder auch „Sa Limba Sarda“ verstanden wird, sind also die beiden Hauptvarianten, Logudorese und Campidanese. Und man kann sie gleichzeitig lernen. Garniert durch regionale Einschläge und Besonderheiten.

Dem Schaf raucht der Kopf vor so vielen Sprachen. Was lernt es nun aus dieser inselweiten Sprachreise?

Vor allem eines: Die Grenzen verschwimmen und Unterschiede gibt es so viele wie Gemeinsamkeiten. Ja, hier klingt das Beeeh! etwas leichter, dort kommt es etwas mehr aus dem Bauch und da wieder heißt es vielleicht „Baaah“.

Das Schaf wird sich trauen, Fehler zu machen. Man macht ja eigentlich immer etwas falsch. Aber das ist nicht schlimm – Perfektion, das gehört erst spät zum Sprachenlernen. Und natürlich rechnen wir damit, dass vor Ort alle mühsam erworbenen Erkenntnisse wieder über den Haufen geworfen werden.

Und: Es gibt neuerdings eine App, mit der man die Sprache (einen Mix aus Campidanese und Cagliaritano) ansatzweise lernen kann: GigaSardinian. Mehr Infos auf dem Blog Sardinien-Intim.

Egal! Denn eigentlich geht es ja darum, ein Stück näher an das Land und seine Leute zu rücken.

Lesetipps und Hauptquellen für diesen Artikel

 

2 Comments

  1. Dr. Arnold Apweiler

    9. November 2015 at 15:53

    A sa verveke nighedda!
    Apo cumpresu: kentu konkas, kentu berittas.
    Tantos saludos dae sa Germania
    Dr. A. Apweiler

    Reply
    • nicole

      10. November 2015 at 11:03

      Guten Tag! Welche Variante ist das? „verveke“ für „Schaf“ ist uns noch nicht untergekommen, wir lernen immer gern dazu 🙂

      Für unsere Leser ergänzen wir hier eine freie Übersetzung von „kentu konkas, kentu berittas“ = Hundert Köpfe, hundert Hüte (sprich: Meinungen) – ein sardisches Sprichwort, das sowohl die Individualität als auch die STreitbarkeit der Sarden beschreibt. Die Beritta ist eine traditionelle der sardischen Männer.

      Herzlichen Dank!

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