Alle Sinne sind angesprochen. Der Duft von brennendem Holz liegt in der Luft, durch die Rauchschwaden dringen Klänge von sardischen Liedern.
Bald klingen die Glocken auf den Rücken der Mamuthones, wenn diese durch die Straßen zu den vielen im Dorf verteilten Feuern ziehen. Su O’u / das Feuer wird bis spät in die folgende Nacht brennen, bis zum Höhepunkt die Mamuthones und Issohadores ihren letzten Tanz ums Feuer vollziehen und dann verdient mit den Freunden feiern.
Ich bin in Mamoiada. Hier lebt das Fest von einer interessanten Kombination aus Ernsthaftigkeit und grenzenloser Geselligkeit. Am Nachmittag des 16., als das halbe Dorf in der Kirche die Segnungen zu Sant’Antonio empfängt, sitze ich mit der gefühlten anderen Hälfte in der Bar des Gasthauses Sa Rosada mitten im Dorf.
Erst der Geschmack von Cannonau, Pane Carasau, Schinken und Pecorino in der Weinbar gegenüber, jetzt der zweite Filu’Ferru – ich bin längst in Feierlaune, fühle mich wohl und willkommen. Der Ausflug war schon ein Erfolg, und es ist erst 14 Uhr.
Jemand spielt Akkordeon, ein Gitarrenspieler begleitet ihn. Sie singen „Mamojada; (von Tazenda)“ und „Spunta la luna dal monte“ (Link/Quelle jeweils youtube.com). Die Gesänge treffen meine folkloristisch-konservative Ader. Irland, Schottland – auch das würde passen. Alles sehr alt, sehr traditionell.
Zugegeben, mit deutscher Folklore ist mir das (außer vielleicht Weihnachten oder bei einem Fest an der Nordsee) noch selten passiert und im normalen Leben geht mir auch Tazenda bald auf den Senkel.
Aber hier und heute in Mamoiada ist Tradition pur. So ist das. Ich wehre mich nicht, sondern tauche ein.
Am 16. um 15 Uhr, wenn das Feuer vor der Kirche brennt, in der um den Segen des Heiligen gebeten wird, werden auch im Innenhof des Gasthauses „Sa Rosada“ die übereinander geschichteten Holzstämme und knorrigen Baumstümpfe entzündet.
Ich entspanne mich bei einem kleinen Rundgang durchs Dorf, bleibe über Nacht, schlafe lang und bin am 17. sofort in allerbester Gesellschaft, bin längst kein „normaler Tourist“ mehr, sondern fühle mich als Teil der Gemeinschaft.
Die meisten „Touristen“ sind Sarden, stammen aus anderen Teilen der Insel und kommen erst heute in Mamoiada an. Wer schon vorher da ist, wer verstehen will, wer sich einlässt auf das Fest, wird quasi wie ein Teil der Familie behandelt.
Zeit, zur Vestizione zu gehen. Der Moment, wenn die Mamuthones und Issohadores die Kostüme anlegen. Ein besonderer Augenblick.
Alle Teilnehmer sind nachdenklich, aber auch in Vorfreude. Einer sagte, man müsse in einem bestimmten und sehr klaren Stimmung sein und den „Mamuthone“ spüren, um an dem Umzug teilzunehmen. Seine Geschichte liest du hier.
Am Nachmittag des 17. Januar, es ist vielleicht noch ein, zwei Stunden lang hell, beginnt dann der sardische Karneval in seiner ganz ursprünglichen Form.
Ich folge einer der zwei Gruppen, wie sie ihren Zug durch die Straßen beginnen. Die Gruppen sind die des ‚Pro Loco‘, des örtlichen Kulturvereins und die des ‚Atzeni-Beccoi‘. Letztere zurückzuführen auf eine historische Gruppe von Mamuthones, angeführt von Costantinu Atzeni. Dieser folge ich.
Vor den Dorfkirchen sind ganz sicher Feuer aufgebaut. Du kannst den Mamuthones e Issohadores folgen, oder auf sie warten.
Die Tänze der urigen, rituellen Maskenträger, sind wahrhaft etwas fürs Auge: Dreimal auf in die Luft – bamm bamm bamm – mit beiden Füßen auf den Boden, dann weitere kraftvolle, rhythmische Schritte. Die Glocken klingen schwer, blechern und hallen weit.
Die Issohadores in ihren bunten Kostümen werfen ihre Lassos und fangen die Zuschauer ein, fordern sie auf, bei diesem bunten Schauspiel mitzumachen.
Sie tanzen um die Feuer, insgesamt über 20 im gesamten Dorf verteilt, daneben steht meistens jemand, der Süßes verteilt oder Wein ausschenkt. Manches Mal kehrt die ganze Meute aber auch in die ein oder andere Bar ein, wo der Lärm der 12 Mamuthones unermesslich ist.
Zwischendurch dringt aus den Höfen der Duft der Cassola (ein Eintopf aus Schweinefleisch und Wirsing) an die Nase und ich stille den Hunger.
Zwischen drei und vier Stunden dauert die Prozession. Ich bin beeindruckt von den Klängen der Glocken und den starken Bildern. Der Marsch der Gruppe „Atzeni-Beccoi“ endet im Innenhof des „Sa Rosada“.
Das Portal wird geschlossen und Mamuthones und Issohadores geben noch einmal alles: Die lauten Glockenklänge hervorgerufen durch den Tanz ums Feuer entfalten zwischen den engen Mauern ihre ganze Kraft. Ein höchst beeindruckendes Schauspiel, ein sehr intensiver Moment. Wir feiern die ganze Nacht und ich bin am Ende dieser beiden Tage müde und glücklich.
Sant’Antonio ist ein wunderbares Fest mitten im Winter, das in sich viele Eindrücke und Geschichten vereint. Ein lohnenswertes Ziel in der Nebensaison.
Wie es mit Legenden so üblich ist, sind diese eine Mischung aus Wahrheit und Erfindung. Jeder erzählt eine Variante und alle erzählen sie – seit Jahren – auf ihre Weise weiter. Um Sant’Antonio ranken sich mehrere Geschichten, die ineinander greifen und dem Fest seine Vielfalt verleihen.
Beginnen wir mit einer Legende über Sant’Antonio, den Heiligen selbst. Der aus Ägypten stammende christliche Eremit ist Patron der Landwirte und Viehzüchter und Beschützer der Haustiere. Ihm wurde zu Lebzeiten nachgesagt, Wunderheilungen zu vollbringen und schreckliche Krankheiten zu vertreiben.
Am 16. Januar ist die Kirche in Mamoiada nachmittags voll mit Menschen. Hier segnet der Pastor die Menschen. Dann wird die Figur des Heiligen nach draußen gebracht und dreimal um ein vor der Kirche entzündetes Feuer getragen. Um ebendieses Feuer tanzen später auch die Mamuthones, angeführt von den Issohadores. An anderen Orten der Insel werden zu dieser Gelegenheit auch Tiere im Namen des Heiligen gesegnet. Das Feuer stammt aus der Zeit, in der schlimme Krankheiten die Insel heimsuchten. Damals half es, die Dörfer von Krankheitserregern zu befreien, heute steht es als Symbol für seine reinigende und das Üble vernichtende Kraft.
Etwas verwackelt – bitte in „echt“ anschauen 😉
Zum Feuer erzählt man sich zudem die Legende, dass es eine Zeit gab, in der es kein Feuer auf der Erde gab. Der Heilige Antonio wurde von den Menschen um Hilfe angerufen.
Der Eremit zeigte sein großes Mitleid und stieg direkt in die Hölle, um das Feuer zu holen. Da er wusste, dass der Teufel nichts freiwillig geben würde, wandte er einen klugen Schachzug an, mit dem er den Dämonen das Feuer entwendete: Der Hirtenstab, den er bei sich trug, war aus fèrula gefertigt, einem Holz, das in seinem Inneren eine Art schwammiges Knochenmark hat. Ein Funke entzündete dieses Mark und es brannte langsam und unbemerkt im Inneren des Stabs. Der Dämon sah nicht, dass Sant’Antonio das Feuer bei sich trug. Dieser verließ die Hölle, um das Feuer, seine Kraft und seine Wärme den Menschen zu bringen.
Zum Dank entzünden die Sarden noch heute ein großes Feuer vor der Kirche (bzw. mittlerweile im ganzen Dorf, damit die Mamuthones von Feuer zu Feuer marschieren können) und die Dorfbewohner sprechen ein altes Gebet. Anschließend dürfen vino und dolci nicht fehlen: Man trinkt Wein aus kleinen Gläsern (aber nicht in kleinen Mengen!) und ist Süßes – Letztere sind von Dorf zu Dorf unterschiedlich. In Mamoiada sind es zum Beispiel ein dunkles Brot aus Nüssen, Mehl und Rosinen sowie kunstvoll gefertigte, länglich verschlungene Pasta, gefüllt mit einer Mischung aus Zucker, bitterer Orange und Safran; sie heißen ‚papassinu biancu‘, ’nigheddu‘ und ‚caschettas‘. Anschließend Musik und Tänze bis in die späte Nacht.
Zu Sant’Antonio treffen also mehrere Dinge gleichzeitig zusammen: Da ist zunächst das christliche Fest zu Ehren des Heiligen Antonio Abate mit den Segnungen für Mensch und Tier. Hinzu kommen Kulte, die das Ende des Winters einleiten sollen. Last but not least markiert der 17. Januar den Beginn des traditionellen sardischen Karnevals mit seinen eigenen Mythen und Legenden.
In Mamoiada heißt das Fest „Sant’Antoni de su o’u“. Hier treten die Figuren „Mamuthones e Issohadores“ zum ersten Mal im Jahr in Erscheinung und auch um sie ranken sich unterschiedliche Erzählungen über die Ursprünge. Weitgehend gesichert ist, dass es sich bei diesen Figuren um eine Darstellung der armen, dörflichen Bevölkerung und die mit dem Landleben und der Viehzucht verbundene Härte handelt (das Symbol dafür sind die Mamuthones mit Fellen und dunklen, menschlichen aber traurigen oder wütenden Masken), die sich gegen äußere Einflüsse verteidigen (die Issohadores fangen die Störenfriede – heute: die Schaulustigen – mit ihren Lassos und verteidigen auf diese Weise die Mamuthones).
Sant’Antonio ist ein Ritual zwischen dem Heiligen und dem Einfachen mit starken Bildern und einer intensiven Demonstration der sprichwörtlichen sardischen Gastfreundschaft, speziell in der Barbagia.
Eine neue, junge Tradition gesellt sich zu den alten Riten und Brauchtümern: Nach Sant’Antonio feiert das Dorf jeden Samstag abend ein Kostümfest. Bis zum Karnevalssonntag feiert besonders die jung(geblieben)e Dorfbevölkerung und zieht von einer Feierstätte zur nächsten. Dann tauchen erneut die Mamuthones e Issohadores auf und das Dorf füllt sich mit Besuchern, die bis zum Martedì Grasso (Karnevalsdienstag) feiern, wenn bunte Umzüge stattfinden und der Karneval spät in der Nacht endet.
(Anmerkung der Redaktion: Artikel erstveröffentlicht 2011, aktualisiert 2018)
Design by ThemeShift.