Die Schafe im Oristanese schwelgen im Glück. Vielleicht ist der Pecorino, der aus ihrer Milch gewonnen wird, deshalb so gut.
Ihre Vorfahren lebten noch in den Bergen des Gennargentu und mussten jedes Jahr im Herbst in die Ebene dackeln, um überhaupt etwas zu fressen zu finden.
Transumanza nannte sich das. Zu deutsch: Weidewechsel, auf Sardinien zwischen Berg und Ebene. Viel Bewegung aber durchaus auch Gefahren und Stress (kennst du die Geschichte von der Tragödie am Passo Tascusi bei Fonni?).
Hatten alle Schafe die Reise geschafft, blieb man mehrere Monate allein mit dem Hirten im Campidano di Oristano, einer fruchtbaren Ebene im mittleren Westen.
Aber immer wenn es am schönsten war, wenn die Wiesen im Frühling richtig richtig fett wurden und man irgendwann die Schafe vor lauter Gras nicht mehr sehen konnte, kam der Sommer mit Hitze und Sonne und verdorrte das Land.
Rechtzeitig zog man wieder los, hundert Kilometer bergauf in die kühleren Berge, zurück zu der Familie des Hirten.
Neee, das war kein Zuckerschlecken und kein Gänseblümchenfressen.
Heute spart man sich diesen Weg. Dank moderner Technologie und der Möglichkeit, Weiden zu wässern und ganzjährig Futter anzubauen, ist die ganzjährige Schafhaltung an einem Ort möglich.
Auch die Herden werden größer: Es sind nicht mehr 50, 100 oder 200 Tiere, sondern 1.000 und mehr.
Ja, die transumanza stirbt (wobei sie nicht unbedingt zu romantisieren ist). Aber nein, das ist nicht das Ende der Welt. Im Gegenteil. Denn neue Ideen werden geboren.
Das schwarze Schaf guckt sich das mal genauer an und zockelt nach Siamanna.
Ein Gast aus Großbritannien, der über das Thema Landwirtschaft recherchiert, hatte um Beeehgleitung gebeten. Die Gelegenheit, mehr über das sardische Hirtentum, die Herstellung von Pecorino und natürlich über Schafe zu erfahren, lässt sich das pecora nera nicht entgehen!
Die Wahl fiel auf die Fattoria Su Grabiolu (www.sugrabiolu.it).
Das war übrigens schon im Frühling, einer der schönsten Reisezeiten für das Oristanese.
Die Fahrt durch üppige, grüne Landschaften ist großartig. Felder, auf denen erst noch wachsen muss, was im Sommer geerntet wird. Unvorstellbar, dass schon zwei Monate später alles vertrocknet und kein Grashalm mehr zu finden sein wird.
Das Schaf hat die Anfahrtzeit mal wieder unterschätzt, ist etwas spät dran, als es an der Fattoria ankommt und muss ein paar Minuten warten, bis der Hofbesitzer wieder am Haus ist, um das elektrische Tor zu öffnen.
Warten ist auf Sardinien ja aber nie schlimm, und so schaut das Schaf beseelt in die Landschaft.
Da mampft sich eine wollig weiße Schafherde über fett grüne Wiesen. Bereits jetzt ist zu spüren: Die Annehmlichkeiten wissen die Tiere durchaus zu schätzen.
Fleißig sind sie und grasen sich von einem Ende der Wiese zum anderen. Sie werden sich mittags zu einem Schläfchen hinlegen und nachmittags die »Arbeit« wieder aufnehmen.
Abends, so erzählt man uns später, stehen die Tiere von ganz allein pünktlich um 18 Uhr vor dem Stall. »Hallo! Wir wollen gemolken werden!«
Das geht mechanisch. Die Schafe stellen sich von ganz allein in die Melkstände und sortieren sich selbst hin. Das tut gut, das geht schnell und »schwupp!« ist man wieder draußen und guckt der Sonne zu, wie sie über den Feldern untergeht.
Falls es mal regnet, gäbe es einen großen Stall, bzw. vielmehr eine Art Unterstand. Aber so nässeempfindlich sind wir Wolltiere ja auch gar nicht.
Schafalltag vom Feinsten. Idylle pur.
Superfreundlich die Begrüßung von Giovanni und Michelina. Da steht kein uriger alter Schäfer vor uns, sondern ein entspanntes, junges Paar strahlt uns an.
Sie haben den Hof von Giovannis Familie übernommen und in den letzten Jahren in einen zeitgemäßen und doch traditionellen Betrieb verwandelt.
Die fattoria didattica – eine Art Mitmachbauernhof – ist die erste der drei Säulen, auf denen Su Grabiolu steht.
Hier wird vor allem sardische Schulklassen gezeigt, wie Lebensmittel entstehen und welche Arbeit dahinter steckt, bis der Pecorino im Kühlregal ankommt.
Sie lernen, Dinge nicht für selbstverständlich zu halten. Giovanni und Michelina wollen zudem ihr Interesse an der eigenen, sardischen Kultur wecken. Und das gelingt ihnen.
Außerdem hilft man hier auch Menschen mit Behinderungen, sich der Natur zu nähern, zu schmecken, zu fühlen, zu riechen. Das seien ganz besondere Tage, sagen die beiden.
Und diese Arbeit mache ihnen richtig Spaß.
Die beiden »Gastschafe« werden zu einer Horde Schulkinder gesteckt, die extra von Cagliari angereist ist.
Für alle gibt es erstmal eine traditionelle Stärkung: pane carasau, Salami, Schinken, Ricotta und Pecorino stehen auf dem Tisch. Das ist ungefähr das, was die Hirten damals auch gefrühstückt haben.
Und der Gast von der britischen Insel bekommt sogar einen Tee, wie nett!
Die Kinder (alle um die zehn Jahre alt) haben heute eine Art Infotag.
Wir sitzen alle in einer dieser klassischen Schäferhütten (»pinetta«) und schauen zu, wie Ricotta gemacht wird.
Danach werden ein paar Schafe von der Herde getrennt (passt ihnen gar nicht!). Wir dürfen versuchen, zu melken …
Das schwarze Schaf stellt sich reichlich dämlich an. Die weiße Wollkollegin blökt und fordert die gekonnten Hände von Giovanni. Aber eigentlich will sie definitiv lieber wieder zurück zur Herde …
Michelina betreut den Agriturismo. Die Kultur, Fremde mit dem zu versorgen, was der Hof hergibt, ist uralt. Auch während der Transumanz war die Gastfreundschaft im Oristanese groß.
Als diese Tradition zu verschwinden begann, suchte man, die Touristen zu bewirten.
Das Gasthaus von Su Grabiolu ist allerdings neu und fasst bis zu fünfzig Menschen. Wer den Tag hier verbringt, wird natürlich gut verpflegt, mit ausschließlich eigenen Produkten. Und an Feier- oder Sonntagen öffne man für Gäste, Michelina zaubert zu Ostern, Weihnachten und Silvester aus dem, was der Hof hergibt, tolle Menüs.
Es ist alles rigoros hof- und handgemacht.
Zimmer gäbe es nicht, das schaffe man einfach nicht. Aber wenn jemand hier Urlaub machen möchte, sei das natürlich möglich. Ein befreundeter Agriturismo (www.agriturismoarchelao.it) sei nicht weit.
Die dritte Säule, das eigentliche Standbein und das Herzstück des Hofes aber ist die Schafhaltung und Pecorino-Herstellung.
Und weil Pecorino ja irgendwie jeder kann und macht, haben sich die beiden Gedanken gemacht, wie sie sich im Markt abheben können.
Giovanni wollte drei Dinge: eine moderne Schafhaltung (»Ich wollte mein Leben nicht hinter dem A … von Schafen verbringen«), die eigenen uralten Traditionen und das kulturelle Erbe seiner Vorfahren am Leben erhalten, und dem wachsenden Gesundheitsbewusstsein der Menschen Rechnung tragen.
Er innovierte die traditionelle Pecorino-Herstellung und wandte sich als einer der ersten auf Sardinien Nischenmärkten zu. Die sind längst aus der Nische herausgetreten sind:
Alle Pecorinos und Ricottas der Fattoria Su Grabiolu sind konsequent vegetarisch und laktosearm hergestellt. In einer erstaunlichen Vielfalt.
Vegetarier und streng gläubige Muslime (die tierisches Lab als unrein einstufen) können sie bedenkenlos in ihrer Ernährung einsetzen.
Genau genommen wäre der Käse sogar etwas für Veganer, denen ja vor allem das Tierwohl am Herzen liegt und argumentieren, gemolken zu werden sei für Tiere unnatürlich, die Milch sei für die Tierkinder.
Das ist ja in einer rein natürlichen, wilden Welt auch richtig.
Leider leben Schafe heute nicht mehr frei, das ist vielleicht ein Grundfehler. Nun sieht es auf Sardinien nicht aus wie ein Fehler (und eigentlich auch nicht am norddeutschen Deich oder in Irland).
Hier waren und sind Schafe Teil der Kultur, die Sarden waren und sind Hirten.
Und in „Gefangenschaft“ gibt es ein paar Notwendigkeiten. Da müssen Schafe gemolken werden, alles andere wäre Tierquälerei, zu viel Milch im Euter tut nämlich irgendwann weh.
Käse ist eine ganz feine Koproduktion von Mensch und Schaf, vor allem, wenn es so zugeht, wie auf Sardinien.
Seid bitte unbesorgt: Wer die Schafe von Su Grabiolu kennt, weiß, dass es ihnen gut geht. Und es ihnen auch nichts ausmacht, Milch zu geben. Im Gegenteil.
Es ist quasi ihr Job. So wie wir, wenn wir eine Arbeit oder Aufgabe haben, die wir sogar gern machen oder die uns gut tut.
Die Schafe machen jedenfalls einen ganz glücklichen Eindruck. Ähnlich wie die Menschen.
Auf der Azienda leben heute 1.000 Schafe (bis auf wenige Ausnahmen übrigens alles Damen).
Wie quasi überall auf Sardinien hat das glücklicherweise nichts mit Massentierhaltung zu tun. Sie laufen frei auf ihrer Wiese, werden gut gepflegt und versorgt.
Es sind trotzdem deutlich mehr Tiere, als je einer in Giovannis Familie besaß und betreute. Er sagt, er könne auch 2.000 Schafe haben. Platz wäre da und es gäbe auch noch einen Markt um deutlich mehr Pecorino zu verkaufen. Die Nachfrage sei enorm.
Stolz zeigt er uns seine Kühlräume, erzählt, dass er gleich los müsse, Käse ausliefern. Von Herstellung bis Vertrieb mache man alles quasi im Familienbetrieb.
Aber er sei mit dem zufrieden was er habe.
Da ist sie wieder, die schönste Eigenschaft, die dem schwarze Schaf immer wieder begegnet: Zufriedenheit.
Wie auch nicht: Giovanni erklärt, der Betrieb habe genau die Größe, die er mit seiner Familie und seinen drei Angestellten gut bewältigen kann. Er ernährt seine Familie, jeder hat eine Aufgabe, die ihm sogar Spaß macht. Und ihnen bleiben außerdem noch Freiräume für Urlaub oder um ihre Kinder auf eine gute Schule oder ins Ausland zu schicken.
Unglücklich sieht hier wirklich keiner aus. Der Transumanza weint schon gar keiner nach.
Nostalgie und etwas Sehnsucht nach der alten Heimat in Fonni, ja, schon. Man vergesse nie, wo man herkam und sei ganz oft dort.
Der Tag ist so nett bis hier und so verlieren wir uns in einem kleinen Gespräch.
Das Schaf lernt gerade in dieser Viertelstunde und überhaupt an diesem Tag so viele Dinge, die es vorher so noch nicht über Hirten und Sardinien wusste (da folgt noch ein weiterer Artikel, versprochen).
Doch doch. Das Leben, das die junge Familie hier führt, ist ein gutes. Und die Kinder haben eine Perspektive, wenn sie denn wollen.
Und obwohl modern und innovativ doch noch ganz stark in der Kultur und Traditionen verankert. Eine sehr sympathische Mischung!
Glück ist für die beiden die Arbeit der eigenen Hände. Und wenn Ideen aufgehen.
Das schwarze Schaf bedankt sich bei Giovanni und Michelina von Su Grabiolu und wünscht ihnen alles Gute!
Auf Sardinien ist der Pecorino der Fattoria Su Grabiolu in vielen Supermärkten an der Frischkäsetheke erhältlich.
Von zuhause kannst du ihn auch online bestellen, das Schaf fand ihn bei der Fattoria Sarda » https://www.sardische-feinkost.de/collections/su-grabiolu-pecorino-kase
Laufkundschaft hat der Hof nicht, der Besuch ist aber nach Voranmeldung und Abstimmung möglich. Bedenke einfach, du bist hier in einem arbeitenden Betrieb und die Familie hat alle Hände voll zu tun. Insofern solltest du dich einfach flexibel in die dortigen Abläufe einfügen.
Die Sprache auf dem Hof ist Italienisch. Aber gerade für Kinder oder Menschen mit Behinderungen oder Lernschwierigkeiten ist das erfahrungsgemäß kein Problem.
Und wenn du die Sprache lernen willst, ist das Lernen »am lebenden Objekt« ja auch eine gute Idee.
Wenn du interessiert bist, die fattoria didattica zu besuchen, dich mit deinen Kindern oder mit einer Gruppe einen Tag auf der Azienda Su Grabiolu zu verbringen, hilft das schwarze Schaf dir gern bei der Kontaktaufnahme. Schick einfach eine E-Mail an beeeh@pecora-nera.eu.
Su Grabiolu ist natürlich nicht der einzige Agriturismo bzw. fattoria didattica.
Inselweit findest du Höfe, auf denen du solche Tage erleben und sogar Urlaub auf dem Bauernhof machen kannst.
In unserer Rubrik „Gastgeber » Agriturismo“ findest du erste Adressen. Empfehlen können wir für deine Suche auch die Seite www.agriturismo.it.
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