Desulo (sard. Dèsulu) ist seit langer Zeit ein Ort, an dem Reisende willkommen sind.
An der Bergkette des Gennargentu auf 886 Metern über dem Meer gelegen, zog der Ort Menschen an: Ob einst Hirten die mit ihren Tieren auf der Durchreise während der Transumanza waren, oder später Forscher wie Alberto Lamarmora, der Sardinien bis in die entlegensten Winkel kartografierte.
Zwischen Fonni und Desulo waren auch Händler unterwegs, die «mit ihren starken und schlanken Pferden» («cadditteddos fortes e lanzos») über die kargen Berghänge kamen, um in den Dörfern Kastanien, Getreide, Wolle und andere Waren zu kaufen und verkaufen.
Über lange Serpentinen geht es von Süden aus dem Dorf sieben Kilometer hinauf zum Passo Tascusì auf 1246 Meter.
Von dort geht es weiter nach Fonni, das höchstgelegene Dorf der Insel auf rund 1.000 Metern. Oder eben hinein in die wunderbare Bergwelt – von der der Strandurlauber an den Küsten kaum eine Ahnung hat.
Tatsächlich waren es Wanderer und Bergsteiger, die Sardinien noch weit vor ihnen für eine ausgedehnte Reise entdeckten.
In einer Zeit, als man noch reiste, um Land und Leute kennenzulernen – sogar wenn dafür Anstrengungen und mehrtägige Reisen notwendig waren.
Desulo war und ist quasi das Herz der Insel und hat so einiges zum guten Ruf der sprichwörtlichen sardischen Gastfreundschaft beigetragen.
Auch das schwarze Schaf ist mal wieder in den Bergen und gönnt sich wie immer am Passo Tascusi, in der Bar Floris, eine Pause.
Im Sommer fällt es extrem schwer, und selbst an windigen und kalten Tagen im Winter ist nur ein klein wenig nachvollziehbar, welche Tragödie vor über 100 Jahren, am Silvesterabend 1913, hier stattfand.
Fünf Männer aus Desulo – Sebastiano Murgia, Pietro Fais, Bachisio Floris, Giovanni Fais und Salvatore Frau – waren seit mehreren Tagen unterwegs, um Getreide für das Dorf und im Gegenzug ihre Waren zu handeln.
Als sie in Fonni waren, zeigte sich das Wetter bereits sehr schlecht.
Dort rieten Freunde ihnen davon ab, weiter zu gehen. Denn sie mussten den Berg überqueren, die Sicht war miserabel und sie konnten in noch schlechtere Umstände geraten. Es sei ziemlich sicher, dass sie die etwa fünfundzwanzig Kilometer nicht schaffen und die Nacht im Freien verbringen müssten.
Doch die Fünf wollten unbedingt weiter, um so schnell wie möglich zuhause zu sein und den Neujahrstag mit ihren Familie zu begehen. Sie nahmen einen alten Hirtenpfad über Aratu, Tiddocco, S’Arcu Itasè und schließlich Tascusì.
Bei S’Arcu de Itasè nahm der Schneesturm unmenschliche Ausmaße an, „su ‚entu cun su nie farinosu“ – „der Wind mit Schnee wie Mehl“ stob um sie herum, es wurde immer schwerer, weiter zu gehen.
In der Nähe von Passo Tascusì verloren sich die fünf aus den Augen, sie riefen sich, aber die Stimmen verloren sich im starken Wind.
Die Schneewehen türmten sich mannshoch, auch die Pferde kamen nicht mehr vorwärts.
Irgendwann fanden sich durch Zufall nur Salvatore Frau und Sebastiano Murgia wieder. Keine Spur, kein Laut von den anderen.
Sie entschieden, um ihr Leben zu kämpfen und sich zu retten, wenn das überhaupt möglich war.
Tatsächlich überlebten die beiden Desulesi. Ihre übermenschliche Kraft symbolisiert die Pferdestatue «Sa Balentìa» am Pass, geschaffen 1984 vom sardischen Künstler Gianni Argiolas.
Das Wort „balentia“ bezeichnet im Sardischen etwas Wertvolles, etwas zu Beschützendes, oder auch einen Beschützer. Es ist ein Symbol für den Kampf um das Überleben.
An das Unglück erinnert heute eine Tafel, auf der eine Strophe eines Liedes zitiert wird, das Istevene Casulo, der Neffe eines der Überlebenden dichtete.
Der tragische Gesang ist auch heute noch in Desulo zu feierlichen Anlässen, aber auch in Familien untereinander zu hören (hier ein Video einer Version auf Youtube).
1920 erbauten die Überlebenden eine der höchst gelegenen Kirchen der Insel, die Madonna delle Nevi, in der Nähe der gleichnamigen Quelle. Jährlich Ende Mai führt eine Prozession hier herauf.
Zudem soll dreimal im Monat, jeweils am 10., 20. und 30., die Mutter Gottes erscheinen, und es sollen durch den Genuss des Wassers auch Wunder geschehen sein. In alten antiken Tenorgesängen erzählt man in Desulo auch davon.
Heute ist dieser Pass eine großzügige Wegkreuzung, an der sich Gruppen von Aktivurlaubern treffen, die die Qualitäten der Region als Trekkingziel schätzen.
Er ist Ausgangspunkt für wunderbare Wanderungen im Gennargentu – zum Beispiel auf den höchsten Berg, die Punta La Marmora.
Vorsicht aber im Winter – konsultiert den lokalen Wetterbericht und bereitet Euch gut vor. Wie die Männer am Tascusi leidvoll erfuhren, schlägt das Wetter in den Bergen sehr leicht um, die Sicht reicht zuweilen kaum für den eigenen Pfad, geschweige denn zur Orientierung in der fremden Umgebung.
An klaren und sonnigen Schneetagen ist es hingegen ein einmalig schönes und schwarzschafiges Erlebnis.
Desulo ist übrigens bekannt für seine kunstvoll geschnitzten Holzarbeiten – von Alltagsgegenständen bis zu Möbeln – und damit auch heute noch ideal für einen Shopping-Ausflug mit Mehrwert.
Besonders sehenswert ist es die Prozession am Palmsonntag, wenn die EinwohnerInnen in ihren traditionellen leuchtend bunten Trachten und geflochtenen Palmzweigen durch das Dorf gehen.
Und vielleicht singt sogar ein Chor das Lied von der Tragödie am Passo Tascusì …
Quellen:
http://it.wikipedia.org/wiki/Passo_di_Tascusì
https://it.wikipedia.org/wiki/Gianni_Argiolas
http://www.sardegna-clima.it/index.php?option=com_content&view=article&id=315%3Ale-chiese-piu-alte-della-sardegna&catid=42%3Acuriosita&limitstart=1
Ich bin Nicole und mein alter Ego ist ein schwarzes Schaf (ital.: pecora nera). Wir bloggen und blöken aus Sardinien im ganzen Jahr über alles, was uns gefällt und bewegt :)
Das schwarze Schaf hat übrigens noch ein Buch geschrieben, über seine „alte“ Heimat:
Design by ThemeShift.