Eine Insel mit zwei Dünen … *träller* … Jaaaa, wir wissen es. Es heißt „eine Insel mit zwei Bergen“. Und jaaaa, Lummerland ist „außerordentlich klein und dicht besiedelt“ – was man von Sardinien genau anders herum sagen kann.

Lummerland?

Lummerland?

Aber wir sind in Piscinas, einsam gelegen an der Westküste, und uns kommt nunmal als erstes Emma in den Sinn. Denn: Wo kleine Loren auf Dünen am Meer stehen, da kann Lummerland nicht weit sein.

Vielleicht ist Sardinien ja auch das aufgetauchte Lummerland – denn in „Jim Knopf und die wilde Dreizehn“ ist es ein versunkener und wieder aufgetauchter Kontinent, dessen beide Gipfel die Spitzen der Berge waren, die einst unter Wasser lagen. Und das, sagen einige, sei wieder ein Hinweis auf Atlantis. Und natürlich behaupten einige von Sardinien, es sei das längst wieder aufgetauchte Atlantis.

Emma?

Emma?

Aber wir schweifen ab. Das Gefährt, das uns an Emma erinnert, steht also am Strand von Piscinas und versprüht so eine Riesenportion Nostalgie, dass das schwarze Schaf sich eben an die Lämmerzeit vorm Fernseher mit Augsburger Puppenkiste erinnert …

Oh, aber was es in dieser unbewohnten Gegend alles zu entdecken gibt! Womit soll man da anfangen? Mit der Dünenlandschaft? Mit den alten Minen in der Region? Mit dem himmlischen Wander- und Trekking- oder dem Bade-Paradies? Oder doch ganz weltlich mit dem Hotel Le Dune, das in die Dünen an den Strand geschmiegt ist, und das wir uns einmal in diesem Leben unbedingt gönnen wollen?

ingurtosu-schild

Ingurtosu verfällt seit Mitte der Sechziger

Gehen wir der Reihe nach. Wir waren gerade in Oristano, fahren also über Guspini und Arbus und biegen dann auf eine dieser im Nichts endenden Straßen in Richtung Piscinas ab.

Uns erwarten Orte, die von Atmosphäre nur so überfließen. Als erstes kommen wir durch das sehr schwarzschafige …

Ingurtosu

Der Name kommt von „su gurturgiu“, das ist sardisch und bedeutet „der Geier“ (ital.: gipeto). Tatsächlich umweht den Ort einen Hauch von Wildwest. Ingurtosu ist, als wir Ende April hindurch fahren, eine wahre Geisterstadt. Vielmehr die erste von vielen Geisterstädten und -minen, die einem hier in der Region begegnen – und in all denen könnten durchaus Geier fliegen.

Ingurtosu-palazzo-direzione

Palazzo della direzione

Einer dieser Orte auf Sardinien, die kaum noch einen Einwohner haben. Und die wenigen, die noch da sind, müssen mit sehr, sehr wenig zufrieden sein.

Das war mal ganz anders. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde hier Bergbau betrieben. Die Lizenzen für die Minen wurden 1855 vergeben, zwei ligurische Unternehmen begannen bald mit dem Abbau der Gesteinsschätze.

Die Familien der Minenarbeiter lebten gut, die „Società Civile delle miniere di Gennamari e Ingurtosu“ ernährte gut 5.000 Menschen. Der Großteil der Männer arbeitete in den Minen Ingortosu und Gennamari (letzteres heißt soviel wie „Pass zum Meer“ – sie lag in direkter Meernähe von Piscinas).

Wie reich man hier werden konnte, zeigt der „palazzo della direzione“, auch „castello“ genannt – ein heute noch stattliches Gebäude (durch dessen altes Tor man durchfährt, wenn man nach Piscinas möchte). Konstruiert von deutschen Facharbeitern, die vielleicht von dem Fachwerk der eigenen Heimat inspiriert waren.

Lavaria Brassey, Naracauli

Lavaria Brassey, Naracauli

Aber: Die Minen der Region schlossen irgendwann, die Menschen wurden entlassen, und der Ort verfiel. Das endgültige Aus und Verlassen geschah ab Mitte der Sechziger bis zur Schließung der letzten Mine 1975.

Damals flogen dann wirklich nur noch Geier im Blau des Himmels. Und nicht mal die gibt es heute noch.

Wir fahren weiter, ein Stück weiter den Berg hinunter, durch das Tal „Is Animas“, und landen bei …

Naracauli

In diesem Tal, das die Straße Richtung Meer durchquert, liegt die „Lavaria Brassey“.

In Naracauli wurden die geförderten Erze gewaschen (ital. „lavare“), bevor sie verladen wurden. Zu sehen sind die am Fluss Rio Piscinas gelegenen Überreste des schönen alten Waschhauses.

Benannt ist die Erz-Wäscherei nach dem englischen Adligen Thomas Allnutt (Earl of Brassey), der sie im Jahr 1900 gründete und der zuvor die Aktienmehrheit an der Minengesellschaft erworben hatte. Die Familie Brassey war eine industrielle Größe im englischen Königreich. So war bereits der Vater im 19. Jahrhundert im weltweiten Eisenbahngeschäft tätig – und der Sohn suchte und fand sein Glück im Bergbau und mit Minen, in Italien und auch auf Sardinien.

Lavaria-Brassey-Eingang

Altes Portal der Lavaria

Die Wäscherei in Naracauli war zu damaligen Zeiten eine geradezu avantgardistische Einrichtung und bekannt über die Landesgrenzen. Sie galt als produktives und lebendiges Zentrum der Mine Ingurtosu.

Heute  sind die verfallenen Gebäude wirklich ein Hingucker, aber der Ort ansonsten leider sehr unlebendig. Er ist ein „museo a cielo aperto“, ein Freilichtmuseum.

Ein Stück zurück Richtung Ingurtosu ist übrigens der Pozzo Gal (benannt nach dem damaligen Direktor Paul Gal) als Museum eingerichtet.

Seit 1924 wurden hier das in den Erzadern Brassey, Ingurtosu und Cervo abgebaute Gestein weiterverarbeitet, portioniert und abgefüllt um hinunter zur Wäscherei geleitet zu werden. Eine Führung durch die Minenlandschaft ist hoch spannend, voll von Geschichten und unbedingt zu empfehlen.

Gestein

Gestein

Und ansonsten ist der kleine Ort nur noch eine Durchgangsstation auf dem Weg nach …

Piscinas

Eine 1871 erbaute Schmalspurbahn verband Ingortosu und die Mine Gennamari mit Piscinas. Auch heute noch sieht man rostige Teile der alten Schienen, ein paar Loren (Emma!) und die Reste des Kais, an dem die Schiffe anlegten, die die wertvollen Metalle erst zwischengelagert und dann zumeist auf die Isola San Pietro abtransportiert wurden.

Piscinas war seit den fünfziger Jahren eine Sommerkolonie, in die die Kinder der Minenarbeiter geschickt wurden – bis die Minen der Region Mitte der Siebziger schlossen und die Arbeiter entließen.

Tourismus gab es zu der Zeit so gut wie gar nicht, auch mit Landwirtschaft hatte man keine Erfahrung. Folgerichtig zogen auch die letzten Familien aus Ingurtosu weg, und auch Piscinas war im wahrsten Wortsinn „deserto“, wie ein Ort in der Wüste.

Le Dune di Piscinas

Le Dune di Piscinas

Heute ist Piscinas vor allem wegen seiner Dünen, seines weiten Strandes bekannt, die „Dune di Piscinas“. Die Dünenlandschaft umfasst eine Fläche von ca. fünf Quadratkilometern, an der Küstenlinie erstreckt sie sich auf knapp drei Kilometern. Ginster, Wacholder und Strandgräser halten den Sand fest, der vom vorherrschenden Westwind an den Berg geweht wird.

Die Fauna ist übersichtlich, aber kann sich sehen lassen: Im Meer vor den Dünen lebt die Karettschildkröte (caretta caretta), an Land schleicht die griechische Landschildkröte und die ein oder andere Eidechsenart. Und mit ganz viel Glück, trabt ab und zu in den Morgenstunden ein sardischer Hirsch aus der umliegenden Bergregion heraus und unten durch den Sand.

Wildwest-Feeling

Wildwest-Feeling

Zwischen den Dünen fließt der Rio Piscinas ins Meer. Einst wurde er – wegen der rostigen Gesteinsablagerungen, die er aus den Bergen und Minen mitnahm – der rote Fluss genannt. Heute trägt er kaum noch Wasser.

Dünen sind ja an sich auch eher trocken, und daher verlässt uns das wüste Wildwest-Feeling die ganze Zeit nicht. Erst recht nicht, als einer dieser runden Büsche, die auch immer durch die alten Filme rollen, uns von hinten antippt.

Die Landschaft (und auch viele der alten Häuser, wie z. B. die Lavanderia) gehört zum „Parco Culturale di Giuseppe Dessi“. Dem sardischen Schriftsteller lag am Herzen, seine Heimat rund um den Monte Linas zu schützen und die alte Kultur neuen Gästen zugänglich zu machen – und zwar nicht nur durch seine Werke, sondern durch ein nachhaltiges touristisches Konzept (www.parcodessi.it).

Blick Richtung Süden

Blick Richtung Süden

Und dann das Hotel „Le Dune“ – es liegt traumhaft eingebettet in die Dünen und ist (wenn man nicht gerade in der Höchstsaison anreist) durchaus bezahlbar. So oder so ist es jeden einzelnen Cent wert.

Hat man das alles gesehen, sind die Dünen und die angrenzende Umgebung der  Hit für Trekking- und Bikefreunde. So viele Möglichkeiten – man könnte hier Tage verbringen.

Der abendliche Blick auf den Sonnenuntergang – ob nun der rote Ball im weiten Meer versinkt oder am diesigen Himmel die Pastelltöne um die Wette eifern – ist aber auch mit einem Vino im Pappbecher im Strandsand sitzend unfassbar schön.

Uns zieht es nach einem langen Spaziergang durch die Dünen an diesem warmen, aber wolkenverhangenen Tag noch weiter nach Süden. Auf die Hufe, Freunde …

Quellen (ital.):

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