Das schwarze Schaf war ganz auf Kuschelkurs und Spazierfahrt eingestellt. Die schmucke Costa Smeralda wollte es durchfahren und erwartete nichts als Sonne, ein paar sanfte Hügel und das smaragdfarbene Meer. Aber es kam anders …

Gemütlich strampelt es zunächst hinter seinem Vordermann her. Doch bereits kurz nach dem kleinen Touristenort Cannigione in Richtung Arzachena tritt der ordentlich in die Pedalen seines Mountainbikes. Aber der Winterspeck unter der Wolle war ja noch nicht ganz weg, also tritt das Schaf mit.

Sie blühen um die Wette...
Sie blühen um die Wette…

Links abgebogen beim Schild Richtung Baia Sardinia läuft der Golfo di Arzachena in eine lagunenartige Landschaft aus, in der viele Wasservögel ihr Zuhause haben. Dann wieder rechts und wieder links, durch die Siedlung La Punga, fährt das Schaf, überquert die nächste SP und weiter geht es nach Monticanaglia. „Monti“ heißt ja „Berge“ … Das Schaf hofft immer noch, dass bloß nicht zuviele Höhenmeter zusammenkommen. Ehrlich gesagt, freut es sich vielmehr bereits auf den ersten Kilometern auf das kühle Ichnusa, das es am Schluss zur Belohnung geben soll…

Das Hinterland der Costa Smeralda präsentiert sich im Mai zwischen blumig-üppig und hügelig-felsig. Eine kleine Kreuzung, an der wir Richtung San Pantaleo fahren, führt uns in ein Gebiet, das sich vermutlich einige wohlhabende Sarden unter den Nagel gerissen haben: Sicher eingezäunt findet sich dort unterhalb der „due torri“ das ein oder andere weitläufige Grundstück mit einem schönen Stazzu. Ganz eingebettet in die typisch galluresische Landschaft, die Kakteen blühen um die Wette. Hier wohnen Menschen, die einen Ausblick schätzen, der mit „Vista Mare“ konkurrieren kann, aber kein einziges Stück sichtbarer Küste bereithält.

Das Bergdorf San Pantaleo. Hier riecht es nach Künstlern. Gern wäre das Schaf hier in die Dorfbar eingekehrt, in der man sie trifft. Doch statt in die Dorfmitte fahren wir hinaus, Richtung Küste. Das Meer ruft. Bald nach Ortsausgang in einer Rechtskurve verlassen wir den Teer, um links in einen Feldweg zu stechen. Vor einiger Zeit, am Ostermontag, hatte das Schaf eine Wanderung zwischen den Granitfelsen von San Pantaleo unternommen. Allerdings wurde es vom Regen überrascht. Der Reiseführer hatte versprochen, dass einer der Feldwege zum Meer führt. Was liegt also näher, als heute, bei strahlender Sonne, den Wanderweg zuende zu gehen? Na – ihn zu fahren!

Blick auf die Inseln Mortorio und Nibani
Blick auf die Inseln Mortorio und Nibani

Gesagt, getan. Vorbei an zwei, drei Villen, wird der Weg schon dichter bewachsener. An einer Abzweigung versperren zwei Hunde den Weg nach rechts. Also links weiter, in der Ferne sieht das schwarze Schaf, wie der Weg sich am einem Hang mit ein paar Büschen und gelben Blumen entlang schlängelt.

Erneut lautes Kläffen: Fünf Hunde in einem Zwinger wollen den Vorbeifahrenden wohl irgendetwas sagen. Vielleicht, so denkt das Schaf im Nachhinein, dass es hier nicht weitergeht. Aber das ist natürlich egal. Was können Hunde schon ausrichten, wenn Schafe irgendwo lang wollen.

Der Weg zieht sich den Hang hinauf und oben angekommen, breitet sich am Horizont das Meer blau aus. Doch noch ein kleines Tal und einen weiteren Hügel gilt es zu überwinden, bevor die Füße in das kalte Nass können. Das sieht machbar aus, doch bereits nach wenigen Metern wird es ruppig und struppig. Reifenspuren zeugen davon, dass hier ein Grundstück erschlossen werden soll. Das könnte heißen, dass es am unteren Ende des Grundstücks noch weiter geht – von irgendwo müssen die neuen Bewohner ja anfahren. Doch hier ist nichts als Wiese – blumig zwar, doch die zartrosa Blüten gehören zu Disteln. Bääääh!

Immer der Nase nach!
Immer der Nase nach!

Die kleine Grenzmauer führt bis hinunter in die Talsohle, nach links ist nur Gestrüpp. Nach rechts könnte es weiter gehen… Sind wir verloren? Verloren an einem der am besten erschlossenen Touristengebiete Sardiniens? Dort, wo Stars und Sternchen frei laufen gelassen werden? Lost at the Costa?

Ein prüfender Blick auf den Weg (der hier eigentlich die Bezeichnung nicht mehr verdient) und dann glaubt die Vorhut, eine Lichtung zu erkennen und ein Plätschern zu vernehmen. Und wo ein Fluss, da oft auch ein Weg. Ab hier wird also das Rad geschleppt und die Beine werden zerkratzt. Ein bisschen besorgt sind wir, doch zum Glück sind es noch vier Stunden bis zum Sonnenuntergang. Und: Wir sind hier an der Costa – das Handy hat Empfang und auch die GPS-Daten könnten wir im Notfall an die Corpo Forestale senden.

Wo ein Bach, da ein Weg!
Wo ein Bach, da ein Weg!

Zweimal quert der neu gefundene und selbstgetretene Weg den kleinen knöcheltiefen Bach, der klarstes Wasser führt. Uns fallen in einiger Entfernung noch zwei schmale Jagdwege auf, die allerdings eher wieder zurück und von der Küste wegzuführen scheinen. Nur kurz versucht, ihnen zu folgen, kommt der schwarzschafige Instinkt durch. Da ist dieses gespannte Flackern in den Augen und der Grundsatz: Es geht immer irgendwie vorwärts! Auch mitten im Urwald! Wer, wenn nicht das schwarze Schaf, findet den dummen Ausgang zum Meer!

Letzte Tragestrecke aus dem Urwald
Letzte Tragestrecke aus dem Urwald

Dann scheint der Weg etwas leichter zu werden, hier und da ist der Boden von Wildschweinen aufgewühlt. Fahren geht noch nicht, aber wir entdecken eine Art Wegweiser: Gelbe Plastikstreifen, die wir zuvor für Grenzmarken des Baugrundstücks gehalten haben, markieren einen Aufstieg hinauf auf den Hügel. Volltreffer! Die letzte Tragestrecke ist steil – und dann ist die Erleichterung groß, als wir auf einen Feldweg mit Reifenspuren treffen. Denen müssen wir nur noch in die richtige Richtung folgen – natürlich ist das Meer unser Anhaltspunkt.

Es geht über die Schotterpiste rasant bergab, einen guten Kilometer lang belohnt uns die Strecke für die zurückliegenden Strapazen. Dann Teer und wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter: Um eine verlorene Sonnenbrille ärmer, aber um eine schwarzschafige Tour reicher suchen wir den nächsten Strand an der Costa Ruja: Spiaggia Rena Bianca, jetzt im Mai noch fast touristenleer. Weißer, weicher, warmer Sand umschmeichelt die Füße und wir laufen ins Wasser, um die von der kratzigen Macchia zerschundenen Beine zu kühlen.

Glückliches Ende einer schwarzschafigen Tour
Glückliches Ende einer schwarzschafigen Tour

Wir haben sie gefunden: die ursprüngliche Costa Smeralda, an der man heute noch sich selbst und sein Herz an sie verlieren kann.

2 Comments

  1. m

    10. Mai 2011 at 21:31

    toll geschrieben! 🙂

    Reply
    • pecora

      10. Mai 2011 at 22:12

      beeeehdankt 🙂

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert