Das schwarze Schaf steht auf der Strada Provinciale kurz hinter Ghilarza und freut sich über die Schafherde, die ihm gerade entgegenkommt. Als wäre es nicht schon mindestens die zehnte auf der heutigen Tour.
Am Spätnachmittag ist die Schafherdendichte eben ziemlich hoch und es lohnt sich natürlich, jedes einzelne zu begrüßen. Neugierig äugen sie herüber. Dann ein Hupen. Hinter ihnen ist ihr Schäfer in einem alten silbernen Fiat. Nix da, Hirten- und Nomadenromantik, hier fährt man seinen Schafen faul hinterher. Er kurbelt das Fenster herunter und spricht uns an.
Ferien? Nein, wir machen hier keine Ferien. Wir sind auf Recherchetour für unser Magazin und schauen, was es hier in der Region Tolles gibt. Wie häufig in solchen Situationen erhalten wir einen wasserfallähnlichen Vortrag über die Vorzüge gerade dieses Fleckens auf der Insel. Der sardische Patriotismus gipfelt im Dorfstolz und in Provinzgockelei. Nach vielen Sätzen erst fragt er, ob wir ihn überhaupt verstehen, ob wir Italienisch sprechen. Na, immerhin das.
Der langen Rede kurzer Sinn: Er schickt uns zum Lago Omodeo, dem größten Stausee der Insel, an dem wir sonst – wie schon so oft – glatt vorbeigehechtet wären.
Denn der künstliche See liegt direkt an der Schnellstraße SS 131 Carlo Felice (und überquert ihn an einem äußeren Ufer) und hat auf den ersten Blick so ganz wenig Anziehungskraft für schwarze Schafe. Aber okay, Omodeo, jeder hat eine Chance und einen zweiten Blick verdient.
Der See selbst entstand zwischen 1919 und 1924, indem der Fluss Tirso (unter der Leitung eines gewissen Ingenieurs aus Mailand namens Angelo Omodeo) aufgestaut wurde und das Tal „Valle del Campidano di Oristano“ überspülte.
Lang bevor das Tal zum See wurde, wuchs in diesem Tal ein dichter tropischer Wald mit Palmen und Affenbrotbäumen. Rote vulkanische Erde, schwarze Lava und Stümpfe aus Basalt prägten die Landschaft außerdem. Ein vulkanischer Sturm beendete diese reiche Phase und bedeckte das Tal mit großen schwarzen Kieseln und Asche für mehrere Jahrtausende.
Das Wasser ist daher auch stark mineralienhaltig und die Qualität wird ständig überwacht. Denn der See dient in erster Linie dazu, den Wasserdurst der Insel und ihrer Bewohner zu stillen.
Der Schäfer erzählt bei allem Stolz über seine Heimatregion aber auch von Problemen, die mit der Stauung des Tirso einhergingen.
Der Tirso ist von seiner Quelle im Nordosten der Insel bis zur Mündung im Golfo di Oristano fast 150 km lang und war schon immer ein ziemlich ruppiger Geselle. Aufgehalten durch den See ruiniert er nun in der Regenzeit regelmäßig die fruchtbaren Böden und die Weidegründe direkt am Flusslauf. Kein Bauer hat das Geld oder die Möglichkeiten, sie instand oder gar den Fluss in Schach zu halten. Ackerbau und Viehzucht sind in dieser Region stets eine herausfordernde Angelegenheit.
Kilometerweit muss der Schäfer also mit seiner Herde über Landstraßen in Mündungsrichtung zockeln. Und da er nicht mehr so gut zu Fuß sei, nehme er das Auto, er sei halt nicht mehr so jung wie wir, entschuldigt er sich. Und eigentlich will er auch ganz aufhören.
Skeptisch erinnern wir uns an den fast hundertjährigen Schäfer Giuseppe aus Isilli (siehe Artikel auf pecora-nera), der bis noch vor wenigen Jahren all das zu Fuß erledigte und sich gar nicht beschwerte…
Jaaa, denken wir, auch Sarde ist nicht gleich Sarde. Aber was soll man machen, wenn die Füße oder der Kopf nicht mehr wollen.
Das Tolle am Lago Omodeo sind die vielen unterschiedlichen Eindrücke, die er schenkt – zu Lande und zu Wasser.
Für geologisch interessierte Reisende finden sich Zeitzeugen des oben erwähnten Vulkansturms im versteinerten Wald, dem „Foresta Pietrificata di Zuri-Soddì“ bei Ghilarza, wo auch viele Fossile gefunden wurden (weitere Informationen auf www.sardinienpoint.it).
Ein paar archäologische Sehenswürdigkeiten gibt es natürlich auch, unter anderem sieht man auf der anderen Seeseite an der Straße ein kleines Feenhaus, ein „domus de janas“ (siehe Foto). Es liegt ein bisschen stiefmütterlich da direkt an der Kreuzung, von der auch noch ein Hinweisschild lockt: zum „Domus de Janas Prunittu“ in Sorradile. Das ist nun wirklich beeindruckend, hier sind zehn Gräber, teils übereinander direkt in einen großen Monolith gehauen (Fotos hier, Quelle: flickr.com) und echt sehenswert.
Wir wollen gern mit dem Kanu oder Kayak auf dem Tirso und dem See fahren (der See ist auch für Anfänger geeignet, für den Tirso wird ein Guide empfohlen).
Einheimische empfehlen uns aber den farbenprächtigen Frühling für unser Vorhaben. Jetzt gerade ist Februar, also werden wir wohl wiederkommen.
Kayaktouren auf dem Lago Omodeo (und anderes mehr) organisiert übrigens z. B. www.barbagianolimits.it in Gavoi. Auch in Sedilo und Ghilarza kannst du Guides finden.
Ideal ist der Lago für aktive Reisende. Als passionierte Radfahrer hatten wir gehofft, ihn richtig am Ufer umrunden zu können. Das geht so ganz spontan nicht – aber wir entdecken eine tolle Rundkurs-Trainingsstrecke auf dem Bike.
Wir haben die Route mit bikemap.net nachgezeichnet: http://www.bikemap.net/route/903750
Wir jedenfalls haben uns bei diesem genaueren zweiten Blick in den See verliebt. Und jedesmal, wenn wir jetzt auf der SS 131 an ihm vorbeibrausen, werden wir uns daran erinnern, wie wundervoll er ist. Wissend, dass der Lärm hier oben da unten ganz ganz weit weg ist.
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