Ein wunderschöner, sonniger Tag, kaum Autos sind auf den Straßen, alle Touristen liegen am Strand. Und wir? Wir fahren durch die Gallura und freuen uns über ein besonderes Farbenspiel: Die Stämme der geschälten Korkeichen leuchten im Sonnenlicht; ihr kräftiges, rostiges Orangerot strahlt mit dem satten Grün der Wälder und dem Goldgelb der Feldern vor dem strahlenden Blau des Himmels um die Wette. Das Licht bahnt sich seinen Weg durch die unregelmäßig und krumm wachsenden Stämme.

Korkeichenwald - Sugherete
Korkeichenwald – Sugherete

Die Gallura – Heimat der Korkeichen

Jetzt beginnt die Korkeichenernte auf Sardinien. „Sughero“ heißt das Material hier übersetzt, „sugherete“ sind die Korkeichenwälder. Sie sind der Stolz, vor allem der inneren Gallura, die den qualitativ hochwertigsten Kork der Insel herstellt. Typisch für die gesamte Gallura, im Nordosten, finden sich aber auch weiter südlich, bei Alà dei Sardi und Buddusò, sowie im Goceano oder Sulcis Iglesiente Baumbestände.

Korktransport voraus!
Korktransport voraus!

So kommt es, dass man zurzeit auf den Landstraßen meterhoch beladenen LkW begegnet – und ihnen hinterher zockeln muss, weil auf den kurvigen Straßen das Überholen schwer fällt. Sie bringen die aufgestapelte, frisch geerntete Rinde in die Produktionszentren der Gallura, allen voran Calangianus.

Rund um den Ort, auf den Hügeln hinter Tempio Pausania, ist landschaftliche Schönheit angesagt. Man kann sich kaum sattsehen an den Bäumen. Die Wälder dienen auch als Weide für das Vieh. Kühe, Schafe und Schweine grasen zufrieden oder schlafen im Schatten, geschützt vor der heißen Sommersonne. Ein idyllisches Bild, das sich dem Inselbesucher da bietet.

Bei der Durchreise durch den kleinen Ort, weicht die Korkeichenidylle der Industrie, die sich um die Produktion gebildet hat. Große Lagerflächen, auf denen die angelieferten und zur Weiterverarbeitung und Trocknung aufgestapelten Rinden liegen, prägen das Ortsbild. Sogar eine Schule zur Korkeichenproduktion ist hier angesiedelt (italienweit die einzige).

Man fährt recht schnell durch – oder lässt sich die industrielle Produktion von Kork vorführen, wie in diesem Bericht der RAI über die Verarbeitung des Korks bis zum fertigen Produkt auf Youtube.

Spaßiger ist es da schon, bei einer Ernte zuzusehen. Aus Teti, einem kleinen Ort in der Nähe von Nuoro, in der traditionsreichen und unberührten Barbagia di Ollolai, stammen diese Impressionen der Korkeichenproduktion (Copyright: Massimo Pitzalis):
httpv://www.youtube.com/watch?v=eUGzMANYB5w&feature=related

Die Korkeiche: sughera / quercia da sughero

Die Korkeiche ist ein Überlebenskünstler und wertvoll für Flora und Fauna in ihrer Umgebung: Ihre feuerfeste Rinde aus Kork schützt sie vor Buschbränden, die Baumkrone spendet Schatten und schützt die im Wald lebenden Pflanzen und Tiere vor der brennenden Sonne. Die ätherischen Öle im Blattwerk sind für schmarotzende Pflanzen und Tiere ein wahres Gourmetfrühstück.

Korkeiche - quercia da sughero
Korkeiche – quercia da sughero

Korkeichen sind übrigens optimale Klimaverbesserer: Über die Baumkrone nehmen die Bäume CO2 auf und verringern die Umweltverschmutzung. Besonders nach der Entrindung, die viele als „schmerzhaft“ für den Baum wähnen, lassen sie Sauerstoff in größeren Mengen frei. Je öfter sie entrindet werden, desto mehr. Auch die Qualität des Korks steigt mit der Zeit.

frisch geschält
frisch geschält

Zeit ist überhaupt eines der wichtigsten Dinge bei der Ernte. Die magischen Zahlen: Wenn die Stämme einen Umfang zwischen 30 und 40 cm erreicht haben, wird zum ersten Mal geerntet. Dann ist der Baum zwischen 20 und 25 Jahren alt. Etwa zehn bis zwölf Jahre braucht die Baumrinde, um nachzuwachsen, bis sie erneut geerntet werden kann. Und nach etwa acht bis neun Ernten ist der Baum verbraucht. Rund 85% der italienischen Korkproduktion stammt aus sardischen Wäldern.

Kork – ein vielseitiges Material

Das schwimmfähige und isolierende Material ist seit Jahrhunderten ein geschätzter Rohstoff: Die Ägypter sollen Gräber und Särge damit ausgestattet haben, um die sterblichen Überreste noch besser zu konservieren; die Römer verschlossen damit ihre Weinbehälter (bis heute ein weltbekanntes Verfahren); die Sarden selbst nutzen es als Behälter für Speisen oder zur Isolierung von Mauern und Dächern.

Traditionelle Maske aus Kork
Traditionelle Maske Su Bundhu aus Orani ist aus Kork

Die Verarbeitung von Kork für Souvenirs hat in den letzten vier Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Neben den touristischen Ausfertigungen, die kein Mensch braucht (Postkarten mit bunten Sardinien-Aufdrucken, oder unpraktisch mit Kork ummantelte Sardinien-Tassen) sind aber auch kunstvollere Gegenstände zu sehen – von der traditionellen sardischen Maske über Vasen bis zum Schmuckkästchen. Sogar Kleidung wird neuerdings aus Kork hergestellt – sicher Geschmackssache, aber sie soll sich sogar angenehm tragen lassen.

Korkeichen-Ausflugsziele

Lämmer im Korkeichenschatten
Lämmer im Korkeichenschatten

Für Spaziergänge und Ausflüge zu den Korkeichenwäldern eignen sich besonders die Orte der galluresischen Hochebenen: Calangianus, Luras, Berchidda, Alà dei Sardi und Buddusò. Gekennzeichnete Wanderwege sind relativ spärlich, da es sich bei den meisten Wäldern um eingezäunten Privatbesitz handelt. Doch wer einigermaßen langsam unterwegs ist, findet hier und da einen Feldweg als Einstieg und wird für seine Suche mit einer Stille und Idylle belohnt.

Korkeichenwald bei Calangianus
Korkeichenwald bei Calangianus

Wie wäre es – wenn es eh zu heiß ist, in der Sonne zu braten – mit einer kleinen Gallura-Kork-Rundfahrt? Start in Tempio Pausania über Aggius (umgeben von urtümlichen Kork- und Steineichenwäldern, und berühmt für seine sardischen Teppiche) dann via Luras in der Gallura (wunderschöne Anfahrt durch ein ruhiges Tal), weiter nach Calangianus (einige der Hänge mit Korkeichen zeigen gen Osten = schön im Abendlicht), ein abschließendes Abendessen in einem Agriturismo auf dem Weg oder einer Trattoria in Tempio – und ein schwarzschafiger Ausflugstag ist perfekt! (Route auf Google Maps.)

Wie immer gilt, ein wenig Vorsicht und Behutsamkeit in der Natur walten zu lassen. Und niemand wird etwas dagegen haben, wenn der interessierte Besucher diese Schönheit aus der Nähe betrachten mag.

4 Comments

  1. Sabine

    10. April 2015 at 11:31

    Hallo Pecora Nera,

    klasse, Dein Bericht!!

    ich habe eine Frage/Bitte zur Korkproduktion: ich würde gerne einen Betrieb in Calangianus oder Umgebung besichtigen – hast Du einen Tipp oder einen Ansprechpartner/Betrieb vor Ort?

    Tanti saluti
    Sabine

    Reply
    • nicole

      10. April 2015 at 11:49

      Hallo Sabine!

      Betriebsbesichtigungen in produzierenden Gewerbe sind ja eher unüblich, insbesondere wenn es sich um einzelne Besucher handelt. Wenn, dann kenne ich das nur für größere Gruppen, die eher ein berufliches / wirtschaftliches Interesse haben. Touristisch ist da in den seltensten Fällen etwas organisiert – und durch Fabriken zu laufen hat auch für den Besucher eher wenig Charme 😉

      Aber in Calangianus gibt es das „Museo del Sughero“ – wo viel erklärt wird. Mit Sicherheit kennt man dort auch kleinere Produzenten oder Spezialbetriebe – vielleicht gibt es Möglichkeiten, auch mal „live“ rein zu schnuppern, oder bei der Ernte dabei zu sein.

      Hier geht es zur facebook-Seite des Museums: https://www.facebook.com/MuseoDelSugheroCalangianus

      Viele Grüsse,
      Nicole.

      Reply
  2. Dagmar

    27. April 2023 at 16:50

    Hier nördlich von Iglesias sind die Korkeichenkronen kilometerweit nicht mehr satt grün, sondern sehen gelblich vertrocknet aus. Ist das der Klimawandel?

    Reply
    • pecora nera

      27. April 2023 at 19:46

      Das kann ich schwer beurteilen, ohne es gesehen zu haben – und man müsste bessser die lokalen Experten der Forstgesellschaft fragen. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Verfärbung auf dauerhaften Wassermangel zurückzuführen ist, ich habe das auch öfter gesehen und es hat in diesem Jahr sehr wenig geregnet. Die Bäume erholen sich in der Regel in der Folgesaison, sofern es signifikant regnet. Und sicher kann das mit dem Klimawandel zusammenhängen – es wird ja im gesamten Mittelmeerraum von Jahr zu Jahr trockener.

      Reply

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