Der Hafen von Calasetta auf der Insel Sant’Antioco. Die Sonne. Der kleine Ort und das Meer liegen seelenruhig und zufrieden. Fischerboote schaukeln im Meer. Eine Bar. Ein kühles Ichnusa.
Am Nebentisch rechts: vier Herren, einer summt leise vor sich hin. Am Tisch links: Fünf Männer, die zu den anderen hinüberblicken. Einer beginnt zu singen.
Die Melodie des bekannten italienischen Liedes, das er anstimmt, passt heute hier hin, wie die Wolle aufs Schaf. Celentano’s Junge aus der Via Gluck lebt hier wieder auf.
Eigentlich sehr un-sardisch, das Lied. Aber wer, wenn nicht die Sarden, hofft, dass alles was einem lieb ist, so bleibt, wie es ist …
Mitten am Tag zaubern die Töne und die Geschichte ganz schnell ein Lächeln auf alle Gesichter.
Der Nebentisch antwortet mit einem lustigeren Lied, das auch nach dem Mittelmeer und dem zauberhaften Italien aus den Sechzigern klingt. So gibt eins das nächste, ein Sänger löst den anderen ab und alle haben einen Heidenspaß…
Irgendwann auch im wahrsten Wortsinn, denn zu den altbekannten Melodien singen die Herren irgendwann eigene, häufig unflätige, unchristliche Texte. Wie es der Reim eben erfordert. Das, was wir aufschnappen, ist wenig jugendfrei. Aber Kinder sitzen hier ja nicht rum und würden’s vermutlich eh nicht verstehen.
Und wen stört’s, wenn’s einfach nur ein Ausdruck der Lebensfreude und Frechheit eines Volkes ist und am Ende doch wieder die glücklich machenden Lieder über das schöne Leben gesungen werden.
Dabei gäb’s genügend Gründe, nicht zu singen oder es nicht schön zu finden – Arbeitslosigkeit und das kaum reichende Auskommen in den traditionell angestammten Berufen: vom Handwerker bis zum Fischer hört man sie davon berichten, wie schwer es heutzutage ist.
Und doch, sie singen gern, die „Calasettani“. Überhaupt scheinen sie generell gut gelaunte Gesellen zu sein: Ihre Häuser sind weiß oder hell gestrichen; das ganze Städtchen, das sich von einem Hügel bis ans Meer erstreckt, ist mit sich selbst im Reinen.
Ein bisschen suchen muss man sie ja, die angeblich 3.000 Einwohner des Ortes. Obwohl keine Siesta ist, sehen wir nur wenige von ihnen. Vielleicht verstecken sie sich vor den Touristen, vielleicht aber auch vor der Zeit.
Als Gast will man am liebsten noch ganz lang bleiben. Und vielleicht noch das Museum für moderne Kunst ansehen, das eine kleine erstaunliche Sammlung aus den 60er,70er, aber auch 90er Jahren enthält. Geöffnet ist es unregelmäßig, in den Abendstunden, meist von 18 bis 21 Uhr.
Mehr und aktuelle Informationen auf sardegnacultura.it (in italienischer Sprache).
Der Hafen ist für die Einwohner Calasettas und ihre Besucher wichtig, verbindet er den Ort doch direkt mit Portovesme auf dem „Inselfestland“. Oder mit der Nachbarinsel: Uns gefällt die Reise von und nach Carloforte auf der Isola San Pietro. Das ist sogar bei der Fahrt mit der uncharmanten saremar-Fähre eine ganz hübsche, kleine Seereise. So von Insel zu Insel vor der Insel reist man ja selten.
Das Hafengelände ist flankiert von Palmen, wirkt offen und ein paar Restaurants und Bars säumen die großen Plätze, auf einem kleinen Wochenmarkt mit fünf, sechs Ständen kauft das schwarze Schaf etwas für den Picknickkorb ein.
Seinen Hauptzweck leistet er aber immer noch als Liegeplatz für die lokalen Fischer. Zwei von ihnen flicken gerade ein großes Netz, ganz ohne Eile, aber fingerfertig schnell gehen sie mit dem festen Garn um. Vorwiegend Doraden und Schalentiere. Wegen letzterer ist auch das Netz kaputt und heute muss eben tagsüber geflickt werden. Morgen wird ein harter Tag.
Nach wenig Schlaf, ganz früh, schon kurz nach Mitternacht geht das Boot hinaus und fährt auf das offene Meer, in Richtung Südwesten.
Apropos südliche Richtungen: Die Isola Sant’Antioco hat eine Menge verborgener Schönheiten und südlich von Calasetta, an der Westküste, liegt eine davon: die Cala Grotta, auch Cala Tuffi genannt.
Sie liegt bei dem kleinen, nur in der Hauptsaison bewohnten Ort Mercuri. Etwas Kletterübung oder ein Boot gehören schon dazu, um zu ihr zu gelangen.
Zum Abend (und bei starkem Wind) gibt es keinen besseren Platz als die Cala Mangiabarche mit ihrem Leuchtturm. Als Strand etwas ruppig, als Fotomotiv perfekt.
Cala Mangiabarche: so richtig toll bei viel Wind!
Die ganze Insel hat hat hübsche kleine Strände, zu denen verwahrloste Schilder führen (oder eben auch nicht). Am Capo Sperone (nein, mit dem Auto gibt es keinen Rundweg, man fährt von Calasetta wieder durch die Stadt Sant’Antioco und ganz außen rum) ist das Türkiswasser grandios und am Strand verteilen sich auch in der Hauptsaison die Leute gut.
Coaquaddus an der Ostküste ist in der Winddüse zum Festland und Geheimtipp für Kitesurfer, auch in der Nebensaison.
Von den Inseln rund um Sardinien ist die Isola Sant’Antioco im Sulcis die Größte und von allen italienischen Inseln die viertgrößte (nach Sizilien, Sardinien und Elba) – wer hätte das gedacht? Knapp 110 Quadratkilometer misst die Oberfläche.
Ein Isthmus verbindt sie mit ihrer „Mutterinsel“ – so kann man ganz leicht mit dem Auto hinauf. Dieser Damm ist künstlich, schon 2000 Jahre alt und karthagischen Ursprungs. Überhaupt ist Sant’Antioco die älteste Stadt Italiens sein. Müssen wir mal genauer nachlesen.
Coequaddus, Sant’Antioco
Will heißen: Sant’Antioco ist wirklich eine ‚echte‘ Insel, auch wenn man es als Autofahrer auf den ersten Blick vielleicht gar nicht vermutet. Und zu diesem südlichen Archipel Sardiniens gehören noch weitere Inseln.
Ihre Nachbarin, San Pietro mit dem schönen Carloforte ist übrigens auch unbedingt eine Reise wert.
Aber nehmen uns noch die Zeit, drei winzige, vorgelagerte Inselchen zu erwähnen: die Kuhfamilie.
Allein ihres Namens wegen haben es uns die Inseln „il Toro“ (der Stier), „la Vacca“ (die Kuh) und das letzterer vorgelagerte Inselchen „il Vitello“ (das Kalb) angetan. Eine Kuhfamilie in Inselform! Wer kam denn bitte auf diese entzückende Idee?!
Sie weiden auf der Meereswiese und sind nur mit einem Boot zu erreichen. Der Stier ist am weitesten von der Hauptinsel Sant’Antioco entfernt und tatsächlich ein recht garstiger Geselle. Seine unwirtliche und karge Oberfläche sowie schwer zugängliche Küstenlinie machen es fast unmöglich, ihn zu betreten.
Die Küsten aller drei Inseln sind unerschlossen, aber die Kuh und ihr kleines Kalb sind deutlich einladender und freundlicher als der Herr der Familie: Ihre Oberfläche ist zwar recht langweilig, aber die felsigen Küstenlinien sollen wunderschön sein. Und die Korallenriffs ein echter Geheimtipp für Taucher und Schnorchler, wie dieses kleine Video auf Youtube zeigt:
Wieder an Land, stehen noch einige Feengräber, römische Ruinen und natürlich eine Menge Strände auf der Insel zum Entdecken zur Verfügung. Vermutlich verpasst derjenige, der nicht anhält, eine ganze Menge.
Eine Skurrilität begegnet dem Reisenden in der „Hauptstadt“ Sant’Antiocos (ja, heißt wie die Insel selbst). Doch dazu muss man sich erstmal von der Dominanz der über dem Ort thronenden Burg lösen und die Nase weit in und sogar unter die Erde stecken.
Das „Forte Sabaudo“ (auch genannt „Guardia de su Pisu“), erbaut 1812. Der Name lenkt die Aufmerksamkeit auf den Teil der Geschichte, den man auch „Storia della Sardegna sabauda“ nennt – die letzte Phase vor dem Risorgimento, bevor der König von Sardinien zum König von Italien wurde.
Die Geschichte der Burg selbst begann jedoch ziemlich unruhig: Ihr Hausherr, Ambrogio Capson, wurde übrigens drei Jahre später von maurischen Piraten, die aus Tunesien kamen und in der Burg große Schätze vermuteten, in einer blutigen Auseinandersetzung umgebracht. Schlecht für ihn.
Andere, die sich vor fremden Völkern verstecken mussten, waren die frühen Christen. Und wo taten sie das? Unter anderem in Sant’Antioco, in einem ausgedehnten Katakombensystem unterhalb der Hauptkirche der Stadt.
Diese Anlage ist eines der ersten Zeugnisse christlicher Kultur auf Sardinien. Zunächst dienten die Grotten also als Zufluchtsort vor den Römern und wurden mit größerem Bedarf an Verstecken ausgebaut. Später wurden sie zu einem echten Friedhof umfunktioniert.
In der Nebensaison ist recht schwierig, jemanden zu finden, der durch sie hindurchführt (Vermutlich sitzt der einzige, der klug darüber berichten kann, am Hafen in einer Bar und singt mit anderen einer unschuldigen Touristin unflätige Lieder vor…).
Einen Zugang zu den Katakomben gibt es in der Basilica di S.Antioco Martire (Beschreibung auf basilicasantantiocomartire.blogspot.it). Übrigens eine sehr schöne Kirche. Und alt ist sie: Teile wurden bereits 1102 anstelle einer alten Landkirche erbaut.
Wo wir schonmal bei historischen Sehenswürdigkeiten sind: Ja, es gibt auch nuraghische Gesellen auf Sant’Antioco. Die meisten sind allerdings Ruinen.
Auch die zwei Nuraghen, die noch als solche zu erkennen sind und Touristen zur Besichtigung angeboten werden: Nuraghe Feminedda (an der Straße von Sant’Antioco nach Cannai) und Nuraghe S’ega de Marteddu (in der Nähe des Strandes Maladroxia), der wenigstens noch eine intakte Innenkammer und einen Aufgang hat.
Raus aus dem Nuraghen ist es ja längst noch nicht getan, mit den guten Geschichten auf Sant’Antioco. Wohnt auf der Insel wirklich die letzte Muschelseidenspinnerin Europas, die aus den goldenen Byssusfäden der „edlen Steckmuschel“ Seide nach altem antiken Vorbild zaubert? Und wenn ja, wie macht sie das?
Die Muschel selbst bekommen wir ebensowenig zu Gesicht, wie die Spinnerin – denn die Tierchen stehen unter Naturschutz und die Dame hat ja auch ein Privatleben.
Für ein Kilo Muschelseide braucht man wohl rund 4.000 Muscheln. Wer neugierig ist, findet weitere Informationen auf sardinien-netz.com .
Das schwarze Schaf jedenfalls verlässt Sant’Antioco fürs erstes, vorbei an Flamingos und Salzlagunen.
Und wettet: Wer wieder von der Insel wegfährt, hat entweder gar nichts oder sehr viel gesehen. Und hat vielleicht ein kleines Lied im Ohr … „Parliamo di uno, uno di noi …“
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