Der Turmfalke steht in der Luft, über einer Wiese am Stagno di San Giovanni. Minutenlang. Aufmerksam. Fokussiert. Ein schöner kleiner Kerl.

falco tinnunculus am Stagno di San Giovanni

falco tinnunculus am Stagno di San Giovanni

Leider erfolglos für den Moment. Irgendwann bricht er den Jagdversuch ab und setzt sich auf einen Busch am Feldrand. Weiter sucht der falco tinnunculus die abgemähten Felder nach mehr Beute ab, während wir uns an diesem ungewöhnlich heißen Junitag etwa 50 Meter von ihm entfernt etwas ausruhen.

Wir haben Zeit. Die Wanderung auf dem Monte Arcuentu muss bis zu einem wolkigeren Tag mit niedrigeren Temperaturen warten – heute wäre es wahnsinnig, seine Flanken, die der prallen Sonne ausgesetzt sind, hinaufzusteigen.

Der Berg und die ihm anhängende Kette von sieben weiteren Gipfeln sieht man schon, wenn man sich vom See um 180 Grad wendet. Das Panorama ist ein schöner Kontrast zu der Seenlandschaft des Stagno San Giovanni, der in den Stagno di Marceddi und schließlich ins Meer übergeht.

Eine Lagune am Meer – weitläufig und artenreich

Die beiden Seen sind Teil der „Zona Umida Peschiera di Corru s’Ittiri e Stagno di San Giovanni e Marceddi„. Die Zone beginnt südlich von Oristano bei Paùli Pirastu, Marceddì, San Giovanni und Santa Maria.

Von Marceddi gibt es zwar eine Brücke an das andere Ufer führt, die aber aus dieser Richtung nicht befahrbar (und eigentlich sowieso gesperrt) ist. Daher fahren wir über San Nicola d’Arcidano, biegen ab Richtung Westen und beginnen unsere Tour direkt am südlichen Seeufer.

Weizenfelder neben der Lagune

Weizenfelder neben der Lagune

Die Lagune ist eine Schutzzone. Es sind auch keine klassischen „Seen“, sondern Becken mit einer Mischung aus Flusswasser aus dem Rio Mannu, dem Rio Mogoru und dem Rio Sitzerri, sowie salzigem Meerwasser, die sich da auf knapp 5.700 Hektar ausbreiten.

Die Gemeinden von Arborea, Terralba, Arbus und Guspini, auf deren Gebiet sich die Seen erstrecken, haben alle Hände voll zu tun, um den Artenreichtum, der hier rund um die Seen zu finden ist, zu bewahren. Denn auf den umliegenden landwirtschaftlichen und industriellen Flächen (gerade im Norden Richtung Oristano und Arborea) werden zuviel Dünger, Pharmazeutika und Unkrautvernichtungsmittel eingesetzt.

Die Intensivnutzung schadet der Lagune und nur ein gemeinsam mit Landwirten und Industrie angegangener Plan kann die Vielfalt schützen und gleichzeitig Existenzen sichern. Der ist zum Glück in Arbeit und wird in Teilen bereits umgesetzt.

Das Feuchtgebiet ist ein Traum-Wohnort für Libellen

Das Feuchtgebiet ist ein Traum-Wohnort für Libellen

Dass hier wirklich ein Reichtum an Tieren und Pflanzen zu erwarten ist, bestätigt sich schnell: Der Falke, ein Silberreiher und eine rot leuchtende Libelle, die wir in den letzten zehn Minuten gesehen haben, sind erst der Anfang. Es wimmelt in der Landschaft, die so ruhig da vor uns liegt, nur so von Leben. Biodiversität in echt sozusagen.

Das Besondere an dieser Zone ist ihre Nähe zum Berg. Mit dem Monte Arcuentu, der sich im Süden auf 785 Meter erhebt, findet sich neben der marinen Flora und Fauna die für eine Bergregion üblichen Pflanzen und Tiere in direkter Nachbarschaft.

Einige bergtypische Pflanzen haben es denn auch bis in die Niederungen geschafft und ein Einheimischer wusste zu erzählen, dass sich schon mal ein junger Flamingo an die Berghänge verirrt hat – was eine dortige Wandergruppe wiederum sehr verwirrte.

Aber bevor es an den Berg geht, brauchen wir eine Abkühlung. Die Küste der Halbinsel gehört zur nördlichen Costa Verde – einem Traum aus Felsen und Dünen.

Das Meer ruft!

Im glücklicherweise klimatisierten Kleinwagen fahren wir die kleine Landstraße weiter, vorbei an Weizenfeldern und Wiesen. Immer noch im Gondelmodus, schnell geht hier gar nichts. Aber warum auch?

Ziegen auf Futtersuche

Ziegen auf Futtersuche

In Sant’Antonio di Santadi beseitigt man auf dem Platz (die Kreuzung der beiden einzigen großen Straßen im Ort) gerade in aller Ruhe die Spuren der vergangenen Feste – erst fand ein Marathon statt, und auch die beiden folgenden Wochenenden waren die etwa 60 Einwohner mit einem Kirchenfest und noch irgendeiner „Sagra“ beschäftigt. Zu feiern gibt es ja immer was auf Sardinien, auch im kleinsten Flecken. Und das hier ist nun wirklich einer.

Die Straße nach Capo della Frasca, dem Namensgeber der Halbinsel, ist für den Normalverkehr gesperrt. Denn an ihrem Ende befindet sich ein kleiner Nato-Stützpunkt. Raketenübungen und Kampfjets im Tiefflug können die Idylle schonmal mächtig stören. Auch die deutsche Luftwaffe übt hier z. B.  Seenotrettungsmanöver. Wir fahren schnell weiter.

Um endlich zum Meer zu gelangen, muss man von hier aus erstmal bergauf. Links und rechts der Straße, die sich in kleinen sanften Kurven gen Süden schlängelt, Weiden und Macchia. Seeblick? Keiner.

Wir begegnen einigen Pferden, die von der Weide ausgebüxt sind und das Grün am Wegesrand knabbern. Ja, die Wiesen werden bereits braun und der Sommer könnte heiß werden. Da muss man sehen wo man bleibt. Auch als Pferd.

Torre dei Corsari – Ruhe vor dem Sturm

Torre dei Corsari - Dünen und Traumstrand

Torre dei Corsari – Dünen und Traumstrand

Die Strandwahl ist eine Qual. Von der Straße aus nicht einsehbar, müssen wir pokern. Welchem der sieben Schilder, bis hinunter nach Funtanazza und Piscinas folgen wir?

Wir entscheiden uns für Torre dei Corsari. „Piratenturm“ heißt das – allein der Name zieht ein schwarzes Schaf natürlich magisch an.

Der Sarazenerturm steht direkt auf einer Klippe zum Meer hin und wurde im 16. Jahrhundert von den katalanischen Besatzern gegen Piratenüberfälle errichtet.

Das war notwendig, denn über „(…) 600-700 Jahre mitten in der Nacht (landeten sie) mit kleinen Booten und Krummsäbeln, “Corsari” nannte man sie, aber in Wirklichkeit waren es reguläre Truppen aus Algerien und Tunis, die kamen und auf der Suche nach Sklaven waren, Beutezüge machten, Feuer legten und vergewaltigten (…)„. Soweit die unschöne Geschichte.

Torre dei Corsari - im Juni ist noch viel Platz ...

Torre dei Corsari – im Juni ist noch viel Platz …

Die Feriensiedlung, die sich um ihn gebildet hat, ist wesentlich jünger, „echte“ Einwohner in der Nebensaison gibt es nicht. Noch ist hier die Ruhe vor dem Sturm, viele Häuser warten noch darauf, im Juli und August bewohnt zu werden.

Schön ist die Siedlung selbst nicht, aber trotzdem ist Torre dei Corsari schon eine Art Geheimtipp für Vor- und Nachsaison. Denn eins muss man dem Ort lassen: Er ist traumhaft gelegen, der Blick hinunter aufs Meer ist sagenhaft schön. Die Dünen, die sich hinter einem weitläufigen Strand erheben, sind ein richtiges Schmuckstück.

Torre dei Corsari - Dünen

Torre dei Corsari – Dünen

Hier kann man es sich jetzt, wenn die Wege noch frei und nicht überfüllt sind, richtig gut gehen lassen. Aber auch in der Hauptsaison ist es möglich, sich in die Dünen zurückzuziehen, wenn einem der Trubel am Strand und im Ort zuviel wird.

Wir würden uns vielleicht im September ein Agriturismo hier im Hinterland suchen, hier laue Sommerabende am Meer verbringen, endlich den Monte Arcuentu bewandern und alle Strände abklappern. So haben wir uns das gedacht.

Aber erstmal wird nicht geklappert. Schaffenspause. Ab ins Meer und dann ein Schläfchen unterm Sonnenschirm!

Monte Arcuentu – Stille für Fortgeschrittene

Ausgeruht und tiefenentspannt, und nachdem wir das Ichnusa aus der Strandbar verarbeitet haben, geht es weiter. Es ist schon 18 Uhr und immer noch ist es zu warm zum Wandern. Also gondeln wir um den Monte Arcuentu herum und gucken uns ihn nur von unten an.

Hügellandschaft am Monte Arcuentu

Hügellandschaft am Monte Arcuentu

Aber der Aufstieg ist durchaus verlockend. Ein Weg beginnt auf halber Strecke von Torre dei Corsari nach Montevecchio, ein Hinweisschild (das wir natürlich mit unserem schwarzen Schaf beklebt haben) führt uns auf eine Schotterstraße zum Agriturismo Arcuentu. Zwei Stunden oder 5 km sind es von hier aus zum Gipfel, 415 Höhenmeter müssen überwunden werden.

Der Weg 192 des Club Alpino Italiano beginnt bei den Minen von Montevecchio und führt in vier Stunden bis hinauf auf den Gipfel, insgesamt knapp 600 Höhenmeter werden geschafft. Einen ganzen Tag kann man also am und auf dem Berg verbringen.

Leicht zu erkennen: Gipfel des Monte Arcuentu

Leicht zu erkennen: Gipfel des Monte Arcuentu

Da der Berg nur wenig Schatten spendet, sind viel Wasser, Kopfbedeckung und eine gute Kondition Grundvoraussetzung. Die Wege sind schottrig, aber immer gut erkennbar. Und das Ziel, der rund geformte Gipfel des Monte Arcuentu ist immer im Blick.

Das also später im Jahr. Jetzt setzen wir uns einfach auf einen Felsen und schauen direkt in Richtung Westen, wo die Sonne in etwa zwei Stunden untergehen will. Noch steht sie weit oben am Himmel, diesige Schwaden umgeben sie. Doch das nimmt nichts von der Temperatur hinweg, die Luft bleibt feucht und warm.

Unsere baumelnde Seele fällt noch ein gutes Stück tiefer. Denn mal abgesehen von Flamingobesuchen, ist es auf dem Monte Arcuentu sehr ruhig. Extrem ruhig. Stille bekommt hier eine neue Bedeutung.

Wer aus dem wuseligen Berlin oder dem lauten Mailand kommt, ist hier erstmal ein bisschen überfordert. Ruhe aushalten kann schon eine anstrengende Sache sein.

Uns gefällt das… und wir wollen hier eigentlich gar nicht wieder weg!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert