Das schwarze Schaf stapft durch die Gassen von Baunei. Es ist mal wieder Mittagszeit, von 13 bis 16 Uhr ist kein Mensch auf den Straßen. Da ist auch egal, ob Dezember, April oder August – immer sind die Straßen wie ausgestorben.

Stört Schaf nicht. Der Ort wird der Nase nach erkundet. Die Straßen führen bergauf, mal links mal rechts. Irgendwann lockt ein Wegweiser „Grutta ‚e Janas“ an die Flanke des Berges.

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Die Neugier führt das Schaf einen befestigten Weg hinauf, und dann zu einer Tür, die auch in der sehr frühen Saison offen ist.

Noch eine Holztreppe an einer hohen Felswand, dann steht es vor einer kleinen Grotte und einem plateauartigen Stein.

Weiße und rosa Kristalle glitzern im Sonnenlicht. Wie ein hübscher Balkon liegt Grutta ‚e Janas und schaut auf die weite Ebene bei Arbatax und Tortolì.

Die Namensähnlichkeit zu den domus de janas (Häuser der Feen oder Seelen) ist eher zufällig, bzw. gemeint ist hier etwas anderes.

Wir haben es mit einer einzigartigen Stätte zu tun und das Schaf wundert sich ein bisschen, dass es noch nie davon gehört hat und es hier so versteckt liegt.

Der große flache Stein hat ein Muster, das wie ein kleines Kunstwerk aussieht und so auf Sardinien nicht noch einmal zu finden ist.

Der erste Gedanke: die Sonne. Ein zweiter: Tentakeln. Ein dritter: Aliens. Der vierte: Sternbilder.

Zuletzt: Flüsse, die zusammenfließen. Letzteres ist im Ansatz der Schlüssel zur Deutung.

In der Mitte des Steines befindet sich eine große Mulde, von ihr gehen 18 Kanäle oder Linien von etwa 2-3 cm Durchmesser aus, unregelmässig angeordnet und von unterschiedlicher Länge. An deren Ende wiederum kleinere, kreisförmige Mulden.

Man geht davon aus, dass hier antike Fruchtbarkeitsrituale stattfanden, dafür spricht auch die abgeschiedene und schwer erreichbare Lage.

Baunei wird erst um 1300 nach Chr. das erste Mal erwähnt, die steinzeitliche Besiedlung aber weiter unten in der fruchtbaren Ebene, gab es schon viel früher.

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Man pflegte mysteriöse Kulte, und denen ging man lieber hier oben auf 580 Meter über dem Meer nach. Das setzte zwar eine anstrengende Wanderung voraus, aber dafür war man unter sich.

Vielleicht auch gut so. Die Neigung im Stein begünstigt das Abfließen von geringeren Mengen Flüssigkeiten, wie zum Beispiel Milch, Öl oder Blut – so ist durchaus denkbar, dass es hier mindestens rituelle Tieropfer gab. Oder sogar … na, besser keine Spekulationen.

Auf Sardinien selbst sind diese Gravuren im Stein nicht weiter verbreitet. Allerdings bildet Grutta ‚e Janas eine Verbindung zum europäischen Kontinent.

Ganz ähnlich charakteristisch bearbeitete Steine kennt man im Piemont und vor allem in Ligurien, zum Beispiel in Beigua. „Pietra scritta“ nennt man sie dort, beschriebene Steine.

Mutmaßung natürlich, man war ja nicht dabei. Aber bekannt ist, dass der Kontinent durchaus seit langen Zeiten Interesse an Sardinien hatte. Sardinien „exportierte“ schon weit vor dem europäischen Binnenhandel Ossidiana vom Monte Arci bis nach Südfrankreich.

Möglich, dass dabei auch kulturelle und rituelle Gewohnheiten mitgenommen und mitgebracht wurden.

So. Und wer das jetzt schon schön fand – der kann sich in den nächsten Jahren auf mehr freuen.

Denn in der Grotte oberhalb fanden zwei Geologen eine kleine Sensation: ewig viele Gravuren von Tieren, auch von exotischen oder ausgestorbenen Arten, Menschen, Sternbildern, dazu eine Reihe von detaillierten Höhlenmalereien.

Kurz nach der Entdeckung wurde die Höhle verschlossen, um sie zu schützen und zu entscheiden, wer und in welchem Umfang die Forschung aufnehmen soll (mehr Infos in italienischer Sprache findest du auf sardegnainblog.it oder dem Blog monteprama.it).

Bis auch dieser Teil sichtbar ist, freuen wir uns an einer der originellsten Balkone im Supramonte!

Tipp: Hierher gelangst du auch „von oben“, über einen Fuß-Wanderweg von Santa Maria Navarrese.

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