Pallaneve (übersetzt: Schneeball, so heißt er wegen seiner weißen Schnauze) ist ein wenig gelangweilt. Ja, er kann Kunststücke. Toter Esel zum Beispiel macht er am liebsten – rumliegen und nichts tun ist seine Spezialität. Und eine Holztrommel mit der Nase vor sich herrollen und hinterher die Vorderfüße draufstellen.

Hat aber grad gar keine Lust mehr auf diesen Schnickschnack. Immerhin ist er schon ein paar Mal mit einem Affenzahn um den Dorfplatz gerannt. Und muss gleich nochmal ran, im Finale der schnellsten drei. Da kann man die Ohren schonmal anlegen und unentspannt gucken.

Und überhaupt. Was sie sich da wieder ausgedacht haben. Ein Eselrennen. Dabei weiß doch jeder, dass Esel überhaupt nicht gern rennen. Vor allem dann nicht, wenn sie sollen. Höchstens, wenn sie wollen, unten an den Hängen der Berge von San Pantaleo, auf der grünen Wiese.

Pallaneve schüttelt die langen Ohren und will heute nicht. Deswegen gewinnt er natürlich auch nicht. Hätt er seinem Reiter gleich sagen können. Statt dessen geht der Preis des ersten Eselrennens nach Golfo Aranci. Der Ausrichter San Pantaleo mit dem Esel „Cannavaro“ geht leer aus, ebenso Arzachena, Palau, Telti, Calangianus, Olbia (die aber das Rennen 2010 gewinnen sollen) und Luogosanto.

Aber, das Finale! Leidenschaftlich treiben die Reiter ihre Esel an und tatsächlich entwickeln die Tiere ein ganz erstaunliches Tempo!

Der Bürgermeister von San Pantaleo nennt seine Erfindung „Palio degli Asinelli“ die „Miniaturausgabe des Palio di Siena“. Der Vergleich ist sowohl maßlos untertrieben als auch – zum Glück – falsch. Denn das Eselrennen von San Pantaleo ist ein sehr charmantes Dorffest und kein überteuertes Massenevent. Hier reiten keine professionelle Jockeys auf überhitzten Rennpferden, sondern Vertreter der umliegenden Dörfer auf störrischen Eseln. Und eine Verfolgungsjagd mit James Bond hat man hier auch noch nicht gesehen. Die einzigen, die sich hier verfolgen, sind die Esel und ihre Reiter.

Der Ort, San Pantaleo, umgeben von zackigen Granitfelsen der Gallura im Hintergrund, ist eine perfekte Kulisse. Zunächst befand sich das Dorf lange Zeit im Dornröschenschlaf – bis in den sechziger Jahren eine Gruppe von italienischen und ausländischen Künstlern den Ort für sich entdeckte. Zweifellos von seiner Schönheit, seiner einsamen Lage und der surrealen, inspirierenden Umgebung angezogen, ließen sie sich hier dauerhaft nieder und prägten eine Kunstszene, die sich bis heute erhalten hat. Von unten, von der Smaragdküste drang die Atmosphäre der Bohème herauf. Für viele eine ideale Mischung aus der einfachen Ursprünglichkeit des Hinterlands, den Vergnügungen an einer der schönsten Küsten des Mittelmeers und dem Duft der weiten Welt.

In der Gegenwart dominiert wieder der graue eckige Charme der Kirche des heiligen San Pantaleo und die Lebensart der Dorfbevölkerung (unter ihnen immer noch viele Künstler) das Dorf. Und mindestens einmal im Jahr, im August, sind die Esel die Stars, ohne Frage.

Das hat sich im zweiten Jahr schon weiter in der Welt herumgesprochen: Von der Tribüne schauen eine chinesische und eine russische Reisegruppe zu – bevor sie mit wachsender Begeisterung die Reiter anfeuern, bewundern sie den bunten Umzug, der dem Palio vorausgeht.

Folkloregruppen in traditionellen oder mittelalterlichen sardischen Kostümen sowie Künstler sorgen für ein kulturelles Spektakel und geben einen authentischen Einblick in die unterschiedlichen Traditionen der Insulaner. So sind die mittlerweile auch über die Inselgrenzen bekannten Tenores di Bitti dabei, oder die „Sbandieratori sassaresi“, die Fahnenwerfer aus Sassari.

Und auch nach dem Rennen feiert das Dorf weiter: Erst turnen die Reiter auf ihren seelenruhig dastehenden Eseln herum, die jetzt fast schon im Stehen schlafen. Man nimmt einen Filu‘ Ferru oder Mirto auf den großen Spaß. Die Sandpiste ist mittlerweile in der Hand des Volkes, auf dem großen Platz in der Mitte wird der „Ballo Sardo“, der sardische Tanz, vollführt. Diese Tradition darf nicht fehlen und auch die Sbandieratori geben nochmal alles.

Später am Abend, wenn die Esel schon längst wieder auf ihren Wiesen sind und an ihrem wohlverdienten extra Heuballen knabbern, verwandelt sich San Pantaleo zu einem großen Grillplatz, Rauchschwaden ziehen durch das Dorf, der Rotwein fließt in Strömen.

Eselrennen finden in vielen Orten auf ganz Sardinien statt. Mehr zu aktuellen Events findest du auf der Webseite www.paliodegliasinelli.it.

(Anmerkung der Redaktion für alle, die auch gern auf dem italienischen Festland unterwegs sind: Im Piemont beginnt die internationale Trüffelmesse „la fiera del tartufo bianco“ immer am ersten Sonntag im Oktober mit dem traditionellen Eselrennen (hier: „paglio degli asini“) im historischen Zentrum. Dieses Rennen gibt es seit Ende des 13. Jahrhunderts.)

 

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