Die Hochebene „Sa Serra“ liegt in dichtem Nebel, wie stiller Regen liegt eine verwunschene Stimmung über dem Land. Gut 20 km hinter Nuoro schlängelt sich der Weg zum Agriturismo Testone, vorbei an märchenhaften Korkeichenwäldern und über Feldwege.

Und der Mensch staunt. Eine Ahnung, wie schön es hier ist, wenn die Sonne scheint, habe ich. Doch der Märchenwald macht genauso glücklich, und ich bin froh an dieser einmaligen Stimmung teilhaben zu dürfen.

In den Bergen rund um Nuoro gehören Wetter und Regen durchaus zum Leben dazu.

Der Agriturismo, den ich für mich und Freunde für ein entspanntes Wochenende gebucht habe, liegt weit abseits der Hauptstraßen, eingebettet in 350 Hektar schönster Landschaft mit moosbewachsenen Felsen, Büschen und Bäumen, die zum Anwesen gehören.

Etwa 20 Hektar davon werden für den Gemüse- und Obstanbau genutzt, die anderen Flächen stehen Kühen, Ziegen, Schafen, wilden Schweinen, Pferden und Bienen zur Verfügung.

Agriturismo Testone
Agriturismo Testone

Ein schöner Hof, aufgebaut auf den Traditionen der Barbagia, erwartet seine Gäste. Die Zimmer sind klimatisiert, einige haben sogar einen Fernseher, alle ein eigenes Bad.

Sebastiano hat das Zimmer vorgewärmt und innerhalb der heimeligen Steinmauern fühle ich mich gleich wohl. Ein großes Bett, ein Schrank, ein Nachttisch, zwei Fenster, eine Klimaanlage, ein Bad mit Dusche, alles geschmackvoll und schlicht.

Das Haupthaus ist wunderbar rustikal. Um einen großen Granitfelsen gebaut, Tische mit vielen Stühlen, ein Kamin, in dem ein Feuer brennt, zwei weitere Gäste. strahlt die sprichwörtliche sardische Gastfreundschaft in jeder Ecke aus.

Der gemütliche Gastraum
Der gemütliche Gastraum

Aus der Küche dringen wundervolle Gerüche herüber und versprechen ein gutes Abendessen. Sebastiano eilt heran mit einer Karaffe Wein und kleinen Gläsern, in die er den hauseigenen Cannonau einschenkt. Eine schöne Tradition, finden wir und fühlen uns sehr willkommen.

Gehört dazu: Wein aus hemdsärmeligen Gläsern
Gehört dazu: Wein aus hemdsärmeligen Gläsern

Sebastiano Secchi war einer der ersten, die auf der Insel den Urlaub in landestypischer Umgebung, auf einem Agriturismo, anboten. Der Hof gehörte seinem Großvater, dann seinem Onkel. Nun ist er selbst der Gastgeber und versteht es, aus dem Hof etwas Besonderes zu machen.

Liebevoll ausgestaltet ist jeder Raum – von dem Restaurant über die Käserei bis zum Museum mit alten landwirtschaftlichen Utensilien. Alles hier spricht von einer jahrhundertealten Tradition, von der Liebe zum Land. Erklärt aber auch gleich, dass das hier kein Ponyhof, sondern harte Arbeit seit jeher war und heute noch ist.

Interessierten Besuchern zeigt das Testone, wie auf dem Hof gearbeitet wird: Sie sehen, wie aus der Milch der Tiere Käse hergestellt wird, probieren Schinken und Salami, lernen wie Süßes zubereitet und der Honig gewonnen wird.

Mit allen Ressourcen geht der Hof respektvoll um. Ein gesundes Verhältnis zum Leben und Sterben liegt all dem zugrunde. Natürlich muss auch der Mensch überleben und auskömmlich wirtschaften – aber dies ist kein Vergleich mit Massentierhaltung und -produktion auf dem Festland.

Heißt auch: Wir müssen alles nutzen (sprich: aufessen), was wir der Natur genommen haben. Verschwendung gibt es nicht. Haben wir schnell verstanden und gelernt, dass wir tagsüber gar nicht viel zu uns nehmen müssen.

Sebastiano kocht und macht und sitzt beim Abendessen mit am Tisch. Wir sind begeistert und er ist offensichtlich froh, mit uns Italienisch sprechen und ein wenig mehr über die Gegend und die Geschichte des Hofes erzählen zu können.

Üblicherweise spricht er mit seinen Gästen – zum Beispiel mit dem Paar aus den Niederlanden, das auch an unserem Tisch sitzt – mit Händen und Füßen. Und natürlich geht das. Alles geht, wenn man will und wenn man etwas zu sagen hat. Scheu ist ist hier nicht angebracht, weder auf seiner Seite noch auf der der Gäste.

Wissend, dass viele Touristen herkommen, ohne ein Wort Italienisch zu sprechen, bietet er mit einem Lehrer aus Nuoro Italienisch-Sprachkurse an. „Imparare la lingua italiana in immersione“ bedeutet, die Sprache zu lernen, indem man in die Kultur und das Land eintaucht. Ein schönes Konzept, das kein Weg zum perfekten Business-Wortschatz sein will, sondern den Lernwilligen auf behutsame Weise mit der Fremdsprache vertraut machen und ihm die Liebe zum Land und zu lokalen Besonderheiten vermitteln möchte. Wetten, da lernt man viel? Die Kurse dauern bis zu zwei Wochen – und da sind wir schon bei einem wichtigen Punkt, dessen man sich als Gast bewusst sein muss:

Zwei Wochen im Agriturismo Testone bedeutet auch täglich erstklassige Verpflegung. Und ist nichts für Leute die abnehmen wollen oder Vegetarier – es sei denn man verzichtet auf die Halbpension mit Abendessen. Morgens Kaffee, Brot, Marmelade, Ricotta. Alles hausgemacht, versteht sich. Mittags gibt es nichts, es sei denn, es ist eine Führung für eine Busladung Touristen von der Costa. Dann kann sein, dass auch ein paar Ravioli für die Gäste hingestellt werden.

Aber meistens ist man sowieso unterwegs und guckt sich das Land an. Abends aber erwartet die Gäste stets ein reichhaltiges Menü – von der hauseigenen Schinken- und Wurstplatte über hausgemachte Pasta und ein Hauptgericht, das uns jedes Mal von den Socken haut. Sogar das kalte Maialino, das er uns eines Abends serviert ist wunderbar. Erinnert an die Kindheit, als man am nächsten Tag die Reste vom Vortag gegessen hat und glücklich war. Nur viel besser. Der Hit: Bohnen in Ricotta und Minze. Wir können gar nicht genug bekommen und landen nach viel viel Rotwein und einer Runde Honigschnaps vollgemoppelt in unserem Zimmer.

Das Allerschönste: So gut wie gar kein Handyempfang. Naja, doch, wenn man hinter das Haupthaus geht, weht ein halbwegs stabiles Tim-Netz herüber. Aber wie schön ist das bitte, wenn man nur einmal täglich – wenn überhaupt – mit der Außenwelt in Kontakt kommt? Bei unseren Ausflügen nach Nuoro gibt es genug Zivilisation. Hey, so war das früher mal, als ich noch kein Telefon ständig bei mir hatte. Gutes Gefühl.

Schafe unterwegs
Schafe unterwegs

Statt im Internet zu surfen, satteln wir also die mitgebrachten Fahrräder und fahren in der Gegend herum, irgendwo Richtung Benetutti. Sonne und Regen wechseln sich heute ab, das Wetter kann oder will sich nicht entscheiden. Schafherden (inklusive äußerst aufmerksamer Schäferhunde!), Kühe am Straßenrand … und die Ahnung wird zur Gewissheit, dass eine Hochebene in 700 Meter über dem Meeresspiegel durchaus bissige Hügel haben kann. Ein großartiges Gebiet zum lockeren Mountainbiken – es juckt, die Straßen zu verlassen, aber der nächste Regenguss sagt sich an. Wir haben noch 15 km bis zum Agriturismo, geben Stoff – und kommen trocken zuhause an.

Ja, es ist nach kurzer Zeit ein kleines Zuhause geworden, in dem man sich richtig wohl fühlen kann. Aber auch diejenigen, die es weiter zieht, finden hier einen schönen Startpunkt. Vom Agriturismo Testone aus erreicht der Reisende viele schöne Ziele. Die SS 131, die Carlo Felice, ist nur 20 km entfernt und wenn man Sebastiano sagt, dass man mal einen Abend vom Essen wegbleibt, lohnt ein Ausflug nach Cagliari oder Oristano. Über die Landstraßen erreicht man in Ruhe Bitti, Macomer, Nuoro, Mamoiada, Orgosolo, Orosei, Cala Gonone … ein erstklassiger Startpunkt, um Sardinien zu erkunden.

Das Agriturismo Testone ist ganzjährig geöffnet – wobei sich die Hausherren durchaus mal eine Auszeit gönnen, wenn sich gar niemand in die Gegend verirrt. Anrufen lohnt. Und dort Urlaub machen noch mehr.

Homepage in deutscher Sprache: Agriturismo Testone

1 Comment

  1. Klaus

    19. Februar 2011 at 19:55

    Ich kann mich dem oben gesagten nur anschließen – wir werden dieses Jahr auch wieder ein paar Tage zu Sebastiano fahren. Von allen (ca. 15) Agriturismos, die wir kennen der schöste, echteste und das beste Essen.

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