Einhundertfünfzig Seemeilen über das offene Meer. In den dreißiger Jahren überwanden Fischer von der Isola Ponza im Golfo di Gaeta norwestlich von Neapel jeden Frühling diese Distanz, um vor Sardinien Hummer zu fangen. Im Herbst kehrten sie wieder zurück nach Hause.
Klingt ein bisschen umständlich. Und war gar nicht ohne, denn einmal vor der sardischen Küste angekommen, fuhren sie weiter, durch die berüchtigte Starkwind-Meeresenge Bocche di Bonifacio zwischen Sardinien und Korsika. Die besten Fanggründe fand man vor allem in den felsigen Buchten im Norden.
Von kleinen Ruderbooten aus fing man die delikaten Krustentiere und hielt sie lebend mit Netzen im Wasser. Bis das Segelboot kam, mit dem sie über das Meer gefahren waren. Es fuhr quasi die ganze Zeit über an der Küste hin und her, sammelte den Fang ein, brachte ihn nach Castelsardo oder Alghero, und sogar bis zu den lukrativen Märkten nach Barcelona oder Marseille – und verkaufte ihn dort.
Die beste Ausbeute gab es vor Vignola Mare, heute bekannt als “Punta de li Francesi”; die Hummer waren hier an mehreren Stellen zu finden.
Man teilte sich die Küste auf: Während andere Ponzanesi bis weit die wilde Westküste hinunter fuhren, und Hummer suchten, blieb eine Gruppe aus der Familie Sacco in der Gallura im Norden und konzentrierte sich auf den Küstenabschnitt zwischen Isola Rossa und Capo Testa.
Manch einer mag das romantisch finden und einwerfen, dass es im Sommer vor Sardinien doch wunderschön sei: türkisblaues klares Wasser, sonnige Tage, warme Nächte …
Der größte Unterschied ist wohl, dass man nicht auf super ausgestatteten Charterbooten für ein bis zwei Wochen im August selig rum schipperte und Urlaub machte.
Nein, Die Fischer von der Isola di Ponza waren zum Arbeiten gekommen, und Hummerfischen ist keine leichte Tätigkeit. Das Boot war voll von Reusen, Netzen und anderem Fanggerät, sowie ein paar Habseligkeiten, die sie auf die lange Reise mitgenommen hatten. Sie lebten von März bis Oktober Tag und Nacht auf ihren kleinen Booten.
Die Küste im Norden bietet Booten keinen wirklichen Schutz, und bei dem vorherrschenden Maestrale (dem berüchtigten stürmischen Nordwestwind) waren gerade die Ankerbuchten alles andere als seelenruhig. Sogar die Bäume ducken sich hier weg. Der Regen fiel oft tagelang. Heftige Sommergewitter und -stürme taten ihr Übriges.
Die wenigen Einwohner in diesem Landstrich wurden irgendwann der Gruppe Boote gewahr, die immer wieder vor der Küste auftauchten und dort fischten.
Sie betrachteten sie nicht als Konkurrenten, denn sie selbst waren traditionell Hirten und Bauern und hatten höchstens hier und da mal einen Fisch geangelt. Nichts lag ihnen ferner als der kommerzielle Hummerfang.
Die Hirten zogen der unwirtlichen galluresischen Küste das Leben und Arbeiten im beschaulicheren Landesinneren vor – der Ort Aglientu liegt auf 420 Metern über dem Meer, gut 15 km Serpentinenstraße davon entfernt, in hügeliger grüner Landschaft, mit Korkeichenwäldern, in denen Kühe und Schafe weideten.
Unter ihnen war Antonio Peru, dem das Land direkt am Meer gehörte. Zusammen mit seiner Frau Rosa Mannoni beschloss er, die fremden Fischer an Land willkommen zu heißen und erlaubte ihnen ein Haus zu bauen.
Doch nicht nur das: die gesamte lokale Bevölkerung half mit. In Gemeinschaftsarbeit entstand im Jahr 1938 ein kleines Haus aus dem unverwüstlichen Granit der Region, das den Fischern ausreichend Schutz vor Wind und Wetter bot.
Die Fischer selbst beschlossen, dieses Haus zur Kirche zu machen und dem “Santo dei ponzesi”, dem Heiligen der Leute aus Ponza zu weihen.
Der wiederum war San Silverio (der römische Papst Silverius, der von seinem Nachfolger nach dessen feindlicher Übernahme des Heiligen Stuhls auf eben die Insel Ponza verbannt wurde und dort im Dezember des Jahres 537 verstarb).
Die Fischer verließen Sardinien irgendwann und die Kirche blieb, als Dank für die Gastfreundschaft der Galluresen.
Auch dei Verbindung zwischen den Menschen der beiden Inseln hat die Zeiten überdauert. Ponza und Aglientu, die Stadt oberhalb in den Bergen von Vignola, sind bis heute „verschwistert“.
Und bis heute ist die Chiesetta San Silverio, die kleine Kirche, stets offen als Refugium für alle, die Schutz vor Unwetter suchen.
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