Eigentlich bin ich hier ja zum Segeln. Das kann man von Poltu Quatu aus ganz wunderbar. Der Hafen liegt am Ausgang der Bocche di Bonifacio, einem der windreichsten Gebiete Sardiniens. Von hier aus erreicht man die Insel Caprera mit ihren Traumbuchten in Nullkommanix, die Costa Smeralda liegt um die Ecke.
Nun war ausnahmsweise absolute Windstille. Ein Hafentag. Für diejenigen, die vom Meer kommen, ist es nicht immer einfach, Aktivitäten in und um den Hafen ausfindig zu machen. Gerade nicht im Herbst. Poltu Quatu abseits der Saison ist … na sagen wir, wirklich privat (einen kleinen Eindruck gewährt dieses Fotoalbum auf facebook).
Ich schau also, was da ist. Die Felsen, die den Hafen fjordartig einrahmen, sind einfach nur beeindruckend, und „typisch Gallura“. Wind- und wetterzerklüftet, Granit in hellem beige-orange, tolle Formen, nicht zu steil, viele separat stehende, große Felsen. Es scheint ein einziges Boulder-Paradies, vielleicht sogar ein ganz und gar unbekannter Boulder-Parcours?
„Bouldern“ – vom englischen Wort für „Felsblock“ – nennt sich das Klettern, auf Felsen und großen Steinen, ohne Kletterseil und aus Absprunghöhe – sprich: in den nächsten paar Metern ist irgendwo wieder Halt und – im Falle eines Falles – geht es nicht ganz ins Bodenlose.
Die Felsen, die nennt man „Boulder-Probleme“ – das Wort, das ich in diesem Sport am meisten hasse. Für mich sind sie eine Möglichkeit, dem schönen Land Sardinien ganz nah zu kommen. Wer hat hier bitte Probleme? Ich hier und heute nicht.
Wir liegen im westlichen Teil des Hafens („porto ovest“), bei Mole O und N gibt es zwei, drei Möglichkeiten, vom Steg in den Fels zu gelangen. Bei Mole O ist mehr Vegetation und Macchia, es sieht eher nach Wanderpfaden aus – wobei Pfad mit Sicherheit zuviel gesagt ist. Es geht auf jeden Fall querfelsein. Den östlichen Teil sehe ich mir morgen an.
An Mole N ragt bei Liegeplatz 19 ein sehr prägnanter, ausgehöhlter Fels relativ nah an den Steg. Hier gehe ich hinüber, und muss trotzdem aufpassen, nicht ins Wasser zu fallen.
Direkt dahinter ist es etwas „wüst“. Ich gehe durch ein wenig Vegetation, und der Hafen hat zusätzlich einige Stolperfallen in Form von Kabeln zu Leuchtstrahlern und Antennen eingebaut.
Dahinter wird es flach und weit – ein großer Fels mit einer schönen flachen Steigung. Der Aufstieg ist hier leicht, hinab könnte es rutschig werden. Überhaupt bin ich froh, dass heute ein trockener Tag ist. Denn Granit sieht zwar recht grob aus, kann aber sehr glatt sein. So auch hier: keine Griffe, kaum Möglichkeiten, den Fuß zu setzen oder zu verkeilen. Manche Haltegriffe sind einfach keine, weil der Fels von Wind und Salzluft so erodiert ist, dass kleine Vorsprünge sofort brechen. Man versteht hier gut, wie über die Jahrtausende Felsen ihre wilde Formen bekommen haben.
Ich klettere und klettere, und muss immer wieder nach unten schauen, denn der Rückweg – wenn er über die gleiche Route führt – wird nicht einfach.
Oben – also etwa auf halber Höhe des Hügels – mache ich eine kleine Pause und gucke zum Frühstück auf den wunderschönen Hafen und unser Schiff. Es ist immer noch windstill, also habe ich Zeit. Vielleicht briest es am Nachmittag ja noch auf. Ich entdecke in der Nähe eine kleine Höhle, die Schatten spendet, denn die Sonne lässt sich blicken und hat noch enorm viel Kraft.
Letztlich wähle ich doch einen anderen Weg hinunter, etwas weiter in Richtung Hafen – hier gibt es mehr Möglichkeiten, sich zu halten. Allerdings auch mehr Vegetation, die sehr kratzig und dornig ist.
Als ich wieder in Wassernähe bin, reihen sich einige sehr griffige Felsen aneinander. Eine schöne Übungsstrecke für Hände und Füße.
Und dann, nach einer Stunde Klettern bin ich wieder am Ausgangspunkt und gehe zurück aufs Schiff.
Vom Schiff in den Fels, vom Fels aufs Schiff. Ja, Sardinien gefällt mir!
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