[Cerchiamo qualcosa di raro – il cervo sardo!] Ich erinnere mich an meine Kindheit. Der Rothirsch gehörte für mich fast zum Alltagsbild. Regelmäßig spazierte unsere Familie in den Wäldern und Wildgehegen Schleswig-Holsteins, um die edlen Tiere zu sehen. Das Duftgemisch von feuchtem Waldboden, Wildschwein und Hirsch ist eines der eindrücklichsten, an das sich meine Nase erinnert.
Auf Sardinien lebt auch eine Rotwild-Art, der cervo sardo, der sardisch-korsische Hirsch. Nur ist es hier deutlich schwieriger, den Tieren so nahe zu kommen. Sie leben frei in schwer zugänglichen Rückzugsgebieten. Außerdem waren sie vom Aussterben bedroht und gelten heute immer noch als gefährdet (siehe unten). Wir haben es also mit einer echten, wertvollen Rarität zu tun.
Parco 7 Fradis – Schild an der SS 125
Um einen der seltenen sardischen Hirschen zu sehen, ist Anstrengung und Geduld erforderlich: Mehrere Stunden Fahrt und Wanderung, bis man in ihrem „Wohnzimmer“ angekommen ist. Die Tiere sind aber nicht immer da, wo man sie gern hätte oder wo man grad wandert. Auf den Menschen zugehen – ma, perchè?! Schlau.
Wer einen sieht, hat also echtes Glück. Das pecora nera war heute ein richtiges Glücksschaf und kann es immer noch kaum fassen.
Die Fahrt in das Schutzgebiet „Parco Naturale di Settefratelli-Monte Genis“ ist von Cagliari nur ein Katzensprung auf der SS 125. Von unserem Redaktionssitz in Palau sind es gut 340 km und mindestens vier Stunden Fahrt, einmal quer durch die Insel. Egal, wir wollen da hin.
Der Park geht auf der SS 125 von Cagliari kommend nach dem Pass „S’Arcu e Tundu“ rechts ab. Nicht wundern: auf dem Schild steht „Parco 7 Fradis“ – das ist sardisch aus dem Campidanese (fradi = fratello = Bruder > sette fratelli = sieben Brüder). Hier sind wir richtig.
Schmetterling kennt den Weg
Als wir ankommen, wird vorn an der Caserma des Parks das Museum gerade abgeschlossen. Der Förster, der da in seinem 4×4 davonbraust, sieht irgendwie sauer aus, alle anderen unterhalten sich lautstark. Als wir nach einer Karte für den Park fragen, werden wir mit einem A3-Kopie einer Wegekarte versorgt und schnell wieder rauskomplimentiert. Davon lassen wir uns nicht abhalten – wir wollen ja schließlich keine Förster sehen, sondern Hirsche.
Die Karte hilft weiter – an zwei Punkten sind Hirsche eingezeichnet, die Plätze versuchen wir zu finden. Erstmal mit dem Auto mehrere Kilometer rein in den Park. Die Karte ist mehr oder weniger detailliert und brauchbar – ein bisschen Orientierungssinn ist notwendig. Nicht alle Wege sind gekennzeichnete Wanderwege. An einer gut merkbaren Stelle lassen wir das Auto stehen und wandern los.
Spurensuche
Der ausgesuchte Weg beginnt relativ ausladend. Wir betätigen uns als Spurensucher. Neben Autoreifen-, Schuhsohlen- und Mountainbikespuren sehen wir auch Tierfüße, die verdächtig nach Reh aussehen. Hier scheinen wir richtig. Weiter. Aufwärts natürlich, ist ja ein Berg. Aber noch nicht der unsrige: Die sieben Brüder sehen wir direkt vor uns und zählen durch – noch alle da. Oder sind es nicht acht? Aber: Das riecht nach noch mindestens einer Stunde wandern.
Im Wald
Wir entschließen uns irgendwann, ins Gehölz abzubiegen. Der Pfad ist gekennzeichnet, wir scheinen einen der sieben Trekkingpfade gefunden zu haben. Schon nach wenigen hundert Metern glauben wir, mitten im Urwald zu stehen. Alles ist so friedlich, so ruhig, so fern der sonstigen Welt. Lianen aus Efeu und wilder Bewuchs überall. Unser Pfad führt bergab in ein Tal und dann wieder hinauf auf den nächsten Berg (den Monte Sette Fratelli) und dann an seinem Hang entlang.
„Unsere“ Hirsche
Das Wegstück wird wieder etwas breiter. Wir sehen den Wagen eines Försters. Ein freundlicher Gruß, ein bisschen Geplauder und dann fragen wir ihn, ob wir hier richtig sind, um eventuell ein paar Hirsche zu sehen. Er grinst und meint, heute sei unser Glückstag. Wir mögen einfach dort den kleinen Pfad hinaufgehen und uns irgendwo hinsetzen. Möööööglicherweise wäre das hier eine Art Futterplatz, und möööööglicherweise kämen zuuuuufällig ein paar faule Jungtiere aus den höheren Lagen herunter, um sich leicht verdientes Futter abzuholen. Da gebe es eine besonders verfressene Hirschkuh mit Kalb und ein paar Halbstarke, die sehr neugierig seien. Mööööööglich, dass er sie vorhin schon in der Nähe gesehen hat…
Nichts leichter als das – warten können wir! Kurze Zeit später hören wir seinen sehr lauten Ruf durch den Wald, der an den Hängen eindrucksvoll widerhallt. Der Ton ist dunkel und tief, kraftvoll aus dem Bauch heraus. Wohl der Ruf zum Essenfassen. Der Förster wirft frisches Laub auf den Boden.
Husch! Da ist einer!
Wir warten weiter. Minuten verstreichen. Und dann sind wir baff. Insgesamt fünf Tiere lassen sich blicken: Besagte Hirschkuh mit Kalb, die bleibt aber in sicherer Entfernung im Schutz der Bäume stehen. Zwei junge Hirsche wagen sich näher heran und futtern seelenruhig das hingeworfene Laub. Ein etwas größerer Hirsch röhrt, um sein Revier zu markieren und verzieht sich wieder hinters Dickicht.
Haste Futter oder was willste sonst hier?!
Das Herz macht einen Riesensprung: Was für ein unverschämtes Glück wir doch haben! Und wie klein die sind! Viel kleiner, als wir gedacht haben. Schätzungsweise 70-80 cm Rückenhöhe, mehr nicht.
Einer der Böcke kommt neugierig näher, dann auch der zweite. Das Kameraklicken scheint sie wenig zu stören, im Gegenteil, sie gucken herausfordernd bis neugierig. Jetzt heißt es: Ruhig sitzen bleiben. Die beiden kommen immer näher – vermutlich sagt ihnen die Anwesenheit des Försters, dass keine Gefahr droht. Irgendwann wird es ihnen aber doch zu bunt und sie ziehen wieder ab.
Unendlich dankbar, sie endlich gesehen zu haben, stiefeln wir mit ein paar Aufnahmen weiter. Vorher danken wir dem Förster für diesen wunderbaren Zufall und versprechen ihm hoch und heilig, den genauen Ort und die Zeit nicht zu verraten. Das hier soll kein Aussichtspunkt mit Hirschgarantie werden, sondern ein Ort bleiben, an dem die Tiere ruhig fressen können.
Wir erfahren noch, dass diese Fünf zu einer Population von etwa dreißig Tieren gehören, die sich in einem kaum sichtbaren Freigehege bewegen und relativ zutraulich geworden sind. Das gefällt uns – sonst hätten wir vermutlich nie im Leben einen sardischen Hirschen gesehen.
Denn – und jetzt kommen wir zum Abschnitt „Weiterbildung“ – der sardische Hirsch ist gar nicht umgänglich, sondern bedroht, scheu und selten. Und – ein Verwandter des Schafs, das macht ihn sympathisch!
Die Familie der Stirnwaffenträger
Ein etwa vierjähriger Cervo sardo
Als Mitglieder der „Familie der Stirnwaffenträger“ sind Schafe und Hirsche tatsächlich ein bisschen verwandt. Bovidae (Schafe) und Cervidae (Hirsche) gehören beide dazu und wenn man sich die Gesichter ganz genau ansieht – besonders das des Wildschafes – sind die Ähnlichkeiten unverkennbar.
Der sardisch-korsische Hirsch (auch: Tyrrhenischer Rothirsch, cervus elaphus corsicanus, sardische Namen: cherbu, cérbu, chelvu, chervu), ist eine besonders kleine Art des europäischen Rothirsches. Also die Art, die auch in deutschen Wäldern lebt. Die dortigen sind bloß wesentlich größer.
Wie der Hirsch auf die Inseln kam, ist nur halbwegs bekannt. Sicher scheint, dass er bereits in der Bronzezeit eingeführt wurde. Die einen sagen, er stamme aus Norden, direkt vom europäischen Festland. Genetisch unterscheidet sich die Unterart allerdings kaum vom nordafrikanischen Berberhirschen (auch ein Rothirsch), der hautpsächlich im Atlasgebirge (Algerien, Tunesien, Marokko) verbreitet ist. Auch diese Tiere könnten importiert worden sein. Dafür spricht, dass sie hauptsächlich im Süden der Insel anzufinden sind.
Unter strengem Schutz
Die IUCN (International Union for Conservation of Nature, www.iucn.org) stuft die Unterart als stark gefährdet ein. Zwar ist die Jagd auf den sardischen Hirschen bereits seit 1939 gesetzlich verboten, das half jedoch wenig gegen Wilderei und noch weniger gegen die massiven Waldrodungen und Buschbrände. Der natürliche Habitat der Tiere wurde immer weiter verkleinert. In den sechziger Jahren schätzte man 60 bis 100 Tiere in den einzigen Lebensräumen „Capoterra“ und „Sette Fratelli“.
Jagen verboten
Während er auf Korsika durch weitere Habitatzerstörung und unkontrollierte Jagd zwischenzeitlich ausgestorben war und aus Sardinien wiedereingeführt werden musste, ging es dank der weitläufigeren Berge mit dem sardischen Bestand stetig bergauf: 1976 waren es rund 200 Tiere, 1988 schon 700-800.
Ab 2005 bis 2009 fanden in den Schutzgebieten so etwas wie „Volkszählungen“ unter den Hirschen statt. Man darf annehmen, dass die scheuen Tiere nicht freiwillig hingegangen sind. Daher griff die „Ente Foreste della Sardegna“ zu einer merkwürdig anmutenden Methode – aber jeder erfahrene Förster schwört drauf: Im September (Brunftzeit der Hirsche) wurden zwischen 21 Uhr und Mitternacht die Förster an unterschiedlichen Stellen im Schutzgebiet postiert, die auf das Röhren der männlichen Hirsche hören und diese unterscheiden sollten. In vorangegangenen Studien der Bestände hat man zudem herausgefunden, das in der Nähe eines röhrenden Hirsches etwa fünf bis sechs weitere Tiere (Weibchen und Jungtiere) präsent sind – was wir aus eigener Erfahrung (siehe oben) bestätigen können. Die Maßnahme wurde dann an weiteren acht Tagen wiederholt, um die Genauigkeit der Schätzung sicherzustellen.
Schöner sardischer Hirsch
Basierend auf diesen generellen Studien, den unterjährigen Beobachtungen in den einzelnen Schutzgebieten, den nächtlichen „Hörzählungen“ und Hochrechnungen gelten die folgenden Bestände als relativ sicher:
Am Monte Settefratelli gibt es 299 Hirsche (gesamter Bestand ca. 1500 Tiere), im Sulcis/Monte Arcosu 356 Hirsche (Gesamtbestand ca. 1780), Arbus/Montevecchio 121 Hirsche (gesamt ca. 600), in weiteren Gebieten ca. 500 Tiere und in den eingezäunten Freigehegen noch einmal 500. Das macht einen Gesamtbestand von knapp 5.000 sardischen Hirschen. Eine schöne Zahl, finden wir. Die „Bevölkerungsdichte“ liegt bei 20 Tieren pro Quadratkilometer Schutzgebiet. (Quelle: Censimento 2009 del Cervo Sardo, Ente Foreste della Sardegna, www.sardegnaambiente.it)
Die Retter: WWF Italia und die sardischen Förster
Einen Löwenanteil an dem Wachstum und der Sicherung der Population des sardischen Hirsches hat der WWF Italia. Eine der wichtigsten Maßnahmen war der Erwerb und die Bewachung des Schutzgebietes „Monte Arcosu“. Sie haben das Projekt „Hirsch“ salonfähig gemacht und gezeigt, wie vorsichtiger Tourismus mit Naturschutz in Einklang gebracht werden kann.
Im „Parco Monte Sette Fratelli“ erleben wir eine weitgehend von staatlichen Förderungen abhängige Arbeit. Geld ist nie da, die Forstarbeiter werden schlecht bis gar nicht bezahlt, die Zuwendungen werden jährlich weiter gekürzt. Dennoch arbeiten sie mit Hingabe und aus Überzeugung für die Tiere – auch wenn sie selbst kaum davon leben können. Wer sich berufen fühlt zu helfen, ist hier an der richtigen Stelle.
Denn die Arbeit ist wichtig: Erst seit die Schutzgebiete etabliert sind und die Bestände gepflegt und bewacht werden, entwickelt sich die Hirschpopulation erfreulich. Nun wird begonnen, den Hirschen in anderen Gegenden Sardiniens anzusiedeln, um sein dauerhaftes Überleben zu sichern.
Die Gipfel des Monte Sette Fratelli
Die drei wichtigsten Schutzgebiete, in denen der sardische Hirsch zu finden ist, sind frei zugänglich und mit einem Netz an Wanderwegen ausgestattet. Diese sind in unterschiedlicher Qualität gepflegt und in allen Schwierigkeiten vorhanden – vom Waldspaziergang bis zur anspruchsvollen Trekkingtour.
Weitere Informationen:
Die folgenden Web-Angebote sind vorwiegend in italienischer Sprache.
Design by ThemeShift.