Beeehditorial Februar 2013 – In der Nebensaison kommt das Schaf gern mal ins Grübeln. Und da gibt es Gedanken, die in der schwarzschafigen Seele durchaus miteinander streiten.

Geschenk der Nebensaison: Farben

Geschenk der Nebensaison: Farben

Einerseits sind die Kälte, die Dunkelheit und das Einigeln in den Wintermonaten anstrengend und das Schaf vermisst die Wärme, Lebendigkeit und Leichtigkeit des Sommers. So eine schöne Beachparty, oder ein ausgedehntes Sonnenbad am Strand … ach, das hätte jetzt was … könnte doch immer Sommer sein …

Schönheit der Nebensaison: Isole Li Nibari im Januar

Einfach schön: Isole Li Nibari im Januar

Aber, nein! Will man ja gar nicht. Denn gerade jetzt kommt man den Sarden, ihren Traditionen, ihrer Kultur so nah wie sonst nicht. Da sind diese hundert wunderbaren Feste, die sie feiern. Sa Sartiglia, der Umzug der Mamuthones und Issohadores, Boes e Merdules, ach, der Carnevale … dieses tolle Miteinander. Und: In der Nebensaison findet das ganz normale Leben mit den ganz normalen Leuten statt.

Das Schaf merkt, wie schwierig es für diese wunderbar aufrichtigen, stolzen und einfachen (und nichts davon ist abwertend gemeint) Menschen ist, alte Traditionen und neue, sowie ganz akute Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen.

Ja, die Krise ist da. Wenn der Deutsche schon jammert (worüber eigentlich?!): Italien hat es wirklich nicht leicht, Sardinien ist noch ein wenig gebeutelter. Jetzt, mitten im Winter, ohne die sommerlichen Einnahmen aus dem Tourismus, noch mehr. Es geht um Geld vielenorts. Vor allem um das, das fehlt.

Feste feiern: Sa Sartiglia in Oristano

Feste feiern: Sa Sartiglia in Oristano

Daher lässt sich dieser Konflikt im Kopf des Schafs auch anders beschreiben: Einerseits lebt die Insel vom Tourismus und blüht mit ihm auf. Da kommt zu gewissen Zeiten im Jahr sogar Geld an. Andererseits verliert Sardinien durch ihn Seele und echte Werte.

Das gefällt dem Schaf nicht. Es grübelt weiter. Ist nur der Sommertourismus eine gewinnbringende Lösung? Oder gibt es auch profitable Wege, die das ganze Jahr über funktionieren? Und welche sind das? Wie geht Qualität statt Quantität, wenn man mal nicht vom Luxussegment spricht, sondern vom ganz normalen Urlaub? Wie kann das, was die Insel wirklich wertvoll macht – Vielfalt, Schönheit, Natur, Kultur, Menschen – auch das finanzielle Wohl der Sarden sichern?

Das ist in einem kleinen Schafartikel nicht abschließend zu beantworten.

Aber wir können hier anfangen. Ob wir mit dem, was wir hier aufschreiben nun in manchem Auge Recht haben oder in dem anderen Unrecht.

Kleine Geschenke

Kleine Geschenke

Was uns immer wieder begegnet, sind Menschen, die glauben, die Insel sei nur für sie da. Der darin inbegriffene Vorwurf trifft beide Seiten.

Der Tourist, der meint, nur für ihn würde auf der Insel gearbeitet. er bringe ja schließlich das Geld. Und nur für ihn gäbe es all das, was die Insel zu bieten hat. Für wen denn sonst, für Sarden etwa? – Ja, aber sicher! Auch wenn mancher es nicht glaubt: Hier wohnen und leben Menschen, die ihre Heimat über alles lieben. Und so manche, die lieber ein wenig ärmer sind, als sie zu verlassen.

Der Sarde wiederum neigt dazu, skeptisch gegenüber dem zu sein, was von außen kommt. Außen heißt bei dem einen EU, bei dem anderen Festland-Italien, und von außen kommen immer auch die Touristen. Wer schonmal durch ein sardisches Dorf spaziert ist und in seinem Touristen-Outfit genau beäugt wurde, hat eine Ahnung davon, wie Skepsis geht.

Ist der Tourismus wirklich eine selig machende Sache für die ganze Insel? Muss er das sein? Kann er das überhaupt?

Natürlich geht einseitig denken auch im großen Stil.

Da ist zum Beispiel der Investor aus Qatar, der an der Costa Smeralda alte, galluresische Stazzi (typische Land- und Bauernhäuser im Nordosten der Insel) in exklusive Luxusvillen mit Pool verwandeln möchte – haargenau das gleiche Konzept, mit dem schon der ehemalige Costa-Besitzer Tom Barrack antrat und scheiterte.

„Smeraldisieren“ nennt man das hier, wenn etwas zwar irgendwie sardisch aussieht, aber nicht ist. Und natürlich gefällt das keinem traditionsbewussten Sarden.

Charmantes stazzu gallurese - oder "smeraldisierte" Luxusvilla?

Charmantes stazzu gallurese – oder „smeraldisierte“ Luxusvilla?

Dem Qatari gegenüber sitzt also ein sardischer Bürgermeister, der über die Ignoranz zwar furchtbar sauer ist, und sich über den drohenden Verlust dieser traditionsreichen Häuser beschwert – aber leider weder Ideen noch Mittel hat, sie selbst vor dem sicheren Verfall zu retten.

Man darf gespannt und skeptisch sein, ob sich da ein gemeinsamer Weg findet … Aufgeschlossenheit und Verständnis täten an dieser Stelle wohl beiden Seiten gut.

Da ist ebenjene Investor, der an der sardischen Küste weitere Luxushotels bauen will, für die extrem solvente Kundschaft. Mit insgesamt knapp 600 Betten. Es sieht nicht schlecht aus für ihn, und natürlich fände das mit Sondergenehmigungen statt, da an der Costa eigentlich das Baumaximum erreicht ist.

Wen wundert da, wenn die Sarden, die ihre Häuser seit Jahren gar nicht oder nur nach zwei-, dreijähriger Prüf- und Wartezeit um eine nur kleine Fläche erweitern dürfen, da empfindlich reagieren. Zumal sie noch für ihren Grundbesitz seit diesem Jahr empfindlich hohe Steuern zahlen müssen.

Das Totschlagargument schlechthin ist da nicht weit: Der Tourismus bringt Arbeit.

Ist da keine Idee fürs ganze Jahr?

Ist da keine Idee fürs ganze Jahr?

Das stimmt sogar. Wenigstens für kurze Zeit. Hotels müssen gebaut, die Häuser saniert, Restaurants betrieben werden.

Mal kurz überlegen: Wird dafür das sardische Bauunternehmen beauftragt? Eher die Ausnahme. Mr Investor rückt vermutlich mit Großbaufirmen aus seinem eigenen Umfeld an, und importiert alles, was er braucht. Sogar der Granit kommt hier und da mittlerweile aus China und nicht aus der Gallura.

Vorteile für die gesamte Insel hat dieser Ansatz erst, wenn man den neuen-alten Luxusurlaubern auch beibrächte, wofür Sardinien wirklich steht. Aber ehrlich – wenige wollen es wissen. Denn für sie steht Sardinien für genau das, was sie in ihrem Resort bekommen, und das ist für sie vollständig ausreichend.

Aber das umzukrempeln, hätte enorme Dimensionen, für ein kleines schwarzes Schaf wirklich ein großes Anliegen. Doch, wer bei sich selbst anfängt, hat einen Anfang gemacht. Hin also zu dem, was auch uns betrifft.

Denn: Wenn es Ideen gibt, die das ganze Jahr funktionierten und von denen Sardinien (inklusive der Sarden) profitieren würde, schließt sich die wichtige Frage an: Gibt es genügend aufgeschlossene Reisende, die sie mit tragen? Gibt es genügend Menschen, die weit vor oder nach der Saison auf die Insel kommen wollen? Und treffen sich in diesen Momenten Angebot und Nachfrage in Mut machendem Umfang?

Schauen wir erst einmal voraus in die Saison.

Viel Arbeit in der Hauptsaison

Viel Arbeit in der Hauptsaison – und was ist im Winter?

In den Restaurants und Hotels der Insel arbeiten während des Sommers oft Saisonarbeiter vom italienischen Festland. Extrem nette Menschen, wir kennen mittlerweile ein paar von ihnen, die sich immer wieder freuen, hier ihren Sommer zu verbringen.

Da ist der Student und Kellner aus Turin, der neben Italienisch auch Englisch und Spanisch und noch eine Sprache spricht und – ganz wichtig – von seinem Arbeitgeber keinen langfristigen Arbeitsvertrag verlangt.

Ein Sarde mit gleicher oder ähnlicher Qualifikation kann es sich gar nicht leisten, nur für drei, vier Monate im Jahr zu arbeiten.

Warum? Ihm fehlt die Alternative im Winter. Er/sie selbst, die Kinder, die Familie – alle wollen versorgt sein. Dieser ganz normale Wunsch, zuhause das ganze Jahr über eine auskömmliche Arbeit zu finden, bugsiert ihn in eine Sackgasse. Zumindest im Tourismus.

Bei einer Arbeitslosigkeit von weit über 30% in der jungen Generation ist diese Art der Arbeitsbeschaffung also derzeit eher kontraproduktiv. Und doch – dieses besagte Restaurant wird von einem nach Sardinien ausgewanderten Sizilianer geführt. Er hätte es wohl auch gern anders, aber für ihn funktioniert das Modell.

Bewahrenswerte Perlen im Hinterland

Bewahrenswerte Perlen im Hinterland

Dann gibt es da diesen sardischen Restaurantbesitzer, der aus dem Hinterland kommt und seinen Laden wirklich 365 Tage im Jahr öffnet und fast ausschließlich Sarden beschäftigt. Irgendwie ein Erfolgsmodell, denn da ist immer was los. Eine sichere Bank für eine gute Pizza im Januar. Toll!

Wäre da nicht der Abend gewesen, an dem er uns vorgerechnet hat, wie viel für Steuern und Bürokratie draufgeht. Dass, wenn er viel Glück hat, er mit etwas mehr als einer schwarzen Null rauskommt.

Nachhaltigkeit. Ein sperriges Wort, aber es meint was Gutes. Und die „Masse“ ist in diesem Zusammenhang nicht schlecht, wenn wir sie einfach als „viele“ verstehen. Der Tourismus zieht viele Menschen nach Sardinien.

Diese „Masse“ zu motivieren, nachhaltig zu reisen – also ökologisch, ökonomisch und sozial für Sardinien sinnvoll – ist eines der besten Anliegen überhaupt.

Dafür braucht es viele gute Ideen und glaubwürdige Initiatoren, und eher selten große profitorientierte Investoren von außen. Das ist die Krankheit der Krise: Dass Rentabilität mehr wert ist als Werte. Klingt vom Wortspiel her, als ginge das gar nicht. Aber schlichte Gewinnmaximierung ist natürlich einfacher.

Langfristig hilfreiche Projekte brauchen kluge Köpfe, kreative Ideen, hingebungsvolle Menschen. Die eben Werte wertschätzen, und nicht das Geld.

Solche Werte sind zum Beispiel die touristischen Kleinode abseits ausgetrampelter Pfade, die Sardinien ausmachen. Die mit Herz und Liebe geführten Betriebe, ob groß oder klein, diejenigen, die sich selbst, aber auch ihrem Heimatland und ihrem eigenen Volk Gutes tun wollen. Darunter sind wunderschöne Strukturen überall auf der Insel, die echt sind und sogar Platz für die „Vielen“ bieten.

Und wetten, das anreisende Volk von außen merkt, schätzt und honoriert das!?

Oder doch nicht? Immerhin, die Finca auf Mallorca kostet in den Sommerferien deutlich weniger als manch vergleichbares Mietobjekt auf Sardinien.  Dafür ist diese Insel vielleicht ein bisschen ehrlicher und sie selbst geblieben. Aber ist das echtes Geld aus dem Urlaubsbudget wert? Und wenn ja, wem?

Platz für viele wäre da - wie gewinnt man sie für sich?

Platz für viele wäre da – wie gewinnt man sie für sich?

Noch ein Gedanke, der sich leider sofort dazu gesellt: Sardinien gehört zu den ärmsten Regionen Europas. Wenn man also kein Geld in der Tasche hat, wie will man seine gute Idee finanzieren? Wie soll man den liebenswerten Familienbetrieb, der leider nicht so richtig viel einnimmt, weiter führen? Und wie erreicht man ausgerechnet die Reisenden, die genau das suchen und bereit sind, vielleicht auch ein paar Euro mehr dafür zu zahlen?

So mancher versucht es einfach. So manch anderer verlangt aber schlicht horrende Mieten, weil der Markt es hergibt. Und, weil sich das Ganze sonst nicht rechnet, wenn man nur die kurze Sommersaison hat. Ja, wenn. Da ist der ein oder andere Anbieter in seinem eigenen Kopf gefangen und hat keine Idee, wie er da raus kommt.

Wir ziehen den Hut vor denjenigen, die den Mut haben, einen ehrlichen und authentischen Qualitätstourismus aufzubauen.

Viele sind im Tourismus allerdings nur aktiv, weil es um ein familiäre Verpflichtung geht. Vielleicht sogar eine, die nie richtig gut lief. Man hat sich also dran gewöhnt. Für die einen klingt das nach Resignation, für die anderen nach einem enormen Dickkopf: Man kann es nämlich auch als Stolz auf das Erbe verstehen. Das Durchhaltevermögen für solche echten Werte finden wir eher bewundernswert.

Gerade diese Menschen und ihre „echten“ Angebote braucht die Insel. Wie viel würde verloren gehen, wenn sie aufgäben. Sardinien verliert mit jedem Sarden, der sein Geschäft aufgeben muss, ein Stück Identität. Und mit jedem Sarden, der seine gute Idee im Tourismus nicht umsetzt, ein Stück Zukunft. Und mit jedem Touristen, dem das alles egal ist, wird sie weichgespült.

Aber ist es wirklich so schwer?

Eine Insel für alle Jahreszeiten: Supramonte im Januar

Eine Insel für alle Jahreszeiten: Supramonte im Januar

Wer Sardinien, die Sarden und ihre Kultur einbezieht und respektiert, hilft der Insel beim Aufbau eines ganzjährigen Tourismus, der Land und Leute ernähren kann.

Wer nur auf Sonne und Strand setzt, hat in Sardinien wirklich nur drei Monate Zeit, um auf einen grünen Zweig zu kommen – schlau ist das nicht, wenn man weiß, dass es doch eine Insel für alle Jahreszeiten ist.

Lässt man die Vielfalt Sardiniens draußen (wie es einige, zugegeben sehr schöne, Resorts auf der Insel tun), wäre irgendwann egal, ob wir nach Sardinien reisen oder in die Dominikanische Republik. Wenn man hier wie dort exakt gleiche Bedingungen vorfindet und denkt, beide Inseln bestehen eh nur aus Parks und Pools – was haben wir dadurch gewonnen?

Fassen wir uns also mal an die eigene Nase. Wie wollig ist die denn noch? Sind wir Reisende in unseren alten und egoistischen Erwartungen gefangen? Wollen wir alles für uns und nichts für die Insel?

Weiterdenken, weitergrübeln, nützt ja nichts, denn zu einer abschließenden Wahrheit kommen wir heute bestimmt nicht. Aber wir freuen uns über alle, die diesen Gedanken bis hierher gefolgt sind und bei denen es auch anfängt, im Kopf zu rumoren …

Euer schwarzes Schaf

PS. – Und weil sie so wertvoll sind, möchten wir nicht vergessen, diese sardischen Anbieter für den nächsten Urlaub von Herzen zu empfehlen:

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